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Europawahlprogramm 2019

Europas Versprechen erneuern.

PRÄAMBEL

Liebe Wählerinnen und Wähler, die Europawahl 2019 ist eine Richtungswahl: Fällt unser Kontinent in den Nationalismus zurück? Kapituliert die Politik vor den Herausforderungen der Globalisierung und verschärft so die vielen Krisen? Oder begründet sich die Europäische Union kraftvoll neu? Wir sind uns sicher, dass nur ein handlungsfähiges Europa die großen Aufgaben lösen kann. Dafür müssen wir Europas Versprechen erneuern.

Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat, sozialer Ausgleich, Gleichberechtigung und Bewahrung unserer Lebensgrundlagen – das ist das Versprechen der Europäischen Union. Es ist ein Versprechen, für das es sich zu kämpfen lohnt. Wir haben mit dem gemeinsamen Europa einen Raum geschaffen, in dem Bürger*innen mitbestimmen können, Parlamente und nicht Heere entscheiden und alle Menschen vor dem Recht gleich sind. Doch Europa und seine Menschen sind so herausgefordert wie lange nicht mehr. Grundfesten geraten ins Wanken, die internationale Ordnung bröckelt, die europäische Einigung steht infrage. Zum ersten Mal will mit Großbritannien ein Land die EU verlassen. Im Gründungsland Italien regieren Faschisten*innen mit Antieuropäer*innen. In Österreich ist der rechtsnationale Innenminister dabei, die Pressefreiheit einzuschränken. In Rumänien, Polen und Ungarn höhlen die autoritär agierenden Regierungen den demokratischen Rechtsstaat aus und greifen die sexuelle Selbstbestimmung an. Die transatlantische Partnerschaft, die als Garant unserer Sicherheit galt, hängt am seidenen Faden, weil in den USA ein Rechtspopulist regiert, dem internationales Recht nichts mehr gilt und der Europa zum wirtschaftlichen Feind erklärt. Und währenddessen fliehen Menschen vor Krieg, Verfolgung und Hunger, erhitzt sich unser Planet rasant, werden Vielfalt und Gleichberechtigung angegriffen, haben viele trotz Arbeit kaum Chancen, der Armut zu entkommen, wächst die Ungleichheit innerhalb und zwischen den europäischen Mitgliedsländern, verändern Globalisierung und Digitalisierung radikal unsere Art, zu leben, zu denken, zu arbeiten. In dieser unübersichtlichen Lage suchen viele Menschen Halt. Ihre Unsicherheit ist den Nationalisten und Europafeinden willkommen, denn Angst ist der Treibstoff ihrer Politik. Komplexen Herausforderungen in einer globalen Welt begegnen sie mit Scheinalternativen, die einfache Lösungen versprechen, aber Probleme in Wahrheit verschlimmern. Der Populismus wird aber auch durch die Unfähigkeit, den Egoismus und die Ängstlichkeit der europäischen Regierungen – auch der deutschen – genährt. Sie beschränken die Demokratie auf das Lösen kleinteiliger Probleme und überlassen die Vormacht der globalisierten Wirtschaft. Dieser im Kern neoliberale Ansatz bietet keine Antwort auf die Situation der Menschen und verstärkt ihre Ängste. Es ist die Spirale der Angst, aus der wir ausbrechen müssen. Denn nur wenn wir uns etwas zutrauen, können wir gemeinsam der Politik ihre Handlungsfähigkeit zurückgeben und Europa als Idee des Gemeinsamen behaupten. Für uns bedeutet Europa mehr Souveränität. Abgrenzung und Sich einigeln ins Nationale sind in einer globalisierten Welt dagegen keine Lösung. Vielmehr bietet ein demokratisches und vereintes Europa den notwendigen Rahmen, in dem die Bürger*innen die Fragen der Zukunft selbstbestimmt beantworten können. Wir laden Sie ein, mit Ihrer Stimme daran mitzuwirken. In diesem Programm finden Sie unsere Ideen für eine ökologische, soziale, geschlechtergerechte und demokratische europäische Antwort. Wir bitten Sie: Gehen Sie jetzt mit uns in Europa gemeinsam voran.

Neue europäische Antworten

Ein Land allein will ein faires Steuersystem, in dem die große Kaffeekette genauso Steuern zahlt wie der Bäcker an der Ecke? Bislang lachen die Konzerne nur darüber und verschieben ihre Gewinne von Land zu Land, so lange, bis sie gar keine Steuern mehr zahlen. Ein Land allein will den digitalen Kapitalismus regulieren? Bislang scheren sich die Internet-Giganten nicht darum. 5, 15 oder auch 50 Millionen Nutzer*innen weniger sind ihnen egal. Aber ganz Europa ist ein zu großer Faktor, auf den sie nicht verzichten können. Wir haben es bei der Datenschutzgrundverordnung gesehen – sie ist quasi der weltweite Maßstab geworden, weil die Europäische Union sie geschlossen beschlossen hat. Die Macht der multinationalen Konzerne und unfaire Dumpingwettbewerbe auf Kosten von Kleinunternehmer*innen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen kann man nur eindämmen, indem man überstaatlich reguliert. Ein erster Schritt zu einer Unternehmenssteuer in der Europäischen Union kann eine gemeinsame Körperschaftsteuer von Deutschland und Frankreich sein, genauso wie eine europäische Mindestlohnrichtline und eine Ausweitung der europäischen Bankenunion, die globale Unternehmen und Investoren in die Schranken weisen und so Europa krisenfest machen würde. Die Armut in Europa nimmt zu und Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen in Südeuropa, ist immer noch auf einem erschreckend hohen Niveau. Schutz vor Dumpinglöhnen, gute Ausbildung und die Perspektive auf eine Beschäftigung, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, sind die Grundlage für eine solidarische Gesellschaft. Wir setzen uns für ein inklusives Europa der Fairness und gegenseitigen Anerkennung auf Augenhöhe ein. Die drohende Heißzeit durch die Klimakrise können wir nur im globalen Zusammenspiel abwenden, und Europa kann dabei den Unterschied machen. Deswegen muss die EU ihrer Verantwortung gerecht werden und sich endlich Klimaziele setzen, die mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind. Wir wollen, dass die EU wieder eine Vorreiterrolle im Klimaschutz übernimmt, indem wir in Europa gemeinsam eine sichere Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen statt aus Kohle, Gas und Atom gewährleisten. Das schaffen wir zum Beispiel, wenn wir die spanischen und griechischen Solarparks, die dänischen Offshore-Windparks, die deutschen Windparks und die österreichischen Wasserkraftwerke miteinander verbinden. Wenn wir Klimaschutz vorantreiben wollen, wenn wir neue Arbeitsplätze schaffen wollen, wenn wir wollen, dass unsere Bäuerinnen und Bauern auch in Zukunft noch fruchtbare Böden haben, dann brauchen wir einen radikalen Wandel in der europäischen Politik. CO₂ muss einen wirksamen Preis bekommen. Wir brauchen eine neue Landwirtschaftspolitik in Europa, eine Alternative zum Prinzip „Wachse oder weiche!“. Klimaschutz, Tierschutz und Gewässerschutz funktionieren nur, wenn nicht ein Land die Standards des anderen unterbietet. Die Plastikflut können wir nur bekämpfen, wenn Wegwerfplastik ein Ende hat. Die Zukunft Europas ist digital. Wir wollen die digitalen Veränderungen zum Wohle aller Menschen gestalten. Demokratische Regulierung sowie technische Innovationen sind dafür der Schlüssel. Die europäische Digitalpolitik soll von den Menschenrechten geleitet sein und sich auf die Prinzipien der Offenheit und der Nachhaltigkeit stützen. Damit bildet Europa den Gegenpol zu digitalen Bestrebungen Chinas oder der USA.

Europa muss sich in einer sich verändernden Weltordnung immer stärker selbst beweisen – als außenpolitische Akteurin, für die der Mensch mit seiner Würde und Freiheit und seinen unveräußerlichen Rechten im Mittelpunkt steht. Gemäß den Entwicklungszielen der Vereinten Nationen (SDGs) steht Europa in der Verantwortung, eine gerechte Weltordnung voranzutreiben und mögliche Widersprüche in der eigenen Politik im Interesse globaler Gerechtigkeit aufzulösen. Um die Würde des Einzelnen auch für die Menschen zu wahren, die in Europa Schutz suchen, muss ein solidarisches europäisches Asylsystem eingeführt werden, das für mehr Menschlichkeit und Handlungsfähigkeit sorgt. Auch in der Europäischen Union selbst gibt es Mitgliedstaaten, in denen sich autoritäre Strukturen immer weiter verfestigen. Die Zivilgesellschaften dort benötigen europäische Unterstützung, wenn sie für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Dafür wollen wir die Einklagbarkeit von Grundrechten auch in den europäischen Mitgliedstaaten ermöglichen. Wenn korrupte und undemokratische Regierungen gegen EU-Recht verstoßen, sollten europäische Gelder nicht mehr an sie, sondern direkt an die Kommunen und damit die Menschen dort gehen.

Europa kann, wenn wir Bürgerinnen und Bürger das wollen

Die Antwort auf die Herausforderungen Europas ist Europa. Die Europäische Union kann das Vertrauen in ihre demokratischen Institutionen stärken. Sie kann die Klimakrise bekämpfen. Sie kann dazu beitragen, dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren. Dass Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit ihr strahlendes Versprechen einlösen. Die Europäische Union kann den Frieden bewahren. Sie kann. Wenn wir Bürgerinnen und Bürger das wollen. In diesem Geiste müssen wir auch die bestehenden Krisen Europas wie die Klima- und die Finanzkrise oder die mangelnde Solidarität bei der Aufnahme von Geflüchteten lösen. Denn sie sind letztlich auch auf die strukturellen Entscheidungsdefizite auf europäischer Ebene zurückzuführen. Die Krisen Europas sind auch die Folge von Demokratiedefiziten auf europäischer Ebene und nicht eingelöster Versprechen eines sozial gerechten Europas. Deshalb wird es wesentlich sein, dass sich Europa als transnationale Demokratie und demokratische Union von Bürgerinnen und Bürgern weiterentwickelt. Dazu zählen eine grenzübergreifende Meinungsbildung sowie echte parlamentarische Initiativ-, Kontroll- und Budgetrechte. So lässt sich das Vertrauen in die europäischen Institutionen wieder stärken. Darum geht es bei der Europawahl: zu entscheiden, was wir wollen, wie wir zusammen leben wollen. Und dann etwas dafür zu tun. Europa ist nicht aus Versehen und von allein entstanden. Es hat die fürchterlichen Wunden des Krieges überwunden, weil es Frauen und Männer gab, die Vision, Mut und Willen aufgebracht haben. Die europäische Idee ist mit das Wertvollste, was dieser Kontinent je geschaffen hat. Aus einst verfeindeten Staaten wurden Freunde und Partner. Uns eint die gemeinsame Geschichte, mit all ihren Narben und all ihrem kulturellen Reichtum. Die EU ist seit über 70 Jahren ein Garant für Frieden, für das Überwinden trennender Grenzen. Sie war und ist auch der Garant für Wohlstand, Grundrechtsschutz und hohe Standards in unserem alltäglichen Leben. Es ist aber offensichtlich, wie schwer es geworden ist, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht, weil häufig einzelne Mitgliedstaaten eine gemeinsame Politik verhindern. Deshalb sollten die europäischen Staaten mutig sein und dort zu Mehrheitsentscheidungen finden, wo diese die EU gemeinschaftlich handlungsfähiger machen. Oder sie sollten in einer verstärkten Zusammenarbeit mit einigen Staaten vorangehen. Gleichzeitig kann es auch Sinn machen, wenn Länder wie Deutschland und Frankreich den Schulterschluss suchen. Sie müssen mit Ideen gemeinsam loslaufen, ohne in die historische Falle zu treten und alte Mauern wieder hochzuziehen. Denn ein Europa, in dem dauerhaft nur ein Kern vorangeht und andere zurückbleiben, wird entkernt enden. Wenn aber eine verstärkte Zusammenarbeit neue Lösungen bringt, wenn sie damit beweist, dass es geht und dass es gut geht, dann können sich die Zögerlichen vielleicht leichter anschließen und die EU wird insgesamt gestärkt. Von Europa kann so ein neues Versprechen ausgehen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten an, um die notwendigen Veränderungen in der europäischen Politik für mehr Nachhaltigkeit, Solidarität und Humanität anzustoßen und dafür zu sorgen, dass Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleiben. Dabei setzen wir auch auf die identitätsstiftende Kraft von Kunst und Kultur. Das gemeinsame Europa zu schützen bedeutet, den kulturellen Reichtum Europas gemeinsam zu fördern und zu bewahren. Wir stehen an der Seite der vielen, die in Initiativen, Bewegungen oder eigenständig vor Ort für diese Ziele eintreten – und zwar überall in Europa. Als europäische Parteienfamilie, verbunden über die Europäische Grüne Partei (EGP), streiten wir europaweit für unsere Ideen. Erwartbar werden wir nach der Europawahl einen starken nationalistischen Block im Europäischen Parlament sehen, der destruktiv und antieuropäisch agieren wird. Wir wollen alles tun, was an uns liegt, um für eine progressive und proeuropäische Mehrheit im EU-Parlament zu sorgen – eine Mehrheit gegen den konservativen Status quo und gegen die Nationalisten, eine Mehrheit, die Europas Versprechen erneuert, eine Mehrheit für eine Kommissionspräsident*in, die dafür einsteht. Nie war die Zukunft Europas so unsicher wie heute. Es hängt jetzt entscheidend vom gemeinsamen Einsatz der Proeuropäer*innen ab, welche Richtung die Europäische Union einschlagen wird, ob sie am Ende scheitern wird oder zu neuer Stärke und Handlungsfähigkeit findet als europäische Demokratie. Es ist keineswegs sicher, dass wir diesen Kampf gewinnen. Aber sicher ist, dass wir verlieren werden, wenn wir jetzt nicht kämpfen. Gerade die europäische Geschichte ist eine Geschichte von Verlusten und Niederlagen und falschen Führern. Aber nie wurde etwas besser, wenn man nicht gekämpft hat. Deshalb bitten wir Sie: Lassen Sie uns gemeinsam Europas Versprechen erneuern. Wählen Sie Europa, denn Europa ist die Antwort. Wählen Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN!. Sie finden im Jahr 2019 keine entschlossenere politische Kraft, die für ein geeintes, ökologisches, feministisches und gerechtes Europa arbeitet. Europa kann es. Wenn wir es wollen.

1 ERHALTEN, WAS UNS ERHÄLT: UNSERE NATÜRLICHEN LEBENS GRUNDLAGEN SCHÜTZEN

Ein Europa ohne Kohle, Atomkraft und sonstige fossile Energien ist möglich. Wir wollen die Europäische Union zum weltweiten Vorreiter von Klimaschutz, erneuerbaren Energien und Energieeffizienz machen. Unser Kontinent hat gerade hier noch enorme Potenziale, die bislang weitgehend brachliegen. Durch saubere Energiequellen kann eine weitgehende Energieunabhängigkeit erreicht, können Klima und Umwelt geschützt und nachhaltige Jobs geschaffen werden. Das ist unser Ziel. Die gute Nachricht: Alle Lösungen dafür stehen bereit, sie müssen nur angepackt werden! Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Generation. Versagen wir bei der Eindämmung der Krise, haben wir als politische Generation versagt. Mit Klimaschutz schützen wir nicht nur (und noch nicht einmal in erster Linie) Arten und Natur. Wir schützen unsere Lebensgrundlagen, aber auch die liberale Demokratie, ein Gemeinwesen, das in der Lage ist, wertebasierte Politik zu machen. Und wir schützen die ökonomische Basis, auf der wir unsere Politik aufbauen. Wir leben bereits in einer Welt, die sich um ein Grad erwärmt hat. Diese Veränderung birgt schon heute erhebliche Risiken für unser Zusammenleben und unsere Freiheit. Eine Erderhitzung, die nicht unter 1,5 Grad liegt, wird unkontrollierbare Folgen haben. Und sie trifft zuerst jene, die die Klimakrise nicht verursacht haben und sich am wenigsten vor den Auswirkungen schützen können: Menschen, besonders Frauen, in den Ländern des globalen Südens. Deshalb streiten wir – an der Seite einer globalen Bewegung – für Klimagerechtigkeit. Viele werden ihr Zuhause verlassen müssen und sich als Klimaflüchtlinge auf den Weg machen. Die weltweiten Migrationsbewegungen werden zunehmen. Selbst die Weltbank rechnet mit 140 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050. Es wird zu Kriegen um Wasser, fruchtbare Böden oder sichere Stätten kommen. Wir werden uns der Verantwortung so oder so nicht entziehen können. Doch die Zeit läuft uns davon. Hitzerekorde, Dürren, Überschwemmungen und starke Stürme liefern fast täglich neue Schreckensmeldungen. Der vergangene Sommer hat auf eindringliche Weise gezeigt, dass die Klimakrise längst auch bei uns in Europa Realität ist. Es ist höchste Zeit, dass die EU ihre Klimapolitik endlich an den Zielen des Pariser Klimaabkommens ausrichtet. Die Europäische Union muss zu einer Union des Klimaschutzes werden. Das heißt nicht nur, dass sie eine andere Energie-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik betreibt, sondern dass sie die ökologischen Fragen auch ins Zentrum ihrer Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik stellt. Wie wir unseren Energiehunger stillen, wird maßgeblich die Leitlinien der Außenpolitik bestimmen. Ob wir schmutzige Deals mit Diktatoren um Öl, Gas und Kohle eingehen oder eine demokratische Energieinfrastruktur auf Basis der Erneuerbaren aufbauen, ist ein Unterschied. Die EU-Energieaußenpolitik muss auf Nachhaltigkeit und einen Dialog auf Augenhöhe im Interesse der betroffenen Staaten setzen. Zu einer solchen gemeinsamen EU-Außenpolitik ist daher eine starke, auf erneuerbaren Energien basierende Energieunion notwendig. Eine Handels- und Landwirtschaftspolitik, die unseren Reichtum auf Kosten Dritter erwirtschaftet, oder stattdessen faire Partnerschaften, die einen gedrosselten Ressourcenverbrauch bei uns bedeuten, machen einen Unterschied. Fischen wir die Meere leer oder sorgen wir für halbwegs intakte Meeresökologie? Exportieren wir unseren Müll ins Ausland oder verzichten wir auf Wegwerfplastik? Mit welchen Wohlstandsindikatoren wollen wir am Gemeinwohl orientiertes Wirtschaften stärken? Viele Menschen sind weiter als die Politik: zum Beispiel diejenigen, die sich an Bürgerenergieprojekten beteiligen, auf ökologisch erzeugte Lebensmittel setzen, in Nachhaltigkeit und grüne Infrastruktur investieren. Viele europäische Städte tüfteln schon lange an einer autofreien Zukunft. Aber auch innovative Unternehmen, Ingenieur*innen, Wissenschaftler*innen und viele mehr haben sich auf den Weg gemacht. Mit ihnen allen verbünden wir uns. Und packen an. Für ein Europa, das ohne Kohle- und Atomstrom auskommt, eine Agrarpolitik betreibt, die auf ökologischen Kriterien basiert, Tiere schützt und Landwirten eine Perspektive gibt, ein Europa, das mit einer Plastikabgabe plastikmüllfrei wird und unsere Meere schützt. Schadstoffbelastete Böden und Gewässer, weniger Summen und Brummen in der Luft – das sind Anzeichen einer kranken, ausgelaugten und überstrapazierten Natur, die auf den Menschen zurückgehen. Und Anzeichen dafür, dass wir Grenzen überschreiten. Diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen. In einem gemeinsamen Europa können wir mit weniger Dünger, weniger Pestiziden und einem Verbot von Glyphosat Tieren und Pflanzen wieder mehr Lebensraum geben. Mit einer Wasserrahmenrichtlinie, die wir konkretisieren und konsequent umsetzen, verbessern wir die Qualität von Flüssen und Seen. Und mit europäischen Korridoren für Biotope und mehr Wildnisflächen erhalten wir wichtige Lebensgrundlagen. Wir wollen ein gemeinsames Europa, das seine Umwelt und Natur schützt. Bei der sauberen Mobilität, bei den erneuerbaren Energien oder auch beim Divestment hinkt Europa hinterher. Wir wollen grüne Anleihen europaweit stärken und eine Richtlinie für ökologische Transparenz am Finanzmarkt schaffen. Für den Verkehr der Zukunft wollen wir eine europäische Batteriezellenproduktion aufbauen, die sparsam mit den notwendigen Ressourcen umgeht. Damit sorgen wir für mehr klimafreundliche Mobilität und halten zugleich die Wertschöpfung in Europa. Digitale Technologien wollen wir stärker für vernetzte Mobilität einsetzen. Zudem knüpfen wir ein europaweites Schienennetz und verlagern Güter von der Straße auf die Gleise. Mit einem dynamisch ansteigenden CO₂-Mindestpreis sorgen wir für wirksamen Klimaschutz. Und für mehr Erneuerbare und größere Versorgungssicherheit schaffen wir einen gesamteuropäischen Stromverbund und ein intelligentes Stromnetz. Das alles geht nur gemeinsam. In einem gemeinsamen Europa.

1.1 KLIMASCHUTZ FÖRDERN, FÜR EIN EUROPA DER ERNEUERBAREN ENERGIEN, RAUS AUS KOHLE- UND ATOMKRAFT

Die Europäische Union ist reich an sauberen Energiequellen. Die Erneuerbaren haben weltweit 10,3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, davon mehr als 1,1 Millionen in der EU und über 300.000 in Deutschland. Investitionen in Erneuerbare und in Energieeffizienz sind mittlerweile der kostengünstigste Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung und der Garant für eine zukunftsfähige Ausrichtung der Wirtschaft. Es darf nicht sein, dass Europa durch die rückwärtsgewandte Klimapolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union bei dieser rasanten Entwicklung den Anschluss verliert. In China und den USA wird mittlerweile deutlich mehr in Erneuerbare investiert als in der EU. Wir wollen das ändern! Wir wollen eine zu 100 Prozent erneuerbare und energieeffiziente Europäische Union als Treiber für die internationale Energiewende. Dafür muss das europäische Klimaschutzziel, das sich keineswegs auf dem Pfad der Pariser Klimaziele bewegt, ambitionierter und verbindlich werden. Bis 2030 müssen 45 Prozent von Europas Energie, die wir beim Strom, der Wärme und der Mobilität verbrauchen, erneuerbar sein, und bis 2050 müssen es 100 Prozent sein. Nur so kann Europa seinen Beitrag leisten, um die Klimakrise einzudämmen und die globale Erhitzung auf deutlich unter 2, möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Die CO₂-Emissionen müssen zudem bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Bei der Energieeffizienz braucht es eine Verbesserung um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990, um ein maximales technisch mögliches Niveau der Energieeffizienz für 2050 zu erreichen. Diese Ziele müssen wir kontinuierlich überwachen und falls nötig anpassen. Wenn der Klimawandel sich beschleunigt, ist es notwendig, schneller voranzukommen. Die Verbrennung von Kohle ist die klimaschädlichste Form der Stromerzeugung. Darüber hinaus schafft Kohleverbrennung gesundheitliche Probleme. Dabei gibt es längst Alternativen: erneuerbare Energien sind sauberer, sicherer, effizienter und mittlerweile auch billiger. Länder wie Frankreich, Dänemark, Schweden, Österreich, die Niederlande oder Italien haben sich der globalen Allianz für den Kohleausstieg (Powering Past Coal Alliance) angeschlossen, die sich für einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 ausspricht. Diesen Vorreitern muss sich die Europäische Union inklusive Deutschland anschließen, statt an der klimaschädlichen Kohle festzuhalten. Der Export von dreckigem deutschem Kohlestrom untergräbt in Europa den Ausbau der Erneuerbaren. Kohlekraft schadet nicht nur dem Klima, sondern setzt auch hochgiftige Schadstoffe frei. Die hohen Folgekosten der Verbrennung von Kohle in Europa dürfen nicht weiter zulasten der Allgemeinheit gehen, die die Kosten und Risiken dafür trägt. Die Stromversorgung wird im Zuge der Abschaltung der unflexiblen, ineffizienten Kohle- und Atomkraft werke durch den Zubau erneuerbarer Energien sowie hocheffizientener Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sichergestellt, die zunehmend nur noch mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Ob CO₂, Quecksilber, Feinstaub oder Stickoxide: Überall sind Kohlekraftwerke als Hauptverursacher dabei. Deshalb müssen wir jetzt beginnen, Kohlekraftwerke abzuschalten. Daran muss sich Politik messen lassen. Wir brauchen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa einen vollständigen Kohleausstieg. Die hochgefährliche Atomkraft, deren Kosten und Risiken auf viele zukünftige Generationen abgewälzt werden, bekämpfen wir europaweit. Der dringend notwendige Kohleausstieg darf nicht dazu führen, dass Kohle durch Atom ersetzt wird. Die Atombranche etwa in Frankreich setzt auf eine Renaissance der französischen Atomkraft. Die dort diskutierte Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken lehnen wir ab. Es ist völlig unverantwortlich, dass Atomkraftwerke, die für eine Laufzeit von maximal 40 Jahren konzipiert wurden, nun trotz zunehmender Störfälle 60 Jahre am Netz bleiben sollen. Auch Belgien macht keine Anstalten, seine Schrottreaktoren vorzeitig stillzulegen. Die Laufzeiten für Atomkraftwerke sind auf ein absolutes Maximum von 40 Jahren zu begrenzen. Risiko-AKWs wie die französischen Reaktoren Cattenom und Fessenheim, das belgische Tihange oder das tschechische Temelín sind sofort abzuschalten. Der Betrieb dieser Schrottmeiler birgt unbeherrschbare Risiken für alle Europäer*innen. Darüber hinaus fordern wir ein neues Regelwerk auf europäischer Ebene, das es Bürger*innen und Anrainerstaaten ermöglicht, Einfluss auf die Sicherheitsanforderungen für grenznahe Atomkraftwerke zu nehmen. Die Atomtransporte in Europa müssen systematischer erfasst, transparenter gemacht und auf ein Minimum beschränkt werden. Nur durch milliardenschwere staatliche Beihilfen rechnet sich der Bau von Atomkraftwerken in Europa überhaupt noch – und dient beispielsweise in Großbritannien indirekt auch den Atomwaffenprogrammen. Diese Subventionen sind möglich, weil immer noch auf Grundlage des längst überholten Euratom-Vertrags entschieden wird. Diese indirekten und direkten Subventionen müssen beendet werden. Alle Passagen dieses Vertrages, die Investitionen, Forschungsförderung und Genehmigungsprivilegien im Bereich der Atomkraft begünstigen und AKW-Projekten gegenüber anderen Energieträgern einen wettbewerbsverzerrenden Vorteil verschaffen, müssen gestrichen werden. Der AKW-Rückbau und die Entsorgung von Atommüll mitsamt transparenter Beteiligung und Mitwirkung der Bevölkerung bei der Endlagersuche sollen zur Kernaufgabe von Euratom werden. Zudem müssen die EU-weit geltenden einheitlichen Sicherheitsstandards wesentlich strenger werden. Ebenso verlangt die unterirdische Endlagerung hohe, einheitliche Mindestanforderungen. Darüber hinaus ist ein neues, einheitliches europäisches Haftungsregime mit deutlich höheren Anforderungen und einer Einbeziehung grenzüberschreitender Auswirkungen notwendig. Bei den Entscheidungen zu Euratom wollen wir in Zukunft ein klares demokratisches Mitspracherecht durch das Europäische Parlament. Um das Ziel von 100 Prozent erneuerbarer Energie in Europa für 2050 zu erreichen, muss die Förderung von Photovoltaik, Windenergie, Biomasse und anderen regenerativen Stromquellen auch auf europäischer Ebene noch stärker vorangetrieben werden. Damit die Energiewende europaweit gelingt, braucht es eine Erneuerbare-Energien-Union. Den Energiecharta-Vertrag, der Konzernen Sonderklagerechte einräumt und damit den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg aushebelt, wollen wir hingegen kündigen.

Klimabedingte Migration und Flucht würdevoll gestalten – Klimapass für Bewohner*innen von bedrohten Inselstaaten

Für Millionen von Menschen weltweit ist die Klimakrise längst kein theoretisches Phänomen mehr. Neben einer grundlegenden Kehrtwende in der eigenen Klimapolitik ist es deshalb Aufgabe der EU, die betroffenen Länder technisch und finanziell bei der Anpassung an die Klimakrise und bei der Bewältigung ihrer Folgen zu unterstützen. Dennoch werden Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Wir wollen, dass die EU dazu beiträgt, diesen Menschen eine würdevolle und selbstbestimmte Migration zu ermöglichen – innerhalb ihres Landes, in ihrer Region, gegebenenfalls auch nach Europa. Historisch betrachtet, sind die westlichen Industriestaaten die Hauptverursacher klimaschädigender Treibhausgase. Daher soll die EU zusammen mit anderen Industriestaaten vorangehen und im Rahmen einer gemeinsamen Regelung den Bewohner*innen von bedrohten Inselstaaten, die durch die Klimakrise unbewohnbar werden, Klimapässe anbieten. Diese sollen zusätzlich und nicht alternativ zu bestehenden Initiativen und Forderungen der Inselstaaten etabliert werden. Auch andere Staaten mit historisch oder gegenwärtig hohen Treibhausgasemissionen sollen als Partner für diese gerechte Klimafolgenanpassung gewonnen werden. Zugleich sollte die EU Prozesse unterstützen, in denen mit betroffenen Staaten über völkerrechtliche Ansätze zum Umgang mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung sowie zum Zugang zu internationalem Schutz beraten wird.

CO₂ einen Preis geben und den Menschen das Geld

Treibhausgase müssen einen Preis entsprechend ihrer Klimawirksamkeit bekommen. Dieser Preis besteht nach unseren Vorstellungen aus zwei Komponenten: Für alle Anlagen, die dem Emissionshandel unterliegen – das sind vor allem Industrieanlagen sowie Kohle- und Gaskraftwerke –, muss es einen deutlich steigenden Mindestpreis für CO₂-Emissionen geben, denn Unternehmen brauchen Planungssicherheit, um nachhaltige Investitionsentscheidungen zu treffen. Die letzte Reform des Emissionshandels war viel zu zaghaft. Zusätzlich muss die Anzahl der Zertifikate im Emissionshandel entsprechend dem Pariser Klimaziel weiter reduziert werden. Nur so entfaltet der CO₂-Preis eine echte Lenkungswirkung. Deutschland soll zunächst mit einigen EU-Staaten die Initiative ergreifen und in einer regionalen Staatengruppe einen gemeinsamen CO₂-Mindestpreis einführen; die Niederlande und Frankreich haben ihre Absicht dazu schon erklärt. Perspektivisch wollen wir eine gesamteuropäische Lösung vorantreiben. Für die Sektoren, die bislang nicht vom Emissionshandel erfasst werden, benötigen wir eine grundlegende Änderung der Abgaben. Fossile Treib- und Wärmebrennstoffe müssen entsprechend ihrem jeweils spezifischen CO₂-Ausstoß den wahren Preis kosten. Zeitnah wollen wir dafür sorgen, dass Produkte und nicht deren Produktion dem europäischen CO₂-Mindestpreissystem unterliegen. So würden wir in Deutschland und Europa zukünftig die Entstehung von CO₂ und nicht die Herstellung der Produkte verteuern. Dadurch verhindern wir, dass der hohe CO₂-Preis die Produktion und damit den CO₂-Ausstoß in Länder verlagert, in denen es keinen vergleichbar hohen Preis für CO₂ gibt. Den dafür notwendigen Grenzausgleich („border carbon adjustment“) wollen wir WTO-konform gestalten. Perspektivisch wollen wir weitere umweltschädliche Effekte analog zur CO₂-Besteuerung in eine umfassende Verschmutzungs- und Ressourcenbesteuerung aufnehmen. Da Steuern und Abgaben auf Verbrauch immer sozial schwächere Haushalte stärker belasten als reichere, wollen wir die zusätzlichen Einnahmen aus der CO₂-Besteuerung an die Verbraucher*innen zurückgeben. Unser Ziel ist die Schaffung eines Energiegeldes als Pro-Kopf-Zahlung an die Menschen in Europa. Solange dies nicht europäisch umsetzbar ist, werden wir uns auf nationaler Ebene dafür einsetzen. Wir wollen Energiearmut bekämpfen, indem europaweit Sozialtarife geschaffen werden, betroffene Haushalte eine kostenfreie und unabhängige Energieberatung erhalten und die eigene Energieerzeugung und -einsparung gefördert wird.

Beschäftigte beim Strukturwandel in Kohlerevieren unterstützen

Der Kohleausstieg wird dazu führen, dass einerseits Arbeitsplätze verloren gehen und andererseits in neuen Zukunftsbranchen deutlich mehr Arbeitsplätze entstehen. Dennoch nehmen wir die Sorgen und Ängste der Betroffenen ernst und lassen die Menschen nicht im Stich. Bei diesem Strukturwandel müssen wir die Beschäftigten und die Regionen unterstützen, damit sie eine Perspektive haben. Mit den Mitteln der EU-Strukturfonds sollen „Kohleausstiegsregionen“ speziell gefördert werden. Neue regionale Wirtschaftsschwerpunkte werden aufgebaut und passgenaue Weiterbildung wird angeboten. Wir werden dafür ein Recht auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen in ganz Europa verankern. Das hilft nicht nur den vom Strukturwandel Betroffenen, sondern ist auch ein Mittel gegen Fachkräftemangel. Die Sozialpartner sollen ihre spezifischen Kompetenzen aktiv in den Prozess des Strukturwandels einbringen können.

Europas Energie vernetzen

Selbst wenn Energiepolitik innerhalb der EU heute immer noch vor allem in der nationalen Kompetenz liegt, sind die Mitgliedsländer durch den gemeinsamen Strommarkt eng miteinander verbunden. Europa muss sich energiepolitisch weitgehend unabhängig machen. Wir brauchen nicht mehr Erdgas, sondern mehr Erneuerbare und höhere Energieeffizienz. Die Weichen dafür stellen wir, indem wir die Energiewende im Wärmesektor vorantreiben und dafür sorgen, dass Gebäude in Europa energieeffizient werden und erneuerbare Energien nutzen. Das Projekt Nord Stream 2 lehnen wir daher ebenso ab wie neue Pipelineprojekte, Frackingvorhaben und den Import von gefracktem Gas. Doch auch der Bau von LNG-Terminals ist keine Alternative für die Dekarbonisierung der europäischen Energieversorgung. Die starke Abhängigkeit Europas von klimaschädlichen Energieimporten muss in einer gemeinsamen europäischen Anstrengung überwunden werden. Europa muss zusammenwachsen, auch im Strombereich. Mit einem gesamteuropäischen Stromverbund stärken wir die Versorgungssicherheit, indem Angebot und Nachfrage auf eine breitere Basis gestellt werden. Damit schaffen wir ein gemeinsames Netz für ganz Europa und verbinden Lissabon mit Helsinki. Wir beugen auch Lieferengpässen vor und sorgen für mehr Unabhängigkeit. Für Europa brauchen wir dazu ein intelligentes Stromnetz, das sowohl die erneuerbaren Energien dezentral verknüpft und überregional verbindet als auch über flexibel steuerbaren Stromverbrauch clever das zunehmende Angebot an erneuerbarem Strom vernetzt. Nötig sind europäische Strom- und Gasnetze, die der Energiewende dienen und helfen, die natürlichen Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen. Dieses Prinzip muss Leitschnur für die Auswahl der transeuropäischen Netzbauprojekte sein. Wir wollen die Erzeugungspotenziale in Europa vernetzen und dabei Maß und Mitte halten zwischen zentralen und dezentralen Strukturen. Auch die zukünftig erforderliche Speicherstruktur muss europäisch gedacht und geplant werden. Um mehr Speicherkapazitäten zu schaffen, setzen wir uns für ein Markteinführungsprogramm für Energiespeicher ein. Risikotechnologien wie die CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS), also die Einlagerung von CO₂ in unterirdische Lagerstätten, und die Förderung von Erdgas und Erdöl durch Fracking lehnen wir wegen der unabsehbaren Gefahren für Gesundheit, Trinkwasser und Umwelt ab. Angesichts der Größe der Herausforderungen ist es aber unerlässlich, dass wir die verschiedenen Ansätze für negative Emissionen und ihre Einsatzpotenziale und Risiken gründlich erforschen. Großmaßstäbliche Hochrisikotechnologien, die auf unabsehbare Weise in Atmosphäre und Ökosysteme eingreifen, lehnen wir ab. Stattdessen müssen diese enormen Gelder in Technologien zur Einsparung von Treibhausgasen investiert werden. Dazu gehören zum Beispiel das Aufforsten von Wäldern sowie das Pflanzen von Bäumen, denn Bäume speichern CO₂, produzieren Sauerstoff und sind daher eine wichtige Klimaschutzmaßnahme. Hierfür schlagen wir ein EU-Förderprogramm vor.

Union für Energie- und Ressourceneffizienz

Wir wollen Investitionen in Erneuerbare, Energie- und Ressourceneffizienz fördern, die Arbeitsplätze schaffen und die Kosten für die Verbraucher*innen reduzieren. Diese Investitionen in der Industrie werden ausgelöst durch planbar steigende Preise für CO₂Emissionen. Je mehr Energie eingespart wird, desto günstiger wird Klimaschutz. Schlüssel für weniger Energieverbrauch sind die Bereiche Planen, Bauen und Wohnen, der Umstieg auf eine energieeffiziente Elektromobilität, Digitalisierung, effiziente Produktion und energiesparende Produkte mit einer langen Lebensdauer. Wir wollen den Umstieg privater Verbraucher*innen auf Geräte mit geringerem Energieverbrauch fördern sowie kleinen Unternehmen eine günstigere Grundversorgung mit Strom und Wärme ermöglichen. Die vom EU-Parlament und vom Rat der EU geschaffene Ökodesign-Richtlinie legt für verschiedene Produktgruppen ökologische Mindeststandards fest. Das ist richtig, reicht aber lange noch nicht aus. Wir wollen für weitere Produkte ökologische Mindeststandards festlegen. So können wir ökologische Innovationen, beispielsweise im Bereich Verkehr, fördern. Wir möchten, dass jedes neue Gebäude in Europa energieeffizient ist und erneuerbare Energien selbst erzeugt – zum Beispiel in Form von Solarstrom, Solarwärme, Erdwärme oder einer Kombination daraus – und erneuerbare Energien direkt oder über Wärmenetze nutzt. Bei Neubauten der öffentlichen Hand wie beispielsweise Schulen, Turnhallen, Verwaltungsgebäuden und Schwimmbädern soll dies zur Pflicht werden. Die Begrünung von nicht zur Solarenergienutzung geeigneten Dachflächen trägt zu einem gesunden Stadtklima bei.

Nachhaltigen Konsum ermöglichen

Um die Klimaziele zu erreichen, soll es leichter werden, nachhaltig zu leben. Von Flugreisen bis zu Tierprodukten geht der überdurchschnittliche Konsum im westlichen Europa zulasten des globalen Südens und zukünftiger Generationen. Wir wollen Anreize setzen, weniger zu verbrauchen und zu konsumieren. Dafür wollen wir die Lebensdauer und Gewährleistungsfristen von Gütern erhöhen, den Flächenverbrauch in Europa stoppen, pflanzliche Ernährung fördern. Statt weiter wachsendem Flugverkehr wollen wir die Mobilität auf der Schiene stärken. Initiativen zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft und der Sharing Economy unterstützen wir.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einen europaweiten Ausstieg aus Kohle-, Atomstrom und weiteren fossilen Energieträgern sowie einen deutlich schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien
  • ein Programm, das Arbeitnehmer*innen in Kohleausstiegsregionen unterstützt
  • Investitionen in intelligente Stromnetze für erneuerbare Energien, einen transeuropäischen Netzausbau und in Energiespeicher
  • einen wirksamen Preis für CO₂
  • einen Aktionsplan für klimaschonende Wärmeversorgung

1.2 EUROPA VERBINDEN MIT GRÜNER MOBILITÄT

Europa lebt vom grenzüberschreitenden Austausch. Reisen, leben, lieben und arbeiten jenseits nationaler Grenzen ist selbstverständlich geworden. Europa braucht ein Verkehrssystem, das den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird – ein System, das unsere Lebensqualität steigert. Steigende CO₂-Emissionen verschärfen die Klimakrise, Stickoxide sowie Feinstaub und Ultrafeinstaub schädigen massiv die Gesundheit, und Staus auf zahlreichen Straßen rauben uns die Zeit. Gleichzeitig fehlt in ländlichen Regionen ein flächendeckender Nahverkehr, sind Züge unzuverlässig und Radwege oftmals in schlechtem Zustand. Das wollen wir ändern. Wir möchten in Europa eine Mobilität, die klimaneutral, kostengünstig und für alle nutzbar ist und Umwelt und Gesundheit schützt. Europa muss das Zukunftsprojekt Mobilität gestalten. Wir sind überzeugt, dass eine sozial und ökologisch verträgliche Mobilität mit modernsten technischen Möglichkeiten realisierbar ist. Das bedeutet: mehr für Fuß- und Radverkehr, weniger, aber dafür saubere und leise Autos, bessere Zug- und ÖPNV-Angebote, weniger Kurzstreckenflüge und eine bessere Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger in der Stadt und auf dem Land. Der Straßenverkehr muss sicherer werden; wir treiben dafür die Entwicklung und den Einsatz von Assistenzsystemen für Pkws und Lkws voran, die beispielsweise Gefahrensituationen mit Fahrrad Fahrenden erkennen, warnen und etwa abbremsen. Mittelfristig wollen wir autofreie Innenstädte schaffen. An der Lösung des Ultrafeinstaub-Problems im Umfeld der Flughäfen muss intensiv gearbeitet werden. Europa braucht einen Paradigmenwechsel bei den Investitionen in Straßen: Statt Milliarden in den Neubau zu stecken, muss die bröckelnde öffentliche Infrastruktur dringend saniert werden. Damit der Verkehrssektor jetzt seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet, fordern wir die Einführung eines CO₂-Preises auf alle fossilen Treibstoffe, damit aktuell saubere Antriebe im Verhältnis günstiger werden. Auch die Produktion von Palmölkraftstoffen führt durch die Rodung des Regenwaldes zu erheblichen Mengen CO₂. Die Beimischung dieser Stoffe wollen wir beenden. Einer der Hauptverursacher von Lärm ist der Verkehr, entsprechend gesundheitlich belastet sind Anwohner*innen von lauten Straßen. Wir setzen uns für leise Mobilität ein und treten für strengere Grenzwerte ein. Der Lärm aus absichtlich laut gestalteten Motorrädern und Autos schwillt immer weiter an. Wir wollen die Normtests für Fahrzeuglärm der Realität anpassen. Die EU-Lärmgrenzwerte sind in allen Betriebszuständen und allen Frequenzen einzuhalten. Auch den Fahrradverkehr und die Nutzung elektrisch unterstützter Pedelecs-Fahrräder wollen wir intensivieren und die Pedelecs versicherungsrechtlich mit Fahrrädern gleichgestellt lassen. Die mittlerweile 15 europäischen Fernradwege, die Euro-VeloRouten, wollen wir ausbauen, um den grenzüberschreitenden Fahrradverkehr zu fördern.

Ein europäisches Schienennetz knüpfen

Um die grüne europäische Mobilität zu fördern, muss Europa auf der Schiene noch mehr zusammenwachsen. Anstatt vorrangig milliardenschwere Großprojekte, wie Stuttgart 21, mit wenig europäischem Nutzen zu finanzieren, müssen europäische Fördermittel gezielt für bestehende und fehlende Abschnitte eingesetzt werden. Das europäische Eisenbahnnetz ist noch immer ein Flickenteppich mit zahlreichen Lücken an den nationalen Grenzen. Das 2016 erstmals aufgelegte europäische Lückenschlussprogramm ist ein grüner Erfolg, der deutliche Verbesserungen schafft. Aber schon jetzt wird deutlich, dass die Nachfrage das Programm überfordert. Deswegen fordern wir eine Verdoppelung der Mittel. Damit schaffen wir mit wenig Aufwand einen besseren grenzüberschreitenden Schienenverkehr. Davon profitieren gerade die Menschen, die alltäglich darauf angewiesen sind. Mobilität ist Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe. Die Infrastruktur muss in öffentlicher Hand bleiben. Nur so kann ein gutes und attraktives Verkehrsangebot gesichert werden. Während man in Europa relativ einfach mit dem Auto über Grenzen fährt, müssen im Schienenverkehr oftmals Loks, Personal und Stromnetz gewechselt werden. Das kostet nicht nur Zeit, sondern macht den Zugverkehr insgesamt unattraktiver. Deshalb müssen die unterschiedlichen nationalen Verkehrsnetze europaweit vereinheitlicht werden. Ein gemeinsames Verkehrsnetz braucht gemeinsame Standards, von Ticketsystemen und Bahnsteighöhen bis zu Sicherheitsstandards. Nur wenn die Kleinstaaterei aufhört, kann Europa mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene verlagern. Das schont das Klima und senkt die Belastung durch Schadstoffe. Eine Akzeptanz in der Bevölkerung für mehr Güter auf der Schiene wird es aber nur geben, wenn Güterzüge deutlich leiser werden. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Wir brauchen massive Investitionen in transnationalen Güter- und Personenverkehr. Wir setzen uns für die Wiederaufnahme europäischer Nachtzüge zwischen allen Metropolen und einen funktionierenden Pendelverkehr in Grenzregionen ein. Eine gemeinsame Finanzierung bzw. eine Fondslösung kann das unterstützen. Damit Europa über die große Distanz zusammenwachsen kann, müssen Züge auch für lange Strecken endlich eine ernst zu nehmende Alternative zu Auto und Flugzeug werden. Nur so wird es weniger Kurzstreckenflüge in Europa geben. Wir machen uns für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsbahnnetz stark, mit dem wir Athen und Helsinki, Madrid und Budapest verbinden.

Weltmarktführer für saubere Mobilität

Um die Mobilität der Zukunft zu prägen, muss Europa den Wandel gemeinsam mit der Fahrzeugindustrie anpacken. Neue Automobilhersteller, Mobilitätsdienstleister und Digitalkonzerne aus den USA und China fordern die europäischen Hersteller heraus. Nur wer die saubersten, bequemsten und intelligentesten Mobilitätslösungen anbietet, kann internationaler Marktführer bleiben. Dabei geht es um unglaublich viel: Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Klima- und Gesundheitsschutz – um nur einige wenige Aspekte zu nennen. Es sind vor allem die nationalen Regierungen und oft Deutschland, die in Brüssel die CO₂-Grenzwerte für Autos verwässern, Diesel-Tricksereien vertuschen und strengere Abgastests blockieren. Gerade die Große Koalition hat damit der Automobilindustrie einen Bärendienst erwiesen. Wir GRÜNEN wollen den nötigen Technologiewandel vorantreiben: weg vom fossilen Verbrennungsmotor hin zu abgasfreien Antrieben. Dafür braucht es ambitionierte europäische CO₂-Grenzwerte für Neuwagen, eine Förderung der europäischen Ladeinfrastruktur und eine EU-weite Quote für abgasfreie Neuwagen, Ab 2030 dürfen nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden. Verbindliche Zulassungsquoten sollen sicherstellen, dass auch Lkws, Busse, Baumaschinen, sonstige Nutzfahrzeuge, Traktoren, Schiffe, Hubschrauber und Flugzeuge nach und nach auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Damit wir es schaffen, im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommen, den Verkehr bis 2050 nahezu klimaneutral zu gestalten, sollen rechtzeitig nur noch solche Fahr- und Flugzeuge neu zugelassen werden, die klimaneutral angetrieben werden. Hintergrund ist die jahrzehntelange Lebenserwartung der fossil angetriebenen Fortbewegungsmittel. Damit gehen wir den nötigen Schritt für die Stabilisierung des Klimas, Gesundheitsschutz und innovative Arbeitsplätze. Zudem brauchen wir strengere Kontrollen bei Abgastests und das Ende der Steuerprivilegien bei Kraftstoffen. Außerdem wollen wir die Batteriezellenproduktion sowie die Produktion von Wasserstoffautos europäisch unterstützen, um beim sauberen Auto Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Die Förderung der Zellproduktion knüpfen wir an die regionale Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom und sparsamen Umgang mit seltenen Metallen, damit das E-Auto eine wirklich ökologische Alternative wird. Beim ÖPNV wollen wir die Elektromobilität voranbringen: Bahnstrecken müssen elektrifiziert und abgasfreie Busse produziert werden. Auch die Entwicklung alternativer, sauberer Antriebe für den Wirtschaftsverkehr in der Stadt und über Land wollen wir vorantreiben. Ziel grüner Mobilitätspolitik ist es, dass Menschen schnell, sicher und emissionsfrei von A nach B kommen. Das erhöht die Lebensqualität in der Stadt und auch auf dem Land. Mithilfe digitaler Technik und kluger Stadtplanung werden Fahrrad- und Fußverkehre, Busse, Bahnen und Autos mit Bike- und Carsharing vernetzt und gefördert. Hinzu kommen neue Entwicklungen wie die intelligente Verkehrssteuerung und demnächst autonome Fahrzeuge, die unter den richtigen Rahmenbedingungen mehr Klimaschutz, Sicherheit und Effizienz schaffen können. Wir wollen die digital gestützte emissionsfreie Mobilität stärken und damit unsere Lebensqualität erhöhen. Dazu wollen wir auf europäischer Ebene einen Förderwettbewerb für Städte und Regionen starten, die gezielt den Autoverkehr verringern und dafür den öffentlichen Nah-, Rad- und Fußverkehr ausbauen. Diese Modellgebiete können Vorbildcharakter für ganz Europa haben.

Umsteuern bei Flugverkehr und Schifffahrt

Auch den Flugverkehr und die Schifffahrt möchten wir auf einen nachhaltigen Kurs bringen. Wir wollen, dass die EU sich auf internationaler Ebene für weiter gehende Klimaziele für die Schifffahrt und den Flugverkehr einsetzt. Wir setzen auf emissionsarme Kraftstoffe und eine klimaneutrale Schifffahrt. Auch der Flugverkehr muss aufholen und seinen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Die Forschung und Erprobung alternativer Antriebstechniken wollen wir fördern. Im Schifffahrtsbereich unterstützen wir zielgerichtete Maßnahmen, die zu weniger Emissionen in den Häfen und auf den Weltmeeren führen. Wir setzen auf europaweit verbindliche Vorgaben, wie zum Beispiel weniger als 0,1 Prozent Schwefelanteil im Treibstoff oder eine Verminderung von Stickstoffemissionen am Liegeplatz um 80 Prozent. Dafür brauchen wir eine entsprechende Hafeninfrastruktur. Neben Nord- und Ostsee sollen weitere EU-Gewässer wie das Mittelmeer als Emissionssonderzonen ausgewiesen und die Nutzung von Schweröl soll generell verboten werden. Zur Erreichung sind eine ausgebaute LNG-Tank-Infrastruktur sowie die Erforschung von alternativen Antriebsstoffen erforderlich. Die Abhängigkeit von Schweröl und Schiffsdiesel muss der Vergangenheit angehören. Speziell der Kreuzfahrtbereich muss sauberer werden und sich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Kulturgütern verpflichten. Auch im Luftverkehr kommt es darauf an, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Internationale Flüge unterliegen keiner Mehrwertsteuer, und Kerosin wird nicht besteuert. Das wollen wir nicht zuletzt im Sinne der Gleichheit ändern. Zudem muss der internationale Flugverkehr endlich in den europäischen Emissionshandel der EU einbezogen werden, damit er seinen Beitrag zum Schutz der Atmosphäre leistet. Weiterhin setzen wir uns für die Reduzierung des Fluglärms ein. Die aktuellen Regelungen sollen so ausgestaltet werden, dass sie wirksam zu Lärmminderung führen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine europäische Verkehrswende mit Vorfahrt für umweltverträgliche und vernetzte Mobilität
  • die Förderung sauberer Fahrzeuge und zukunftsfester Arbeitsplätze
  • eine Schifffahrt ohne Schweröl, dafür mit erneuerbaren Antrieben
  • einen Umstieg auf weniger, saubere und sicherere Autos
  • ein Ende der Steuerbefreiung für Kerosin

1.3 RESSOURCENSCHONENDE WIRTSCHAFTSDYNAMIK ENT FACHEN

Europa steht vor der Jahrhundertaufgabe, seine Wirtschaft ökologisch und sozial umzugestalten. Unser Ziel ist ein Wirtschafts- und Finanzsystem, das nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt geht und sich an den planetaren Grenzen orientiert. Dazu müssen unter anderem die sozialen und ökologischen Kosten unserer Art, zu wirtschaften und zu leben, transparent gemacht und in die Preise integriert werden. Mögliche negative Auswirkungen auf die Verteilungsgerechtigkeit müssen angemessen aufgefangen werden. Wir GRÜNEN bleiben dagegen hartnäckig, wenn es darum geht, der Wirtschaft einen ökologischen und sozialen Rahmen zu setzen. Erst dieser Rahmen ermöglicht es der Wirtschaft, in einem fairen Wettbewerb ihre Innovationskraft, ihre Ingenieurskunst und ihre technologischen Stärken unter Beweis zu stellen. Das wollen wir unterstützen. Wir wollen eine Modernisierungsoffensive zur Förderung ressourcenschonender und CO₂-armer Innovationen. Dafür brauchen wir eine industriepolitische Strategie, die die europäische Wirtschaft fit für die Zukunft macht und eine neue Wirtschaftsdynamik entfacht. So vereinen wir eine hohe Lebensqualität und gute Jobs mit dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir wollen einen Wettbewerb um die ökologischste Produktionsweise entfachen. Die Ökodesign-Richtlinie muss Recycling und Ressourceneffizienz fördern und fordern. Auch wollen wir erreichen, dass die jeweils ressourcenschonendste Produktionsweise nach einiger Zeit zum Standard erklärt wird, den dann alle einhalten müssen. Die Ökodesign-Richtlinie hat das Potenzial, 90 Milliarden Euro pro Jahr an Energie- und Materialkosten einzusparen und 1 Million Jobs zu schaffen. Insgesamt können wir mit einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise bis zu 2,8 Millionen neue Arbeitsplätze in Europa schaffen. Wir verbrauchen die Ressourcen und Rohstoffe unseres Planeten in einem atemberaubenden Tempo. Für nachhaltigen Wohlstand brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft, die wertvolle Rohstoffe wiederverwertet. Deshalb muss die Förderung der europäischen Kreislaufwirtschaft Zentralanliegen jeder ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik sein. Der Bauindustrie kommt dabei große Bedeutung zu: So wollen wir – wo möglich – neue Gebäude aus nachwachsenden Baustoffen, wie zum Beispiel Holz, errichten. Bei Abrissen müssen die Baustoffe sortiert und recycelt werden. Wir wollen eine echte Kreislaufwirtschaft etablieren, die auf Wiederverwendung und stofflichem Recycling basiert. Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen. Digitalplattformen können dabei vor allem mit Blick auf industrielle Sekundärrohstoffe eine wichtige Rolle spielen. Europa muss darauf achten, dass etwa im Bereich von Elektronikschrott nicht wertvolle Ressourcen rücksichtslos auf Müllkippen in der ganzen Welt exportiert werden, während durch Hightech-Recycling der Rohstoffverbrauch reduziert werden kann und Kosten für Unternehmen und für die Umwelt verringert werden können. Dem stetig steigenden Ressourcenbedarf durch immer längere Transport- und Fertigungsketten gilt es entgegenzutreten, indem Transport wie auch Produktion mit den wahren Umweltkosten belegt werden. So fördern wir regionale, energieeffiziente Produktion. Besonderes Gewicht für die Recyclingwirtschaft hat auch die EU-Plastikstrategie, deren Ziel es ist, die ständige Vermehrung von Plastikmüll drastisch einzudämmen.

Regionale Wirtschaft stärken

Wir wollen die regionale Wirtschaft mit den vor Ort agierenden Unternehmen, Wertschöpfungsketten und Produkten stärken. Denn gerade kleinere Betriebe wie die Bäckerei oder die Gaststätte sind von fundamentaler Bedeutung für die Nahversorgung wie auch für den sozialen Zusammenhalt. Doch diese kleinen, häufig inhabergeführten Unternehmen sind heute stark in ihrer Existenz bedroht. Dabei wirtschaften sie oft nachhaltiger und verantwortlicher, denn ihre Prozesse sind regional und kurz und sie spüren die Auswirkungen ihres Handelns stärker. Wir wollen die regionale Infrastruktur der Nahversorgung erhalten und setzen auf klar definierte regionale Kennzeichnungen und Förderkonzepte, auf praxisgerechte Kleinerzeugerregelungen sowie, wenn möglich, auf Toleranz- und Bagatellgrenzen für kleine Betriebe.

Geld nachhaltig anlegen und raus aus den Fossilen

Wir setzen uns dafür ein, Investitionen in fossile Brennstoffe zu stoppen – und sind damit Teil der internationalen Divestment-Bewegung. Statt aus dem Raubbau an unserem Planeten Profit zu ziehen, wollen wir in den Klimaschutz investieren. Das ist auch finanziell sinnvoll, da die internationale Energiewende dazu führen wird, dass Investitionen in Kohle, Öl und Gas mittelfristig abgeschrieben werden müssen. Grüne in Ländern und Kommunen haben es vorgemacht: Auf ihren Antrag hin werden die Kommunal- und Landesfinanzen nachhaltig ausgerichtet. Jegliche Subventionen für die Kohleverstromung lehnen wir ab. Die ökologische Modernisierung braucht massive Investitionen, die finanziert werden müssen. Heute wird immer noch viel Kapital in alten, fossilen Technologien angelegt. Das ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern gefährdet auch die Stabilität der Finanzmärkte und die Altersvorsorge der Menschen. Wir wollen Finanzmärkte, die nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft investieren. Nachhaltige Kapitalanlagen sind dazu ein Wachstumsmarkt, der den Finanzplatz Europa stabiler und zukunftsfähig macht. Grüne Anleihen wollen wir europaweit stärken und eine einheitliche Klassifizierung schaffen. Wir fordern eine Richtlinie für ökologische Transparenz am Finanzmarkt, damit Anleger wissen, wie ökologisch ihre Geldanlage ist. Wir wollen ein europäisches „Green Finance Label“ für Investitionen und Anlagen einführen, die die höchsten Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Außerdem wollen wir ökologische, soziale, darunter auch gleichstellungspolitische Ziele in der Unternehmensberichterstattung verpflichtend machen und ein unabhängiges Siegel für nachhaltige Geldanlagen einführen. Der Staat ist selbst ein sehr großer Nachfrager von Gütern. Zukünftig wollen wir auch das öffentliche Beschaffungswesen an verbindliche ökologische, soziale und Fairtrade-Kriterien knüpfen. Damit schaffen wir einen gewaltigen Markt für Unternehmen, die ökologisch und sozial wirtschaften. Staatliche Subventionen für klimaschädliches Wirtschaften wollen wir abschaffen. Wir werden die Möglichkeit prüfen, neben sozialen auch ökologische Ziele bei der Mehrwertsteuer zu berücksichtigen, wie zum Beispiel vom EU-Parlament und wiederholt vom Umweltbundesamt empfohlen. Wir wollen die Mittel des Zukunftsfonds im EU-Haushalt für die soziale und ökologische Modernisierung der europäischen Wirtschaft und Infrastruktur nutzen und vor allem kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Handwerk den Zugang zu EU-Förderprogrammen für energie- und ressourceneffiziente Produktion erleichtern. Wirtschaftspolitik richtet sich oft nur an profitorientierten Unternehmen aus. Chancen bieten insbesondere Genossenschaften und soziale Unternehmen. Wir wollen eine Strategie der EU zur Förderung der Gemeinwohlökonomie. Sie soll künftig in die Unternehmensberichterstattung und in EU-Förderprogramme integriert werden. Unternehmen mit Gemeinwohlorientierung sollen durch eine anerkannte Kennzeichnung gestärkt und bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt werden. Der Wachstumsmaßstab Bruttoinlandsprodukt (BIP) muss durch ein grünes BIP ersetzt werden, das die Bewertung einer gesun den Umwelt und einer zufriedenen Gesellschaft sowie die demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen der Wirtschaft beinhaltet.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • das Anlegen öffentlicher Gelder in nachhaltigen Geldanlagen (Divestment)
  • ökologisch transparente Geldanlagen
  • eine Stärkung der Gemeinwohlökonomie
  • eine weitreichende Ökodesign-Richtlinie für eine ressourcenschonende Wirtschaftsweise in ganz Europa

1.4 NATUR UND UMWELT SCHÜTZEN

Sauberes Wasser, reine Luft, gesunde Böden und intakte Landschaften bilden unsere Lebensgrundlagen. Aber diese sind bedroht. Der ehemals große Reichtum an Tieren, Pflanzen und Lebensräumen schwindet täglich. Lebensräume gehen verloren, Arten sterben aus. Auf den Wiesen und in den Wäldern wird es stiller, es brummt, summt und zwitschert immer weniger: Die Vogelpopulation in Deutschland hat sich in den letzten 30 Jahren halbiert, die Anzahl von Insekten ist seit 1989 um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. Rund ein Drittel der bei uns heimischen Arten sind bedroht, darunter viele Bienen. Diese sind jedoch essenziell für die gesamte Landwirtschaft. Ihr Fehlen bedeutet daher auch einen großen volkswirtschaftlichen Schaden. Auch in anderen europäischen Ländern sieht die Situation nicht viel besser aus. Wir setzen unsere ganze Kraft dafür ein, den negativen Trend beim Artensterben zu stoppen. Wir wollen eine artenreiche und intakte Natur erhalten und dort wiederherstellen, wo sie bereits Schaden genommen hat. Das bedeutet auch, dass wir Natura-2000-Gebiete verteidigen, verbessern und Schutzgebiete wo möglich vergrößern. Wir wollen, dass Großschutzgebiete besser geschützt und entwickelt werden. Dazu gehören insbesondere Nationalparks, Biosphärenreservate und auch Naturparks. Wir begrüßen die Rückkehr von Luchs und Wolf, den besonderen Schutzstatus dieser Arten wollen wir erhalten. Ein gutes Wolfsmanagement mit Programmen zum Wildtiermonitoring und zur Vermeidung von Mensch-Wildtier-Konflikten werden wir fördern. Die EU, und damit ihre Mitgliedstaaten, hat sich im Rahmen der Vereinten Nationen verpflichtet, den Artenrückgang und die Zerstörung natürlicher Lebensräume bis 2020 aufzuhalten, und wird diese Ziele voraussichtlich deutlich verfehlen. Wir fordern daher, umgehend eine ambitionierte Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt für den Zeitraum nach 2020 und ein Nachfolgeprogramm für das 7. Umweltaktionsprogramm zu erarbeiten. Die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung wollen wir darin als neue Leitprinzipien verankern. Der Schutz und die Bereitstellung globaler Gemeingüter erfordern multilaterale Kooperation und angemessene Lastenteilung nach dem Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“. Nach dem Beispiel des Pariser Klimaschutzabkommens streben wir globale Vereinbarungen mit vergleichbarem Konkretisierungsgrad zum Erhalt der Biodiversität und für den Meeresschutz an. In den letzten Jahren war es immer wieder die Europäische Union, die im Bereich der Umwelt- und Naturschutzgesetzgebung Druck gemacht hat. Und es waren die nationalen Regierungen, die sie verwässert oder nicht erfüllt haben. Dann sanktioniert die EU: Um einen der letzten intakten Urwälder in Europa zu retten, hat der Europäische Gerichtshof die polnische Regierung durch Androhung von Strafzahlungen gezwungen, die Abholzung des Białowieża-Waldes zu stoppen. Ebenso hat die EU Deutschland aufgrund der zu hohen Nitratwerte in unserem Wasser verurteilt. Die gute gesetzliche Grundlage beim europäischen Umwelt- und Naturschutz muss von der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten umfassend umgesetzt werden. Hierzu sind auf allen Ebenen personelle und finanzielle Kapazitäten zu schaffen. Außerdem muss die EU-Kommission ihre Rolle als Hüterin der Verträge und des EU-Rechts ernst nehmen und hierfür Verstöße gegen das europäische Umweltrecht konsequent durch Vertragsverletzungsverfahren ahnden. Umweltschädliche Subventionen und umweltschädliche Im- und Exporte wollen wir abbauen und damit nachhaltige Produkte und Produktionsverfahren fördern. Außerdem wollen wir transeuropäische grüne Korridore für Biotope vorantreiben und den Naturschutz besser finanzieren. Um Lebensgrundlagen in der EU zu erhalten, braucht es eine intakte Natur. Dafür fördern wir mehr Wildnisflächen: Möglichst bis 2030 wollen wir die Wildnisflächen in der Europäischen Union verdoppeln. Dafür muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und sein beschlossenes Ziel von 2 Prozent Wildnis bis 2020 umsetzen. Doch all das bringt uns nur voran, wenn wir das mit einer Agrarwende, weniger Pestiziden und Dünger auf den Feldern, mehr agrarstrukturellen Elementen wie Hecken, Randstreifen oder Blühflächen und mehr ökologischem Landbau verbinden. Eine artenreiche Landschaft ist nur mit einer vielfältig strukturierten Landwirtschaft zu erreichen. Für Umwelt- und Tierschutzverbände wollen wir ein volles Verbandsklagerecht schaffen, mit dem Verstöße gegen Umwelt- und Tierschutzgesetze geahndet werden können. Nur so kann der Umwelt- und Tierschutz gegenüber kurzfristigen Industrieinteressen gestärkt werden. Hierzu wollen wir den Anwendungsbereich des Vorschlags der EU-Kommission über eine Verbandsklage im Verbraucher*innenrecht entsprechend ausweiten. Wir wollen die Entscheidungsprozesse demokratisieren, indem wir die Bürgerbeteiligung stärken und Lobbyismus regulieren.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den Schutz einzigartiger Kulturlandschaften und Urwälder
  • grenzüberschreitende Biotope
  • eine bessere Naturschutzfinanzierung
  • ein Verbandsklagerecht für Umwelt- und Tierschutzorganisationen

1.5 DIE LANDWIRTSCHAFT SO VERÄNDERN, DASS SIE UNSERE LEBENSGRUNDLAGEN BEWAHRT

Wir streiten und werben für eine vielfältige, nachhaltige, regional verankerte, bäuerliche Landwirtschaft, die Natur und Tiere schont und gesundes Essen für uns alle erzeugt. Wir wollen eine konsequente Neuausrichtung hin zu einer europäischen Agrar- und Ernährungspolitik, die im Einklang ist mit den Zielen der EU in der Klima-, Umwelt-, Verbraucher*innen- und Entwicklungspolitik. Zudem möchten wir die vielfältigen Kulturlandschaften in Europa und lebendige ländliche Räume mit zukunftsfesten Betrieben erhalten und das Höfesterben stoppen. Deswegen streiten wir für die europäische Agrarwende: für den Aufbau einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion, die sowohl eine gesunde Ernährung sichert als auch hohen Umwelt- und Tierschutzstandards genügt, faire Preise für die Landwirt*innen erzielt und eine vielfältige Agrarstruktur fördert. Wir brauchen eine ganzheitliche Strategie für eine Ernährungswende. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem es leicht ist, sich gesund zu ernähren. Verbraucher*innen haben das Recht, zu wissen, was drin ist. Sie wollen gutes Essen ohne Gentechnik, Antibiotikarückstände und Geschmacksverstärker. Deshalb fordern wir eine leicht verständliche Nährwertampel, eine Reduktion von Zucker, Salz und Fett in hochverarbeiteten Lebensmitteln und eine obligatorische Tierhaltungs- und Gentechnikkennzeichung. Wir setzen uns für eine nachhaltige Ernährung ein, die gut für die Verbraucher*innen ist und bei der Stadt und Land gemeinsam Umwelt, Klima, Tiere und Böden schützen. Wir setzen uns außerdem gegen Lebensmittelverschwendung ein: Wie schon in Frankreich praktiziert, müssen Supermärkte mit einer Größe von mehr als 400 Quadratmetern ihre nicht verkauften Lebensmittel entweder an karitative Einrichtungen spenden, in dafür eingerichteten Regalen kennzeichnen und kostenlos abgeben oder als Tierfutter bzw. Kompost recyceln. Bis dahin entkriminalisieren wir das Containern. Mit Förderprogrammen für Foodsharing und dem Ersatz des Mindesthaltbarkeitsdatums durch ein Verzehrdatum erhöhen wir die Verwertbarkeit von Lebensmitteln.

Zusammen mit Landwirt*innen und Umweltverbänden haben wir schon viel erreicht: Immer mehr Verbraucher*innen in der EU wollen gesunde, ökologisch und regional produzierte Lebensmittel. Daher ist Bio-Landbau längst ein fester Bestandteil der europäischen Landwirtschaft geworden. Genauso setzen sich immer mehr Menschen in der EU mit uns für eine bessere Tierhaltung und mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft ein, wie zuletzt die Europäische Bürgerinitiative gegen Glyphosat gezeigt hat. Doch der Handlungsdruck bleibt groß. Unser mittelfristiges Ziel muss sein, die Landwirtschaft in der EU nach ökologischen Kriterien auszurichten, ähnlich wie das EU-Bio-Siegel sie gegenwärtig schon vorsieht. Durch intensive Landwirtschaft und Monokulturen gehen noch immer europaweit fruchtbare Böden verloren, das Artensterben geht ungebremst weiter, der Pestizideinsatz ist ungemindert hoch und industrielle Tierhaltung degradiert Tiere zu Rohstoffen. Die Landwirtschaft, die zu den Hauptbetroffenen der Klimakrise gehört, ist selbst für einen nicht geringen Anteil des Ausstoßes klimaschädlicher Gase und dadurch mit für die Erderhitzung verantwortlich. Es ist höchste Zeit, eine Agrar- und Ernährungspolitik zu entwickeln, die die Landwirtschaft in der EU zukunftsfähig macht. Der Schutz von Klima, Boden, Wasser, Artenvielfalt und Tieren steht im Mittelpunkt dieser neuen Landwirtschaftspolitik. Die Agrarpolitik sollte dazu beitragen, dass die Konsum- und Produktionsstrukturen in Europa nicht die natürlichen Ressourcen und die Lebensgrundlagen bei uns in Europa und in sich entwickelnden Ländern zerstören, indem EU-Agrarprodukte zu Dumpingpreisen die Märkte Afrikas, Asiens und Lateinamerikas überfluten. Vielmehr muss sie dazu beitragen, dass die bäuerliche Landwirtschaft weltweit erhalten wird und die nachhaltigen Entwicklungsziele erreicht werden.

Qualität statt Masse – Neuausrichtung der Agrarförderung

Um die europäische Landwirtschaft an die gesellschaftlichen Herausforderungen anzupassen, muss sich vor allem die Ausgestaltung der aktuellen EU-Agrarförderpolitik grundlegend ändern. Immer noch kommt der größte Teil der bisher knapp 60 Milliarden Euro, mit denen die Landwirtschaft jährlich subventioniert wird, insbesondere großen Betrieben zugute und fördert so Umweltzerstörung, Industrialisierung, Höfesterben und Exportorientierung. Die Mittel belohnen zudem pauschal Bodenbesitz. Eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) dagegen soll ausschließlich die über gesetzliche Standards hinausgehenden Leistungen der Landwirt*innen für das Gemeinwohl fördern und ihnen so Alternativen zum Prinzip „Wachse oder weiche!“ eröffnen. Öffentliche Mittel müssen für eine echte Transformation hin zu einer für Mensch, Natur und Umwelt nachhaltigen Landwirtschaft verwendet werden. Der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft, eine natur- und artgerechte Landwirtschaft wie auch eine artgerechte und flächengebundene Tierhaltung werden dann gezielt unterstützt. Gleiches gilt beispielsweise für Betriebe, die weniger oder gar keine Pestizide einsetzen oder Naturschutzmaßnahmen durchführen. Die bisher überwiegend an der Fläche anknüpfende Förderung, die vor allem industriell wirtschaftenden Betrieben zugutekommt, soll abgeschafft werden. Nur mit dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ lassen sich die hohen Agrarzahlungen noch rechtfertigen. Die Vorgaben für diese Leistungen müssen auf EU-Ebene definiert werden, damit die Mitgliedstaaten nicht um den niedrigsten Standard konkurrieren. Voraussetzung für jedwede Förderung ist das Einhalten von Umwelt- und Sozialstandards, die ebenfalls für alle Mitgliedstaaten auf EU-Ebene festgelegt werden müssen. Im Rahmen der GAP fordern wir einen Naturschutzfonds von 15 Milliarden Euro jährlich für Naturschutzmaßnahmen in der Agrarlandschaft. Die EU muss zum Ziel haben, Kleinbäuer*innen in ärmeren Ländern dabei zu unterstützen, mit agrarökologischen Methoden Lebensmittel für lokale und regionale Märkte herzustellen und so zur Ernährungssicherheit und -souveränität beizutragen. Gleichzeitig müssen die Länder auch stärker beim Aufbau von Wertschöpfungsketten unterstützt werden. Wir wollen ein Monitoring der externen Auswirkungen der GAP einführen. Auch die Übermacht des Einzelhandels trägt dazu bei, dass Landwirt*innen in Europa in einen brutalen Wettbewerb sowie Kleinsterzeuger*innen wie etwa in Afrika und Lateinamerika in den Ruin getrieben werden. Umwelt, Menschen und Tiere bleiben langfristig auf der Strecke. Der Einzelhandel kann und muss einen großen Beitrag zur Agrarwende leisten. Daher wollen wir auch marktregulierende Mechanismen prüfen, um die Preise zu stabilisieren. Wir fordern europaweite Regelungen, um Preisdumping im Lebensmittelbereich zu beenden.

Landspekulation und Aufkauf von Land eindämmen

Das bisher hauptsächlich in Entwicklungsländern um sich greifende Landgrabbing wird zunehmend auch in Europa zum Problem. Privatpersonen und Großinvestoren entdecken Ackerland als sichere Kapitalanlage. Für die ländlichen Regionen hat das fatale Auswirkungen: Für bestehende bäuerliche Betriebe oder Existenzgründer*innen ist es kaum noch möglich, zu fairen Preisen Land zu erwerben oder zu pachten. Bäuerliche Betriebe sollen vor Agrarkonzernen und Bodenspekulation geschützt werden, etwa durch verpflichtende Obergrenzen für Agrarzahlungen pro Nutznießer (und nicht nur pro Tochterunternehmen), mehr Geld für die ersten Hektare, um kleine und mittlere Betriebe zu unterstützen, Einstiegserleichterungen für Neugründungen, Transparenz der Eigentumsverhältnisse, Monitoring der Preise und des Zustands des Bodens durch eine europäische Beobachtungsstelle. Landwirtschaftlicher Boden muss vor Spekulationen geschützt werden. Antibiotikaresistente Bakterien aus landwirtschaftlicher Tierhaltung können beim Menschen zu Infektionen und Todesfällen führen. Wir setzen uns für eine antibiotikafreie Tierhaltung ein. Damit stärken wir die menschliche Gesundheit, sorgen für eine tiergerechte Haltung und senken den Nitratgehalt in den Gewässern.

Trinkwasser und Gewässer schützen

Wasser ist ein kostbares Gut, das geschützt werden muss. Der Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht. Doch fast 2 Millionen Menschen in Europa haben keinen ordentlichen Zugang zu Trinkwasser oder sanitärer Versorgung. Die Erderhitzung verschärft diese Situation. In südlichen Ländern wie Spanien, Italien oder Griechenland wird Wasser bereits zu einem immer knapperen Gut. Unsere Art, zu konsumieren und zu wirtschaften, verschwendet und verschmutzt Wasser zu leichtfertig. Um das Menschenrecht auf Wasser in der EU zu verankern, gründete sich 2012 die Europäische Bürgerinitiative Right2Water, die wir von Anfang an unterstützt haben. Knapp 1,7 Millionen Europäer*innen aus 13 EU-Mitgliedstaaten trugen diese erste erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative. Wir werden uns weiterhin jedem Versuch entgegenstellen, die öffentliche Wasserversorgung zum Investitionsobjekt für internationale Unternehmen zu machen.

Unser Leitbild sind lebendige Flüsse und Seen in Europa, die in einem guten ökologischen Zustand sind. Gesunde Gewässer sind besonders wertvolle Ökosysteme, denn sie garantieren Artenreichtum. Doch davon sind wir in vielen Teilen der Europäischen Union noch meilenweit entfernt. Deshalb setzen wir uns vehement für eine ambitionierte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie ein und werden diese durch entsprechende Leitfäden konkretisieren. Außerdem wollen wir den Antibiotikaeinsatz, eine Gülleüberproduktion und den Einsatz von Pestiziden weiter zurückdrängen.

Insekten- und Vogelsterben aufhalten – Glyphosat vom Acker!

Die industrielle Landwirtschaft ist eine Hauptursache für das Artensterben. Wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen gehen durch Ackergifte, Überdüngung, Monokulturen, intensive Landnutzung und fehlende Wildnis verloren. Wir reduzieren den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft drastisch, indem wir die giftigsten Pestizide sofort verbieten – darunter auch alle Neonikotinoide, denn sie schaden unseren Insekten und Bienen massiv. Für das Ende des Totalherbizids Glyphosat setzen wir uns weiterhin mit aller Kraft ein – und machen Druck auf die Bundesregierung, die schon einmal auf EU-Ebene für die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gestimmt hat. Die Zulassungsverfahren für Pestizide wollen wir auf Basis eines gestärkten Vorsorgeprinzips reformieren und das zugrunde liegende Wissenschaftsprinzip transparenter machen. Es braucht dringend eine unabhängige Risikobewertung sowie strenge Kontrollmechanismen. Als weitere Maßnahme gegen das Insekten- und Vogelsterben fordern wir die Schaffung von ökologischen Vorrangflächen, wie zum Beispiel Blühstreifen, Hecken, Feldlerchenfenstern, Extensivgrünland oder Streuobstwiesen, in jedem landwirtschaftlichen Betrieb.

Landwirtschaftliche Ökosysteme stärken!

Eine andere Landwirtschaft bedeutet auch, anders anzubauen – gerade im Lichte der Klimaauswirkungen. Das Potenzial verschiedenster Anbaumethoden, robuste landwirtschaftliche Ökosysteme zu bilden – von Push-and-pull-Techniken und Permakultur bis zu Agroforstsystemen –, ist ebenso riesig wie das Potenzial ökologischer Anbautechniken, widerstandsfähig gegenüber Krankheiten, Trockenheit, Versalzung, Vernässung zu sein. Dieses Potenzial ist aber in Europa nur in Ansätzen erforscht. Wir fordern daher eine deutlich stärkere Forschungsförderung in diesem Bereich. Denn aktuell werden agrarökologische Methoden – zu denen auch der zertifizierte Ökolandbau gehört – in Europa und weltweit nur mit einem Bruchteil der finanziellen Mittel erforscht und weiterentwickelt, die konventionelle und gentechnische Ansätze erhalten. Wir setzen uns auch für den Erhalt wertvoller Kulturlandschaften ein, beispielsweise der Streuobstbestände. Wir GRÜNEN lehnen seit vielen Jahren – anders als Gentechnik teilweise im medizinischen Bereich und bei der industriellen Produktion – den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ab. So, wie Gentechnik in der Landwirtschaft stattfindet, trägt sie zum Ausbau der Monopole großer Agrarkonzerne bei und führt zu einem Verlust an Biodiversität und landwirtschaftlicher Vielfalt. Die großen Probleme, die Länder wie die USA oder Argentinien als Folge des Einsatzes von Gentechnik haben – wie ein massiver Einsatz von Totalherbiziden wie Glyphosat, Superunkräuter, Gefährdung landwirtschaftlicher Vielfalt, die große Monopolmacht der Agrarkonzerne sowie die eingeschränkte Verbraucher*innenfreiheit –, unterstreichen, wie wichtig diese Ablehnung war und ist. Dass Europas Äcker heute weitgehend frei von Gentechnik sind, ist ein Erfolg der Bewegung und der Verbraucher*innen gegen Gentechnik. Daher ist es essenziell, dass das Vorsorgeprinzip im Zulassungsverfahren entsprechend der Entscheidung des des Europäischen Gerichtshofs auch gegenüber neuen Verfahren in der Gentechnik europaweit angewandt wird. Auch die neue Gentechnik unterliegt einer strengen Regulierung und Kennzeichnungspflicht. Die Menschen in Europa wollen mehrheitlich keine Gentechnik auf dem Acker und dem Teller – wir setzen uns dafür ein, dass die Wahlfreiheit für Verbraucher*innen und Landwirt*innen auch gegenüber neuen gentechnischen Verfahren gewährleistet wird. Weil gentechnische Veränderungen nicht rückholbar sind, muss sichergestellt werden, dass keine Organismen freigesetzt werden, die Schaden anrichten können. Die Zulassungsverfahren durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) müssen transparent und unabhängig vom Einfluss der Agrarkonzerne durchgeführt werden. Zugleich muss der Fokus auf Umweltgefahren ausgebaut und mehr Geld in öffentliche Forschung investiert werden.

Der Einsatz von Gentechnik ist aber nicht nur eine Frage der gesetzlichen Zulassung, sondern vielmehr eine Frage der Ethik und der gesellschaftlichen Akzeptanz. Deshalb muss der weitere Umgang mit neuen gentechnischen Verfahren gesellschaftlich breit diskutiert werden. In diesem Zusammenhang halten wir es auch grundsätzlich für höchst problematisch, dass bei der finalen Zulassung einzelner Konstrukte die Kommission und die Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss ohne das Europäische Parlament entscheiden. Das können wir so nicht akzeptieren. Wir GRÜNEN werden uns dafür einsetzen, dass das Parlament bei dieser Entscheidung angemessen beteiligt und gehört wird. Eine klare Kennzeichnung von Gentechnik ist zentral. Auch Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, müssen als solche gekennzeichnet werden. Für den Schutz des gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landbaus ist ein Standortregister nach wie vor unverzichtbar. Die Regelungen zur gesamtschuldnerischen Haftung sind entsprechend so zu gestalten, dass Mehrkosten und Aufwand, die für den gentechnikfreien Landbau entstehen, den Nutzern von Sorten, die mit neuer Gentechnik hergestellt wurden, angerechnet werden.

Keine Patente auf Saatgut, Pflanzen und Leben – Klonen, nein danke!

Die Patentierbarkeit von Saatgut und neuen Züchtungen sehen wir kritisch. Sie führt zu immer größeren Monopolen der Agrarkonzerne. Landwirt*innen werden damit abhängig gemacht, gerade in den Entwicklungsländern mit fatalen Folgen. Problematisch ist zudem, dass Pestizide bei gentechnisch veränderten Pflanzen häufig eingesetzt werden und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen unterlaufen wird. Der entscheidende Kampf ist daher der um ein Verbot von Patenten auf Saatgut und Leben insgesamt. Züchtung muss, wie seit Jahrtausenden, ein Open-Source-System bleiben. Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht, und damit darf es keine Paten te auf Pflanzen und auf Tiere geben. Aus Tierschutzgründen lehnen wir den Einsatz des Klonens in der Landwirtschaft ab. Wir wollen weltweit die Rechte der Kleinbäuer*innen auf freien Austausch und kostenlose Wiederaussaat von Saatgut sichern. Darüber hinaus wollen wir den Auf- und Ausbau lokaler Saatgutbanken fördern, damit traditionelles Wissen und die biologische Vielfalt erhalten und zugänglich bleiben. Sortenvielfalt ist ein wichtiger Baustein, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen und die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen. Die zunehmende Konzernmacht zementiert das agrarindustrielle System und arbeitet gegen die dringend notwendige Agrarwende. Die Reform der Wettbewerbsregeln ist der Schlüssel zur Bewältigung der Machtkonzentration im Agrarsystem. Bei zukünftigen Fusionen müssen auch die Auswirkungen auf Umwelt, Artenvielfalt, Gesundheit und Ernährung sowie für die betroffenen Bäuer*innen geprüft werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik an ökologischen Kriterien
  • sauberes Wasser in ganz Europa
  • ein Verbot von Glyphosat und giftigen Pestiziden
  • konsequente Regulierung und Transparenz bei Gentechnik
  • ein Verbot von Patenten auf Saatgut, Pflanzen und Tiere

1.6 TIERSCHUTZ STÄRKEN

Gerade angesichts der Klimakrise brauchen wir eine Abkehr von den großen Tierbeständen. Neben den ökologischen Problemen wird schlicht die Futtergrundlage zu knapp, wenn wir nicht alle Ziele der Welternährung und des Naturschutzes über Bord werfen wollen. Deshalb sollten alle Förderungen daran gekoppelt werden, dass die Anzahl der Tiere pro Fläche begrenzt wird. Ein Betrieb sollte also nur so viele Tiere haben, wie er mit dem Ertrag seiner Flächen grundsätzlich ernähren kann. Wir wollen eine kreislaufbasierte Landwirtschaft, die überwiegend regional verortet ist, anstatt das Futter aus Übersee zu beziehen. Wir halten Tiere in sehr großer Zahl, um sie zu töten und zu essen. Daraus ergibt sich eine ethische Verpflichtung. Viel zu häufig konkurrieren die EU-Länder um die niedrigsten Preise und reduzieren so die Tierschutzstandards. Wir wollen hingegen, dass die EU alle Tiere durch neue Gesetzgebung und ordnungsgemäße Durchführung bestehender Regelungen schützt. Wir wollen den Tierschutz bei Zucht, Haltung, Transport und Schlachtung innerhalb von zehn Jahren durch ordnungsrechtliche Vorgaben erheblich verbessern, sodass Tierhaltung an den Bedürfnissen der Tiere orientiert ist. Tierprodukte, die den EU-Tierschutzstandards nicht entsprechen, sollen nicht mehr in die EU importiert werden. Zudem sollte eine pflanzliche Ernährung unter anderem durch Aufklärungsarbeit und gezielte Angebote gefördert werden. Je weniger Tiertransporte, desto besser für die Tiere. Falls Transporte nicht vermieden werden können, müssen sie so unstrapaziös wie möglich sein. Daher fordern wir, dass Tiere verpflichtend zu einem nahe gelegenen Schlachthof gebracht werden müssen – statt zu dem, der am billigsten arbeitet –, und wollen deshalb Tiertransporte auf maximal vier Stunden begrenzen. Wir wollen regionale Schlachtstätten und mobile Schlachteinrichtungen fördern sowie regionale Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen aufbauen, um eine Infrastruktur für regionale, tierschutzkonforme Schlachtung zu schaffen. Hierzu gehört auch, Schlachthöfe unter Wahrung des Beschäftigtendatenschutzes durch Videokameras besser zu überwachen. Dabei aufgedeckte Verstöße gegen das Tierschutzgesetz müssen konsequent, hart und sofort geahndet werden. Tierschutz darf nicht an nationalen Grenzen enden. Tiertransporte für Zucht, Schlachtung, Tierversuche und Heimtierhaltung müssen europaweit kontrollierbar sein. Das geltende Recht muss umgesetzt werden. Wir wollen den Tierschutzvollzug auch auf europäischer Ebene stärken. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz müssen konsequent erfasst und geahndet werden. Exporte lebender Schlachttiere sowie Mast- und Zuchttiere in Länder außerhalb der EU sowie jede Form von Klonen und Qualzucht wollen wir verbieten. Stattdessen sollen Samen und Fleisch transportiert werden. Wir wollen dafür sorgen, dass Tiere in der EU nicht betäubungslos kastriert werden dürfen und solche Tiere auch nicht mehr in den EU-Binnenmarkt eingeführt werden.

Das Verbot von Tierversuchen in der Kosmetik muss konsequent umgesetzt und auf weitere Produkte und andere Bereiche, wie zum Beispiel die Chemikalienprüfung, ausgeweitet werden. Zusätzlich benötigen wir eine verbindliche Ausstiegsstrategie aus den Tierversuchen sowie eine verstärkte Förderung für die Erforschung von Alternativen. Bestehende Alternativen sind anzuwenden. Auch Haus- und Straßentiere müssen in Europa ein würdiges Leben haben. Wir fordern ein Ende der Tötung von streunenden Katzen und Hunden. Stattdessen müssen öffentliche und private Maßnahmen der Geburtenkontrolle, etwa die Kastration, gestärkt werden. Auch eine verpflichtende Kennzeichnung und Registrierung von Hunden und Katzen wollen wir einführen. Wildtiere, ihre Habitate und Zuggebiete wollen wir besonders schützen. Hierfür sind internationale Arten- und Naturschutzabkommen konsequent umzusetzen. Wir wollen illegalen Wildtierhandel in Europa bekämpfen und den Import von Wildtieren und -pflanzen in die EU besser regulieren. So wollen wir die Instrumente internationaler Artenschutzabkommen (zum Beispiel CITES) stärken und zielgerichteter sowie schneller anwenden. Für Arten, die selbst in zoologischen Gärten nicht art- und anspruchsgemäß gehalten werden können, wollen wir den Import beenden, internationale Arterhaltungszuchtprogramme jedoch ermöglichen.

Fischbestände schützen

Wir machen uns stark für eine nachhaltige EU-Fischereipolitik und für ein Netzwerk von gut überwachten Meeresschutzgebieten in ganz Europa. Unsere Meere müssen geschützt und die Überfischung muss gestoppt werden. Nur die nachhaltige Bewirtschaftung von Fischbeständen gibt der Fischerei eine Zukunft. Um der katastrophalen Plünderung der Meere und der Fischbestände Einhalt zu gebieten, reichen kosmetische Korrekturen der EU-Fischereipolitik nicht aus. Fangquoten müssen verbindlich an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichtet werden, statt rein politisch festgelegt zu werden. Wir wollen die schädlichen Fischereisubventionen beenden und fordern wirksame, lückenlose Fischereikontrollen sowie scharfe Sanktionen beispielsweise bei Verstößen gegen die Anlandepflicht für Beifang. Die Tiefseefischerei und besonders umweltschädliche Fangmethoden wollen wir gänzlich verbieten. Ein Leerfischen der Meere für unseren Konsum lehnen wir ab. Wie wollen Alternativen zur Stellnetz- und Schleppnetzfischerei voranbringen, um die Umwelt- und Tierschutzschäden zu minimieren. Diese Alternativen können ökologische Aquakulturen sein, technische Verbesserungen, die Beifänge minimieren, oder alternative Fangmethoden. Funktionierende Alternativen wollen wir zum europäischen Standard erklären.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ambitionierten Tierschutz von der Landwirtschaft bis zu Heimtieren
  • eine Ausstiegsstrategie für das Ende von Tierversuchen
  • eine EU-Fischereipolitik, die unsere Fischbestände erhält

1.7 EUROPA VOM PLASTIKMÜLL BEFREIEN

Unser Ziel ist ein Europa ohne Plastikmüll, mit sauberen Meeren, einem reichhaltigen Fischbestand und einer Natur ohne Müll. Die Realität sieht bedrückend anders aus: In den Ozeanen schwimmen Plastikmüllteppiche von der Größe Mitteleuropas. Auch unsere Flüsse und Böden leiden unter der zunehmenden Vermüllung. Wenn wir jetzt nicht radikal umsteuern, wird es 2050 mehr Plastik als Fische im Meer geben. Inzwischen findet sich Mikroplastik sogar in der Arktis und im Gletschereis – obwohl dort nahezu keine Menschen leben. Ein erster Schritt dagegen ist ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika, Körper- und Pflegeprodukten. Denn Mikroplastik schadet nicht nur den Fischen, sondern kann möglicherweise auch für unsere Gesundheit schädlich sein. Mikroplastik wurde schon in Salz, Bier und Mineralwasser nachgewiesen. Welche giftigen Plastikzusätze wir dadurch zu uns nehmen, weiß bisher niemand genau. Auch für das Klima ist Mikroplastik schlecht. Denn durch den Zerfall in immer kleinere Partikel wird Methan freigesetzt, das wiederum zur Erhitzung unserer Erde beiträgt.

Plastikflut eindämmen

Das Importverbot für Plastikmüll, das China Anfang 2018 verhängt hat, beweist, welch riesiges Problem wir haben. Allein aus Europa importierte China rund 1,5 Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr. Seither müssen die Mitgliedstaaten ihre Müllberge selbst in die Hand nehmen. Um die zunehmende Plastikflut einzudämmen, brauchen wir anspruchsvolle Minderungsziele für Plastikabfälle und höhere Recyclingquoten. Bis 2030 müssen wir unseren Verpackungsabfall in der EU um 50 Prozent reduzieren. Außerdem darf es nicht sein, dass Plastikmüll weiterhin deponiert wird. Das wollen wir ändern. Ab 2030 müssen alle in der EU in den Verkehr gebrachten Kunststoffprodukte wiederverwendbar oder komplett abbaubar sein oder kosteneffizient recycelt werden können. Plastik ist nicht per se schlecht. Für viele Einsatzgebiete, etwa in der Medizin, ist Plastik ein wichtiger und sinnvoller Werkstoff. Problematisch ist die zunehmende Verwendung von Plastik für Einweg- und Wegwerfprodukte. Denn als langlebiges Produkt darf Plastik nicht in erster Linie für wenige Minuten verwendet werden, wie das beispielsweise bei Trinkhalmen der Fall ist. Da, wo es Alternativen gibt, müssen sie auch genutzt werden. Die Europäische Kommission hat dieses Problem in ihrer Plastikstrategie aufgegriffen und unter anderem ein Verbot von Wegwerfprodukten aus Plastik wie Wattestäbchen, Plastikgeschirr und auch Trinkhalmen angestoßen. Das ist ein guter Ansatz, bislang sind die Überlegungen der Europäischen Kommission hierzu jedoch nur sehr vage ausgeführt. Wir GRÜNEN setzen uns dafür ein, dass die Verbotsliste um leichte Plastiktüten wie auch um Produkte aus der Industrie und der Baubranche ergänzt und dann konsequent und möglichst zeitnah umgesetzt wird. Auch reicht ein solches Verbot noch nicht, um den Massen an Einwegplastik umfangreich Einhalt zu gebieten. Zudem braucht es eine EU-weite Plastiksteuer auf Wegwerfprodukte. Eine solche Abgabe bietet den Anreiz, Verpackungsmüll zu reduzieren, indem die Rohstoffe verteuert werden. Zugleich kann dadurch der Anteil von recyceltem Plastik gesteigert werden. Erdöl und Erdgas zur Produktion von Kunststoffen dürfen nicht subventioniert werden. Die Besteuerung von Plastik muss in eine umfassende und ambitionierte Strategie zur Einsparung und Vermeidung von Plastik, zur Steigerung des Mehrweganteils und für besseres Produktdesign eingebettet werden. Dazu gehört auch, die Forschung und Entwicklung von alternativen Materialien auszubauen.

Recycling stärken

Wir wollen das Recycling von Plastik stärken. Auch hier bietet die Plastikstrategie der EU-Kommission einen guten Ansatz, der jedoch erweitert werden sollte. Die Recyclingkapazitäten in der EU müssen massiv ausgebaut werden. Dazu brauchen wir ein ökologisches und recyclingfreundliches Produktdesign. Die Verpackungsindustrie muss hierzu ihren Beitrag leisten. Denn immer mehr Verpackungen setzen sich aus vielen unterschiedlichen Materialien zusammen – was die Recyclingfähigkeit einschränkt. Getränkeflaschen sind ein Alltagsprodukt aus Plastik. Doch während wir in Deutschland ein funktionierendes Mehrwegsystem haben, besteht auf EU-Ebene noch Handlungsbedarf. Qualitativ hochwertige Plastikflaschen können rund 40 Mal wieder befüllt werden. Das ist wesentlich ökologischer als Einmalflaschen, die direkt in den Müll wandern. Unser Ziel ist eine Mehrwegquote in der EU. Deutschland, Österreich und Portugal sind hier schon sehr viel weiter als andere Mitgliedstaaten. Daher muss eine solche Quote zunächst gestaffelt aufgebaut werden, um allen die gleichen Chancen zu geben. Für Einweggetränkeflaschen brauchen wir ein EU-weit einheitliches Pfandsystem. Denn gerade diese Wegwerfprodukte vermüllen unsere Landschaften, Strände und Meere. Mit einer ambitionierten Strategie für ein plastikmüllfreies Europa können wir Vorbild sein. Die Europäische Union muss sich aber auch für eine internationale Plastikkonvention unter dem Dach der Vereinten Nationen einsetzen. Schließlich kennt Plastikmüll keine Grenzen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika, Körper- und Pflegeprodukten
  • eine europäische Plastiksteuer
  • verbindliche Mehrwegquoten
  • ein EU-weit einheitliches Pfandsystem für Einweggetränkeflaschen

2 STÄRKEN, WAS UNS ZUSAMMENHÄLT: DIE WIRTSCHAFTS-, WÄHRUNGS- UND SOZIAL UNION VERTIEFEN

Jede*r Europäer*in soll sich frei entfalten können. Niemand wird zurückgelassen. Es geht fair und gerecht zu. Diesen Anspruch haben wir an Europa. Alles in allem hat die Europäische Union den Wohlstand auf dem Kontinent vergrößert. Aber Anspruch und Wirklichkeit passen nicht zusammen. Die Lebensverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen Nord und Süd, Ost und West, klaffen auseinander. Genauso ist es innerhalb der einzelnen Länder. Und die ökonomische Globalisierung macht es immer schwieriger, soziale Gerechtigkeit zu organisieren. Etwa wenn große Konzerne versuchen, Staaten gegeneinander auszuspielen, und die Länder in einen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern und die niedrigsten Löhne geraten. Oder wenn Unternehmen und Vermögende sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen mehr und mehr entziehen oder erst gar nicht stellen. Diese Situation wird nun noch verschärft, weil die Digitalisierung die Art, wie wir leben und arbeiten, radikal verändern wird. In den letzten Jahren und Jahrzehnten war in der Europäischen Union sowie in vielen Mitgliedstaaten die Auffassung vorherrschend, dass die Ökonomie Vorrang vor dem Politischen hat, dass Regeln und Eingriffe in den freien Markt schädlich sind, dass es nur vom Willen und Vermögen des Einzelnen abhängt, ob sie oder er glücklich wird. Diese Auffassung war blind für die gesellschaftlichen Voraussetzungen, die unsere Leben prägen und die es einigen schwerer und anderen leichter machen. In der Folge ist die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinandergegangen. Vor allem die einseitige Sparpolitik während der Eurokrise hat in einigen Ländern eine ganze Generation ihrer Zukunft beraubt und die Europäische Union gespalten. Das ist ein ökonomisches, ein soziales Problem und ein demokratisches Problem: Zu viele leben in Armut, zu viele sind verunsichert, wenden sich enttäuscht ab, verabschieden sich aus der Gesellschaft.

Wenn wir diese Probleme lösen und mehr Sicherheit, Perspektive und Vertrauen geben wollen, müssen wir europäisch handeln. Denn angesichts der globalen Herausforderungen, angesichts der international agierenden Konzerne, die Unternehmenssitze und Produktionen je nach Steuer- und Lohnhöhe verlagern können, stoßen die Nationalstaaten an ihre Grenzen. Aber ein solidarisches Europa als gemeinsamer Wirtschaftsraum kann ihnen Paroli bieten und einen Rahmen setzen. Für eine europäische Politik brauchen wir aber einen anderen Geist: Politik muss wieder das Heft des Handelns aufnehmen und wir müssen für Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit für alle kämpfen. Es gilt, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Nicht mehr ein Europa des Sparzwangs und der Neiddebatten, sondern eines, das in die Zukunft seiner Bürgerinnen und Bürger investiert. Die Europäische Union soll europäische öffentliche Güter, die für alle da sind, wie Klimaschutz, innere und äußere Sicherheit, Finanzstabilität, Forschung, eine europäische Infrastruktur für Kommunikation, Energie und Mobilität, schaffen und durch gemeinsame Steuern solidarisch und gerecht finanzieren. Wenn die EU Steuerdumping entschlossen bekämpft, kann das dafür sorgen, dass auch die großen Unternehmen und alle Vermögenden ihren gerechten Beitrag zum Solidarsystem leisten. Eine krisenfeste und prosperierende Währungsunion sehen wir als Grundpfeiler einer starken und solidarischen europäischen Gemeinschaft. Daher möchten wir die Währungsunion so weiterentwickeln, dass weitere Krisen vermieden werden können und im Falle einer Krise trotzdem die nötigen Instrumente zur Stabilisierung der Wirtschaft einsatzbereit sind. Wir dürfen nicht wieder in eine Situation kommen, in der allein die Europäische Zentralbank ihrer Verantwortung für die Stabilisierung der Wirtschaft nachkommt. Der Binnenmarkt soll so ausgestaltet werden, dass er die Rechte von Umwelt, Verbraucher*innen und Arbeitnehmer*innen umfassend schützt. Europäischer Zusammenhalt heißt, allen Menschen in der EU soziale Rechte zu garantieren, sie überall durchzusetzen und einklagbar zu machen. Gerade Jugendliche brauchen eine Perspektive. Alle Menschen in der EU müssen sich auf faire Löhne und Arbeitsbedingungen, auf einen Schutz vor Armut und Ausbeutung verlassen können, gerade auch, wenn sie in unterschiedlichen Ländern leben und arbeiten. Durch die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen wird dieses Ziel konterkariert.

2.1 EU-HAUSHALT NEU AUFSTELLEN

Europa muss in allen Mitgliedstaaten spürbar sein. Aber Europa gibt es nicht umsonst. Daher ist für uns klar: Je mehr Aufgaben wir auf die Ebene der Europäischen Union verlagern, umso mehr Mittel müssen auch bereitgestellt werden. Statt sich um die großen Zukunftsaufgaben zu kümmern, achten die nationalen Regierungen im Wesentlichen darauf, dass sie den Anteil ihres Landes am gemeinsamen Budget wieder zurückerstattet bekommen. Dabei bieten gemeinsame Projekte, gemeinsame Beschaffung und das Zusammenlegen von 28 Behörden auch erhebliche Einsparpotenziale. Wir sprechen uns dafür aus, den EU-Haushalt deutlich zu vergrößern, damit zum Beispiel die Sozial- oder Energieunion adäquat finanziert werden und automatische Stabilisatoren die Wirtschafts- und Währungsunion gegen Krisen absichern. Wir fordern einen EU-Haushalt in Höhe von 1,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts, damit die Europäische Union die ihr bereits heute übertragenen Aufgaben sachgerecht erfüllen kann. Wenn die europäische Ebene nach und nach mehr Verantwortung übernehmen soll, dann muss das Volumen des EU-Finanzrahmens entsprechend den zu erfüllenden Aufgaben wachsen. In dem Maße, wie die EU eigene Einnahmequellen erschließt, reduzieren sich die nationalen Beiträge. Der Mehrjährige Finanzrahmen der EU sollte an die Legislaturperiode des Europäischen Parlaments angeglichen und nicht länger davon unabhängig in 7-Jahres-Zyklen verabschiedet werden. Wir wollen die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Mehrjährigen Finanzrahmens an übergeordneten Politikzielen und internationalen Vereinbarungen ausrichten, wie den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen. Mit einem verpflichtenden Nachhaltigkeits-Check wollen wir anhand von fest definierten Nachhaltigkeitskriterien die einzelnen Haushaltslinien darauf hin prüfen, ob sie einen Beitrag dazu leisten, diese Ziele zu erreichen. Ein erheblicher Teil des EU-Haushaltes muss für die aktive Bekämpfung der Klimakatastrophe reserviert werden und darf nicht in fossile Energien fließen. Ab 2021 wird Großbritannien nicht mehr in den EU-Haushalt einzahlen. Die dadurch entstehende Gesamtlücke im EU-Haushalt in Höhe von mindestens 12 Milliarden Euro muss geschlossen werden. Auch Deutschland muss dafür seinen Anteil am EU-Budget angemessen erhöhen.

Heute wird das Geld der EU oftmals falsch ausgegeben. So bildet im jetzigen EU-Haushalt die Gemeinsame Agrarpolitik der EU den zweitgrößten Posten. Diese wird aber der Anforderung, eine nachhaltige, klimaschonende und für die Bäuer*innen auskömmliche Landwirtschaft und damit lebenswerte ländliche Regionen zu fördern, nicht gerecht, weil sie die Industrialisierung der Landwirtschaft und damit die Überproduktion besser vergütet. Die Agrargelder sollen konsequent nach dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ auf Klimaanpassung, Umweltschutz und Tierwohl umgestellt werden. Wir wollen, dass die EU strukturschwache Regionen und die Entwicklung ländlicher Regionen auch in Zukunft unterstützt. Ärmere Regionen wollen wir besonders fördern, um die Lebensverhältnisse der Menschen in Europa einander anzunähern. EU-Mittel wollen wir gezielter dort einsetzen, wo Zivilgesellschaft, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen europäische Unterstützung brauchen. Für eine geschlechtergerechte Verteilung der Finanzmittel soll in Zukunft Gender Budgeting eingesetzt werden. Außerdem wollen wir die Vergabe öffentlicher Aufträge vereinfachen, gerade für Kommunen und für kleinere Projekte.

Eigene Einnahmen stärken die EU

Mit Steuern kann man steuern – und das sollten wir auch auf EU-Ebene tun, statt einfach jeden Mitgliedstaat einen Scheck nach Brüssel schicken zu lassen. Wer eine starke Union will, muss ihr auch eigene Einnahmen geben. Die Europäische Union soll dort besteuern, wo sie eine faire Besteuerung besser sicherstellen kann als die Mitgliedstaaten. Dies betrifft die Besteuerung von international tätigen Unternehmen, deren Wertschöpfung häufig immateriell ist und sich keinem Land zuordnen lässt. So schaffen es diese Unternehmen oft, sich der Besteuerung ganz zu entziehen. Wir wollen eine am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer rasch einführen, um das Steuerdumping digitaler Konzerne zu unterbinden. In Zukunft muss die Unternehmensbesteuerung dann alle Branchen und Unternehmen erfassen. Wir brauchen in einem ersten Schritt eine europaweit einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen und im zweiten Schritt eine einheitliche europäische Unternehmenssteuer inklusive fairer Mindeststeuersätze, die für alle Unternehmen gleichermaßen gilt. Einen Anteil dieser Unternehmenssteuern wollen wir den europäischen Bürger*innen zugutekommen lassen, denn Unternehmen erwirtschaften einen Teil ihrer Gewinne nur dank des europäischen Binnenmarkts. So schützen wir auch junge digitale Start-ups wie auch die lokal verwurzelte Wirtschaft vor unlauterem Wettbewerb der IT-Riesen. Um Steuerflucht durch Gewinnverlagerung in Steuersümpfe außerhalb der EU zu vermeiden, müssen wir darauf hinarbeiten, mit den wichtigsten Handelspartnern der EU die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer gemeinsam zu konsolidieren. Sollte dies nicht gelingen, müssen auch unilaterale Unternehmenssteuersysteme der EU in Betracht gezogen werden, die sich nicht umgehen lassen. Auch CO₂, Plastik und den spekulativen Handel mit Finanzprodukten können wir leichter in Europa besteuern und damit gleichzeitig die Einnahmen der Union verbessern. Mit der Finanztransaktionssteuer beteiligen wir Spekulanten an der Finanzierung des europäischen Gemeinwesens, und wir beschränken den sinnlosen und gefährlichen Hochfrequenzhandel, der solide Unternehmen und unsere Altersvorsorge bedroht.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einen leistungsfähigen EU-Haushalt für gemeinsame Aufgaben
  • starke eigene Einnahmen für eine handlungsfähige Union
  • eine Beteiligung des Finanzsektors und der digitalen Wirtschaft an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben
  • die Einführung einer Finanztransaktionssteuer

2.2 IN EUROPAS ZUKUNFT INVESTIEREN

Die schwere Wirtschaftskrise Europas ist noch immer nicht vorbei. Ihre Folgen bestimmen nach wie vor den Alltag vieler Menschen. Mehr als 15 Millionen Europäer*innen sind arbeitslos. In Italien, Spanien und Griechenland finden vor allem viele Jugendliche keinen Job. Das Leben einer ganzen Generation wird von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägt. Der harte Sparkurs als Konsequenz aus der Finanz- und Eurokrise hat die Lebensbedingungen vieler Menschen massiv verschlechtert, die Krise in vielen Ländern verlängert und vertieft und das Vertrauen in die EU unterminiert. Wir haben diese einseitige Sparpolitik, vorangetrieben von Merkel und den europäischen Konservativen, immer abgelehnt. Nun ist es Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel. Wir wollen massiv in Europas Zukunft investieren, vor allem in Klimaschutz, erneuerbare Energien, alternative Verkehrskonzepte und die ökologische Landwirtschaft. Wir GRÜNEN denken Klimaschutz, Gerechtigkeit und Freiheit in Europa zusammen. Sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen müssen mit der ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft verbunden werden. Unser Konzept des Green New Deal wollen wir dafür weiterentwickeln, mit einem eigenen Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert. Neue Investitionen zum Beispiel in Klimaschutz, öffentliche Daseinsvorsorge und Bildung schaffen Arbeitsplätze und wirtschaftliche Perspektive für viele Menschen in Europa. Das ist die Voraussetzung für Wohlstand und Lebensqualität auch in der Zukunft. Durch die Finanz- und Eurokrise sind sowohl öffentliche als auch private Investitionen stark zurückgegangen. Bei den öffentlichen Investitionen haben wir in Europa noch nicht einmal das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Es ist ein Investitionsstau von erheblichem Umfang entstanden. Auch die EU-2020-Ziele sind noch lange nicht erreicht. So fehlen allein bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung noch über 100 Milliarden Euro jährlich. Wir brauchen ein soziales Europa, das die soziale Sicherheit erhöht und Abstiegsängste mindert. Dazu brauchen wir europäische Investitionen, die überall in Europa wirken und insbesondere den Menschen in den strukturschwachen Regionen neue Perspektiven eröffnen und sie vor neuen Krisen schützen. Um den Investitionsstau aufzulösen, müssen wir die Rahmenbedingungen für nationale Ausgaben so gestalten, dass notwendige und nachhaltige öffentliche Investitionen stärker möglich sind. Die Europäische Kommission hat hier in den letzten Jahren richtigerweise die Spielräume für solche Investitionen erweitert. Darüber hinaus wollen wir, dass die Anreize für staatliche Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessert werden, zum Beispiel indem Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs. Auch die privaten Investitionen sind zu niedrig und müssen gesteigert werden. Die Europäische Investitionsbank leistet hier gute Arbeit bei der Finanzierung von kleinen Unternehmen und Start-ups in Europa. Wir wollen sie weiter stärken. Der Europäische Investitionsfonds für strategische Investitionen wurde vorübergehend zur Krisenbewältigung geschaffen. Wir wollen ihn dauerhaft fortführen, anstatt ihn, wie ursprünglich geplant, 2020 zu beenden. Allerdings muss er sich neu ausrichten. Bislang wurden Mittel aus anderen bewährten Programmen abgezogen. Das Geld kam häufig nicht dort an, wo es am nötigsten gebraucht wird. Finanzierte Projekte waren nicht zusätzlich, sondern wären auch ohne den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) zustande gekommen. Zahlreiche Investitionen waren nicht nachhaltig im Sinne der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der UN. Wir wollen, dass alle geförderten Investitionen zusätzlich sind und sich strikt an Klimaschutz, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft ausrichten. Die Mitgliedstaaten sollen das Eigenkapital der Europäischen Investitionsbank erhöhen, damit diese den Fonds weiterführen kann. Klimaschutz, der Ausbau erneuerbarer Energien, innere wie äußere Sicherheit, Finanzstabilität, Forschung zu nachhaltigen Zukunftstechnologien, eine europäische Infrastruktur für Kommunikation, Energie und Mobilität, soziale Absicherung – dies sind europäische Gemeingüter, in die wir auch europäisch investieren wollen. So können wir die Energiewende in ganz Europa nur dann vorantreiben und das Klima schützen, wenn wir in die Vernetzung der bestehenden Stromnetze investieren und ein europäisches Netz schaffen. Denn nur so kann Windenergie von den Niederlanden nach Österreich und Solarenergie von Spanien nach Polen transportiert werden. Europa soll verbinden. An der Grenze aber endet die Bahnfahrt manchmal abrupt oder es wird kompliziert. Mit einem europäischen Bahnnetz verbinden wir die Menschen von Neapel bis Tallinn. Während das Internet weltweit läuft, wird in Europa die digitale Infrastruktur des 21. Jahrhunderts noch immer in nationalen Grenzen geplant und gebaut. Das ist anachronistisch. Wir wollen in der ganzen Europäischen Union schnelles Internet schaffen. Und bei der Forschung zu neuen Technologien wie zum Beispiel der künstlichen Intelligenz können wir nur gemeinsam erfolgreich sein. Die innere Sicherheit Europas lässt sich am besten gemeinsam gewährleisten. Das spart langfristig auch viel Geld.

Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen

Jugendliche brauchen überall in Europa eine Perspektive. Die arbeitslosen Jugendlichen in Griechenland, Spanien und Italien sind auch unsere Arbeitslosen. Wir wollen eine große Offensive für die Zukunft der europäischen Jugend. In der Theorie gibt es bereits eine europäische Jugendgarantie, die allen jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben, ein qualitativ hochwertiges Angebot für einen Arbeitsplatz, eine Fortbildung, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum zusichert. Aber sie muss auch funktionieren und darf nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Deswegen wollen wir die Jugendgarantie zu einem dauerhaften und besser finanzierten Instrument weiterentwickeln. Die Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote müssen von hoher Qualität und auskömmlich finanziert sein, beispielsweise angelehnt an die duale Ausbildung in Deutschland, insbesondere in Zukunftsbranchen wie dem Klima- und Umweltschutz. Wir fordern klare Qualitätsstandards beispielsweise in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Befristungen. Junge Menschen dürfen durch die Jugendgarantie nicht um des schönen Scheins willen in unsicheren, befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder unbezahlten Praktika geparkt werden. Gerade junge Menschen sind oft in besonders starkem Maße von prekären Beschäftigungsverhältnissen und den Schlupflöchern bei bestehenden Mindestlohnregelungen betroffen. Europa muss auch jungen Menschen soziale Sicherheit bieten. Wir wollen der Ausbeutung in Praktikums- und Ausbildungsverhältnissen entgegenwirken. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass alle, die im Rahmen ihrer Ausbildung Betriebspraktika ableisten, Teile ihrer Ausbildung im Betrieb verbringen (wie beispielsweise in dualen Ausbildungen) oder gerade am Anfang ihrer Berufstätigkeit stehen, fair entlohnt werden. Berufliche Ausbildung darf nichts sein, was man sich leisten können muss. Außerdem führen gerade unbezahlte Praktika häufig dazu, dass junge Menschen als kostenlose Arbeitskraft missbraucht werden. Darum fordern wir, dass Praktika verpflichtend entlohnt werden. Dazu gehört auch ein Programm der Europäischen Investitionsbank für zukunftsfähige Start-ups, die überall in Europa von jungen Gründerinnen und Gründern auf den Weg gebracht werden. Dabei soll Geschlechtergerechtigkeit als Vergabekriterium verankert werden und sollen insbesondere Gründerinnen gefördert werden. Denn Länder mit leeren Kassen und Zombie-Banken können die Jugendgarantie nicht mit Leben füllen. Viele Jugendliche haben in ihren Heimatländern derzeit oft keine Chance auf eine Arbeit. Die EU soll ihnen dabei helfen, eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz in einem anderen europäischen Land zu finden, wenn sie dies wünschen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • Investitionen in Europas Infrastruktur, Klimaschutz, erneuerbare Energien und emissionsfreie Mobilität
  • die Stärkung von Gründer*innen
  • den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit
  • Ausbildung und Praktika mit fairer Bezahlung

2.3 DIE EUROZONE VOR KÜNFTIGEN KRISEN SCHÜTZEN

Der Euro ist unsere gemeinsame Währung. Er wurde eingeführt, um Wohlstand zu schaffen und dazu beizutragen, dass Europa noch enger zusammenwächst – auch in unserem Alltag. Vieles davon hat der Euro bereits eingelöst. Wo er versagt hat, liegt das an den Konstruktionsfehlern der Währungsunion. Wir stehen zum Euro, doch wir wollen die Währungsunion besser machen. Gerade die deutsche Bundesregierung hat das immer wieder verhindert. Wir wollen die Zeit der Flickschusterei überwinden und einen Euro schaffen, der die Europäer*innen zusammenführt. Dieses Versprechen wurde in der Vergangenheit zu oft nicht eingelöst. Mit einer harten und übertriebenen Sparpolitik wurden Finanz- und Eurokrise unnötig verlängert. Gleichzeitig haben sich die Staats- und Regierungschef*innen, und allen voran die Bundesregierung, einen schlanken Fuß gemacht und viel zu sehr auf die Europäische Zentralbank vertraut, die mit niedrigen Zinsen und weitreichenden Maßnahmen die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Das darf nicht so bleiben. Denn ein Exportland wie Deutschland, das am meisten vom Euro profitiert und in dem Millionen von Arbeitsplätzen von einer stabilen Währung abhängig sind, kann sich nicht damit zufriedengeben, wenn wir einen Haushalt mit schwarzer Null vorlegen, anderswo aber die Jugendarbeitslosigkeit steigt. Es liegt in unserem eigenen Interesse, dass sich alle Mitgliedstaaten gut entwickeln und jungen Menschen eine Zukunftsperspektive bieten. Das schließt ein, mehr als bisher auf Zusammenhalt und Solidarität in der Eurozone zu setzen. Eine stabile und demokratische Währungsunion hat drei wesentliche Elemente: Erstens müssen wir in europäische Gemeingüter investieren und durch ihre Finanzierung wirtschaftlichen Krisen entgegenwirken. Zweitens wollen wir die Bankenunion vollenden, damit einige verantwortungslose Banken nie wieder die ganze Währung gefährden können. Und drittens wollen wir die wichtigen Entscheidungen aus den Hinterzimmern holen und demokratischer Kontrolle unterwerfen.

Euro stabilisieren

Alle Mitgliedstaaten müssen mehr gemeinsame Verantwortung für die Stabilität des Euro übernehmen. Die Europäische Zentralbank ist dafür nicht allein verantwortlich. Dafür braucht es eine gemeinsame Haushaltspolitik in der Eurozone und der EU, da die Krise gezeigt hat, dass nationale Fiskalpolitik allein zu Schieflagen und unnötig langen Krisen führt – selbst bei Mitgliedstaaten, die sich wie Spanien und Irland immer an die Regeln hielten. Außerdem braucht es ein Instrument, das im Abschwung die Abwärtsdynamik abfedert. In seiner heutigen Form kann der EU-Haushalt diese Funktion eines automatischen Stabilisators in einer Konjunkturkrise aber nicht erfüllen. Wir möchten dafür die Instrumente schaffen, bevor es zu einer Krise kommt. Deshalb schaffen wir einen eigenen Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert. Dieser Haushalt ist für alle Länder der Eurozone gedacht und für alle anderen EU-Mitgliedsländer offen. Wer sich über die Bekämpfung von Steuerbetrug und eine gemeinsame Körperschaftssteuer an den Einnahmen des Haushalts beteiligt, macht mit. Der eigene Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert, sollte im Rahmen der EU-Finanzen verankert sein, sodass das Europäische Parlament bei der Aufstellung und Kontrolle gleichberechtigt mitentscheidet. Kernaufgabe des Haushalts für den Euro ist die Finanzierung von europäischen Gemeingütern und Investitionen. Er speist sich aus konjunkturabhängigen Einnahmen wie einer gemeinsamen Unternehmenssteuer sowie dem Kampf gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Dadurch wirkt er stabilisierend. Die Mitgliedstaaten werden im Abschwung entlastet, da sie dann weniger einzahlen müssen, profitieren aber trotzdem von den Ausgaben. Das ist gelebte europäische Solidarität und stabilisiert die gesamte EU. Um die entsprechende Wirkung zu entfalten, bedarf es einer relevanten Größenordnung. Wir streben daher mittelfristig einen Umfang von mindestens 1 Prozent des gemeinsamen BIP an. Der Umfang muss über die Zeit und mit den dorthin übertragenen Aufgaben nach und nach größer werden. Dabei handelt es sich nicht um neue Aufgaben, die durch zusätzliche Steuern finanziert werden, sondern um eine Verlagerung der Finanzierung von solchen Gemeingütern und Investitionen in die ökologische und soziale Modernisierung, die auf europäischer Ebene effektiver durchgeführt werden können. Unser Ziel ist, dass perspektivisch alle EU-Mitgliedstaaten von der Funktion eines automatischen Stabilisators profitieren können. Der eigene Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert, ist für uns nur eine Zwischenlösung, um in Richtung eines stärker EU-eigenfinanzierten EU-Haushalts zu gelangen, der die EU noch stärker zu einer politischen und sozialen Union macht. Der Weg dahin ist wegen des Einstimmigkeitsprinzips schwer und lang. Deswegen gehen wir mit dem eigenen Haushalt für den Euro, der stabilisiert und investiert, den ersten Schritt mit denjenigen, die bereit sind mitzumachen. Wir erwarten, dass durch die Sogwirkung der gemeinsam finanzierten öffentlichen Güter sich auch die heutigen Nichteuroländer diesem Instrument schnell anschließen, indem sie sich dem gemeinsamen Kampf gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerbetrug anschließen und sich an der gemeinsamen Unternehmenssteuer beteiligen. Wir befürworten eine Euro-Heranführungshilfe für Nicht-Euro-Staaten zur Unterstützung von Reformen. Alle den Euro betreffenden Entscheidungen haben auch unmittelbare Auswirkungen auf Nicht-Eurostaaten. Deshalb müssen neue Instrumente für alle EU-Staaten konzipiert sein oder Nicht-Eurostaaten zur Teilnahme an weiteren Reformen ermutigen. Auf- und Abschwung verteilen sich über die Mitgliedstaaten unterschiedlich. Um diese unterschiedlichen Auswirkungen auszugleichen, reichen nationale und geldpolitische Maßnahmen nicht aus. Europa braucht neue Strukturen, um mit diesen Schieflagen künftig besser umgehen zu können. Der oben beschriebene Haushalt für den Euro ist dafür das beste Instrument und wir fordern dies als ersten Schritt. Eine europäische Arbeitslosenversicherung würde die ausgleichende und stabilisierende Wirkung des Haushalts für den Euro noch verstärken. Wir wollen daher als zweiten Schritt eine Rückversicherung der nationalen Arbeitslosenversicherungen einführen. Wir setzen uns des Weiteren für eine europäische Basis-Arbeitslosenversicherung ein, die durch die nationalen Sicherungssysteme ergänzt werden soll. Wir sind uns aber bewusst, dass die Einführung einer solchen europäischen Arbeitslosenversicherung eher ein mittelfristiges Projekt ist. In der Eurokrise hat der Internationale Währungsfonds im Rahmen der sogenannten Troika stark eingegriffen. Die Troika hat umfassende Anpassungsprogramme in den Programmländern durchgedrückt, mit starken sozialen Verwerfungen. Das Handeln der Troika hat in vielen Programmländern das Vertrauen in die europäische Demokratie beschädigt. Deswegen wollen wir, dass Europa seine Krisen künftig allein, nach eigenen Regeln, demokratischer und transparenter löst. Wir wollen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen vollwertigen Europäischen Währungsfonds (EWF) überführen und ihn im EU-Recht verankern, kontrolliert durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente. Das Europäische Parlament soll das Recht auf Information, Kontrolle und Miternennung der Direktorin bzw. des Direktors des Europäischen Währungsfonds erhalten. Die Entscheidungen über längerfristige Kredite aus dem Europäischen Währungsfonds würden aber trotzdem weiterhin bei den nationalen Parlamenten liegen, solange das Geld dafür auch aus den nationalen Haushalten kommt. Um zu verhindern, dass ein Land plötzlich durch Spekulationen in eine tiefe Krise schlittert, braucht der EWF zusätzlich eine Möglichkeit zur schnellen Reaktion. Dafür soll er kurzfristig Kredite bereitstellen können, die bereits vor einer möglichen Krise präventiv wirken. Diese präventiven Kredite schützen Mitgliedstaaten davor, Opfer rein finanzmarktgetriebener Effekte zu werden. Eingriffe in die wirtschaftspolitische Souveränität der Mitgliedstaaten sind hierfür nicht erforderlich. Im Falle einer Krise darf es nicht wieder zu einer massiven Sparpolitik kommen, die ein Land in die soziale Krise stürzt und die Wirtschaftsleistung abwürgt. Neben Auflagen zur Modernisierung der Strukturen muss die Kreditvergabe an ein Land in Not diese Grundsätze beachten. Das Kaputtsparen ganzer Volkswirtschaften lehnen wir ab. Hohe Staatsschulden, das Risiko steigender Zinslasten und unverantwortliche Regierungspolitik sind ein großes Risiko für die Stabilität unserer Währung. Alle Euroländer brauchen daher verlässlichen Zugang zu niedrigen Zinsen und starke Anreize zu soliden Staatsfinanzen. Der Konflikt zwischen der italienischen Regierung und der EU-Kommission zeigt, wie hoch das Risiko durch einseitige nationale Finanzpolitik einzelner Länder für den Euro insgesamt ist. Daher wollen wir, ähnlich wie ursprünglich vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, einen Altschuldentilgungsfonds einrichten, in den die Altschulden eines Landes eingebracht werden, die 60 Prozent des BIP übersteigen. Wer sich an die gemeinsam vereinbarten europäischen Finanzregeln hält, soll im Gegenzug von niedrigen Zinsen für die Abzahlung der Schulden im Altschuldentilgungsfonds profitieren. So vereinen wir europäische Solidarität und Solidität.

Probleme nicht zulasten der Gemeinschaft lösen

Zu einem krisenfesten Euro gehört auch, dass sich alle Mitgliedstaaten an die gemeinsamen Regeln halten, egal ob es um Haushaltsdefizite oder Leistungsbilanzüberschüsse geht. Die deutsche Bundesregierung kritisiert gerne andere Länder, verstößt aber mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss – das heißt, Deutschland exportiert mehr, als es importiert – seit Jahren selbst gegen europäische Regeln. Leistungsbilanzungleichgewichte müssen effektiv begrenzt werden, um der Entstehung möglicher Krisen frühzeitig vorzubeugen. Die Sanktionierbarkeit von Defiziten und Leistungsüberschüssen müssen einander angeglichen werden. Das bedeutet, dass sich auch Überschussländer wie Deutschland aktiv an der Verminderung von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten beteiligen müssen. Dies kann sowohl durch Lohnsteigerungen als auch über erhöhte öffentliche und private Investitionen erfolgen. Damit stärken wir den gemeinsamen Währungsraum, die Arbeitnehmer*innen in Deutschland und die inländische Digital-, Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur.

Bankenunion vollenden für mehr Sicherheit

Ein krisenfester Euro bedeutet auch, dass keine Bank mehr die Stabilität unserer gemeinsamen Währung gefährden können darf. Mit der gemeinsamen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank, mit den neuen Abwicklungsregeln, die die Gläubiger der Banken jetzt endlich zur Kasse bitten, und mit dem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus ist der Einstieg in die Bankenunion geschafft. Doch einige Elemente fehlen noch immer, damit die neuen Regeln wirksam angewandt werden können. Erstens dürfen Banken nicht mehr zulasten der Steuerzahler gerettet werden. Dafür braucht der gemeinsame Abwicklungsfonds eine Letztsicherung über den Europäischen Währungsfonds. So wird verhindert, dass er sich im Krisenfall als zu klein erweist. Die Letztsicherung soll als Kreditlinie gestaltet werden, die nach der Krise von den Banken zurückbezahlt wird. So wird gewährleistet, dass nicht doch wieder die Steuerzahler einspringen müssen. Zweitens muss ein Euro überall gleich sicher sein, egal ob er bei einer niederländischen oder einer slowenischen Bank angelegt ist. Sonst verstärkt sich jede Krise selbst, weil Kund*innen im Krisenfall um ihr Erspartes bangen müssen und ihr Geld abziehen. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Sie soll als Rückversicherung ausgestaltet sein, damit die europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist. Die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten Institutssicherungssysteme setzen. Es ist richtig, uns in Europa gemeinsam gegen Risiken zu versichern, weil nur Europa das überhaupt leisten kann. Allerdings müssen dafür auch die Risiken der Banken in allen Euroländern abgebaut werden. Auch Staatsanleihen dürfen sich nicht länger nur in den Banken des jeweiligen Landes konzentrieren. Sonst führt die Krise eines Landes immer zur Krise seiner Banken. Die Regulierung der Banken als Konsequenz aus der Krise ist auch noch immer nicht abgeschlossen. Wir setzen uns für die Erhöhung der risikoungewichteten Eigenkapitalquoten auf 10 Prozent ein. Bei den Banken muss eine feste Schuldenbremse („leverage ratio“) gelten, damit sie ihre Risiken nicht künstlich kleinrechnen können. Außerdem sollen Großbanken ihr Handelsgeschäft von ihrem Kredit- und Einlagengeschäft trennen. Unterschiedliche Geschäftsmodelle wollen wir nach Risiko und Komplexität unterschiedlich behandeln. Die Aufsicht über kleine Banken wollen wir entbürokratisieren, um sie im Wettbewerb nicht zu benachteiligen. Die ähnlichen, aber jeweils leicht unterschiedlichen Regeln für Banken, Versicherungen und Fonds wollen wir in einem europäischen Finanzmarktgesetzbuch zusammenfassen und vereinfachen, um unfairen Wettbewerb zu verhindern.

Europolitik raus aus den Hinterzimmern – rein ins Parlament!

Die gemeinsame Währung ist so wichtig für alle Europäer, dass über sie demokratisch entschieden werden muss. Das Europäische Parlament ist der Ort dafür. Keine wichtige Weichenstellung sollte ohne seine Zustimmung erfolgen. Ausführendes Organ und Dreh- und Angelpunkt der gemeinsamen Wirtschaftspolitik ist und bleibt die vom Parlament legitimierte Europäische Kommission. Wir wollen, dass die zuständige Kommissarin für Wirtschaft und Finanzen auch Vorsitzende der Eurogruppe wird. Mit dem Euro ist ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten im Moment Realität. Aber damit wollen wir uns nicht abfinden. Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Mit dem Vertrag von Lissabon haben sich alle EU-Mitgliedstaaten – bis auf Dänemark und Großbritannien – zur Einführung des Euro verpflichtet, sobald sie die Euro-Kriterien erfüllen. Bereits heute sind alle EU-Staaten über den EU-Binnenmarkt sehr eng miteinander verflochten. Alle den Euro betreffenden Entscheidungen haben auch unmittelbare Auswirkungen auf Nicht-Eurostaaten. Neue Instrumente sollten daher für alle Mitgliedstaaten konzipiert sein und Nicht-Eurostaaten zur Teilnahme an weiteren Reformen ermutigt werden, so wie dies etwa schon heute beim EU-Investitionsfonds (EFSI) oder der Bankenunion der Fall ist.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einen krisenfesteren Euro und einen demokratisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds
  • einen Haushalt für den Euro zur Finanzierung gemeinsamer Aufgaben
  • die Vollendung der Bankenunion

2.4 STEUERSÜMPFE AUSTROCKNEN, STEUERTRICKSER*INNEN DAS HANDWERK LEGEN

Unser europäisches Sozialmodell braucht eine ausreichende Finanzierung. Fehlt es den Staaten an Steuereinnahmen, werden öffentliche Leistungen gekürzt und die Infrastruktur wird vernachlässigt. Wir wollen, dass die Finanzierung gerecht ist: Starke Schultern sollen auch mehr beitragen. Der gemeinsame Binnenmarkt ist ohne Frage eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Doch er lädt wegen seiner Lücken in der Steuerpolitik, die nach wie vor in der primären Hoheit der Mitgliedstaaten liegt, zur Steuervermeidung ein: Große Unternehmen können derzeit überall in Europa ihre Produkte verkaufen und gleichzeitig nur im Land mit den niedrigsten Steuern ihre Gewinne versteuern. Damit verabschieden sich gerade große Unternehmen, die Rekordgewinne erzielen, aus der gesellschaftlichen Solidarität. Das schädigt unser Gemeinwesen und alle ehrlichen Steuerzahler*innen. Kleine und mittlere Unternehmen können ihre Gewinne nicht verlagern und zahlen die vollen Steuern. Sie haben damit einen Nachteil im Wettbewerb mit den Konzernen. Wir wollen deshalb, dass große Unternehmen genauso wie kleine Handwerksbetriebe ihre Steuern da zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Dafür wollen wir beherzt gegen Steuerdumping vorgehen.

Steuerdumping beenden

Einige Mitgliedstaaten haben es zu ihrem Geschäftsmodell gemacht, sich gegenüber dem Rest der EU durch niedrige Steuersätze oder großzügige Ausnahmen attraktiv für Unternehmen zu machen. Die Einzigen, die davon langfristig profitieren, sind internationale Unternehmen, die damit ihre Renditen steigern. Die Steuervermeidung untergräbt das Fundament unserer Wohlfahrtsstaatsmodelle in Europa. Denn die Praxis treibt indirekt Menschen in die Armut und Staaten dazu, dass sie nicht in das Wohl ihrer Bürger*innen investieren können. Die Steuerbelastung verschiebt sich damit immer mehr zu denen, die sich ihr nicht entziehen können: kleinen Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen. Wir wollen dieses Geschäftsmodell beenden. Die EU-Kommission hat – gerade unter dem Druck von uns GRÜNEN – endlich damit begonnen, individuelle Absprachen zwischen Mitgliedstaaten und Großunternehmen als illegale staatliche Beihilfen zu verfolgen und auch zu ahnden. Das geht in die richtige Richtung. Aber das reicht nicht: Wir wollen das europäische Wettbewerbsrecht so verändern, dass es zur scharfen Waffe wird, mit der die EU-Kommission den zerstörerischen Steuerwettbewerb auf Kosten der anderen Mitgliedstaaten bekämpfen kann. Große Unternehmen verlagern zudem ihre Gewinne mit Buchungstricks in Niedrigsteuerländer. Sie nutzen die gute Infrastruktur eines Landes, tragen aber nicht zu ihrer Finanzierung bei. Damit sich aber der internationale Kaffeekonzern ebenso an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt, wie es heute schon der/die Bäcker*in an der Ecke tut, müssen auf Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren innerhalb der EU wieder Quellensteuern erhoben werden. Dafür ist die entsprechende EU-Richtlinie zu ändern. Dann lohnen sich solche Tricks für die Unternehmen nicht mehr.

Europäische Unternehmensmindeststeuer

Wer europaweit verkaufen darf, muss auch europaweit gleichwertig besteuert werden. Deshalb ist eine einheitliche Unternehmensbesteuerung die logische Fortsetzung des Binnenmarktes. Technisch gesehen, wollen wir in einem ersten Schritt eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmen im Binnenmarkt.

Für die Unternehmen wäre das eine Vereinfachung. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen führt ein einheitliches Steuerrecht dazu, dass sie leichter auch in anderen Mitgliedstaaten tätig werden können. Es soll einen europäischen Mindeststeuersatz für alle Unternehmensgewinne geben. Im zweiten Schritt soll dann zeitnah die europäische Unternehmenssteuer folgen, damit es endlich eine echte europäische Einnahmequelle gibt. Ein Teil der Einnahmen aus dem Mindeststeuersatz soll direkt in den Haushalt fließen. Die Mitgliedstaaten können und sollen Steuersätze festlegen, die über dem Mindeststeuersatz liegen. Die Einnahmen daraus fließen in ihre nationalen bzw. kommunalen Haushalte. In Deutschland werden wir darauf achten, dass diese Reform nicht zulasten von Städten und Gemeinden geht. Längst überfällig ist, dass alle Großunternehmen öffentlich machen müssen, in welchem Land sie ihre Umsätze machen, wo ihre Gewinne anfallen und wie viel Steuern sie darauf zahlen. Dann fällt sofort auf, wenn ein Konzern seine Umsätze in Deutschland erzielt, aber seine Gewinne in einen Steuersumpf verschiebt, um darauf möglichst wenig Steuern zu zahlen. Transparenz ist eines der wirksamsten Mittel gegen Steuervermeidung. Die deutsche Bundesregierung und Finanzminister Scholz blockieren diese Transparenz aber in Europa. Dadurch ermöglichen sie Großunternehmen die Steuervermeidung erst.

Steuerhinterziehung und Geldwäsche bekämpfen

Mit der Abschaffung des Bankgeheimnisses und der Einführung eines internationalen automatischen Informationsaustauschs wurde ein entscheidender Sieg gegen Steuerhinterziehung erzielt. Auch das Transparenzregister der EU für Unternehmen ist ein großer grüner Erfolg gegen kriminelle Geldgeschäfte. Doch selbst in Deutschland hapert die Umsetzung. Die Eigentümer vieler Unternehmen sind immer noch nicht transparent. Gerade Immobilien müssten der Spekulation durch kriminelles Geld europaweit entzogen werden. Die EU-Kommission schätzt, dass Europas ehrliche Steuerzahler*innen jedes Jahr um mindestens 50 Milliarden Euro durch Steuerbetrüger bei der Mehrwertsteuer geprellt werden. Die Kommission hat einen Plan für ein einheitliches Mehrwertsteuergebiet in der EU vorgelegt, der den Kriminellen das Handwerk legen soll. Die Bundesregierung blockiert auch hier in Brüssel einen Fortschritt. Wir unterstützen das Ziel der Kommission. Die bestehende schwarze Liste für Steueroasen in der EU ist ein erster Schritt. Wichtige Steueroasen fehlen jedoch auf der Liste. Andere Staaten konnten schon mit vagen Zusagen erreichen, dass sie wieder von der Liste gestrichen wurden. Die Umsetzung muss nun strikt überwacht werden. Die Erstellung der Liste ist komplett intransparent und lässt die politische Bevorteilung einzelner Staaten vermuten. Wir wollen eine echte schwarze Liste mit klaren Kriterien statt Absprachen im Hinterzimmer. Ein Eintrag in der Liste muss Konsequenzen haben. Banken, Kanzleien und Unternehmen dürfen dann keine Geschäfte in diesen Ländern mehr machen, und Verstöße dagegen müssen sanktioniert werden. Unser Ziel ist es, dass korrupte Individuen und ihr Kapital sich in der EU nicht länger verstecken können. Beim Kauf von teuren Wohnungen, Luxusautos, Jachten und dergleichen soll wie in Großbritannien kontrolliert werden können, ob das Vermögen auf legalem Weg erworben wurde. Die EU sollte öfter Sanktionen gegen korrupte Individuen aus Drittstaaten verhängen und ihnen die Einreise und den Aufenthalt in der EU verweigern. Aufenthaltsgenehmigungen und Staatsbürgerschaften sollten die Mitgliedstaaten nach fairen Verfahren vergeben und nicht als „goldene Visa“ an Kriminelle verkaufen können.

Europa handlungsfähig machen

Die Einstimmigkeit in Steuerfragen verhindert, dass die EU gegen Steuervermeidung vorgeht. Ein einzelnes Land, das das Geschäftsmodell Steuersumpf betreibt, kann Fortschritte verhindern. Um diese Blockade aufzubrechen, müssen andere Mitgliedstaaten vorangehen, damit sich die Verlagerung von Gewinnen für die Unternehmen nicht mehr lohnt. Damit wird das Geschäftsmodell auch für die Staaten unattraktiv.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den Kampf gegen Steuerbetrug, Steuerdumping und Geldwäsche
  • eine EU, in der korrupte Individuen und ihr Kapital nicht länger willkommen sind
  • eine gemeinsame europäische Unternehmensmindestbesteuerung

2.5 WETTBEWERB FAIR GESTALTEN

Wettbewerb ist die tragende Säule der Marktwirtschaft und Motor für Innovationen. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und technische und soziale Innovationen behindern. Um das zu verhindern, braucht es einen fairen Wettbewerb und eine Begrenzung wirtschaftlicher Macht. Dafür ist es auch notwendig, bestehende Monopole zu zerschlagen. Mit der Globalisierung schaffen globale Konzernfusionen, wie jene von Bayer und Monsanto, eine noch größere Marktbeherrschung mit zahlreichen negativen Auswirkungen. Unternehmen agieren zunehmend branchenübergreifend – Volkswagen ist nicht nur einer der größten Autokonzerne, sondern auch eine Bank, und Amazon ist nicht nur ein Onlinehändler, sondern auch ein Medienunternehmen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, fordern wir ein eigenständiges europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Dieses Kartellamt soll auch als europäische Digitalaufsicht fungieren. Die Marktmacht der großen Digitalkonzerne wollen wir so gemeinsam kontrollieren und begrenzen. Wir möchten, dass das europäische Wettbewerbsrecht bei außereuropäischen Fusionen auch die Auswirkungen auf den globalen Markt ins Auge fasst und sich nicht nur auf den europäischen Markt beschränkt. Wir wollen erreichen, dass bei der Kontrolle von Fusionen auch wettbewerbsfremde Faktoren berücksichtigt werden. Die Fusion von Bayer und Monsanto ist nicht nur für den Wettbewerb problematisch. Sie hat auch negative Auswirkungen auf den Umweltschutz. Heute aber muss man Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen, dass sie diese missbrauchen. Das ist in der Regel nicht zu beweisen. Wir treten daher dafür ein, dass man Unternehmen auch unabhängig von einem nachgewiesenen Missbrauch aufspalten kann, wenn ihre Marktmacht zu groß wird. Digitale Geschäftsmodelle und die sogenannte Plattformökonomie stellen uns vor neue Herausforderungen. Google und Facebook beherrschen den Markt für Onlinewerbung und können kleinen Unternehmen die Bedingungen diktieren. Amazon kann hohe Gebühren von kleinen Unternehmen verlangen, die gezwungen sind, ihre Produkte auf der Plattform anzubieten, um Käufer*innen zu finden. Wir wollen diese Unternehmen streng regulieren. Wenn sie anderen Firmen den Zugang zu ihren Plattformen verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die Wettbewerbshüter*innen dagegen vorgehen. Vermietungsplattformen für Ferienwohnungen wie Airbnb unterlaufen gesetzliche Regulierungen der Städte und Bundesländer und berufen sich dabei auf die Regeln des europäischen Binnenmarktes. Gegen die Städte, die versuchen, Wohnraum vor Spekulation zu schützen, haben diese Plattformen sogar Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. Es kann nicht sein, dass diese Onlineplattformen die Entscheidungsmacht der Städte und Bundesländer aushebeln. Die EU-Kommission ist gefordert, sicherzustellen, dass diese Plattformen bei der Regulierung von Ferienwohnungen endlich mitwirken müssen. Facebook hat als soziales Netzwerk ein Monopol geschaffen. Kein anderes Unternehmen kann erfolgreich ein soziales Netzwerk betreiben, weil es davon lebt, dass viele andere Menschen es ebenfalls nutzen. Mit dem Zukauf von Instagram und WhatsApp hat Facebook seine Monopolstellung ausgeweitet. Um für mehr Wettbewerb zu sorgen, wollen wir diese Unternehmen wieder aufspalten. Wer von Facebook zu einem anderen sozialen Netzwerk wechseln will, muss zudem seine Daten einfach und schnell mitnehmen können. Die Lohnungleichheit ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Gesamt-EU beträchtlich. Extrem ungleiche materielle Verhältnisse sind eine Mitursache für Populismus, Autoritarismus und für soziale Unruhe. Neben Lohndumping- und Steuerbetrugsverhinderung fordern wir daher die Prüfung eines verbindlichen maximalen Abstands zwischen dem höchsten und niedrigsten Gehalt in einem Unternehmen. Dafür möchten wir eine vielfältig besetzte Kommission einsetzen. Neben der Verhinderung von Monopolismus bedeutet fairer Wettbewerb aber auch, sich nicht durch Niedriglöhne und Sozialabbau Wettbewerbsvorteile auf Kosten anderer zu verschaffen. Gerade Deutschland hat dieses Wettbewerbsmodell in den letzten Jahren auf Kosten des eigenen sozialen Zusammenhalts wie auch seiner europäischen Nachbarn betrieben. Es ist nicht zuletzt auch solche Politik, die Menschen in die Fänge nationalistischer Scheinalternativen treibt. Stattdessen brauchen wir dringend echte Alternativen, die Europa als solidarische Sozialunion definieren: als eine Gemeinschaft, die sich geschlossen gegen das ökonomische Ausspielen des einen gegen den anderen stellt.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein starkes europäisches Kartellamt
  • die Kontrolle digitaler Marktmacht
  • die Zerschlagung des Facebook-Imperiums
  • eine Kommission, die die europaweite Einführung eines maximalen Abstands zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt in einem Unternehmen prüft („Lohnhebel“)

2.6 SOZIALE SICHERHEIT GARANTIEREN

Wir stehen für ein soziales und gerechtes Europa, in dem alle Menschen gleiche Chancen haben, an der Gesellschaft teilzuhaben. Derzeit ist dieses Ziel noch nicht erreicht. Es bestehen weitreichende wirtschaftliche Freiheiten im Binnenmarkt. Gemeinsame Arbeits- und Sozialstandards sind hingegen unterentwickelt. Deshalb wird die EU häufig als Bedrohung für soziale Sicherheit gesehen. Zu Unrecht. Tatsächlich ist es so, dass die Nationalstaaten die Kompetenz für die sozialen Sicherungssysteme wie Rente, Gesundheit, Pflege oder Grundsicherung haben. Doch an einer Stelle kann die europäische Ebene schon heute handeln: Sie kann gemeinsame Mindeststandards schaffen und grenzüberschreitendes Arbeiten sozial absichern.

Soziale Grundrechte für Europas Bürger*innen garantieren

In der EU sollten alle Menschen ein würdevolles Leben führen können. Deshalb ist die Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung essenziell. Verlässliche soziale Rechte sind die Voraussetzung dafür, dass Binnenmarkt und Währungsunion im Interesse der Menschen wirken. Die in der Europäischen Grundrechtecharta verankerten sozialen Rechte müssen als Grundrechte aller EU-Bürger*innen gegenüber den Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof einklagbar sein. So können zum Beispiel Arbeitslose, denen das Recht auf Vermittlung in Arbeit verweigert wird, sich dagegen zur Wehr setzen. Arbeitnehmer*innen, die keinen angemessenen Urlaub oder Ruhepausen bekommen, erhalten Beistand von der EU. Und Bürger*innen können gegen ihr Land klagen, wenn ihnen aufgrund eines miserablen nationalen Gesundheitssystems das in der EU-Grundrechtecharta verbriefte Recht auf medizinische Versorgung verwehrt wird. So wird die Europäische Union zu einem Garanten für soziale Rechte. Wir fordern außerdem, dass das EU-Recht den sozialen Rechten und den Arbeitnehmer*innenrechten mindestens den gleichen Stellenwert einräumt wie den wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarkts wie beispielsweise der Dienstleistungsfreiheit. Damit der Europäische Gerichtshof bei Entscheidungen zum Binnenmarkt Arbeitnehmerrechte nicht den wirtschaftlichen Freiheiten unterordnet, müssen die entsprechenden Gesetze angepasst werden.

Betriebliche Mitbestimmung in ganz Europa sichern

Die Freizügigkeit in Europa darf nicht dazu führen, dass Unternehmen dort ihren Firmensitz einrichten, wo die niedrigsten Standards in der Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen gelten. Deshalb wollen wir die europäischen Betriebsräte und ihre Mitbestimmungsrechte stärken und beispielsweise eine Parität von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen an Entscheidungen in allen Unternehmen mit mehr als 1.000 Angestellten über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg nach dem Vorbild Sloweniens durchsetzen. Wir wollen starke europäische Gewerkschaften. Grünes Ziel ist darüber hinaus, dass die freie gewerkschaftliche Betätigung entsprechend den Kernarbeitsnormen der ILO in allen Unternehmen in Europa garantiert wird.

Soziale Mindeststandards in ganz Europa

Allen Menschen in Europa wollen wir ein würdevolles Existenzminimum garantieren. Dafür braucht es einen europäischen Rahmen für eine Grundsicherung in allen Mitgliedstaaten. Die EU muss gemeinsam mit den Mitgliedstaaten wirkungsvolle Maßnahmen gegen Kinderarmut entwickeln. Wir wollen, dass kein Kind in der EU in Armut leben muss. Wir machen uns stark für eine europäische Grundsicherungs-Richtlinie, die soziale Mindeststandards für jedes Land festlegt, angepasst an die jeweilige ökonomische Situation. Die Mitgliedstaaten sind natürlich angehalten, höhere Standards zu behalten oder neu zu schaffen. Das Gleiche gilt für die nationalen Gesundheitssysteme. Auch hier braucht es einen Mindestversorgungsstandard in allen Ländern. Jede*r Europäer*in muss sich darauf verlassen können, bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit gut versorgt zu werden; der Ausschluss von Bevölkerungsgruppen vom Zugang zum Gesundheitswesen ist deshalb zu sanktionieren. Wir streiten dafür, dass nationale Gesundheitssysteme als Teil der sozialen Daseinsvorsorge nicht durch die Hintertür über das europäische Wettbewerbsrecht ausgehöhlt werden. Europäischen Austausch und Transparenz zu Best-Practice-Modellen in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Pflege wollen wir fördern. Medizinische Studien müssen die Gesundheit schützen, geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen und transparent sein. Wir streben mehr unabhängige Forschung zu Versorgung und Produkten sowie strengere Regelungen für den Patientenschutz und gegen die einseitige Einflussnahme der Pharma- und Medizinprodukteindustrie an. Vor dem Hintergrund verunreinigter Arzneimittel sind Funktion und Arbeitsweise der europäischen und nationalen Arzneimittelaufsichtsorgane dringend zu verbessern. Auch bei der Altersvorsorge kann Europa Standards setzen. Die Kommission hat zum Beispiel einen Vorschlag für ein europaweites privates Altersvorsorgeprodukt (PEPP) gemacht. Leider hat sich die Kommission dabei zu sehr von der Lobby der Lebensversicherer leiten lassen, anstatt einen Vorschlag in Anlehnung an eines der besten privaten Altersvorsorgeprodukte in Europa, nämlich die schwedische „Prämienrente“ zu entwickeln. In Schweden können alle Bürger*innen einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens in einen staatlichen Pensionsfonds einzahlen, der einerseits fast ohne Gebühren auskommt und andererseits dank seiner Anlagestrategie auch eine besonders hohe Rendite erwirtschaftet. Wir wollen, dass auch die Menschen außerhalb Schwedens ihre private Altersvorsorge mit einem solchen Bürgerfonds durchführen können. Daher soll Europa einen solchen Bürgerfonds in Anlehnung an dieses seit über zwanzig Jahren erprobte Konzept einführen. Wir benötigen in Europa eine bezahlbare und nachhaltige Energie. Energieeffizienzmaßnahmen und die Energiewende dürfen Menschen nicht aus ihren Wohnungen treiben. Deshalb müssen diese Maßnahmen sozial flankiert werden, damit das Wohnen für alle bezahlbar bleibt. Die Bewältigung des demografischen Wandels ist eine der großen gesamteuropäischen Aufgaben. Es wird in den nächsten Jahrzehnten mehr Pflegebedürftige und an Demenz erkrankte Menschen geben. Unser Ziel ist es, diesen Menschen ein selbstbestimmtes und aktives Leben in Würde zu ermöglichen. Dafür benötigen wir in Europa gemeinsame Anstrengungen zur Pflegepolitik, bei denen auch Themen wie neue Wohn- und Pflegeformen, Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention, Entlastung der familiären Pflege sowie der Fachkräftebedarf in den Mittelpunkt gerückt werden. Schon heute wird die Pflegearbeit zu einem erheblichen Teil durch Arbeitsmigration innerhalb der Union und aus Drittstaaten bewältigt. Pflegekräfte und Kräfte, die die häusliche Pflege unterstützen, müssen vor Ausbeutung geschützt und fair entlohnt werden. Die Abwerbung von Pflegekräften darf nicht dazu führen, dass der Pflegekräftemangel in ärmere Mitgliedstaaten exportiert wird. Dies gilt auch für die Abwerbung von Ärzt*innen, die keine Verschlechterung der medizinischen Versorgung in diesen Ländern bedingen darf. Umweltbelastungen wie Lärm, Luftschadstoffe und Rückstände in Trinkwasser und Nahrungsmitteln bedrohen die menschliche Gesundheit. Wir setzen uns dafür ein, dass das Vorsorgeprinzip in allen Bereichen, die die menschliche Gesundheit betreffen, uneingeschränkt zur Anwendung gelangt.

Prävention statt Repression – Cannabis europaweit legalisieren

Wir setzen uns für eine europäische Drogenpolitik ein, die auf Prävention statt Repression setzt sowie auf Hilfe und Entkriminalisierung statt Verbote. Anstelle der gescheiterten Verbotspolitik fordern wir langfristig eine an den tatsächlichen gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung von Drogen. Dazu gehört für uns zum Beispiel die europaweite Legalisierung und kontrollierte Abgabe von Cannabis. Pauschale Verbote neuer psychoaktiver Substanzen lehnen wir ab. Stattdessen wollen wir Zulassungsverfahren auf der Grundlage von Risikobewertungen und einem strengen Jugend- und Verbraucher*innenschutz. Die Europäische Union soll dazu beitragen, dass überall in Europa ein gut ausgebautes Angebot zur gesundheitlichen Versorgung von abhängigen oder suchtgefährdeten Menschen be steht. Erfolgreiche Ansätze wie Inhaltsstoffanalysen illegaler Drogen (Drugchecking), Substitutionsprogramme, Konsumräume und Programme zur Originalstoffabgabe und andere Maßnahmen zur Schadensminimierung sollen in allen EU-Mitgliedsländern verfügbar gemacht werden. Wir wollen, dass die Hersteller und Anbieter von gesundheitsgefährdenden Produkten stärker verpflichtet werden, Jugend- und Verbraucher*innenschutz sicherzustellen. Bei der Tabakprävention hat die EU durch Warnhinweise und andere Maßnahmen neue Maßstäbe gesetzt. Dies hat zu einem Rückgang des Tabakkonsums etwa bei Jugendlichen in Deutschland beigetragen. Gesundheitsgefährdende Marketingstrategien der Alkohol- und Tabakindustrie wollen wir in Europa konsequent zurückdrängen. Dazu gehört, dass Außenwerbung und Kinowerbung für Drogen komplett abgeschafft wird. Wir setzen uns für eine Angleichung der Besteuerung von Tabakerhitzern und Zigaretten sowie höhere Mindeststeuern und eine einheitliche Besteuerung alkoholischer Produkte ein. Auch Marketingstrategien für Medikamente müssen kritisch überprüft werden. Zudem fordern wir eine europaweite Strategie zur wirksamen Prävention von nicht substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen wie beispielsweise der Spielsucht oder dem problematischen Konsum einzelner Internetanwendungen. Ihnen muss zum Beispiel mit Hinweisen zum sachgerechten Umgang und Maßnahmen zur Steigerung der Medienkompetenz begegnet werden. Bei allen Maßnahmen ist zudem die Selbstbestimmung der Menschen zu respektieren, anstatt sie zu entrechten oder zu kriminalisieren.

Mindestlöhne in ganz Europa – gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Alle Menschen sollen von ihrer Arbeit gut leben können. Die Mindestlöhne, die in den EU-Mitgliedstaaten derzeit gezahlt werden, variieren jedoch stark, und nicht alle Mitgliedsländer haben einen Mindestlohn. Um Lohndumping in der EU zulasten aller Arbeitnehmer*innen zu verhindern, setzen wir uns daher für eine Mindestlohnrichtlinie ein, die allen Arbeitnehmer*innen in der EU, entsprechend den Lebenshaltungskosten des jeweiligen Landes, ein auskömmliches Einkommen garantiert. Damit leisten die Arbeitgeber*innen auch einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU. Außerdem fordern wir konkrete Maßnahmen gegen die geschlechterspezifische Entgeltungleichheit (Gender Pay Gap), wie beispielsweise die Einführung einer europäischen Entgelttransparenzrichtlinie. Viele Arbeiter*innen aus Osteuropa werden in deutschen Betrieben, zum Beispiel in der Fleischindustrie durch Subunternehmer mittels Werkverträgen zu niedrigen Löhnen und unwürdigen Bedingungen beschäftigt. Osteuropäische Haushaltshilfen müssen häufig rund um die Uhr verfügbar sein. Wir wollen die Einrichtung von Beratungsangeboten in den Heimatländern fördern. Wir wollen die Integrationsangebote, zum Beispiel Sprachkurse, die mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert werden, auch für Arbeitnehmer*innen aus der EU und deren Angehörige öffnen; dazu zählt die aktive Förderung der Kinder von zugezogenen Arbeitnehmer*innen. Die in der neuen Entsenderichtlinie vorgesehene Regelung, dass Unterbringungsbedingungen für entsandte Arbeitnehmer angemessen und im Einklang mit den nationalen Vorschriften stehen sollen, muss mit einem wirksamen Sanktionsrahmen versehen werden. Die Entsenderichtlinie war ein wichtiger grüner Teilerfolg, um den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in Europa durchzusetzen. Für die Umsetzung braucht es aber mehr staatliche Kontrollen. Außerdem müssen auch in andere Länder entsandte Lkw-Fahrer*innen dringend in die Entsenderichtlinie aufgenommen und umfassend geschützt werden. Bislang sorgen aber Konservative, Liberale und Sozialdemokraten im Europaparlament dafür, dass ihnen soziale Rechte auf angemessene Bezahlung und Ruhepausen weiterhin verwehrt werden.

Diskriminierung am Arbeitsplatz bekämpfen

Alle Europäer*innen haben das Recht auf Gleichbehandlung. Leider ist das für viele Menschen am Arbeitsplatz noch keine Realität. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft oder Rasse, der Religion, der sexuellen Orientierung und weiterer Merkmale ist weiterhin Realität. Die EU hat im Kampf gegen unfaire Behandlung bereits viel erreicht. Wir stehen für einen weiteren Ausbau von Initiativen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, um allen Menschen Gleichbehandlung zu garantieren. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegen die Diskriminierung an von Religionsgemeinschaften und anderen Tendenzbetrieben angebotenen Arbeitsplätzen muss in nationales Recht umgesetzt werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einklagbare soziale Grundrechte
  • eine Grundsicherung für alle Menschen in der EU
  • die europaweite Legalisierung von Cannabis
  • europaweite Mindestlöhne

2.7 MOBIL ARBEITEN IN EUROPA: FREIZÜGIGKEIT SOZIAL AUS GESTALTEN

Alle EU-Europäer*innen haben das Recht, sich in der EU frei zu bewegen, ihren Wohn- und Arbeitsort frei zu wählen. Freizügigkeit ist Kern des europäischen Projektes. Das Steuer- und Sozialversicherungsrecht muss so gestaltet werden, dass es mobile Arbeitnehmer*innen stärkt. Eine Arbeitnehmerin, die sich für eine Arbeit in einem anderen Land entscheidet, darf deshalb keine Nachteile erleiden. Bestehende Versicherungslücken für Grenzpendler*innen müssen geschlossen werden. Die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen innerhalb Europas muss weiter verbessert werden. Gleiches gilt auch für die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen. Noch immer ist es oftmals schwer, bürokratisch und langwierig, im Nicht-EU-Ausland erworbene Abschlüsse und Qualifizierungen anerkennen zu lassen. Daher wollen wir die Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit auch für Migrant*innen aus Drittstaaten innerhalb der EU stärken. Wir wollen die Beratung von Arbeitnehmer*innen aus anderen EU-Mitgliedstaaten vor Ort verbessern und die EU-Beratungsstellen ausbauen. So bauen wir Hürden für Mobilität in Europa ab. Wir unterstützen die neue europäische Arbeitsbehörde, um sicherzustellen, dass grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer *innen gleiche Rechte in allen EU-Ländern haben. Nationale Behörden müssen hier mit der neuen Arbeitsbehörde kooperieren. Arbeitnehmer*innen brauchen Stärkung bei der Ausübung der Freizügigkeit und auch bei der Durchsetzung ihrer sozialen Grundrechte – dazu gehört auch der Schutz vor sexualisierter Gewalt. Eine europäische statt nationale Sozialversicherungsnummer muss folgen, damit diejenigen, die grenzüberschreitend arbeiten, unkompliziert soziale Sicherheit und hinterher ihre Rente genießen können. Ein EU-Sozialversicherungsregister ist folgerichtig, um Sozialdumping das Handwerk zu legen. Die Mobilität von LSBTIQ*-Menschen ist in besonderen Maßen eingeschränkt. In den meisten Mitgliedstaaten werden ihre Ehen und Lebenspartnerschaften zwar anerkannt, aber in einigen Staaten auch weiterhin nicht. Regenbogenfamilien müssen sich vor Antritt einer Reise immer fragen, ob sie als Eltern ihrer Kinder in einem anderen Mitgliedstaat rechtlich anerkannt sind. Das darf nicht sein. Regenbogenfamilien, Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtliche Ehen müssen europaweit anerkannt werden. Dazu gehört die Anerkennung von Geburtsurkunden, Adoptionen und Pflegekindvereinbarungen oder anderen Dokumenten, die den Familienstatus betreffen. Die besondere Stärke der EU ist, dass Arbeitnehmer*innen, die in Europa mobil sind, ihre in einem Land erworbenen Ansprüche nicht verlieren, sondern mitnehmen können. Eine Arbeitnehmerin, die sich in Österreich eine Rente erarbeitet hat, kann ihren Ruhestand auch in Schweden verbringen. Wir wollen, dass dies auch für Betriebsrenten uneingeschränkt gilt. Dass die EU sicherstellt, dass Arbeitnehmer*innen nicht aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert werden, ist Ausdruck des gemeinsamen Wertekanons und zugleich eine essenzielle Maßnahme gegen Sozialdumping. Umso unverständlicher ist es, dass gerade in diesem Zusammenhang in Deutschland immer wieder die Debatte über das Kindergeld vom Zaun gebrochen wird. Kindergeld erhalten in Deutschland alle Arbeitnehmer*innen, die arbeiten und Steuern zahlen. Das soll auch so bleiben. Es gibt zwar Fälle von Missbrauch durch Einzelne, allerdings ist dies kein Grund, das komplette System infrage zu stellen. Ein eventueller Missbrauch der Kindergeldregelungen darf nicht dazu führen, dass alle Unionsbürger*innen in Mithaftung genommen werden, die einfach nur ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen – zumal das ja auch heißen würde, wenn es für Kinder im Ausland weniger Geld gäbe, dass das auch für das deutsche Kind gelten müsste, das zum Beispiel in Krakau studiert.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einen einfacheren Arbeitsplatzwechsel in andere EU-Länder
  • Freizügigkeit mit Schutz für Arbeitnehmer*innen in Europa

3 SICHERN UND STÄRKEN, WAS UNS AUSMACHT: FREIHEIT, DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE

Die Europäische Union hat Unglaubliches geleistet: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Kontinents leben wir in einem gemeinsamen Raum des Rechts und nicht nach dem „Recht des Stärkeren“. Die EU hat schon viele Schritte für mehr Gleichberechtigung, für den Schutz von Minderheiten und für die Stärkung ihrer Demokratie getan. Europas Werte basieren auf der Grundrechtecharta: Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Dieses Fundament muss all die Bewohner*innen der Europäischen Union tragen und verdient es, mit einem arbeitsfreien Feiertag gewürdigt zu werden, der in allen Mitgliedstaaten gemeinsam gefeiert wird. Doch in den letzten Jahren und Monaten haben nationale und nationalistische, reaktionäre, populistische und völkisch-rassistische Parteien die Grundprinzipien der europäischen Einigung angegriffen und ausgehöhlt. Wir stehen für die Stärkung der Demokratie und wünschen uns gerade in Zeiten des Erstarkens der extremen Rechten ein solidarisches Europa, das sich sozial erneuert und in dem Menschen sich frei begegnen können. Das heißt nicht, Mitgliedstaaten zu entmachten, sondern nationale Kompetenzen zu bündeln, um einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten. Diese Idee eines freiheitlichen, demokratischen Europas leben wir, und wir werden die Werte Europas verteidigen. Wenn nationale Regierungen Rechte von Andersdenkenden mit Füßen treten und die Unabhängigkeit von Justiz oder Presse infrage stellen, stärken wir gezielt die demokratischen Kräfte in den betroffenen Mitgliedstaaten. Wenn autoritäre Regierungen in Mitgliedstaaten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Korruption untergraben, soll die EU-Kommission den nationalen Regierungen die Kontrolle über die EU-Gelder entziehen können. Wenn Menschen im Netz angegriffen werden, zum Beispiel aufgrund ihres Aussehens, ihrer Behinderung oder sexuellen Identität oder weil sie angeblich nicht die richtige Herkunft oder Religion haben, dann wollen wir gesamtgesellschaftliche Antworten mit einem Fokus auf effiziente Rechtsdurchsetzung auch gegenüber internationalen Konzernen entwickeln. Eine anlasslose Massenüberwachung lehnen wir ab. Wenn Menschen sich aus Not in die Hände von Schleppern und Schmugglern begeben müssen, schaffen wir legale Flucht- und Migrationswege und ein Einwanderungsgesetz, damit das Sterben auf dem Mittelmeer beendet und Einwanderung ermöglicht wird. Aber es bleibt viel zu tun: Demokratische Strukturen und Beteiligungsrechte wollen wir stärken, Minderheiten noch effektiver schützen, Grundrechte ausbauen und Sicherheit gewährleisten.

3.1 GRUNDRECHTE IN DER EUROPÄISCHEN UNION SICHERN

Wir sind der Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, verpflichtet. Die Werte der Europäischen Union bilden das Fundament der EU. Wenn aber nationale Regierungen diese Rechte mit Füßen treten und immer autoritärer werden, die Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit einschränken, Minderheiten schikanieren, die Unabhängigkeit der Justiz oder die Freiheit der Künste aufheben, dann steht die EU häufig nur ratlos daneben. Wir müssen daher die demokratischen Kräfte in den betroffenen Mitgliedstaaten stärken. Entsprechend wollen wir die Möglichkeiten der EU erweitern. Dafür gibt es nicht die eine Antwort, sondern es braucht ein Paket an Maßnahmen. Wir schlagen daher folgende Punkte zur Stärkung von Demokratie und Freiheit in der Europäischen Union vor:

Die Europäische Grundrechtecharta verbindlich machen

Unser langfristiges Ziel ist es, dass alle EU-Bürger*innen die gleichen einklagbaren Grundrechte bekommen, um ihre Grundrechte und die Demokratie in allen Mitgliedsländern besser verteidigen zu können. Die bestehende Grundrechtecharta der EU beinhaltet grundlegende politische Freiheiten und demokratische Prinzipien, ebenso wie moderne Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel auf Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und guter Bildung. Derzeit gilt die Grundrechtecharta allerdings unmittelbar nur für europäische Gesetze und Organe. Für das Handeln nationaler Regierungen ohne Bezug auf das Europarecht gelten die Grundrechte des jeweiligen Landes und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Wir wollen eine Reform der Grundrechtecharta, sodass ihr Anwendungsbereich so ausgeweitet wird, dass alle Bürger*innen der EU die in der Charta enthaltenen Grundrechte im national vorgesehenen Instanzenweg auch gegenüber ihren jeweiligen Nationalstaaten einklagen können. Das würde sie massiv stärken und die Möglichkeiten verbessern, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen, gerade in den Ländern, in denen diese Prinzipien angegriffen werden. Die Grundrechtecharta muss dabei uneingeschränkt auch in der digitalen Sphäre durchgesetzt und hierfür gegebenenfalls weiterentwickelt werden.

Europaweiter Einsatz für Kinderrechte und Kinderschutz

Kinder haben eigenständige Rechte. Sie haben ein Recht auf Beteiligung und bedürfen unseres besonderen Schutzes und unserer Fürsorge, damit sie sich altersgerecht entwickeln und zu selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen können. Das Kindeswohl ist bei allen Angelegenheiten, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen. Kinderrechte müssen EU-weit gelten und Kinderschutz muss umfassend gestärkt werden. Deswegen setzen wir uns für eine konsequente Förderung der Kinderrechte und des Kinderschutzes im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention durch die Europäische Union ein. Die Europäische Union muss wirksam darauf hinarbeiten, dass ihre hohen Standards im Bereich Kinderrechte auch von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Einrichtungen der Jugendhilfe in den Mitgliedstaaten müssen gestärkt, Beratungsangebote ausgebaut und materielle Notlagen abgefedert werden. Besonderes Augenmerk muss auf dem Schutz der Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung liegen.

Unabhängige Prüfung von Demokratie und Menschenrechten in den EU-Mitgliedstaaten

Der Übergang von legitimen Maßnahmen zu Verletzungen demokratischer Prinzipien oder gar systematischen Menschenrechtsverletzungen ist nicht immer einfach festzustellen. Der EU fehlt es bislang sowohl an klaren Kriterien als auch an Strukturen dafür. Deswegen brauchen wir ein unabhängiges Gremium aus Verfassungsexpert*innen, das alle Mitgliedsländer regelmäßig auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze hin überprüft. Wir schlagen dafür eine „Kopenhagen-Kommission“ vor. Sie soll Kriterien für die Überprüfung auf Grundlage der in Artikel 2 des EU-Vertrages verankerten Prinzipien wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte entwickeln. Das Gremium soll durch die nationalen Parlamente sowie das Europaparlament besetzt werden. Die „Kopenhagen-Kommission“ soll weisungsunabhängig und kontinuierlich alle Mitgliedsländer überprüfen und einmal jährlich über jedes Land berichten. Sie soll eng mit der Grundrechteagentur zusammenarbeiten und diese als Ressource nutzen. Zusätzlich wollen wir auch das Mandat der Grundrechteagentur stärken und ihre finanziellen Mittel erhöhen. Die Ergebnisse der Kommission werden im Europaparlament, im Europäischen Rat und in den nationalen Parlamenten diskutiert. Bei akuten und gravierenden Verletzungen von demokratischen Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit durch einzelne nationale Gesetze erstellt die Kommission Ad-hoc-Berichte und schlägt der Europäischen Kommission Sanktionsmöglichkeiten wie Geldstrafen vor.

Fördermittel an die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundwerte binden

Derzeit hat die EU gegenüber Mitgliedsländern bei erheblichen Verletzungen von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien nur die Möglichkeit, ein Verfahren einzuleiten, das in letzter Instanz zu einem Stimmentzug dieses Mitgliedslandes führen kann. Wir fordern für die EU weitere Möglichkeiten, auf entsprechende Probleme zu reagieren. Dazu schlagen wir vor, bei der Vergabe von europäischen Fördermitteln anzusetzen, denn europäische Ausgaben müssen auch europäischen Werten folgen. Ein Entzug von Fördermitteln könnte jedoch die breite Bevölkerung treffen und nicht nur die Regierungen, die demokratische Prinzipien verletzt haben. Deshalb wollen wir, dass dem betreffenden Mitgliedsstaat nicht pauschal Mittel gestrichen, sondern dass sie zielgerichtet eingefroren und direkt verwaltet von der Kommission an die Kommunen und andere Fördermittelempfänger ausgegeben werden. So könnte das Geld weiterhin dort ankommen, wo es gebraucht und sinnvoll verwendet wird, aber die Vergabemacht läge nicht mehr bei den nationalen Regierungen.

Keine Fördermittel ohne Kooperation bei der Kontrolle

Korruption untergräbt Demokratie und Rechtsstaat. Um unter anderem Korruption bei der Vergabe von europäischen Mitteln besser auf die Schliche zu kommen, hat die Europäische Union endlich eine Europäische Staatsanwaltschaft eingerichtet. Allerdings wollen sich nicht alle Mitgliedstaaten vom Europäischen Staatsanwalt über die Schulter schauen lassen. Aber wir sagen: Wer Gelder von der EU haben möchte, muss auch Kontrollen über die rechtmäßige Verwendung zulassen und dafür mit der Europäischen Staatsanwaltschaft kooperieren. Wenn ein Mitgliedsland dies nicht tut, können dort nur Fördermittel an jene Akteure ausgezahlt werden, die eine Überprüfung durch die Europäische Staatsanwaltschaft zulassen.

Whistleblower*innen schützen

Menschen, die sich trauen, Korruption offenzulegen, müssen besser geschützt werden. Daher ist der Schutz von Hinweisgeber*innen (Whistleblower*innen) nicht nur im Bereich der EU-Finanzen nötig, sondern muss auch bei anderen illegalen Machenschaften gelten. Auf Druck der GRÜNEN-Fraktion im Europaparlament hat die Europäische Kommission einen Vorschlag gemacht, um europaweit Whistleblower*innen besser zu schützen, die im allgemeinen Interesse der Bevölkerung Missstände aufdecken und dazu zum Beispiel Betriebsgeheimnisse preisgeben müssen. Nun gilt es, daraus auch ein Gesetz zu machen, inklusive eines europäischen Zeugenschutzprogramms, um Whistleblower*innen vor Racheakten zu schützen. Auch um den Schutz von Hinweisgeber*innen zu gewährleisten, verteidigen wir das bestehende Recht auf die anonyme und pseudonyme Nutzung von Telemedien.

Unabhängigen Journalismus fördern

Unabhängige und demokratische Medien sind ein Garant für eine kritische Debatte und eine demokratische Gesellschaft. Kritische Journalist*innen leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. In den letzten Jahren mussten wir aber erleben, dass Journalist*innen immer stärkeren Gefahren ausgesetzt sind. Trauriger Höhepunkt ist die Ermordung der Bloggerin Daphne Caruana Galizia und des Investigativreporters Ján Kuciak in Malta bzw. der Slowakei. Die menschenfeindliche Hetze gegen Journalist*innen und Medien muss aufhören. Europa muss ein Garant für die Pressefreiheit und unabhängigen Journalismus bleiben. Für die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen sind Bürger*innen zudem auf eine vitale regionale Berichterstattung angewiesen. Hier ist in den vergangenen Jahren ein starker Verlust an Vielfalt und Qualität zu verzeichnen: Immer mehr lokale Medien, auch Blogs, können ihr Angebot nur noch schwer finanzieren. Wir wollen deshalb unabhängige Medien weiter fördern, zum Beispiel in der EU-Förderpolitik, durch Förderung des Wettbewerbs oder durch einen Fonds für investigativen Journalismus. Wir fordern die Einrichtung einer Europäischen Zentrale für politische Bildung. Wir wollen ARTE in die wichtigsten EU-Sprachen übersetzen.

Unterstützung von Zivilgesellschaften und Medienvielfalt in der EU

In vielen Ländern schränken Regierungen den Einfluss und Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Initiativen, von Künstler*innen und Journalist*innen systematisch ein. Doch Demokratie kann ohne eine aktive politische Zivilgesellschaft nicht funktionieren. Um den Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume („shrinking spaces“) entgegenzutreten, ist ein Fonds für Demokratie- und Menschenrechtsverteidiger*innen innerhalb der EU sinnvoll. Darüber hinaus streben wir die Einführung der Rechtsform eines „Europäischen eingetragenen Vereins“ an, um Nichtregierungsorganisationen europaweit der Willkür der Nationalregierungen zu entziehen und ihren Status europäisch zu schützen. So können jene, die sich hier für Demokratie einsetzen, unterstützt werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • die Anwendbarkeit der EU-Grundrechtecharta auf nationale Gesetze
  • die systematische Prüfung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in allen EU-Mitgliedstaaten
  • schärfere Maßnahmen gegen Korruption und bei Missachtung der europäischen Werte
  • ein europäisches Whistleblower*innen-Schutzgesetz
  • einen Fonds für Demokratie- und Menschenrechtsaktivist*innen in der EU

3.2 EUROPÄISCHE DEMOKRATIE STÄRKEN

Wir wollen die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union noch demokratischer machen, das Parlament stärken und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger*innen verbessern. So ist das Europäische Parlament direkt gewählt, jedoch dem Europäischen Rat und dem Ministerrat noch immer nicht in allen Politikfeldern gleichgestellt, zum Beispiel in der Steuerpolitik oder der Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Das muss sich dringend ändern: Das Europäische Parlament soll in allen Bereichen gleichberechtigt mit dem Rat entscheiden können und ein eigenes vollwertiges Initiativrecht für europäische Gesetzgebung erhalten. Die wachsende Bedeutung einer starken EU als Vertreterin der europäischen Bevölkerung in der Welt, als Gegengewicht gegen die Interessen multinationaler Unternehmen und als Streiterin für Frieden, Nachhaltigkeit und eine gerechte globale Entwicklung gerät mit der Nationalstaatsidee des 19. und 20. Jahrhunderts in ein immer größeres Spannungsverhältnis. Die EU soll kein zentralistischer Superstaat sein. Gleichzeitig müssen die demokratische Legitimation der EU und die Einflussmöglichkeiten der Bürger*innen mit dem Gewicht der Aufgaben der EU Schritt halten. Die europäische Zivilgesellschaft und die politischen Akteur*innen in EU und Mitgliedstaaten müssen in den nächsten Jahren entscheiden, wie sie auf dem Weg der politischen Integration vorankommen wollen. Wir wollen eine breite Diskussion über Unionsmodelle wie die Vereinigten Staaten von Europa, den föderativen Bundesstaat oder die Europäische Republik führen und in die Gesellschaft tragen. Als Teil dieser Frage ist auch zu klären, wie die Rolle der Regionen innerhalb der Europäischen Union gestärkt werden kann, also etwa, ob es ausreicht, das Subsidiaritätsprinzip auszuweiten, oder ob in mehr Autonomie und Souveränität der Regionen unter einem europäischen Dach auch Chancen liegen. Mittelfristig treten wir dafür ein, den Rat in eine zweite Kammer zu überführen. Wir wollen diskutieren, ob diese aus den Regierungen der Mitgliedstaaten oder den Regionen zusammengesetzt ist. Diese zweite Kammer bildet zusammen mit dem Europäischen Parlament die Legislative. Bei Gesetzgebungsverfahren sollen Fristen eingeführt werden, bis zu denen eine öffentliche Debatte im Rat stattgefunden haben muss. Dabei müssen alle EU-Regierungen ihre jeweils aktuelle Position zum Ratspräsidentschaftsvorschlag vorlegen. Wir wollen für alle verbleibenden Politikbereiche, in denen heute noch per Einstimmigkeitsprinzip entschieden wird, Mehrheitsentscheidungen einführen. Das betrifft hauptsächlich die Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik sowie die Steuerpolitik. Damit stärken wir Europas Handlungsfähigkeit und verhindern, dass einzelne Mitgliedsländer grundlegende Entscheidungen blockieren können. Damit Klimaschutz und die mit ihm eng zusammenhängende Energiepolitik vorankommen, einzelne Länder Fortschritte nicht blockieren können und Europa handlungsfähiger wird, setzen wir uns für das Prinzip von Mehrheitsentscheidungen in allen Bereichen der Energiepolitik im Europäischen Rat ein. Während das Europaparlament im Plenum und in den Ausschüssen öffentlich tagt, ist der Rat trotz Verbesserungen noch immer eine Art „Black Box“: Es ist kaum nachvollziehbar, welches Mitgliedsland sich dort wie positioniert. Hier wollen wir mehr Transparenz, sodass alle Mitgliedsländer offenlegen müssen, wofür sie in Brüssel eintreten. Mehr Transparenz braucht es ebenso bei den Interessenvertreter*innen, die in Brüssel aktiv sind. Zwar besitzen das Europäische Parlament und die EU-Kommission im Gegensatz zum Bundestag ein Lobbyregister, aber dieses ist noch nicht ausreichend verbindlich. Um höchste Transparenz zu schaffen, wollen wir verbindliche Lobbyregister für alle EU-Institutionen, striktere Karenzzeiten und einen „legislativen Fußabdruck“ durch den die Einflussnahme Dritter auf EU-Gesetzgebung überprüfbarer wird – kontrolliert durch eine unabhängige Institution auf EU-Ebene. Wir wollen die bestehende Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der EU zu einer umfassenden EU-Transparenzverordnung weiterentwickeln. Demokratie bedeutet: Bürger*innen entscheiden selbst, durch Wahlen und durch Abstimmungen. Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) gibt ihnen die Möglichkeit, durch 1 Million Unterschriften neue EU-Gesetze anzustoßen. Der Vertrag von Lissabon geht damit den ersten kleinen Schritt zu direkter Demokratie in Europa. Wir wollen dieses Instrument zur Teilhabe stärken, ausbauen und entbürokratisieren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen auch eine Reform der Verträge fordern können. Erfolgreiche Europäische Bürgerinitiativen sollen dann auch zu Gesetzesvorschlägen führen. Daher muss die Kommission spätestens ein Jahr nach einer erfolgreichen Bürgerinitiative und einer Überprüfung auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten in der EU einen Gesetzesvorschlag vorlegen. In jedem Fall wollen wir, dass das Parlament zu einer Plenumsabstimmung über das Ziel der Initiative verpflichtet ist. Eine Europäische Bürgerinitiative soll auch auf die Einberufung eines Bürger*innenforums gerichtet sein können, dessen Mitglieder nach dem Zufallsprinzip aus der gesamten EU-Bevölkerung ausgelost werden und die das vorgelegte Thema ausführlich beraten und konkrete Handlungsvorschläge in Form eines Bürger*innengutachtens machen. Die Minority SafePack Initiative ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative. Sie umfasst ein Paket von gesetzlichen Regelungen zum Schutz und zur Förderung von Minderheiten und Regionalsprachen und wird von uns ausdrücklich unterstützt. Wir setzen uns für das einheitliche Recht ein, ab spätestens 16 Jahren bei Europäischen Bürgerinitiativen und Wahlen zum EP mitzustimmen. Wir treten dafür ein, dass Unionsbürger*innen an ihrem ständigen Wohnsitz überall in der EU mitwählen dürfen, wenn sie seit fünf Jahren dort leben – und nicht nur für Kommunalparlamente und das Europäische Parlament, sondern auch bei regionalen und nationalen Wahlen. Als nächsten Schritt wollen wir das kommunale Wahlrecht auch Menschen ohne deutschen Pass oder Unionsbürger*innenschaft eröffnen. Für die Europawahlen unterstützen wir weiterhin das Prinzip der europäischen Spitzenkandidat*innen und transnationalen Listen. Sobald die Möglichkeit einer transnationalen Liste besteht, sollten die Spitzenkandidat*innen eine europäische Parteiliste anführen. Zugleich halten wir an der Position fest, dass Präsident*in der Europäischen Kommission nur werden kann, wer zuvor als Spitzenkandidat*in angetreten war. Wir wollen, dass das Kollegium der EU-Kommissar*innen mindestens zu 50 Prozent mit Frauen besetzt ist. Zur anstehenden Wahl im Mai ist eine Änderung des Wahlrechts aufgrund der Kürze der Zeit ausgeschlossen. Für die Zukunft wollen wir ein europäisches Wahlrecht mit transnationalen Listen, demokratischen Mindeststandards für Listenaufstellungen, Mindestquotierungen sowie Transparenzregeln für die Parteienfinanzierung. Wir wollen die Kontrollrechte des Europaparlaments stärken. Dazu braucht es das Recht, Zeugen und Gesprächspartner vorzuladen, damit willkürliche Absagen zu Parlamentsanhörungen aufhören. Außerdem muss das Plenum des Europaparlaments über die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses abstimmen, wenn 25 Prozent der Mitglieder es verlangen. Zur Änderung der Verträge unterstützen wir die Einberufung eines Europäischen Konvents oder einer gewählten verfassungsgebenden Versammlung. Über ihre Vorschläge sollten dann die EU-Bürger*innen durch ein EU-weites Referendum zusammen mit den Mitgliedstaaten, diese möglichst mit einer qualifizierten Mehrheit, endgültig entscheiden können. An der Umfrage der EU-Kommission zur Zeitumstellung haben 4,6 Millionen Menschen teilgenommen und ein klares Votum für ein Ende der Zeitumstellung abgegeben. Dies begrüßen wir und werden uns weiterhin für das Ende der Zeitumstellung einsetzen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine Stärkung des Europäischen Parlaments
  • mehr Transparenz und Abstimmung nach Mehrheitsprinzip im Europäischen Rat
  • ein verbindliches Lobbyregister
  • mehr direkte Demokratie durch die Aufwertung der Europäischen Bürgerinitiative

3.3 EINWANDERUNG GESTALTEN, FLÜCHTLINGE SCHÜTZEN, FLUCHTURSACHEN ANPACKEN

Migration ist so alt wie die Menschheit. Sie ist Herausforderung, Antrieb für Entwicklung, Chance und bereichert Kulturen überall auf der Welt. Europa war und ist ein Kontinent der Migration. Menschen sind seit Jahrhunderten innerhalb Europas von einem in ein anderes Land gezogen, haben den Kontinent verlassen oder haben ihn neu bereichert. Der Abbau der Grenzen innerhalb Europas und das Rechts auf Freizügigkeit war und ist eine der größten Errungenschaften, denn der Wohlstand der Europäischen Union beruht nicht nur auf der Freiheit von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Essenziell für das Zusammenwachsen Europas war stets die Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen. Möglich wurde dies, weil Europa früh Beschränkungen und bürokratische Hindernisse abgebaut hat, um die Migration auf dem Arbeitsmarkt zu begünstigen, unter anderem dadurch, dass Familienmitglieder von Arbeitnehmer*innen selbstverständlich die gleichen Rechte wie Inländer*innen erhalten. Doch seit dem Erstarken von Rechtspopulist*innen und -extremist*innen in Europa haben wir erleben müssen, dass diese Errungenschaften keine Selbstverständlichkeiten sind. Für die Zukunft Europas ist es existenziell, ob Menschenrechte und demokratische Prinzipien, wie es in Artikel 2 des Vertrags der Europäischen Union heißt, auch künftig das Fundament unserer Gemeinschaft bilden. Besonders vor dem Hintergrund unserer Geschichte stehen wir für die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte und das Recht auf Asyl für Schutzbedürftige. Sie zu erhalten und gegen eine Rückkehr ins Nationale zu verteidigen, ist eine unserer zentralen Aufgaben. Zu einer humanitären und geordneten Migrations- und Asylpolitik müssen alle EU-Staaten beitragen. Zugleich darf die Freiheit innerhalb Europas nicht zu einem Bollwerk nach außen werden. Bis heute haben die EU-Mitgliedstaaten keine überzeugende gemeinsame und humanitäre Antwort auf Migration und Flucht gegeben. Tagtäglich sterben Menschen auf dem Weg nach Europa. Das Dublin-System, wonach Asylsuchende in dem Land Asyl beantragen müssen, das sie zuerst betreten haben, ist ungerecht, wirkungslos und gescheitert. Damit wird die Verantwortung aber weiter einseitig auf die Länder an den südlichen und östlichen Außengrenzen der EU abgewälzt, statt eine faire Verteilung der Geflüchteten in Europa zu organisieren. Oftmals werden dadurch Menschen, die lange hier leben und gut integriert sind, abgeschoben. Das steht einer gerechten Asylpolitik im Wege und soll daher vermieden werden. Menschenrechte sind unteilbar und dürfen nicht zur Disposition gestellt werden. Wir benötigen ein faires Verteilungssystem mehr denn je. Wir treten für eine Europäische Union ein, die ihre humanitäre Verantwortung, das Grundrecht auf Asyl und den ungehinderten Zugang für Schutzsuchende und die Notwendigkeit, Verfahren nach völkerrechtlichen Standards fair, zügig und geordnet durchzuführen, zusammenbringt. Ein Europa, das Menschen, die vor Krieg, Hunger, Verfolgung und Gewalt fliehen müssen, Schutz gewährt, anstatt sich mithilfe von Autokratien und Militärdiktaturen abzuschotten. Ein Europa, das legale Fluchtwege und Einwanderungsmöglichkeiten bietet. Ein Europa, das Asylsuchenden ein faires Verfahren und eine menschenwürdige Unterbringung garantiert und seine Grenzen kontrolliert. Ein Europa, das Fluchtursachen und nicht Flüchtlinge bekämpft. Ein Europa, das das Sterben im Mittelmeer beendet. Das Recht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Auf dieser Grundlage setzen wir uns für einen gemeinsamen Aufbruch einer humanitären Koalition von Mitgliedstaaten und Kommunen ein, die zusammen die Ärmel hochkrempeln und sich solidarisch an der Aufnahme von Geflüchteten beteiligen wollen.

Gemeinsames europäisches Einwanderungsrecht für legale (Arbeits-)Migration

Bis heute sind Europäer*innen diejenigen, die am wenigsten Hürden erleben, wenn sie auswandern wollen. Aber in die EU einzuwandern, ist für viele Menschen quasi unmöglich. Da bislang nur ein europäisches System der Arbeitsmigration für Hochqualifizierte besteht, gehen jedoch auch potenzielle Migrant*innen den Weg über das Asylsystem und scheitern. Arbeitsmigration ist jedoch nicht nur eine Realität, sondern in Zeiten des Fachkräftemangels und demografischen Wandels auch eine Notwendigkeit für Staaten wie Deutschland. Mit dem UN-Migrationspakt (Global Compact for Migration) haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ein sehr umfassendes Rahmenwerk für sichere und geordnete Migration erarbeitet. Auf dieser Grundlage soll ein europäisches Einwanderungsrecht mit gemeinsamen Rahmenregelungen dabei helfen, gleiche Standards in Europa für die sichere und legale Einwanderung von Menschen mit verschiedenen Qualifikationsniveaus und deren Familien zu etablieren. Denn auch die internationale und europäische Arbeitsmigration muss im Einklang mit den Menschenrechten stehen. Bei der Ausgestaltung der Regelungen geht es uns darum, die vielfältigen Chancen der Migration für Migrant*innen, Ursprungs- und Empfängerländer zu nutzen.

Legale Fluchtwege schaffen

Wer verhindern will, dass sich Schlepper an der Not von Geflüchteten bereichern, die angesichts von Verfolgung, Krieg und Gewalt ihr Leben bei der Flucht übers Mittelmeer aufs Spiel setzen, muss sichere und legale Fluchtalternativen schaffen. Wir wollen, dass Menschen nicht länger lebensgefährliche Fluchtwege über Kriegsgebiete, Wüsten und Meere nach Europa auf sich nehmen müssen. Kooperationen der EU und deren Mitgliedstaaten mit Drittstaaten müssen stets nach der Maßgabe erfolgen, dass Menschen- und Grundrechte sowie europäische Standards eingehalten werden. Daher dürfen die katastrophalen humanitären Zustände in Libyen und anderen Staaten nicht länger ignoriert werden. Die Kooperation mit der libyschen Küstenwache muss ein Ende haben. Die EU-Mitgliedstaaten können Geflüchteten Schutz und eine verlässliche Perspektive sowie Planbarkeit für die aufnehmenden Länder bieten. Und es ist allein eine Frage des politischen Willens, die Länder an den EU-Außengrenzen endlich zu entlasten. Dazu wollen wir – neben der Familienzusammenführung und humanitären Visa – großzügige und verlässliche Aufnahmekontingente über das Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ermöglichen. Die EU-Länder müssen ihren Anteil an dem jährlichen, vom UNHCR ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend ihrer Wirtschaftskraft erfüllen. Das individuelle Asylrecht wird dadurch nicht angetastet. Zugleich nehmen wir unsere humanitäre Verantwortung gegenüber besonders schutzbedürftigen Geflüchteten wahr – beispielsweise aus UN-Flüchtlingslagern in Jordanien, dem Libanon oder der Türkei.

Ausbeutung von Migrant*innen und Geflüchteten verhindern

Zahlreiche Migrant*innen und Geflüchtete werden in der europäischen Landwirtschaft, der Gastronomie und dem Baugewerbe ausgebeutet. Große Supermarktketten – gerade auch aus Deutschland – verkaufen Obst und Gemüse, das unter ausbeuterischen Bedingungen in Europa angebaut wird. Arbeitsschutzbedingungen werden systematisch verletzt und Löhne weit unterhalb der gesetzlichen Bestimmungen gezahlt. Diese Form der modernen Sklaverei gehört beendet. Die EU-Richtlinie zu Sanktionen gegen Arbeitgeber*innen muss konsequent angewendet und gegebenenfalls verschärft werden. Wir wollen Beschwerdestellen einrichten, an die sich Whistleblower*innen und Opfer von Ausbeutung, auch anonym, wenden können. Auch für Geflüchtete gelten im digitalen Zeitalter Datenschutz, das Recht auf die Integrität informationstechnischer Systeme sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Kinder vor Gewalt schützen

Millionen Kinder fliehen allein oder mit ihren Eltern vor Kriegen, Gewalt, Hunger oder politischer Verfolgung. Das Fehlen einer solidarischen Verteilungspolitik in Europa, aber auch die Beschränkungen beim Familiennachzug führen dazu, dass Kinder sich allein auf den Weg machen und dabei kriminellen Strukturen schutzlos ausgesetzt sind. Die Mitgliedstaaten und die EU müssen dem Kindeswohl oberste Priorität einräumen. Kinder müssen angemessen untergebracht und versorgt werden. Inhaftierungen oder ein Leben in Lagern sind auch in Ausnahmefällen nicht zu tolerieren. Für die Kinder und Jugendlichen in den Hotspots an den europäischen Außengrenzen braucht es ein sofortiges europäisches Umverteilungsprogramm.

Seenotrettung gegen das Sterben im Mittelmeer

Das tausendfache Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Es ist eine unerträgliche Schande, dass Tausende Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken. Sogar in der EU wird Rettungsbooten der seerechtlich garantierte sichere Hafen verweigert. Zivilgesellschaftliche Seenotrettungs- und Flüchtlingsorganisationen, die dort einspringen, wo die europäischen Staaten versagen oder ihre Schutzpflicht sogar wissentlich verweigern, dürfen nicht kriminalisiert werden. Wer Flüchtlinge aus Seenot rettet, muss die Gewissheit haben, dafür nicht bestraft zu werden, denn er handelt im Einklang mit See- und Völkerrecht. Die Seenotretter*innen haben unsere volle Solidarität und Unterstützung. Das entlässt die EU und die Mitgliedstaaten nicht aus ihrer humanitären Pflicht, endlich ein europäisch organisiertes und finanziertes ziviles Seenotrettungssystem aufzubauen. Wir stellen uns an die Seite der vielen NGOs und Ehrenamtlichen in Europa, die jeden Tag Menschenleben retten und auch an Land in den Hotspots und anderen Aufnahmeeinrichtungen dafür sorgen, dass Geflüchtete versorgt, beraten und begleitet werden. Die Kriminalisierung von Zivilcourage und humanitärem Engagement muss beendet werden.

Grenzkontrollen und Erstunterbringung human organisieren, EU-Asylbehörde ausbauen

Voraussetzung für einen solidarischen Verteilmechanismus und für die Freiheit im Inneren ist, dass wir wissen, wer zu uns in die EU kommt. Das dient auch dem sicheren Zugang zu einer guten Erstversorgung sowie zu einem fairen, nach völkerrechtlichen Standards ausgerichteten Asylverfahren in Europa. Denn zentraler Bestandteil einer menschenrechtlichen, humanen und geordneten Flucht- und Migrationspolitik ist, dass Asylsuchende an den Außengrenzen Europas zuverlässig registriert und erstversorgt sowie ihre Daten abgeglichen werden. Selbstverständlich muss die EU ihre Außengrenzen kontrollieren und gemeinschaftlich vor Terrorismus, Menschen- und Drogenhandel schützen. Die Vermengung dieser wichtigen grenzpolizeilichen Aufgaben mit der europäischen Asylpolitik und Flüchtlingsaufnahme ist jedoch zutiefst unseriös und politisch fahrlässig. Die europäische Flüchtlingspolitik lässt sich nicht über Grenzkontrollen lösen oder gestalten. Grenzschutz darf nicht bedeuten, dass niemand mehr reinkommt. Wir wollen ein europäisches Grenzkontrollregime, das auf dem gemeinsamen Schutz der Menschenrechte basiert und das Vertrauen in das Schengen-System stärkt, und keine einseitige Aufrüstung von Frontex. Parallel dazu muss die EU-Asylbehörde in ihren Befugnissen so erweitert werden, dass sie gemeinsam mit den Mitgliedstaaten für eine schnelle Registrierung, eine humane Erstunterbringung mit medizinischer Versorgung und die anschließende schnelle und faire Verteilung sorgt. Sie muss die gemeinsamen europäischen Asylregeln gegenüber allen Mitgliedstaaten durchsetzen. Essenziell dafür ist eine wirklich umfassende finanzielle, infrastrukturelle und personelle Ausstattung dieser europäischen Erstaufnahmeeinrichtungen, damit nach einer umfassenden Erstversorgung und Registrierung die Menschen in die anderen EU-Staaten verteilt werden können. Dabei muss stets die Einhaltung menschenrechtlicher Standards kontrolliert werden. Geflüchtete Frauen, Kinder, LSBTIQ* und Menschen mit Behinderung müssen umfassend vor Gewalt geschützt und ihre spezifischen Belange berücksichtigt werden. Die Aufnahme an den Außengrenzen darf für Geflüchtete nicht zur Sackgasse in Massenlagern werden. Zustände wie zum Beispiel in dem Hotspot auf Lesbos sind mit den Werten Europas nicht vereinbar und müssen dringend beendet werden, indem Menschen aus diesen Lagern in EU-Staaten aufgenommen werden. Abgesperrte Massenlager in der EU, Transitzonen und europäische Außenlager in Drittstaaten lehnen wir ebenso ab wie Abschottungsabkommen, mit denen Menschen in Drittstaaten zurückgeschickt werden. Sie treten die Menschenrechte und internationales Recht mit Füßen, schaffen zusätzliches Leid und stärken autokratische Regime. Die finanzielle Unterstützung von repressiven Regimen entlang der Fluchtrouten lehnen wir entschieden ab. Die EU muss den UNHCR besser und kontinuierlich dabei unterstützen, eine menschenwürdige Situation in ihren Lagern herzustellen. Die Einstufung von Staaten als sichere Dritt- oder Herkunftsländern ist aus unserer Sicht das falsche Instrument. Es beschleunigt zudem keine Verfahren. Wir halten das Prinzip für falsch. Um Verfahren zu beschleunigen, braucht es Personal und Priorisierungen. Rückführungen scheitern an fehlenden Rückführungsabkommen. Dem Umbau des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu einem Programm zum Abbau von Flüchtlingsrechten treten wir entschieden entgegen.

Ein einheitliches europäisches Asylsystem mit einem solidarischen Verteilmechanismus voranbringen

Zu einer humanitären und geordneten Migrationspolitik sollten alle EU-Staaten beitragen. Das Dublin-System schiebt derzeit die Verantwortung einseitig auf Spanien, Italien, Malta und Griechenland ab und hat ein gemeinsames Vorgehen in Europa unmöglich gemacht. Eine Reform dieses Systems und ein fairer und solidarischer Verteilungsmechanismus sind deshalb überfällig und wurden vom Europäischen Parlament längst beschlossen. Die Minister*innen der Mitgliedstaaten im Rat der EU müssen für diese Beschlüsse nun endlich den Weg frei machen und ebenfalls zustimmen. Gleichzeitig gilt aber auch: Wenn sich nicht alle EU-Staaten auf ein einheitliches Vorgehen bei der Asyl- und Migrationspolitik einigen können, müssen die Länder, die die Notwendigkeit eines menschenrechtskonformen und abgestimmten Systems erkannt haben, vorangehen. Für Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen möchten, fordern wir Direkthilfen der EU. Viele europäische Kommunen haben als Reaktion auf die Schließung von Häfen für aus Seenot Gerettete Solidarität gezeigt und die Aufnahme der Menschen angeboten. Wir wollen, dass die EU diese Solidarität unterstützt und Projekte im Rahmen der „Solidarity Cities“ finanziell verstärkt fördert. Auch wenn längst nicht mehr so viele Menschen zu uns kommen wie zuvor, sind viele regionale und kommunale Behörden mit einer Fülle von konkreten Herausforderungen konfrontiert: Unterbringung, soziale Integration, medizinische Versorgung und Bildung. Dies spiegelt sich bisher nicht angemessen in den Fördermöglichkeiten, die die EU im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) zur Verfügung stellt, wider. Die EU sollte daher Kommunen und Regionen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten direkt mit einem kommunalen Integrationsfonds unterstützen. Wir wollen die Kommunen finanziell und rechtlich in die Lage versetzen und sie ermuntern, sich an Resettlement- und europäischen Umverteilungsprogrammen zu beteiligen und Flüchtlinge auch in eigener Verantwortung aufzunehmen. Grundlage dafür müssen gemeinsame europäische Asylstandards sein, die nicht unter dem Existenzminimum in den jeweiligen EU-Ländern liegen dürfen. Die Regelungen der Aufnahmerichtlinie zur medizinischen Versorgung schutzbedürftiger Gruppen müssen konsequent umgesetzt werden. Das umfasst die Gewährleistung und den Zugang zur erforderlichen medizinischen Versorgung vor Ort.

Freiwillige Ausreise stärken – Spurwechsel ermöglichen

Jeder Mensch auf der Flucht hat den Anspruch auf ein faires Asylverfahren, auch wenn dieses nicht für alle zu einer Aufenthaltserlaubnis führt. Nicht alle, die kommen, können bleiben. Diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt werden und bei denen keine anderen Gründe gegen eine Rückkehr sprechen, müssen zurückgeführt werden. Aber Abschiebungen sind immer mit menschlichen Härten verbunden und in der Regel nicht freiwillig. Dies im Verfahren zu berücksichtigen und menschliche Härten bei Rückführungen so weit wie möglich zu vermeiden, ist oberste Aufgabe einer verantwortlichen Asylpolitik. Freiwillige Rückkehr hat dabei immer Vorrang. Daneben setzen wir europaweit auf ergebnisoffene und unabhängige Rückkehrberatung. Auch eine angemessene Unterstützung für die Zeit nach der Rückkehr ist dabei wesentlich. Es muss außerdem sichergestellt sein, dass für diejenigen, die abgeschoben werden sollen, kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben und Freiheit drohen. Der Abschluss von Rückführungsabkommen muss künftig menschenrechtsbasierten Grundsätzen folgen und darf nicht mehr nur den innenpolitischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten dienen. Der einseitige Fokus auf Grenzpolitik und das Knüpfen von Entwicklungshilfe an Bedingungen sind der falsche Weg und führen nicht dazu, dass die Ursachen von Flucht behoben werden. Abkommen mit Staaten, die eine fragwürdige Menschenrechtsbilanz aufweisen, sollten vor allem dem Interesse dienen, Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und Zivilgesellschaft vor Ort zu stärken. Beim Abschluss von Rückführungsabkommen wollen wir denjenigen Ländern im Gegenzug Unterstützung anbieten, die ihre Staatsbürger*innen schnell und unbürokratisch wieder aufnehmen und ihnen Perspektiven sowie ein Leben in Sicherheit garantieren. Dieser Weg ist erfolgreicher, als darauf zu bestehen, dass diese Länder zusätzlich zu ihren eigenen Staatsbürger*innen auch sogenannte Drittstaatler*innen zurücknehmen, also Menschen, die auf ihrem Weg das Land lediglich durchquert haben. Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan lehnen wir ab. Menschen, die bereits in Europa sind und die in Beschäftigung stehen, sollen im Rahmen eines sogenannten Spurwechsels ins europäische Einwanderungssystem wechseln und hier bleiben können.

Fluchtursachen anpacken – globale Gerechtigkeit verwirklichen

Wir stehen für eine Politik, die globale Gerechtigkeit zum Ziel hat. Diese Überzeugung leitet uns bei unseren politischen Entscheidungen. Deshalb ist die beste Flüchtlingspolitik für uns diejenige, die vorausschauend dazu beiträgt, dass weniger Menschen auf der Welt gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Wir in Europa wollen dazu mehr beitragen, auch wenn viele Ursachen der Flucht nicht in unseren Händen liegen. Denn oft stehen zum Beispiel korrupte und rücksichtslose Eliten einer nachhaltigen Entwicklung in den Herkunftsländern im Weg. Und viele Menschen fliehen, weil ihnen grundlegende Freiheitsrechte fehlen. Doch es gibt auch Ursachen für Flucht, an denen wir in Europa sehr wohl beteiligt sind. Sie haben mit der Art, wie wir konsumieren, wirtschaften und handeln, zu tun. Deshalb darf europäische Wirtschafts-, Finanz-, Handels-, Agrar- oder Rüstungsexportpolitik nicht nur an ihrem Nutzen für unsere Gesellschaften gemessen werden und auch nicht länger Nachhaltigkeitsziele wie Frieden, Menschenrechte und globale Gerechtigkeit konterkarieren. Wir stehen für eine Handelspolitik, die fair, ökologisch und gerecht gestaltet ist und Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Wir wollen die Entwicklung der Wirtschaft in den Partnerländern fördern, anstatt sie auszubeuten, und wollen wirkungsvoll gegen den Landraub internationaler Konzerne vorgehen. Wir unterstützen die globale Energiewende sowie die ärmsten Staaten beim Klimaschutz und bei der Anpassung an Klimaveränderungen. Wir treten für eine ökologische Agrarwende und ökologisch gerechte Fischereiverträge ein. Außerdem gehören europäische Billigexporte in Entwicklungs- und Schwellenländer gestoppt, genauso wie Rüstungs- und Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete und die Ausfuhr europäischer Überwachungstechnologie an Diktaturen. Das internationale Versprechen, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten für Entwicklungszusammenarbeit zu verwenden, wollen wir zuverlässig einhalten. Dauerhafter Frieden, Freiheit vor Verfolgung und nachhaltige Entwicklung in den Ländern des globalen Südens beginnen so auch bei uns.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein europäisches Einwanderungsrecht, das legale Migration ermöglicht
  • die Stärkung der Rechte und Interessen der (Arbeits-) Migrant*innen und ihren Schutz vor Ausbeutung
  • einen europäischen Integrationsfonds, der Kommunen und Regionen unterstützt
  • ein einheitliches europäisches Asylsystem mit einem fairen und solidarischen Verteilungsmechanismus
  • ein europäisch organisiertes und finanziertes ziviles Seenotrettungssystem

3.4 EIN EUROPA DER GLEICHBERECHTIGUNG SCHAFFEN

Wir wollen, dass Frauen gleichberechtigt und selbstbestimmt alle gesellschaftlichen Bereiche gestalten können. Die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Selbstbestimmung sind lange Zeit durch Vorgaben aus Europa gestärkt und befördert worden. Dennoch ist noch einiges zu tun, um Europa zu einem Kontinent der wirklichen Gleichberechtigung zu machen. Doch aktuell werden diese Errungenschaften massiv infrage gestellt. In Polen will die rechtskonservative Regierung das sehr restriktive Abtreibungsrecht noch weiter verschärfen. In Ungarn soll nach dem Willen der Orbán-Regierung die Geschlechterforschung an Universitäten verboten werden. Und in ganz Europa vernetzen sich antiemanzipatorische Gruppierungen, um Kampagnen gegen legale Schwangerschaftsabbrüche, Sexualaufklärung und Gleichberechtigung zu starten.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

Immer noch haben Frauen durchschnittlich weniger Geld und damit weniger Macht als Männer. Sie werden für gleichwertige Tätigkeiten schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Viele Frauen arbeiten in Berufen, die finanziell viel zu gering entlohnt werden, etwa in der Pflege oder der Kinderbetreuung. Im MINT-Bereich dagegen sind sie stark unterrepräsentiert. In Deutschland klaffen die Löhne weiter auseinander als in allen anderen europäischen Staaten. Dadurch besteht die Gefahr, dass Frauen langfristig die mühsam errungenen Verbesserungen in der Gleichstellung verlieren. Um das zu ändern, fordern wir eine europaweite Richtlinie, die Kriterien für die Vergleichbarkeit von Tätigkeiten festlegt und Transparenz über Löhne und Gehälter für alle schafft. Für Betroffene von Diskriminierung fordern wir die Möglichkeit, mit der Unterstützung von Verbänden und Gewerkschaften klagen zu können. So wären die Frauen nicht mehr auf sich allein gestellt, wenn sie vor Gericht ziehen müssen. Wir fordern die Hälfte der Macht für Frauen – das gilt auch für die großen europäischen Firmen. Deshalb treten wir für eine Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen ein, die den Frauenanteil in Macht- und Führungspositionen so lange erhöht, bis die Parität erreicht ist. Wir wollen gleichzeitig auch dafür sorgen, dass die Führungsgremien der EU-Institutionen verpflichtend paritätisch besetzt werden. Mit einer starken Vereinbarkeitsrichtlinie kann Europa Familien unterstützen. Für uns GRÜNE ist sie ein wichtiges Instrument der Arbeitszeitpolitik, um Familien zu entlasten und einen ausgewogenen Mix aus Erwerbs- und Familienarbeit sowie Freizeit und ehrenamtlichem Engagement zu ermöglichen.

Für sexuelle Selbstbestimmung, Schutz vor Gewalt und Ausbeutung

Wir kämpfen in ganz Europa für die Selbstbestimmung der Frauen über ihren eigenen Körper und ihre Sexualität. Solidarisch stehen wir an der Seite all derjenigen, die – wie in Polen – gegen rechtskonservative Kräfte kämpfen, die legale Schwangerschaftsabbrüche massiv einschränken oder gar abschaffen wollen. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, selbstbestimmte Familienplanung und Zugang zu sicherer Verhütung muss für alle sichergestellt sein und darf insbesondere nicht von den finanziellen Möglichkeiten abhängig sein. Deshalb wollen wir den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln stärken. Erstmals gibt es für den europäischen Raum ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: die Istanbul-Konvention. Das ist eine große Errungenschaft, mit der überall in Europa der Schutz vor Gewalt verbessert werden kann. Nachdem auch die EU die Konvention ratifiziert hat, setzen wir uns nun dafür ein, dass diese wichtige Vereinbarung konsequent in den EU-Staaten umgesetzt und eingehalten wird. Dafür fordern wir eine Richtlinie gegen Gewalt an Frauen, die konkrete Ziele vorgibt, damit Frauen und Mädchen – unter anderem auch in den EU-Ländern, die die Konvention noch nicht ratifiziert haben – besser geschützt werden und Verletzungen sanktioniert und vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden können. Die EU sollte bestehende Förderprogramme für Hilfs- und Beratungsangebote aufstocken, damit etwa Hilfsstrukturen ausreichend finanziert sind. Der Einsatz gegen Gewalt an Frauen umfasst für uns auch den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, sowohl inner- als auch außerhalb Europas. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Ausbeutung von Arbeitskraft muss in Europa konsequent und wirkungsvoll bekämpft werden: mithilfe des Strafrechts, durch Information und Beratung, durch die konsequente Durchsetzung der Arbeits- und Sozialrechte der Betroffenen sowie durch Schutz und Hilfe für die Opfer. Diese dürfen nicht einfach in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, sondern brauchen Schutzprogramme und ein dauerhaftes Bleiberecht. Nur so können wir die Anzeige- und Aussagebereitschaft deutlich erhöhen und damit Menschenhandel effektiv bekämpfen.

Gleichberechtigungs-Check in Politik und Haushalt

In einem Europa der Gleichberechtigung sollen Frauen und Männer zu gleichen Teilen von politischem Handeln erreicht werden. Deswegen wollen wir Gender Mainstreaming konsequent umsetzen. Das bedeutet, alle politischen Maßnahmen werden auf ihre Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter überprüft. Außerdem müssen Frauen gleichermaßen von europäischen Geldern profitieren. Damit das sichergestellt wird, braucht es einen „Gleichberechtigungs-Check“ des jährlichen EU-Haushalts, also ein Gender-Budgeting. Um gleichberechtigte Lebensverhältnisse erreichen zu können, bedarf es einer verlässlichen wissenschaftlichen Grundlage zu Antidiskriminierungspolitik und geschlechtsspezifischen Aspekten in allen Politikfeldern. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen muss dafür besser finanziert werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit
  • Schutz vor sexualisierter Gewalt für alle Frauen und Kinder
  • sexuelle Selbstbestimmung von Frauen

3.5 RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANS*, INTER* UND QUEER* MENSCHEN (LSBTIQ*) STÄRKEN

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat in vielen Ländern die Lebenssituation von LSBTIQ* erheblich verbessert. Die EU hat starke Impulse gesetzt für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Auch in Deutschland wäre es ohne die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU nicht gelungen, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen. Die EU-Grundrechtecharta enthält ein Verbot der Diskriminierung wegen der „sexuellen Ausrichtung“.

Wir treten für ein Europa ein, in dem jeder Mensch frei leben kann – unabhängig von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Das von der EU formulierte Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen, muss für alle Menschen und Gruppen Wirklichkeit werden. Nach jahrzehntelangem Kampf für die „Ehe für alle“ dürfen in Deutschland und ungefähr der Hälfte der anderen EU-Länder nun endlich gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Weitere Mitgliedstaaten bieten die Möglichkeit einer eingetragenen Partnerschaft. Nur in sechs Mitgliedstaaten ist noch keinerlei rechtliche Absicherung vorgesehen. Obwohl vielerorts Gleichberechtigung auf dem Papier besteht, werden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität immer noch abgewertet oder benachteiligt. Rechtsnationale Kräfte versuchen, in ihrem Kampf gegen eine demokratische und freie Gesellschaft autoritäre und patriarchale Wertvorstellungen wieder zum Gesellschaftsideal zu machen. Der Schutz von Minderheiten gehört jedoch zu den Grundwerten der Europäischen Union. Wir stehen in ganz Europa an der Seite der LSBTIQ* und stellen uns den Angriffen gegen ihre Gleichberechtigung entgegen. Wir engagieren uns im Zuge der gemeinsamen Außenpolitik der EU sowie in der Entwicklungszusammenarbeit für ihre Rechte und wollen ihnen bei Verfolgung in der EU Schutz und Asyl bieten. Wir wollen, dass die EU in ihrer Außen-, Handels- und Menschenrechtspolitik als Garantin der Grundrechte und Grundfreiheiten auftritt. Die EU-Förderung von gemeinsamen Projekten in Grenzregionen muss die Themen Vielfalt und Antidiskriminierung mit einschließen. Auch gegenüber ihren Dialogpartner*innen in aller Welt muss die EU immer betonen: Die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität ist eine schwere Verletzung der universellen Menschenrechte. In einigen EU-Mitgliedstaaten gelten sogenannte „AntiPropaganda“-Gesetze, die Diskriminierung und Hass gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer* Menschen befördern, indem etwa im Schulunterricht nicht mehr über Sexualität und Homosexualität gesprochen werden darf. In Ungarn gibt es staatlich orchestrierte Angriffe auf Wissenschaftler*innen, die sich mit Diskriminierung aufgrund von sexueller und geschlechtlicher Identität befassen. Wir packen die bestehenden Probleme an und stocken die Mittel für Aufklärungsarbeit und das „Programm für die Förderung von Vielfalt“ auf. Wir fordern eine europaweite Anerkennung eingetragener Partnerschaften und gleichgeschlechtlicher Ehen und Regenbogenfamilien und die damit verbundene Anerkennung ihrer Rechte als ersten Schritt auf dem Weg zur Öffnung der Ehe in ganz Europa. Der Europäische Gerichtshof hat im Frühjahr 2018 geurteilt, dass ein in einem Mitgliedsland anerkanntes eingetragenes Paar auch in einem anderen als solches anerkannt werden muss. Jetzt gilt es, diese Rechtsprechung auch in allen Mitgliedsländern durchzusetzen. Innerhalb der EU gibt es aber auch Positivbeispiele, von denen wir lernen können. In Ländern wie Irland, Malta und Dänemark können Trans* Personen eine Anpassung der Geschlechtszugehörigkeit vornehmen, ohne sich einem entwürdigenden Gutachten zu unterziehen. Wir wollen, dass in allen EU-Staaten Vornamen- und Personenstandsänderungen durch einen unkomplizierten Verwaltungsakt ermöglicht werden. Eine Geschlechtszugehörigkeit kann schließlich nur von den betreffenden Menschen selbst festgelegt werden.

### Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • mehr Geld für das „Programm für die Förderung von Vielfalt“
  • die europaweite Anerkennung eingetragener Partnerschaften, gleichgeschlechtlicher Ehen und Regenbogenfamilien
  • eine einfache Änderung des Personenstandes bei Anpassung der Geschlechtszugehörigkeit
  • den Wegfall von entwürdigenden Gutachten bei der Geschlechtsanpassung

3.6 GEGEN DISKRIMINIERUNG UND AUSGRENZUNG – MENSCHENFEINDLICHKEIT BEKÄMPFEN

Europa zeichnet sich durch Diversität und ein Miteinander verschiedener Religionen, Sprachen, Kulturen und Bräuche aus. Um noch besser zusammenzuwachsen, müssen wir stärker gegen Hass und Menschenfeindlichkeit gegenüber bestimmten Gruppen vorgehen und die Gleichheit vor dem Gesetz sicherstellen. Niemand darf in Europa aufgrund seiner Herkunft, seines Aussehens oder seines Glaubens diskriminiert oder angefeindet werden. Das ist auch durch die Europäische Grundrechtecharta verboten. Aber die Realität sieht anders aus: In den letzten Jahren steigen in einigen Mitgliedstaaten körperliche und verbale Angriffe auf Minderheiten und Einzelpersonen wieder. Die EU muss deshalb die Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stärker voranbringen. Rassismus nimmt zu. Menschen werden auch aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit im öffentlichen Raum, bei der Arbeit, in der Schule oder Kita angefeindet oder gar angegriffen. Zusätzlich führen unterschwelliger Rassismus und Diskriminierungen im Alltag, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, zu einer kontinuierlichen Benachteiligung und Belastung der betroffenen Menschen. Dem stellen wir uns entschieden entgegen und streiten für ein demokratisches Miteinander. Dafür braucht es gesellschaftlicher Sensibilisierung für das Problem Rassismus, den Abbau bestehender Diskriminierungen und effektiver Strategien, beispielsweise zur Stärkung von Betroffenen („Empowerment“). Durch Antisemitismus im Alltag leben viele Jüd*innen in europäischen Ländern nicht mehr sicher. Antisemitismus findet sich heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen in unterschiedlichen Ausformungen, zum Beispiel an Schulen, wo es immer wieder zu psychischen und körperlichen Schikanen kommt. Das ist unerträglich. Denn: „Nie wieder!“ lautet das Versprechen, dem sich Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und der massenhaften Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas verpflichtet hat. „Nie wieder!“ muss Leitbild für Europas Zukunft sein. Wir stellen uns jeder Art von Antisemitismus entschlossen entgegen. Der Schutz vor antisemitischen Anfeindungen und Gewalt muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein und darf keinesfalls auf die Betroffenen abgeschoben werden. Kosten für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen dürfen nicht von EU-Mitgliedstaaten auf die jüdischen Gemeinden abgewälzt, sondern müssen staatlich finan ziert werden. 2017 gab es allein in Deutschland fast 1.500 antisemitische und mehr als 1.000 antimuslimische Straftaten. Es werden zum Beispiel Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Raum angegriffen. Antimuslimischer Rassismus insgesamt ist dabei keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern findet sich auch in der Mitte der Gesellschaft. Rechtspopulist*innen nutzen dieses „Feindbild Muslime“ für ihre Zwecke. Wir stehen an der Seite der Muslim*innen, die friedlich, freundschaftlich und tolerant gegenüber anderen Lebensweisen in unserer multikulturellen Gesellschaft mit uns zusammen leben. Dem Hass und den stereotypen Feindbildern gegen sie stellen wir uns entschieden entgegen. Eine säkulare und weltanschaulich neutrale Politik, die konsequent an Menschenrechten und Grundfreiheiten ausgerichtet ist, macht Europa zu einem sicheren Ort für Menschen, die verschiedensten Religionen oder Weltanschauungen angehören, und zugleich für alle, die keiner Religion angehören wollen. Religions- und Glaubensfreiheit findet ihre Schranken, wo andere in ihren Rechten und Freiheiten verletzt werden. Religiösen Fanatismus, der die offene Gesellschaft und ihre Vielfalt angreift, dulden wir nicht. Für Betroffene von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind Anlaufstellen ein wichtiger Ort, um sich über ihre Rechte zu informieren und sie mit Unterstützung dieser Stellen auch durchzusetzen. Diese müssen besser ausgestattet werden. Demokratieinitiativen sind der Grundbaustein, der einen friedlichen Kampf gegen Rassismus, Faschismus, Sexismus, Antisemitismus, Xenophobie, Homophobie, Islamophobie und Sozialdarwinismus möglich macht. Wir setzen uns dafür ein, dass sie in allen Ländern der EU aktiv sein können und ausreichend finanzielle Mittel für ihre wichtige Arbeit zur Verfügung gestellt bekommen. Nur mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Engagement kann der Kampf für ein weltoffenes und demokratisches Europa und gegen den europäischen Rechtsruck gewonnen werden. Roma und Sinti gehören seit Hunderten von Jahren zu Europa. Ebenso lange werden sie diffamiert und diskriminiert. Antiziganistische Diskriminierung ist der Hauptgrund dafür, dass Menschen mit Romno-Hintergrund oft arm und schlechter ausgebildet sind. Wir begrüßen, dass im Rahmen des EU-Plans für die Inklusion der Roma bereits wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden und die EU-Kommission im Fall von Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren wegen anhaltender Diskriminierung von Roma im Bildungswesen angestrengt hat. Auch gegen die wachsende Unterdrückung in einigen weiteren Mitgliedstaaten muss die EU-Kommission wirksam vorgehen. Die Mittel im Kampf gegen Antiziganismus müssen weiter aufgestockt, die europäische Roma-Strategie muss vollumfänglich auch in Deutschland umgesetzt und die verbindliche Anwendung der Antirassismusrichtlinie noch konsequenter vorangetrieben werden. Zusätzlich kämpfen wir dafür, die Barrieren beim Abruf der Gelder zu verringern. Hierfür unterstützen wir die konkrete Projektarbeit, insbesondere wenn sie strukturelle Veränderungen ermöglicht. Ein essenzieller Bestandteil der Arbeit muss immer die Einbindung der Betroffenen auf Augenhöhe sein. Es braucht insgesamt intensivere Anstrengungen, um Betroffene zu empowern und zu fördern. Erst mit echter Hilfe zur Selbsthilfe können wir eine langfristige und nachhaltige Verbesserung der Bedingungen erreichen. Es besteht ein rechtlicher Anspruch auf Teilhabe in den Bereichen Arbeit, Bildung, Wohnen und Gesundheit. Die Defizite bei der Durchsetzung dieses Anspruchs wollen wir sichtbar machen und aufheben. Präventionsprogramme leisten wichtige Arbeit, um gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit effektiv vorzubeugen. Daher wollen wir sie stärken und langfristig absichern. Hass und Hetze finden heute nicht nur auf der Straße, sondern vermehrt auch im Internet und in sozialen Netzwerken statt. Dagegen wollen wir europäisch vorgehen. Wir GRÜNE streiten dafür, dass strafbare Meinungsäußerungen schnellstmöglich nach klaren, rechtsstaatlichen Kriterien überprüft, gegebenenfalls gelöscht und tatsächlich verfolgt werden. Hierfür wollen wir das bereits heute im EU-Recht verankerte „Notice-and-take-down-Verfahren“ weiter konkretisieren. Rassistische und nationalistische Akteur*innen vernetzen sich derzeit massiv. Menschenfeindliche Denkmuster verbreiten sich rasant. Beides geschieht europaweit. Um diese Netzwerke und Vorgänge analysieren und effektive Strategien zur Bekämpfung konzipieren zu können, unterstützen wir die europaweite Forschung von Demokratie- und Zivilgesellschaftsinstituten und bauen ihre Förderung aus.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine europaweite, ständige, systematische Erfassung von Straftaten gegen Menschen, die zu einer bestimmten Gruppe gehören (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit)
  • eine Aufstockung der Mittel im Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie einen erleichterten Zugang zu diesen Mitteln für Förderung und Empowerment
  • eine bessere Ausstattung der unabhängigen Gleichbehandlungsstellen
  • eine wirksame europäische Rechtsgrundlage für die Bekämpfung von Hasskommentaren im Internet auch gegenüber internationalen Konzernen

3.7 IN UND MIT EUROPA INKLUSION UND BARRIEREFREIE TEILHABE VERWIRKLICHEN UND MENSCHEN RECHTE DURCH SETZEN!

Menschen mit Behinderungen müssen in ganz Europa selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können. Um ihre Rechte umzusetzen, wurden mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auch für die EU-Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben verankert. Menschen mit Behinderung müssen in allen Lebensbereichen – bei der Bildung und Erwerbsarbeit, beim Wohnen, bei Reisen und in ihrer Freizeit – den gleichen Zugang zur Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben haben wie Menschen ohne Behinderungen. Inklusion heißt, dass alle Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und niemand ausgegrenzt wird. Dafür müssen Barrieren aller Art abgebaut und das Recht auf eine selbstbestimmte und eigenständige Lebensführung muss sichergestellt werden. Es darf kein Mensch gezwungen werden, in einer stationären Einrichtung leben zu müssen. (Art. 19 UN-BRK). Wir brauchen endlich einen „European Accessibilty Act“, der auch private Anbieter von Waren und Dienstleistungen zum Abbau von Barrieren verpflichtet. Die europäische Barrierefreiheits-Richtlinie verpflichtet auch private Anbieter von Waren und Dienstleistungen zum Abbau von Barrieren. Wir setzen uns für einen barrierefreien öffentlichen Raum ein, in dem Gebäude, Medien, Produkte, Dienstleistungen und Veranstaltungen für alle zugänglich und nutzbar sind. Dies gilt explizit auch für Webseiten, Apps und sonstige digitale Angebote, soweit dies möglich ist. Hierzu ist es unumgänglich, auch für die Privatwirtschaft verbindliche Vorgaben für die Barrierefreiheit zu formulieren. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission kommt ungeachtet aller politischen Reformen zu dem Schluss, dass nicht alle von der EU und deren Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen den menschenrechtsbezogenen Ansatz der UN-Behindertenrechtskonvention verfolgen. Wir GRÜNEN werden uns daher mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Menschenrechte von Menschen mit Behinderung sichergestellt und die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention in allen EU-Mitgliedstaaten voll umgesetzt werden. Hierzu gehört auch, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen unter ständiger gesetzlicher Betreuung aufgehoben wird. Wir setzen uns dafür ein, dass die 5. Antidiskriminierungsrichtlinie endlich kommt, denn sie würde eine Lücke im europäischen Antidiskriminierungsrecht schließen. Wir halten es für dringend geboten, das flickwerkartige System der Gleichbehandlungsrichtlinien und -verordnungen zu vervollständigen und ein umfassendes Diskriminierungsverbot nicht nur aufgrund von Behinderung, sondern auch von Religion oder der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung außerhalb des Arbeitsmarktes. International anerkannte Menschenrechte würden in der EU eine Rechtsgrundlage erhalten, und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung würde auf europäischer Ebene rechtlich umgesetzt, wie zum Beispiel das Recht auf Zugang zu allen Bildungseinrichtungen und das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen. Doch seit Jahren wird ihre Verabschiedung durch die deutsche Bundesregierung blockiert. Wir GRÜNEN kämpfen weiter gegen die Blockade und für den effektiven Schutz gegen Diskriminierung auch außerhalb des Arbeitsmarktes. Wir wollen, dass auch Menschen mit Behinderungen das Recht auf Freizügigkeit für sich nutzen können, ohne dass sozialrechtliche Vorschriften der Mitgliedstaaten das verhindern. Auch Menschen mit umfassender Betreuung sollen das Wahlrecht erhalten – das betrifft allein in Deutschland 81.000 Menschen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der EU
  • Inklusion, Selbstbestimmung und Barrierefreiheit
  • das Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderung

3.8 EUROPAS VERBRAUCHER*INNEN STÄRKEN

Wir treten für ein Europa ein, in dem die Rechte der Verbraucher*innen effektiv geschützt werden, auch grenzüberschreitend. Denn im europäischen Binnenmarkt bewegen sich Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen frei. Wir wollen sicherstellen, dass die Menschen in Europa vor gesundheitlichen und finanziellen Gefahren geschützt werden und dass sie wissen, was sie konsumieren. Sie müssen ihre Rechte gegenüber Unternehmen wirksam geltend machen können. Der Verbraucher*innenschutz in der Europäischen Union ist eine Erfolgsgeschichte: Die Datenschutzgrundverordnung, die Abschaffung der Roaming-Gebühren, das Verbot von Tierversuchen zur Herstellung von Kosmetika, das „Bankkonto für alle“ und ein Schnellwarnsystem für als gefährlich gemeldete Produkte sind nur einige wenige Beispiele. Doch es gibt auch Probleme. Schon im September 2015 wurden die Abgasmanipulationen an VW-Dieselautos bekannt – welche Ansprüche die Kund*innen geltend machen können, ist aber noch immer unklar. Das liegt daran, dass für einzelne Verbraucher*innen Aufwand und Risiko rechtlicher Schritte derart hoch sind, dass Unternehmen trotz betrügerischer Geschäftspraktiken selten Folgen fürchten müssen. Die Möglichkeit kollektiven Rechtsschutzes, bei dem Geschädigte wahlweise als Gruppe gemeinsam oder mithilfe von Verbänden klagen können, muss daher europaweit eingeführt werden. Im europäischen Bahnverkehr wollen wir ein einheitliches Ticketsystem schaffen. Der Flickenteppich nationaler Fahrkarten macht die Bahn grenzüberschreitend unattraktiv. Häufig werden nur Einzeltickets für die Strecken der jeweiligen nationalen Anbieter angeboten. Verpasst ein Fahrgast wegen einer verspäteten Bahn zum Beispiel in Deutschland seinen Anschlusszug nach Italien, muss er auf eigene Kosten ein neues Zugticket kaufen. Stattdessen brauchen Fahrgäste ein anbieterunabhängiges System, mit einem Ticket für alle Verkehrsträger für die gesamte EU – aus dem portugiesischen Dorf bis an die kroatische Küste oder aus Süditalien nach Lappland, egal ob mit Bus, Bahn oder Tram. Das Interrailticket, das wir allen Auszubildenden und Studierenden ein Jahr lang zur Verfügung stellen wollen, ist erst der Anfang und soll perspektivisch ergänzt werden durch attraktive Angebote, die sich jede*r leisten kann. Neue Serviceangebote wollen wir durch die Bereitstellung offener Daten (Open Data) befördern. Wir brauchen auch endlich verständliche und realistische Kennzeichnungen von Lebensmitteln. Nährwerte wollen wir durch die leicht verständliche Lebensmittelampel kenntlich machen. Es muss klar werden, wie viel Zucker, Salz und Fett Lebensmittel enthalten. Für Transfettsäuren wollen wir einen gesetzlichen Grenzwert einführen. Für sämtliche, auch verarbeitete Tierprodukte wollen wir eine EU-weite, verbindliche und umfassende Haltungskennzeichnung einführen, damit Verbraucher*innen schnell erkennen können, wie ein Tier gehalten wurde. Bereits die Einstiegsstufe soll so ausgestaltet sein, dass die Tiere ein Leben frei von Leid führen können. Die Kennzeichnung soll ein echter Anreiz für eine bessere Tierhaltung sein – und gleichzeitig dafür sorgen, dass Bäuer*innen angemessen entlohnt werden. Wenn tierische Erzeugnisse in Produkten enthalten sind oder bei der Herstellung verwendet werden, muss das angegeben werden. Wir wollen einen starken Verbraucher*innenschutz bei Finanzprodukten. Zu oft werden schlechte Produkte an Verbraucher*innen vertrieben, in der Regel spielen dabei hohe Provisionen eine große Rolle. Das wollen wir ändern. Deshalb wollen wir schrittweise eine komplette Abkehr von Provisionen hin zu einer qualitativ hochwertigen Beratung auf Honorarbasis für alle. Beratung muss individuell angepasst sein und den Anleger*innen stets den Weg zu guten Finanzprodukten weisen.

Digitale Verbraucher*innenrechte stärken

Datenschutz schützt nicht nur Daten, sondern vor allem unsere Privatsphäre und unsere Menschenwürde. Datenschutz ist auch Verbraucher*innenschutz. Vor allem unsere persönlichen Vorlieben und Interessen gehen niemanden etwas an. Informationelle Selbstbestimmung ist ein zentrales Grundrecht. Aber es ist gerade in Zeiten der Digitalisierung, der Plattformökonomie und des „Internets der Dinge“ neu herausgefordert. Produkte und Kaufgewohnheiten haben sich fundamental geändert. Aber welche personenbeziehbare Daten im Internet preisgegeben, gesammelt und gespeichert werden, das sollen die Betroffenen selbstbestimmt entscheiden können – und nicht Internet-Giganten wie Google oder Facebook. Mit der von den europäischen GRÜNEN hart erkämpften Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) hat die EU einen Meilenstein für modernen Datenschutz gesetzt. Sie sorgt dafür, dass die weltweiten Datenkonzerne in die Schranken gewiesen werden, und zeigt, dass wir als Europäische Union gemeinsam Standards setzen können, die weltweite Ausstrahlung haben. Ihre Umsetzung in der Praxis werden wir genau beobachten, sie wo nötig konkretisieren und weiter verbessern. Auch die zur Realisierung einer europaweit einheitlichen Aufsicht geschaffenen Strukturen wollen wir evaluieren und stärken. So fordern wir bei der „E-Privacy“-Verordnung zum Schutz unserer elektronischen Kommunikation unter anderem, dass mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets oder Sprachassistenzsystemen wie Alexa oder Siri schon vom Werk aus gemäß der Grundsätze „Privacy by design“ und „Privacy by default“ den bestmöglichen Privatsphärenschutz garantieren. Zusätzlich erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucher*innenschutz, dass die Grundsätze der Interoperabilität wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen, auch bei onlinegestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich ist, muss zum Beispiel auch bei Messengerdiensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln zu können. Wir wollen, dass Browsereinstellungen wie „Do not track“ rechtsverbindlich werden, damit nicht automatisch ein Nutzungsprofil erstellt wird. Damit unsere Grundrechte wirklich geschützt werden, brauchen wir die bestmöglichen Datenschutzgrundeinstellungen und Aufsichtsbehörden, die über die personellen und finanziellen Mittel verfügen, die rechtlichen Vorgaben tatsächlich durchzusetzen. Wir dringen darauf, dass die derzeit in Verhandlung befindliche E-Privacy-Verordnung weder weiter verzögert noch verwässert wird. Datenschutz und IT-Sicherheit sind für uns konstituierend. Deswegen setzen wir uns für verbindliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als Standard unserer elektronischen Kommunikation ein. Hintertüren und Sicherheitslücken sind ein strukturelles Risiko für unsere I T-Sicherheit. Deswegen dürfen staatliche Akteure Sicherheitslücken nicht ankaufen beziehungsweise mit ihnen hehlen. Statt dessen muss es eine Pflicht sicht, solche Lücken umgehend zu melden und sie schnellstmöglich zu schließen. Technische Geräte mit Zugang zum Internet erobern zudem immer mehr unseren Alltag. So reguliert die intelligente Heizung entsprechend der Wettervorhersage selbstständig die Zimmertemperatur, und die Spielzeugpuppe kommuniziert mit Kindern. Sind diese Geräte nicht ausreichend geschützt, bieten sie ein Einfallstor für kriminelle Hacker, die sich in die Systeme einschalten könnten, um sie zu manipulieren. Wir fordern verpflichtende Mindeststandards für die IT-Sicherheit von technischen Geräten. Dazu gehören Verschlüsselung, Software, die auf dem neuesten Sicherheitsstand ist, und regelmäßige kostenlose Software-Updates sowie starke Authentifizierungsmechanismen bei vernetzten Geräten. Wenn ein Sicherheitsproblem bei einem Auto festgestellt wird, wie zum Beispiel eine mangelhafte Bremse, ist klar, dass der Hersteller dafür haftbar gemacht werden kann und die fehlerhaften Autos zurückrufen muss. Doch für Software gibt es bislang noch keinerlei Produkthaftung auf europäischer Ebene. Das muss sich ändern: Kommerzielle Hersteller von Software müssen haften, wenn sie regelmäßige Sicherheitsupdates nicht bereitstellen und bekannte Sicherheitslücken nicht schließen. Bei dem Einsatz von Algorithmen muss gewährleistet werden, dass die Entscheidungen für die Verbraucher*innen überprüfbar, transparent und diskriminierungsfrei erfolgen. Je sensibler und teilhaberelevanter die Anwendungsfelder, desto mehr Kontrolle durch staatliche Behörden ist notwendig. In Bereichen, die den Kern der persönlichen Grundrechte, unseres Rechtsstaates oder seiner Solidarsysteme berühren, lehnen wir den bislang unregulierten Einsatz ab. Hier bedarf es europaweit geltender, verbindlicher Vorgaben. Die illegitime Einflussnahme auf demokratische Willensbildungsprozesse ist heute ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Wir setzen uns dafür ein, dass politische Werbung im Internet und sogenanntes Microtargeting streng reguliert werden. Das umfasst unter anderem klare Vorgaben bezüglich eingesetzter Höchstbeträge und die Offenlegung und transparente Kennzeichnung von Werbung und parteipolitischer Information. Für den Empfänger muss jederzeit ersichtlich sein, auf welcher Grundlage er welche Werbung erhält. Demokratische Diskurse, politische Willensbildungsprozesse und Wahlen müssen effektiv geschützt werden. Missbräuchlich eingesetzte „Social Bots“ können gezielt Desinformationen massenhaft verbreiten und Relevanz vortäuschen. Bei der notwendigen Bekämpfung wollen wir auch die Betreiber digitaler Plattformen in die Pflicht nehmen: Der Einsatz von Bots muss klar erkennbar sein. Auch hier bedarf es einer europaweit geltenden, verbindlichen Regelung.

Produkte nachhaltiger und sicherer machen

Produkte des alltäglichen Lebens, von Essen über Kleidung bis zu Kosmetika oder Gebrauchsgegenständen, wollen wir sicher machen – durch strengere Grenzwerte bis hin zu Verboten gesundheitsgefährdender Stoffe. Aus PVC und PVC-Weichmachern wollen wir wegen der gesundheitlichen Risiken aussteigen. Nanopartikel kommen bereits in Lebensmitteln, Kosmetika oder Medikamenten zum Einsatz, ihre Unbedenklichkeit ist aber nicht eindeutig festgestellt. Wir fordern daher ein Register für Nanoprodukte. Die Definition von „Nanopartikeln“ muss so eng gefasst werden, dass es keine Schlupflöcher gibt. Spätestens seit dem Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza 2013 hat bei vielen Menschen ein Umdenken stattgefunden: Die Nachfrage nach fairer Kleidung steigt kontinuierlich. Wir wollen, dass faire Mode Standard wird. Daher setzen wir uns für eine europäische Transparenzrichtlinie ein, die die gesamte Herstellungs- und Lieferkette der Textilindustrie umfasst und die Einhaltung konkreter Sorgfaltspflichten auf allen Stufen garantiert. Frühzeitiger Verschleiß von Produkten ist für die Verbraucher*innen ein teures Ärgernis, verschwendet Ressourcen und lässt die Müllberge weiter wachsen. Unser Ziel sind langlebige Produkte, die repariert und recycelt werden können. Deswegen wollen wir ein europäisches „Recht auf Reparatur“ schaffen, das Hersteller von Geräten verpflichtet, langfristig Ersatzteile anzubieten sowie Reparaturanleitungen zu veröffentlichen. Wir fordern eine verbindliche europäische Regelung gegen eine absichtliche Verkürzung der Lebensdauer von Produkten. Außerdem müssen die Hersteller einer Rücknahmepflicht unterliegen, die Recycling sicherstellt. Für Soft- und Hardware braucht es Klarheit darüber, wie lange (Sicherheits-)Updates durch die Hersteller zur Verfügung gestellt werden. Zudem brauchen wir klare Anforderungen an die Lebensdauer und an die Kompatibilität mit Vorgängerversionen und -modellen. Die europäischen Regelungen für die Gewährleistung wollen wir an die Lebensdauer von Produkten anpassen und auch auf kommerzielle Software ausweiten. Gleichzeitig wollen wir Open-Hardware- und Open-Source-Software-Produkte besonders fördern, da diese auch nach Ende der Herstellerunterstützung noch weitergenutzt werden können. Oft braucht man für ein neues Gerät auch ein neues Ladekabel, weil das alte nicht passt. Für Ladegeräte und -kabel von Smartphones, Tablets und Laptops muss es einen einheitlichen und verbindlichen europäischen Standard geben.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den Schutz der Privatsphäre bei Smartphones, Tablets und „smarten“ Assistenten von Anfang an
  • eine verbindliche Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als Standard bei elektronischer Kommunikation
  • eine Rücknahmepflicht bei den Herstellern für ein sicheres Recycling unserer Produkte
  • einen einheitlichen europäischen Standard für Ladegeräte und -kabel

3.9 KRIMINALITÄT UND TERROR BEKÄMPFEN, FREIHEIT SICHERN

Schlagbäume schaffen kein Mehr an Sicherheit. Zur Verteidigung unserer Freiheit und gegen Kriminalität und Terror brauchen wir eine stärkere europäische Kooperation der Sicherheitsbehörden. Zahlreiche Straftaten wie Wohnungseinbruchdiebstähle, Taschendiebstähle oder Betrugsdelikte erfolgen grenzübergreifend. Dementsprechend muss die Polizei auch grenzübergreifend agieren. Auch islamistisch und rechtsextrem motivierter Terrorismus agiert grenzüberschreitend. Dem stellen wir uns zur Verteidigung unserer Freiheit und zum Schutz der Bürger*innen entschlossen entgegen. Hierfür setzen wir auf wirksame Prävention und effektive Strafverfolgung. Das gilt insbesondere für den EU-weiten Datenaustausch und die Pflege von Datenbanken. Bei allen Maßnahmen haben für uns rechtsstaatliche Standards wie Rechtsklarheit, der Bestimmtheitsgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip höchste Priorität. Das heißt, anders als die derzeit verfolgte Politik wollen wir nicht, dass unsere Sicherheitskräfte anlasslos jede Menge Daten sammeln oder dass veraltete Technik effektive Abgleiche verhindert. Wir wollen eine präzise und konsequente Strafverfolgung. Eine maßlose Politik immer weiter reichender Grundrechtseingriffe hingegen schwächt unsere Freiheit und sorgt nicht für mehr Sicherheit.

Europäisches Kriminalamt schaffen

Unsere Sicherheit darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten bei der Zusammenarbeit versagen und die Überwachung von Verdächtigen an den innereuropäischen Grenzen endet. Deshalb fordern wir den Aufbau eines Europäischen Kriminalamts (EKA). Das heißt, dass die derzeit weitgehend befugnisfreie europäische Polizeibehörde Europol zu einer europäischen Polizei nach dem Vorbild des Bundeskriminalamts mit eigenen Ermittlungsteams ausgebaut wird. Sie braucht eigenständige Ermittlungsmöglichkeiten und -befugnisse, um in relevanten Fällen grenzüberschreitender Kriminalität selbst einschreiten zu können. Sie muss ebenso effektiv wie rechtsstaatlich gegen Terrorismusverdächtige, Mafiaorganisationen, Menschenhandel, aber auch länderübergreifend agierende Einbruchsbanden und die gewaltbereite rechte Szene vorgehen. Dafür braucht sie ausreichend Ressourcen und Personal. Kurzfristig wollen wir im Rahmen des bestehenden Rechts Europol durch multinationale Ermittlungsgruppen (Joint Investiga tion Teams) stärken.

Europaweite Vernetzung der Polizei

Während andere Parteien reflexartig neue Eingriffsbefugnisse, Überwachungsgesetze und Grundrechtseingriffe fordern, wollen wir die Zusammenarbeit der Polizeibehörden der EU-Staaten verbessern. Dazu wollen wir ein europaweites Austauschprogramm für Polizist*innen ins Leben rufen. Die Zusammenarbeit von Polizist*innen in länderübergreifenden Ermittlungsteams wollen wir mit zusätzlichen Mitteln aus dem EU-Haushalt fördern. Denn wer gemeinsam im Team zusammengearbeitet hat, greift schneller zum Telefon, um seine Kolleg*innen aus anderen EU-Staaten zu informieren oder um Rat zu fragen. Dabei ist uns wichtig, dass diese Vernetzung höchsten datenschutz-, bürgerrechtlichen und rechtsstaatlichen Standards entspricht. Daher lehnen wir auch eine Weitergabe von sensiblen, personenbezogenen Daten an solche Staaten ab, die diese nicht einhalten. Unter dieser Bedingung kann auch das bestehende Europol-Informations-System (EIS) weiter ausgebaut werden, so dass ein Abgleich der nationalen Polizeidatenbanken mit den Europol-Systemen möglich wird und Ermittler so vor Ort schneller feststellen können, ob Straftäter grenzüberschreitend agieren und die polizeiliche Rechtshilfe weiter optimiert wird.

Geheimdienste einhegen und scharf kontrollieren

Die Veröffentlichungen von Edward Snowden haben ein System der globalen anlasslosen Massenüberwachung offenbart, die europäischen Grundrechten diametral entgegenlaufen. Deswegen setzen wir Grüne uns für eine scharfe parlamentarische Kontrolle, klare Rechtsgrundlagen, die Einhaltung des Trennungsgrundsatzes und eine europaweite Begrenzung nachrichtendienstlicher Befugnisse ein.

Europäische Staatsanwaltschaft ausbauen

Der künftigen Europäischen Staatsanwaltschaft stehen wir positiv gegenüber. Sie kann perspektivisch als zentrale Ermittlungs- und Anklagebehörde eine entscheidende Rolle auch bei der Strafverfolgung von grenzüberschreitendem Terrorismus und organisierter Kriminalität einnehmen und sollte nicht auf die Verfolgung von Betrug zulasten der EU beschränkt bleiben. Noch nehmen aber nicht alle Mitgliedstaaten an der Europäischen Staatsanwaltschaft teil. Dies ist nicht ausreichend. Wir werben dafür, dass alle Mitgliedstaaten mitwirken, und wollen, dass ein künftiges Europäisches Kriminalamt im Auftrag der Europäischen Staatsanwaltschaft die Ermittlungen durchführt. Rechtsstaatlichkeit und Opferschutz sowie Grundrechte, Beschuldigten- und Verteidigerrechte müssen ohne Absenkung des Schutzniveaus gewährleistet sein, auch bei grenzüberschreitender Herausgabe- und Speicheranordnung für elektronische Beweismittel in Strafsachen (E-Evidence).

Organisierte Kriminalität bekämpfen – Terrorismusnetzwerke aufdecken

Um die Finanzierungsquellen von Netzwerken im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus auszutrocknen, möchten wir eine zentrale europäische Behörde für den Kampf gegen Geldwäsche schaffen. Wir wollen, dass Banken nur bei konkreten Verdachtsfällen und unter höchsten rechtsstaatlichen Standards verdächtige Kontobewegungen direkt auch an die europäische Stelle melden. Rechtswidrige, gewaltverherrlichende Propaganda und terroristische Onlineinhalte müssen nicht nur nach transparenten rechtsstaatlichen Kriterien schnellstmöglich gelöscht, sondern auch von den nationalen Strafverfolgungsbehörden konsequent verfolgt werden. Hierfür bedarf es einer zuverlässigen Kooperation der Plattformen mit den Strafverfolgungsbehörden.

Prävention stärken und Waffenrecht verschärfen

Wir wollen Radikalisierung und Kriminalität von Anfang an verhindern und Präventionsprogramme europaweit ausbauen. Insbesondere Programme zur Deradikalisierung und für Aussteiger*innen aus der islamistischen und gewaltbereiten rechten Szene wollen wir etablieren und stärken. Um schwere Straftaten wie etwa Amoktaten zu verhindern, muss der Zugang zu Waffen erschwert werden. Es ist immer noch viel zu einfach, an illegale Schusswaffen und umgebaute Dekorationswaffen zu gelangen. Alle gefährlichen Waffen müssen lückenlos registriert und die Eignung und Zuverlässigkeit der Besitzer*innen regelmäßig geprüft werden. Wir wollen eine europaweite einheitliche Kennzeichnung und gemeinsame Standards für die Deaktivierung von Feuerwaffen einführen. Angesichts der Zunahme rassistisch motivierter Gewalttaten und der Ausbreitung rechten Gedankenguts muss die demokratische Zivilgesellschaft umso mehr gestärkt werden. Während demokratiefeindliche Gruppen sich international austauschen und ihre Kräfte bündeln, verbleiben demokratische Initiativen meist sehr lokal verhaftet. Wir setzen uns für die finanzielle Unterstützung, die Vernetzung und den internationalen Austausch der demokratischen Kräfte ein. Entsprechende Fördermittel und Programme auf EU-Ebene müssen aufgestockt werden. Eine besondere Rolle spielt dabei eine alltags- und lebensweltbezogene Bildungsarbeit in Schulen und Jugendeinrichtungen.

Datenschutz sicherstellen

Die europäischen Innenminister, tatkräftig unterstützt von der Großen Koalition in Berlin, fordern nach jedem Terroranschlag geradezu reflexhaft zusätzliche Datenbanken und Massenüberwachung. Wer mit dem Flugzeug nach Europa reist, wird anlasslos registriert werden, egal ob es sich um Terrorverdächtige, Tourist*innen oder Geschäftsreisende handelt. Bestehende Polizei- und Grenzkontrollsysteme werden gerade verschärft, neue befinden sich im Aufbau. Die EU-Richtlinie zur Fluggastdatenspeicherung halten wir für rechtswidrig. Es ist nicht mit unseren Grundrechten vereinbar, dass alle, die einen Flug buchen, wie Verdächtige behandelt werden und hinnehmen müssen, dass ihre Daten fünf Jahre lang gespeichert und fortlaufend einer automatisierten Rasterfahndung unterzogen werden. Auch die anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Handy- und Kommunikationsdaten ist bereits zweimal vom Europäischen Gerichtshof als grundrechtswidrig aufgehoben worden. Einen neuen Anlauf zur europaweiten Kommunikationsüberwachung wird es mit uns GRÜNEN nicht geben. Wir kämpfen weiterhin mit aller Vehemenz gegen alle Formen von anlasslosen Vorratsdatenspeicherungen. Die angestrebte Datensammlung kostet viel Geld, das bei der gezielten Überwachung und Verfolgung von terroristischen und anderen Gewaltbereiten fehlt. Während die EU-Staaten Milliarden in den Aufbau neuer Datenbanken investieren, hat die europäische Ermittlungsbehörde Europol ein jährliches Budget von wenigen Hunderttausend Euro für Ermittlungsteams. Viel zu oft enden deshalb Ermittlungen an nationalstaatlichen Grenzen. Gleichzeitig werden bestehende Datenbanken, in denen Personen erfasst sind, wie zum Beispiel im Schengener oder im EuropolInformationssystem, derzeit nicht richtig genutzt, weil es an Personal und Informationsaustausch zwischen den EU-Staaten mangelt. Hier gibt es dringenden Änderungsbedarf. Bei der notwendigen Effektivierung des Informationsaustauschs und der Zusammenlegung von Datenbanken müssen höchste datenschutzrechtliche Standards beachtet werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine effektive wie rechtsstaatliche europäische Sicherheitsarchitektur, die Freiheit schützt und Sicherheit garantiert
  • ein Europäisches Kriminalamt mit eigenen Ermittlungsteams und zusätzliche Kompetenzen für die Europäische Staatsanwaltschaft
  • eine europäische Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche
  • eine konsequente Präventionsarbeit und eine EU-weite Verschärfung des Zugangs zu gefährlichen Waffen
  • die Wahrung und den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten der Bürger*innen Europas

4 GARANTIEREN, WAS UNS ALLE SCHÜTZT: FRIEDEN, SICHERHEIT UND GLOBALE GERECHTIGKEIT FÖRDERN

Die internationale Staatenordnung befindet sich im Umbruch. Russlands Präsident verletzt die territoriale Integrität anderer Staaten und verhindert eine demokratische Entwicklung im Inland. Chinas Führung verstärkt immer weiter die staatliche Überwachung und heizt Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer an. In den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens konnte sich die Hoffnung der Menschen auf eine Demokratisierung der Region nicht erfüllen. Iran und Saudi-Arabien führen stattdessen einen Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten. In Syrien tobt nach wie vor ein brutaler Krieg, in dem sich sogar NATO-Partner feindlich gegenüberstehen. Und die USA, wichtige Initiatorin jener Regeln, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen großen Teil der Welt halbwegs zusammengehalten haben, haben sich als berechenbarer Akteur der Weltpolitik verabschiedet. Mit dem Krieg gegen den Irak 2003 hat die US-Regierung einen heftigen Bruch mit dem Völkerrecht gesucht, in Guantánamo die Menschenrechte mit Füßen getreten. Mit ihrem aktuellen Präsidenten steigt die US-Regierung aus dem Klimaabkommen aus, kündigt das Iran-Abkommen, agiert in Handelsfragen aggressiv und verachtet die internationalen Organisationen, die ihr Land selbst gegründet hat. Die EU sieht sie wirtschaftlich als Gegner. Garantien, auf die sich die Europäische Union sicher verlassen konnte, gelten so nicht mehr. Währenddessen geht die globale Vermögensverteilung immer weiter auseinander. Zwar haben sich Armut und Kindersterblichkeit in den letzten Jahrzehnten halbiert, in vielen Ländern kann mittlerweile die Mehrheit der Mädchen und Jungen lesen und schreiben. Dennoch ist das eben nur die Hälfte und weltweit leidet weiter jeder neunte Mensch – 821 Millionen Menschen – an chronischem Hunger und 1,5 Milliarden Menschen sind mangel ernährt. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt über 50 Prozent des Gesamtvermögens und damit mehr als die übrigen 99 Prozent der Weltbevölkerung. Die Auswirkungen der Klimakrise vertreiben nicht nur immer mehr Menschen aus ihrer Heimat, weil sie auf ausgetrockneten oder überschwemmten Böden nicht mehr leben und keine Landwirtschaft betreiben können, sondern auch, weil die Auswirkungen der Klimakrise vielerorts bestehende Konflikte und schlechte Regierungsführung verschärfen. In dieser Situation muss sich die EU beweisen: als außenpolitische Akteurin, als Wertegemeinschaft, in der der Mensch mit seiner Würde, seiner Freiheit und seinen unveräußerlichen Rechten im Mittelpunkt steht – wissend, dass gerade in der Außenpolitik immer Kompromisse nötig sind und vielfältige Interessen ausbalanciert werden müssen. Will die EU bei der Reduzierung von Instabilität, der Bekämpfung von massiven Menschenrechtsverletzungen und der Beendigung von Krisen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und darüber hinaus eine Rolle spielen, müssen ihre Mitgliedstaaten im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik viel stärker kooperieren als bisher. Die Europäische Union ist nie darauf angelegt gewesen, aber die Frage, die sich stellt, ist die nach der Weltpolitikfähigkeit. Wenn wir diese Frage nicht angehen, dann wird die Europäische Union, dann wird die globale Zusammenarbeit bedeutungslos. Dafür die Pflöcke entlang von Frieden, Menschenrechten und dem Völkerrecht zu setzen, ist für uns als GRÜNE die zentrale Aufgabe der nächsten Jahre. Noch immer sind Frauen und Mädchen weltweit nicht gleichberechtigt. Das wollen wir ändern. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist nämlich nicht nur Menschenrecht, sondern Stabilisator für nachhaltigen Frieden, ist Grundlage gerechter Gesellschaften und Motor wirtschaftlicher Entwicklung. Mit einer explizit feministischen EU-Außenpolitik wollen wir deshalb geschlechtsspezifische Analysen und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Minderheitengruppen auf allen Verhandlungs- und Umsetzungsebenen fördern. Wir rücken systematisch die Auswirkungen außenpolitischer Entscheidungen auf die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ins Zentrum sonst überwiegend männlicher Debattenverläufe und Analysen.

4.1 MENSCHENRECHTE VERTEIDIGEN, DEMOKRATISCHE HANDLUNGSRÄUME SICHERN

Wir treten für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik ein, die sich für Menschenrechte stark macht und Frieden sichert. Statt Aufrüstung und einer Politik, die nur auf den nationalen Vorteil bedacht ist, brauchen wir eine EU, die friedens- und sicherheitspolitisch mit einer Stimme spricht. Einen Schwerpunkt setzen wir in der Stärkung der Zivilgesellschaft. Denn die Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteur*innen werden in vielen Ländern immer weiter eingeschränkt. Die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird dort von staatlicher Seite systematisch erschwert, diffamiert, behindert und kriminalisiert. Insbesondere die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden in vielen Staaten beschränkt oder ganz abgeschafft. Dies betrifft nicht nur autoritäre Staaten, sondern auch Demokratien mitten in Europa, wie zum Beispiel Ungarn, Polen, Rumänien und Österreich, in denen Grundprinzipien wie Pluralismus, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Medien und Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt werden. Das ist fatal, denn so geraten die Fundamente der rechtsstaatlichen Demokratie unter Druck. Wir sehen mit Sorge die weltweite Entwicklung des „shrinking space“, also der Einschränkung des öffentlichen Raumes für die Zivilgesellschaft. Die Europäische Union, der Europarat und die Vereinten Nationen sollten dieser entschieden entgegentreten. Das kann für die EU nur gelingen, wenn sie ihre Mitgliedstaaten selbst konsequent in die Pflicht nimmt. Wir wollen Nichtregierungsorganisationen unterstützen, deren Arbeit von staatlicher Seite systematisch erschwert, diffamiert, behindert und kriminalisiert wird, und den Schutz von Menschenrechtsverteidigern verstärken. Die EU sollte die internationale Vernetzung und den Austausch von zivilgesellschaftlichen Organisationen fördern und unterstützen. Es ist auch ein wichtiges Signal an Menschenrechts verteidiger*innen, dass sie mit ihrem Engagement nicht alleingelassen werden. Wir GRÜNEN wollen, dass die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern vollständig umgesetzt und öffentlich stärker bekannt gemacht werden. Dafür ist es auch notwendig, das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte zu stärken und finanziell besser auszustatten. Die EU muss weiterhin den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Situation von Menschenrechtsverteidigern und für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit finanziell und politisch in- und außerhalb des UN-Menschenrechtsrates aktiv unterstützen und den Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie des Europäischen Rates vorantreiben. Aber auch Städte und Regionen innerhalb der EU können einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Menschenrechten und Menschenrechtsverteidiger*innen leisten. Wir wollen Initiativen wie kommunale Menschenrechtsbeauftragte, Aufnahmeprogramme für politisch Verfolgte oder Patenschaftsprogramme stärker durch die EU finanziell und institutionell unterstützen. Die EU-Mitgliedstaaten sind aufgefordert, alle menschenrechtlichen Konventionen zu ratifizieren. Menschenrechte müssen stärker als bisher maßgeblich für die EU-Handelspolitik sein. Die Art und Weise, wie wir in Europa leben, hat weltweite Folgen: von der Klimakrise bis zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, Zerstörung der Lebensgrundlagen, rücksichtslosem Ressourcenabbau und der Stärkung autoritärer Regime. Damit die EU zur Förderin von nachhaltiger Entwicklung sozialer und ökologischer Standards im Welthandel wird, bedarf es beherzter Schritte. Transnationale Unternehmen mit Sitz in der EU müssen auch bei uns in Europa dafür haftbar gemacht werden können, wenn sie innerhalb ihrer Produktions- und Ressourcenketten an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Lieferketten wollen wir transparenter machen, sodass klar ist, unter welchen Bedingungen Produkte produziert wurden, die in die EU eingeführt werden. Wir wollen nicht, dass Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung durch Produkte finanziert werden, die in der EU verkauft werden. Wir GRÜNEN wollen eine konsequente Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und werden uns bei der anstehenden Novellierung der CSR-Richtlinie für mehr Berichtspflichten und weniger Ausnahmeregelungen starkmachen.

Die EU als Vorreiterin einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik

Die Europäische Union muss das Prinzip einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik und damit die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheitengruppen zu einer Leitlinie ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik machen. Sie braucht dazu einen intersektionalen Ansatz, der die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung erkennt und ernst nimmt. Mit einer feministischen, menschenrechtsbasierten Außen- und Sicherheitspolitik ergänzen wir den traditionellen Sicherheitsbegriff um die menschliche Sicherheit und rücken damit die Bedürfnisse von Menschen statt Staaten in den Mittelpunkt. Grünes Ziel ist es, die Rechte von Frauen weltweit zu fördern und Frauen als Akteurinnen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu stärken sowie ihnen gleichwertigen Zugang zu sozialen, ökonomischen und politischen Ressourcen zu garantieren und die reproduktiven und sexuellen Rechte zu stärken. Dafür wollen wir in der EU die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und politischen Minderheiten auf allen Verhandlungs- und Umsetzungsebenen in den Organisationen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik steigern. Damit durchbrechen wir die klassischen Strukturen im außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Bereich, zeigen neue Perspektiven, richten die Bereitstellung von Geldern neu aus und stellen Machtverhältnisse grundlegend infrage. Der Schutz von Frauen und Minderheiten sowie deren Beteiligung an Friedensprozessen trägt in erheblichem Maße zur Wahrung von Frieden und Sicherheit bei. Wir wollen den UN-Sicherheitsratsbeschluss 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und seine Folgeresolutionen mit Leben füllen, die Genderperspektive in sämtlichen außen politischen Bereichen und EU-Friedensoperationen verankern und dieses Gesamtvorhaben langfristig finanziell unterfüttern. Ziel ist die Gleichbehandlung und -beteiligung von Frauen und Minderheiten in der zivilen Krisenprävention, in Friedensverhandlungen und Friedensmissionen, in der Konfliktbearbeitung und beim Wiederaufbau nach Konflikten sowohl auf polizeilicher und militärischer Ebene. Dafür soll die Beraterin des Auswärtigen Dienstes der EU für Gender ein eigenes Budget erhalten und an das Europaparlament berichten. Wir wollen zudem, dass die EU alle ihr zur Verfügung stehenden außenpolitischen Instrumente nutzt, um der systematischen Diskriminierung von Frauen und Mädchen weltweit sowie sexualisierter und geschlechterbasierter Gewalt entgegenzuwirken. Neben der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Durchsetzung der Frauenrechte treten wir dabei auch gegen die Diskriminierung und für den Schutz der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queeren (LSBTIQ*) Menschen ein. 2007 wurden in Yogyakarta Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität verabschiedet. Diese wollen wir weiter fördern und umsetzen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den aktiven Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, insbesondere durch die Stärkung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen
  • eine verantwortungsvolle Handelspolitik, in der Menschenrechte auch gegenüber transnationalen Unternehmen einklagbar sind
  • eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik

4.2 EINE GEMEINSAME EUROPÄISCHE AUSSENPOLITIKGESTALTEN

Die multilaterale Ordnung und ihre Institutionen sind unter Druck. Es kommt jetzt mehr denn je auf die EU als weltpolitikfähige Akteurin an, die global gestaltet. Das kann nur gelingen, wenn die EU als dialogbereite und verlässliche Partnerin und gute Nachbarin agiert. Einen Rückfall in Nationalismus und Populismus zu verhindern und die multilaterale Ordnung zu erhalten und gerechter zu gestalten, ist Aufgabe und Interesse der EU. Ein friedliches Zusammenleben mit unseren europäischen Nachbarregionen ist zentrale Aufgabe europäischer Nachbarschaftspolitik. Die Kriege und Konflikte in den östlichen und südlichen Nachbarstaaten stellen die EU vor große Herausforderungen. Es kommt jetzt mehr denn je auf eine einheitliche und klar friedens- und menschenrechtsorientierte EU-Außenpolitik an. Die EU muss ihr politisches und diplomatisches Gewicht in die Waagschale werfen, um Schritte für Frieden und Sicherheit in ihrer Nachbarschaft zu ermöglichen. Und sie muss ihr Engagement für die angrenzenden Regionen deutlich ausweiten, um Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung im gesamten Umfeld der Europäischen Union zu fördern.

Stärkung der multilateralen Ordnung und ihrer Institutionen

Eine friedliche Welt braucht eine starke internationale Organisation der Zusammenarbeit. Gerade in einer Zeit, in der sich andere Staaten daraus zurückziehen, ist die Europäische Union gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Das betrifft sowohl die finanzielle Unterstützung von internationalen Organisationen und Programmen, wie dem Welternährungsprogramm, dem Umweltprogramm oder dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, als auch das Umsetzen von internationalen Verträgen, zum Beispiel dem Pariser Klimaabkommen. In Zeiten, in denen einige Staatschefs wieder das Recht des Stärkeren an die Stelle der Stärke des Rechts setzen wollen, braucht es eine Europäische Union, die das humanitäre Völkerrecht verteidigt. Wir GRÜNEN wollen, dass sich die EU für eine Stärkung und bessere Funktionsfähigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes einsetzt. Es ist überfällig, dass die EU neben den Mitgliedstaaten selbst Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention wird, damit sich auch EU-Institutionen für ihr Handeln vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten müssen. Die schreckliche Situation in Syrien hat erneut verdeutlicht, welche negativen Auswirkungen die Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen (UN) durch die Blockadehaltung eines Mitglieds im UN-Sicherheitsrat haben kann. Dadurch wird erschwert, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Schutzverantwortung nachkommen kann. Eine Blockade des Sicherheitsrats bei zentralen Fragen schwächt das Völkerrecht und die UN insgesamt, da beispielsweise nicht einmal der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag mit der Verfolgung von Kriegsverbrechen beauftragt werden kann. Die Vereinten Nationen müssen wieder voll handlungsfähig werden. Der Sicherheitsrat sollte so reformiert werden, dass alle Weltregionen angemessen repräsentiert sind. So sollte zum Beispiel Indien aufgenommen werden. Damit würde sich das Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten verbessern. Dazu würde ein Sitz für die Europäische Union einen wichtigen Beitrag leisten. Die Vetomöglichkeit im Sicherheitsrat wollen wir langfristig abschaffen und kurzfristig mit einem Begründungszwang belegen, besonders bei der Frage der Responsibility to Protect. Bis dahin sollte im Falle einer anhaltenden Blockade des Sicherheitsrats die Generalversammlung der UN das Recht beanspruchen, nach dem Vorbild der „Uniting For Peace-Resolution 377“ von 1950 mit qualifizierter Mehrheit den Sicherheitsrat für blockiert zu erklären und an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen, also diplomatische Maßnahmen, Sanktionen oder militärische Maßnahmen, gemäß Kapitel VII der UN-Charta zu beschließen. Neben den Vereinten Nationen wollen wir auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stärken. Dabei geht es darum, die Fähigkeiten der OSZE im Bereich ziviler Krisenprävention, Frühwarnung und Krisenbewältigung zu stärken – materiell und finanziell. Das Konzept der menschlichen Dimension von Sicherheit war und bleibt eine zentrale Errungenschaft der OSZE. Es bildet den umfassenden Sicherheitsbegriff der OSZE ab und umfasst beispielsweise Aktivitäten in den Bereichen Medienfreiheit, Minderheitenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Nichtdiskriminierung. Dieses Engagement für die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung wollen wir unterstützen. Wir fordern daher eine Stärkung des Hochkommissars für Nationale Minderheiten, des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) und des OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit. Wir weisen jegliche Versuche von OSZE-Mitgliedern, die Geltung dieser menschlichen Dimension infrage zu stellen oder ihre Instrumente zu diskreditieren, zurück.

Konsequent für EU-Recht beim Brexit

Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union verlässt ein Land das gemeinsame Haus der EU. Der Brexit verdeutlicht, wie gefährlich es ist, wenn Regierungen mit dem Feuer spielen und Europa für nationale Machtkämpfe missbrauchen. Und er zeigt ein weiteres Mal, wie aus Russland heraus versucht wird, Wahlen in Demokratien zu beeinflussen. Die Europäische Union muss weiter geschlossen zusammenstehen, damit ein Drittland nicht bessergestellt ist als ein Mitgliedsland. Rosinenpickerei darf es nicht geben, der Brexit darf keine Blaupause für andere Staaten werden. Das würde auch diejenigen in Großbritannien unterstützen, die eine weitere Entscheidung der Bürger*innen über das finale Austrittsdokument fordern. Wir setzen uns dafür ein, dass eine Lösung gefunden wird, die den in der EU lebenden Brit*innen und den in Großbritannien lebenden EU-Bürger*innen ermöglicht, ihre jetzigen Rechtsansprüche auch nach dem Brexit geltend zu machen.

Bisher verhandelt die EU erfolgreich, besonders weil die anderen 27 Mitgliedstaaten zusammenhalten. Wir unterstützen die Rolle der EU-Kommission als Verhandlungsführerin. Nationale Alleingänge oder gar bilaterale Deals darf es nicht geben. Die Wahrung der vier EU-Grundfreiheiten – Freiheit von Warenverkehr, Dienstleistung, Personen- und Kapitalverkehr – müssen im Mittelpunkt stehen. Einen uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt kann es ohne Personenfreizügigkeit und Anerkennung des EU-Rechts nicht geben. Einen Austritt mit Sonderstatus kann es nicht geben. Ebenso hat der Frieden auf der irischen Insel absolute Priorität. Insbesondere die britische Regierung muss gewährleisten, dass eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden wird. Ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen kann erst nach dem rechtskräftigen Austritt Großbritanniens finalisiert werden. Die außenpolitische Zusammenarbeit mit Großbritannien wollen wir nach dem Austritt im Rahmen internationaler Organisationen (NATO, OSZE, Europarat) stärken.

Für eine verantwortungsvolle Erweiterungspolitik

Die Erweiterungspolitik der EU ist für uns eine Erfolgsgeschichte. Sie steht für Frieden, Demokratie und Stabilität in Europa. Die Europäische Union hat allen Staaten des Westbalkans – Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Albanien und Mazedonien – das Versprechen gegeben, der EU beitreten zu können, wie dies Slowenien und Kroatien bereits erfolgreich getan haben. Albanien und Mazedonien standen im Juni 2018 kurz vor der Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen, da alle zuvor festgelegten Bedingungen erfüllt wurden. Trotzdem verschob der Rat die Eröffnung auf Juni 2019. Wir GRÜNE werden uns dafür einsetzen, dass der Rat im Juni 2019 sein Versprechen auch in die Realität umsetzen wird, damit Albanien und Mazedonien einen wichtigen und verdienten Schritt im langjährigen EU-Beitrittsprozess vorankommen können. Die EU steht in der politischen Verantwortung, das Vertrauen in das Beitrittsversprechen nicht zu enttäuschen und gleichzeitig den notwendigen Reformprozess in diesen Ländern mitzugestalten. Wir wollen dieses Versprechen durch eine engagiertere und tief greifende Zusammenarbeit mit möglichst vielen gesellschaftlichen Akteur*innen des Westbalkans glaubwürdig machen. Denn die Beitrittsperspektive ist ein wichtiger Motor für den sensiblen Friedens- und Aussöhnungsprozess, für Transformation und Modernisierung in einer weiterhin fragilen Region. Und sie unterstützt vor allem diejenigen, die sich schon heute für mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz der Umwelt einsetzen. Klar ist aber auch, dass ausschließlich der politische Reformwille vor Ort und die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien über das Tempo des weiteren Beitrittsprozesses und den EU-Beitritt selbst entscheiden. Bei den dringend notwendigen Reformen darf es keinen Rabatt geben: Gerade in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Grundwerte und Pressefreiheit, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Beilegung von bilateralen Konflikten müssen noch viele Fortschritte erzielt werden. Diese Herausforderungen bleiben für uns Ansporn für ein starkes Engagement. Das bedeutet in jedem einzelnen Fall, dass die Beitrittsvoraussetzungen der Kopenhagener Kriterien erreicht werden müssen, also die europäischen Werte und Regeln vollständig erfüllt werden. Wir wollen außerdem, dass die EU die Erweiterungspolitik zum Anlass nimmt, ihre innere Funktionsfähigkeit endlich entschlossen anzugehen.

Transatlantische Partnerschaft neu ausrichten

Der US-amerikanische Präsident Trump hat die transatlantische Partnerschaft in eine tiefe Krise gestürzt. Seine Präsidentschaft bringt massive Rückschritte beim Klimaschutz, bei der Anerkennung des Völkerrechts und der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Multilaterale Organisationen geraten so ins Wanken. Die US-Administration versteht die EU als wirtschaftlichen Gegner und setzt auf eine nationalistische Strategie. Darauf braucht es eine geschlossene Antwort der EU-Mitgliedstaaten. Die EU darf sich von Präsident Trump nicht spalten lassen. Nur so kann Europa sich selbst behaupten. Dennoch ist die transatlantische Partnerschaft für uns ein zentraler Bezugspunkt europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Die USA sind mehr als ihr derzeitiger Präsident. Eine enge Zusammenarbeit mit unseren amerikanischen Partnern und Netzwerken progressiver Kräfte, die eine soziale, ökologische, friedliche und menschenrechtsbasierte Politik verfolgen, bleiben wesentlicher Pfeiler unserer Politik. Daher sollte die Europäische Union viel stärker auf eine Zusammenarbeit mit den US-Bundesstaaten sowie zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, vor allem in den Bereichen Ökologie, Bildung, Energie, Klimaschutz sowie Digitalisierung, setzen. Das von Baden-Württemberg und Kalifornien angestoßene Klimaschutzbündnis auf der Ebene der Regionen, die Under2 Coalition, dem sich schon über 200 Regionen angeschlossen haben, kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Östliche Partnerschaft und Russland: demokratische Kräfte stärken

Eine gute Partnerschaft mit den östlichen Nachbarn der EU ist im ureigenen Interesse Europas und wichtiger Baustein für Stabilität und Frieden in der Region. Die Östliche Partnerschaft der EU stärkt seit 2009 die Modernisierung, Demokratisierung und Durchsetzung von Menschenrechten in Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine. Daran wollen wir festhalten und sie weiter ausbauen. Die demokratischen Entwicklungen – sei es in der Ukraine oder Armenien – verdeutlichen uns die Kraft der Zivilgesellschaft in diesen Ländern. Wir halten an einer Visaliberalisierung für alle Länder der Östlichen Partnerschaft fest. Klar ist für uns aber auch, dass diese Partnerländer noch einen weiten Weg vor sich haben. Europäische Grundwerte dürfen nicht für wirtschaftliche Interessen geopfert werden. Der Kampf gegen Korruption, demokratische und rechtsstaatliche Reformen und die Wahrung der Menschenrechte müssen in diesen Ländern noch stärker von der EU eingefordert und unterstützt werden. Die wichtige Anbindung der östlichen Nachbarn an die EU ist gleichzeitig eine Herausforderung für das Verhältnis zu Russland. Russland versucht, die engere Zusammenarbeit der östlichen Staaten mit der EU zu verhindern. Dennoch unterstützen wir weiterhin die Schritte insbesondere der EU-assoziierten Länder der Östlichen Partnerschaft – also der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens – in Richtung europäische Integration und wollen ihnen den Weg zu einem EU-Beitritt offenhalten. Unter Präsident Putin hat Russland mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, dem militärischen Vorgehen in der Ostukraine und mit dem militärischen Eingreifen in Syrien auf der Seite Assads zu einer erheblichen Verschärfung der internationalen Spannungen beigetragen. Putin führt Russland nicht nur innenpolitisch immer weiter weg von Demokratie, Freiheit, der Achtung der Menschenrechte und einer dringend nötigen sozialen und ökonomischen Modernisierung des Landes und seiner Strukturen, sondern handelt internationalen Verpflichtungen und Standards zuwider. Gerade bei unseren osteuropäischen Nachbarn hat das tiefe historische Erinnerungen hervorgerufen. Die Verletzung der territorialen Integrität anderer Staaten ist inakzeptabel. Die EU muss hier klar sein und ihre politischen und diplomatischen Anstrengungen für eine friedliche Lösung der Konflikte in Osteuropa und im Südkaukasus verstärken. Für uns ist klar: Es darf keine Abstriche in unserem Eintreten für Demokratie und Menschenrechte und die Einhaltung des Völkerrechts geben. Die uneingeschränkte Gültigkeit der Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris sowie die Prinzipien der OSZE leiten unsere Politik gegenüber Russland. Eine Lösung des Konfliktes in der Ukraine kann nur eine politische und diplomatische sein. Daher halten wir am Minsker Abkommen fest. Solange Russland gegen dieses verstößt, muss die EU die gezielten Sanktionen aufrechterhalten. Wir wenden uns gegen jede Verletzung der Grund- und Menschenrechte von Aktivist*innen, Journalist*innen, Oppositionellen und Minderheiten in Russland. Wir unterstützen das zivilgesellschaftliche Engagement in Russland. Gemeinsam mit unseren russischen Partnern fordern und fördern wir die stärkere Kooperation mit demokratischen Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Denn diejenigen, die unter den Repressionen leiden, brauchen unsere volle Solidarität. Mit Sorge sehen wir Versuche von russischer Seite, die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten zu schwächen. Die russische Regierung hat kein Interesse an einem geschlossenen und demokratischen Europa. Das wurde durch die Hacks, die Wahlbeeinflussung über soziale Netzwerke und die erhebliche finanzielle Unterstützung antidemokratischer Kräfte in vielen europäischen Staaten deutlich. Darauf muss sich die Europäische Union noch besser einstellen. Die Antwort muss in einer Stärkung der EU und in einer Unterstützung demokratischer Kräfte in Russland liegen. Dabei sollte die Absicherung von sicherheits- und versorgungsrelevanten digitalen Systemen im Vordergrund stehen. Hier gibt es noch hohen Abstimmungs- und Handlungsbedarf innerhalb der EU. Sich in starker europäischer Solidarität entschieden gegen russische Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu stellen, bedeutet allerdings keinen Verzicht auf Selbstkritik. Wachsender Rechtsautokratismus ist nicht allein ein russisches, sondern auch ein europäisches Gesellschaftsphänomen: Hier steht nicht Russland gegen Europa, sondern beiderseits Rechtsautokratismus gegen Demokratie und Menschenrechte. Wo immer es möglich ist, suchen wir die Kooperation mit Russland, deshalb bleiben wir auch im Gespräch. Sicherheit, Frieden und Abrüstung lassen sich nicht erreichen, wenn man sich anschweigt.

Europäisches Engagement für Stabilität und Frieden im Nahen Osten

Der grausame Krieg in Syrien, der seit über sieben Jahren tobt, Hunderttausenden das Leben gekostet und Millionen von Menschen in die Flucht getrieben hat, findet vor Europas Haustür statt. Die EU sollte alle bestehenden Friedensinitiativen sowie alle Bestrebungen zur nationalen Aussöhnung und zur Aufarbeitung begangener Kriegsverbrechen unterstützen. Eine europäische Hilfe für den Wiederaufbau kann es nur geben, wenn diese nicht nur den Assad-Getreuen nützt, sondern allen Syrer*innen. Die EU muss diplomatische Initiativen ergreifen, damit die katastrophale humanitäre Situation verbessert wird. Die Menschen benötigen dringend Lebensmittel und sauberes Trinkwasser, insbesondere aber medizinische Versorgung mit Geräten, Instrumenten und Medikamenten – all das ist nahezu vollständig durch Bomben und Granaten zerstört und vernichtet worden. Solange der Krieg ungehindert fortgesetzt wird, müssen Sanktionen und Einreiseverbote gegen hochrangige syrische und russische Militärangehörige bestehen bleiben und ihre Konten in der EU eingefroren werden. Zudem müssen Waffenlieferungen, die den Krieg in Syrien befeuern, gestoppt werden. Gerade wenn Ergebnisse im Sicherheitsrat nur schwer zu erzielen sind und immer wieder durch den Missbrauch des Vetorechts durch Russland oder andere Staaten blockiert werden, bedarf es politischer Initiativen, um im Rahmen der Generalversammlung etwa eine unabhängige Untersuchung von Verstößen gegen das Völkerrecht durchzusetzen. Die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch US-Präsident Trump könnte die ohnehin instabile Region in einen weiteren blutigen Konflikt stürzen. Es droht ein nukleares Wettrüsten in der Region, das ganz konkret auch die Sicherheit in der Europäischen Union bedroht. Wir treten für eine atomwaffenfreie Welt ein– dafür ist auch eine nukleare Abrüstung im Nahen Osten wichtig. Dazu kommt der Schaden für das transatlantische Verhältnis und die multilaterale Ordnung insgesamt. Die EU muss jetzt alles daransetzen, das Iran-Abkommen am Leben zu halten und die atomare Aufrüstung des Irans zu verhindern. Dies darf jedoch nicht zu einem selbst auferlegten Schweigen gegenüber der dramatischen Menschenrechtssituation, den Drohungen gegen Israel und der aggressiven Regionalpolitik des Irans führen. Zusätzlich muss sich die EU gegenüber allen Regionalmächten um die Durchsetzung einer Friedensordnung bemühen. Das deutsch-israelische Verhältnis ist durch die Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüd*innen durch das nationalsozialistische Deutschland geprägt. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels mit gleichen Rechten für all seine Bürger*innen sind daher unverhandelbar. Wir GRÜNEN setzen uns weiterhin für eine Zweistaatenregelung ein, um die Sicherheit des Staates Israel als nationale Heimstätte des jüdischen Volkes und zum Wohle aller seiner Bewohner*innen sowie die Schaffung eines souveränen, lebensfähigen und demokratischen Staates Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu gewährleisten. Es kann nur eine gewaltfreie Lösung geben. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen den Terror der Hamas. Die zunehmende Diskriminierung von Minderheiten in Israel lehnen wir genauso ab wie den illegalen Siedlungsbau. Während wir der palästinensischen Zivilgesellschaft nicht absprechen, selbst über gewaltfreie Strategien zur Beendigung der Besatzung zu entscheiden, lehnen wir einen Boykott Israels als Instrument deutscher und europäischer Außenpolitik ab. Wir wollen weiterhin mit allen Kräften in Israel und Palästina zusammenarbeiten, die sich gegen eine Fortdauer der Besatzung, gegen eine Spaltung der israelischen Gesellschaft und für eine Zweistaatenlösung einsetzen. Seit drei Jahren tobt auch im Jemen ein brutaler Krieg, in dem die Huthi-Rebellen mit Unterstützung des Irans gegen die jemenitische Regierung und die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz kämpfen. In dem unerbittlichen Krieg sind bereits mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen, 80 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter viele Kinder. Die EU muss ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden und alles dafür tun, um einen sofortigen Waffenstillstand der beteiligten Militärmächte und der Rebellen zu erreichen. Politisch muss auf die Kriegsparteien eingewirkt werden, um die Kampfhandlungen umgehend zu stoppen, die durch Saudi-Arabien errichtete Seeblockade auf zulösen und Hilfsgüter ins Land zu lassen. Jegliche Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern an Saudi-Arabien und die anderen kriegführenden Mitglieder der saudisch geführten Allianz muss ein Ende haben. Es darf nicht sein, dass die Europäische Union indirekt diesen Krieg auch noch anheizt.

Demokratische Kräfte in der Türkei stärken

Die Türkei ist nicht Erdoğan, Erdoğan ist nicht die Türkei. Alle Abstimmungen der vergangenen Jahre haben gezeigt: Rund die Hälfte der türkischen Wähler*innen wünscht sich eine demokratische und rechtsstaatliche Zukunft. Diese Kräfte – die trotz schwerster Repressalien und systematischer Verfolgung durch eine autoritäre und autokratische Regierung in der Türkei für Weltoffenheit eintreten – müssen wir unterstützen. Wir wollen deshalb alles politische Handeln auf europäischer Ebene und in den Mitgliedstaaten konsequent auf die Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Türkei ausrichten. Wir verurteilen die von Präsident Erdoğan eingeschlagene Politik hin zu einem autoritären Präsidialsystem und die massiven Angriffe auf Oppositionelle, die Zivilgesellschaft, die Meinungs- und Pressefreiheit, die völkerrechtswidrigen Angriffe des türkischen Militärs auf Syrien und den Nordirak sowie die Abkehr von einem friedlichen und politischen Lösungsprozess in der Kurdenfrage. Es braucht nun eine grundlegende Neuvermessung der europäisch-türkischen Beziehungen. Mehr denn je muss die EU eine klare Haltung für Demokratie und Menschenrechte zeigen. Für die europäische Ebene bedeutet das unter anderem: Über eine Ausweitung der Zollunion kann erst verhandelt werden, wenn die Türkei eine Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht. Alle Rüstungsexporte europäischer Mitgliedstaaten gehören beendet, ebenso wie die Beteiligung europäischer Unternehmen an Rüstungskonsortien in der Türkei. Die Türkei hat über 3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Deren Versorgung nach humanitären Standards muss die EU finanziell unterstützen. Auch sollten die EU-Staaten dringend Kontingente zur Entlastung der dortigen Strukturen anbieten. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist eine Folge der Weigerung der EU-Mitgliedstaaten, zu einer gemeinsamen solidarischen Lösung in der Flüchtlingskrise zu kommen. Es hat zu katastrophalen Lagern auf Lesbos und anderen griechischen Inseln geführt und untergräbt durch Abschiebungen ohne Asylrechtsprüfung das Recht auf Asyl. Damit hat die Türkei einen nicht unerheblichen Anteil an einer EU-Abschottungspolitik. Diesen EU-Türkei-Deal wollen wir beenden. Praktisch liegen die Beitrittsgespräche mit der Türkei bereits auf Eis. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen muss an strenge, messbare Bedingungen geknüpft sein. Insbesondere mit Blick auf die Verfassungsreform und die jüngsten Wahlen in der Türkei ist eines deutlich: Ein EU-Beitritt der Türkei ist mit der derzeit unter Präsident Erdoğan verfolgten Linie zur Aushöhlung des Rechtsstaats, von demokratischen Rechten und von gesellschaftlichen Freiheiten nicht vorstellbar. Zugleich gilt: Für eine demokratische und weltoffene Türkei müssen die Türen zur EU offen bleiben. Ein formaler Abbruch der Beitrittsgespräche wäre falsch. Die vielen proeuropäischen Kräfte in der Türkei brauchen dieses Signal und weiterhin unsere Unterstützung. Umso bedeutender ist es deshalb, die noch bestehenden EU-Beitrittshilfen ausschließlich an prodemokratische Organisationen auszuzahlen und die Verwendung der Gelder deutlich strenger zu kontrollieren als bislang.

Partnerschaft auf Augenhöhe mit Afrika

Afrika und Europa sind einander eng verbunden – durch die koloniale Vergangenheit hat Europa eine besondere historische Verantwortung. Statt aber eine Partnerschaft auf Augenhöhe anzustreben, stehen derzeit für die EU vor allem Migrationskontrolle und polizeiliche bzw. militärische Zusammenarbeit im Vordergrund. Die gegenwärtige europäische Agrar-, Fischerei-, Handels- und Ressourcenpolitik verhindert eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Afrika. Diese Politik bekämpft keine Probleme, sondern verschärft die Situation derjenigen, die am meisten unter Armut und globaler Ungerechtigkeit zu leiden haben. Wir wollen eine Wende in den Beziehungen zu unserem Nachbarkontinent und unsere afrikanischen Partner dabei unterstützen, lebenswerte Perspektiven für die Menschen vor Ort, besonders für die Jugend, zu schaffen und damit auch langfristig Fluchtgründe zu bekämpfen. Dies wollen wir vor allem durch eine Stärkung afrikanischer Organisationen wie der Afrikanischen Union oder der Afrikanischen Entwicklungsbank erreichen. Da die Voraussetzung für gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fortschritt oftmals die Teilhabe von Frauen ist, wollen wir gemeinsam mit unseren Partner*innen unser Engagement für Geschlechtergerechtigkeit verstärken. Fokus unserer vertieften Zusammenarbeit ist eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung durch sozialökologische Investitionen.

Dabei wollen wir besonders mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammenarbeiten. Diese neue Partnerschaft Afrika-EU, die das Abkommen von Cotonou ablösen wird, muss auf einem offenen und transparenten Ausgleich gegenseitiger Interessen und Forderungen sowie auf Menschenrechten basieren. Um eine nachhaltige Entwicklung im globalen Süden einzuleiten, braucht es eine kohärente Politik in der EU, die sich an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, am Klimaabkommen von Paris, an der Aktionsagenda von Addis Abeba und an der Agenda 2063 der Afrikanischen Union orientiert.

Europäische China-Politik: Kooperation auf Basis klarer Werte

Europas Verhältnis zu China ist über die letzten Jahre wichtiger, aber auch schwieriger geworden. Deutschlands Beziehungen zur Volksrepublik sind besonders eng. Daraus erwächst eine hohe Verantwortung dafür, dazu beizutragen, dass die EU gegenüber China vermehrt mit einer Stimme spricht. Das gilt für die Abwehr chinesischer Dumpingexporte, für den verantwortlichen Umgang mit Investitionen, die Belange der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung beeinträchtigen könnten, oder für faire Chancen europäischer Unternehmen in China. Es gilt nicht weniger für die gemeinsame Vertretung unserer gemeinsamen Werte, vornan der Menschenrechte. Und es gilt auch gegenüber Chinas Außenpolitik, die zunehmend eine Politik der harten Hand ist und zunehmende Drohungen gegenüber der Selbstverwaltung Taiwans einschließt. Wir unterstützen Europas „Ein-China-Politik“ und teilen die Auffassung, dass Chinas Vereinigung nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Chinas heutige Führung, die im Inneren zum Totalitarismus zurückkehrt, befindet sich mit ihren Konzepten der „neuen Seidenstraße“, des „Made in China 2025“ und der „globalen Schicksalsgemeinschaft“ auf dem Weg zur globalen Supermacht, die Multilateralismus nur mitmacht, wo er ihr nutzt, und kritische Äußerungen von innen und außen rigoros sanktioniert. Die Europäische Union muss der chinesischen Herausforderung mit der Bereitschaft zur Kooperation – der Erhöhung der China-Kompetenz in der EU, etwa durch Ausbau der öffentlichen Forschungsförderung, und dem Ausbau von kulturellem und Jugendaustausch –, aber auch mit Klarheit in der Vertretung der eigenen Werte und Interessen und mit Selbstbewusstsein begegnen. Dabei muss auch darauf hingewirkt werden, dass die enormen Investitionen, die China in anderen Ländern plant, auf eine nachhaltige Entwicklung einzahlen, um die globalen und lokalen Umweltgüter, den sozialen Frieden sowie die internationale Sicherheit zu bewahren.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine Initiative für die Reform und Stärkung der Vereinten Nationen
  • die materielle und finanzielle Stärkung der OSZE
  • die Stärkung des humanitären Völkerrechts und des internationalen Strafrechts zur Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen
  • eine vertiefte und wirtschaftlich nachhaltige Partnerschaft zwischen EU und Afrika auf Augenhöhe

4.3 KRISEN VERMEIDEN, FRIEDEN UND SICHERHEIT GARANTIEREN

Als Friedensmacht ist es oberste Pflicht von uns Europäer*innen, aktiv an einer globalen, multilateralen Friedensordnung im Rahmen der Vereinten Nationen mitzuarbeiten. Im Mittelpunkt muss eine Politik stehen, die verhindert, dass Krisen und Konflikte überhaupt entstehen. Von einer kohärenten, vollständig koordinierten Krisenprävention der EU sind wir noch weit entfernt. Wenn die EU ihre Rolle als zivile Macht ernst nimmt, darf sie nicht nur auf die Verteidigung schauen. Zivile und präventive Maßnahmen sind frühzeitig zu ergreifen und nicht erst, wenn Konflikte schon entflammt sind. Das gilt besonders auch für Post-Konflikt-Situationen, auch in Regionen, die nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Das Wiederaufflammen von Kriegen und gewaltsamen Konflikten lässt sich am besten verhindern, wenn frühzeitig in Kooperation mit lokalen Akteur*innen Strukturen vor Ort unterstützt und gegebenenfalls aufgebaut werden, die Sicherheit herstellen und die Versorgung aller Menschen in einer Region ermöglichen. Damit sich Friedenspolitik auf europäischer Ebene nicht nur am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert, setzen wir uns für das Prinzip von Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik im Europäischen Rat ein. Eine zivile Säule des außenpolitischen Handelns, die Diplomatie, ist der nachhaltigere, stärkere Pfeiler einer menschenrechtsorientierten Friedens- und Außenpolitik. Dementsprechend wollen wir den Europäischen Auswärtigen Dienst ausbauen und auch die Aus- und Weiterbildung der Diplomat*innen stärken. Wir plädieren dafür, die konsularischen Dienste der Mitgliedsländer gemeinsam in europäischen Botschaften zu bündeln und dadurch Personalkapazitäten für die eigentlichen diplomatischen Aufgaben freizusetzen. Gerade in Zeiten zahlreicher Krisen und Konflikte wollen wir zugleich die auswärtige Bildungs- und Kulturpolitik nutzen und stärken – als dritte Säule der Außenpolitik und wirkungsmächtiges Instrument europäischen Handelns, das den Kontakt mit der globalen Zivilgesellschaft sichert und Gesprächskanäle öffnet, wo sonst Schweigen und Blockade herrschen. Wir unterstützen den Europäischen Auswärtigen Dienst in seinen Bestrebungen, auch für den zivilen Bereich feste Ausbauziele und gemeinsame Schwerpunkte festzulegen. Ähnlich wie die Battlegroups im militärischen Bereich brauchen wir auch ein ziviles Einsatzteam, damit im Krisenfall schnell zivile staatliche und nicht staatliche Experten wie Polizisten, Juristen, Mediatoren oder Verfassungsexperten entsandt werden können. Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung gehören ins Zentrum der europäischen Friedens- und Außenpolitik. Wir wollen die Mittel und das Personal, zum Beispiel für die EU-Polizei- und Rechtsstaatsmissionen, deutlich erhöhen. Die Kapazitäten für Frühwarnung und Mediation wollen wir ausbauen und zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs stärker einbinden. Das Europäische Friedensinstitut wollen wir stärken, gerade auch mit deutscher Beteiligung. Wir stellen uns gegen den fatalen Paradigmenwechsel, zivile Gelder aus dem EU-Haushalt für militärische Zwecke oder zur Abwehr von Geflüchteten umzuwidmen. Die Trennschärfe zwischen entwicklungspolitischen und militärischen Maßnahmen muss bewahrt werden. Wir lehnen sowohl die Öffnung des Instruments für Stabilität und Frieden für militärische Zwecke als auch den Plan der EU-Kommission ab, dieses Instrument ab 2021 gemeinsam mit den elf anderen außenpolitischen Finanzinstrumenten zum „Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation“ zu verschmelzen. Dieser neue große Topf birgt die Gefahr, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen militärisch gedacht wird. Stattdessen fordern wir eine Verdoppelung der Mittel im Bereich der zivilen Krisenprävention.

Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete stoppen

Europa exportiert Waffen und Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisengebiete sowie in Diktaturen. Das wollen wir stoppen. Wirtschaftsinteressen dürfen nicht den Frieden gefährden. Da viele Rüstungskonzerne über Grenzen hinweg eng zusammenarbeiten, brauchen wir auch eine effektive, strenge und gemeinsame Rüstungsexportkontrolle in der EU. Es braucht einklagbare strenge Regeln und Sanktionsmöglichkeiten. Deshalb wollen wir Nichtregierungsorganisationen ein Verbandsklagerecht einräumen, um die Rechtmäßigkeit genehmigter Rüstungsexporte überprüfen zu lassen. Besonders viele Opfer weltweit fordert der Einsatz von kleinen und leichten Waffen. Die Bundesregierung muss zunächst den Export dieser Waffen und ihrer Munition an Drittstaaten komplett verbieten und nur wenige und gut begründete Ausnahmen ausschließlich im Rahmen von Missionen mit UN-Mandat zulassen. Ein solches Exportverbot für Kleinwaffen fordern wir auch auf europäischer Ebene. Auch wollen wir nicht, dass Überwachungssysteme zur Unterdrückung von Menschen in Diktaturen genutzt werden. Wir fordern daher, dass die Einhaltung der gemeinsamen Regeln für die Ausfuhrkontrolle von Militärtechnologie und Militärgütern (gemeinsamer Standpunkt des Rats von 2008) überprüft und Verstöße gerichtlich geahndet werden können. Im Rahmen der Überarbeitung der Dual-Use-Verordnung fordern wir die Einführung einer allgemeinen Menschenrechtsklausel, die nicht nur auf Überwachungstechnologie anzuwenden ist. Der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) zwischen den USA und Russland ist der wesentliche Pfeiler der internationalen Rüstungskontrolle und der europäischen Sicherheitsarchitektur. Die einseitige Aufkündigung dieses Vertrags durch die US-Regierung wäre fatal. Seit 2014 gibt es substanzielle Vorwürfe gegen Russland, den Vertrag durch die Entwicklung eines neuen Raketensystems zu verletzen. Dennoch halten wir es für falsch, dieses Abkommen zu verlassen. Denn so steigt die Gefahr eines weltweiten nuklearen Wettrüstens dramatisch an – nicht nur zwischen den USA und Russland, sondern auch mit Blick auf andere Atommächte wie China, Iran oder Indien. Gegenseitige Inspektionen der umstrittenen Waffensysteme wären jetzt das Gebot der Stunde, so wie der INF-Vertrag es für den Streitfall vorsieht. Die EU muss jetzt alles dafür tun, dass der INF-Vertrag erhalten bleibt. Es ist nötiger denn je, glaubwürdig für den Erhalt und die Stärkung internationaler und regionaler Rüstungskontrollregime einzutreten. Maßnahmen zur Abrüstung muss die EU auch auf neue Bereiche der Kriegsführung – wie das Internet, den Weltraum und autonome Waffensysteme – ausdehnen. Wir wollen, dass die EU für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintritt. Das gilt insbesondere für die Entwicklung, Herstellung, Beschaffung und Verbreitung voll-autonomer Waffensysteme, bei denen Auswahl und Bekämpfung von Zielen keiner Steuerung durch den Menschen unterliegen. Sie können zu massiven Völkerrechtsverletzungen führen und ein neues Wettrüsten ankurbeln. Deshalb soll sich die EU für eine umfassende völkerrechtliche Ächtung autonomer Waffensysteme (LAWs) einsetzen. Außerdem muss die EU zur atomaren Abrüstung beitragen, sowohl im Innern durch den Einsatz für ein atomwaffenfreies Europa als auch international, und ihre Mitglieder zur Unterzeichnung des UN-Vertrags auffordern.

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Heutzutage werden Sicherheitsrisiken immer komplexer und reichen von der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Cyberangriffen bis hin zur Bedrohung der Energie- und Umweltsicherheit, während zugleich militärische Annexionen direkt vor unserer Haustür stattfinden. Europa kommt gar nicht darum herum, sich diesen Herausforderungen stärker selbst zu stellen. Die NATO hat nach wie vor eine wichtige Bedeutung für die Sicherheit Europas. Doch auch angesichts der Spannungen und Konflikte im NATO-Bündnis ist es sinnvoll, die Sicherheit Europas stärker gemeinsam voranzutreiben. An der Vision einer gesamteuropäischen Sicherheitsordnung, die den Raum der OSZE umfasst, halten wir fest. In diesem Sinne wollen wir an einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsunion arbeiten und die verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte in der EU ausbauen, anstatt immer mehr Geld in nationale Rüstungssektoren zu pumpen. Den Aufbau einer europäischen Atommacht lehnen wir ab. Genauso wenig wollen wir, dass Deutschland sich atomar bewaffnet oder sich unter den Schutzschild der französischen Atomstreitkräfte stellt. Forderungen aus der NATO, die nationalen Militärausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, lehnen wir ab. Aus Sicht der EU-Kommission würden sich schon jetzt durch eine tief gehende Kooperation im Verteidigungsbereich Einsparungsmöglichkeiten von 25 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Statt 17 nicht funktionsfähiger Systeme sollten wir besser ein funktionierendes System schaffen. Wir unterstützen daher grundsätzlich die ständige und strukturierte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (PESCO), wobei die zivile Seite der Sicherheitskooperation bislang deutlich hinterherhinkt. PESCO ist mit der Teilnahme von 25 der 28 Mitgliedstaaten zu einem Projekt nahezu der gesamten Europäischen Union geworden. Die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich darf aber nicht dazu führen, dass wir zusätzliches Geld in ein ineffizientes System der Verteidigungsbeschaffung stecken. Was europäisch getan wird, darf nicht noch parallel national weitergeführt und finanziert werden. Vielmehr wollen wir eine sicherheitspolitische Integration auf europäischer Ebene im Sinne einer echten Umsetzung des „Pooling & Sharing“. Die europäischen Verteidigungsausgaben dürfen auch nicht zulasten anderer Aufgaben der EU gehen. Die Umwidmung bisher ziviler Haushaltstitel auf EU-Ebene lehnen wir ab. Die Entwicklung des Europäischen Verteidigungsfonds verfolgen wir kritisch und setzen uns für mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten durch das Europäische Parlament ein. Der Fonds darf nicht zu Aufrüstung führen. Wir sind gegen eine Etablierung von Parallelstrukturen zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wie die Europäische Interventionsinitiative (EII). Ein gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Vorgehen Europas kann es nur innerhalb der Strukturen der Europäischen Union geben. Damit der Einsatz des Militärs auch wirklich das äußerste Mittel bleibt, muss der zivile Aspekt der Sicherheit deutlich gestärkt werden, wozu vor allem die Nichtverbreitung von Waffen, die Verhinderung von Völkermord, die wirtschaftliche Entwicklung, die Rechtsstaatlichkeit, die Vermittlung und Versöhnung und die territoriale Integrität zählen. Wichtig ist für uns, dass die gemeinsamen Verteidigungsprojekte auch parlamentarisch durch das Europäische Parlament kontrolliert werden. Aus nationaler Erfahrung wissen wir, dass Großprojekte ohne Transparenz und echte Kontrollmöglichkeiten häufig in Missmanagement und Korruption enden. Außerdem brauchen wir eine regelmäßige Debatte zu Einsätzen, die im Rahmen der Missionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU durchgeführt werden. Auch die Evaluierung solcher Missionen sollte durch das Europaparlament erfolgen. Nationale Parlamentsvorbehalte dürfen im Zuge einer stärkeren Rolle des Europäischen Parlaments aber nicht abgeschafft oder unterwandert werden. Mitgliedstaaten sollen auch in Zukunft die Möglichkeit haben, nicht an GSVP-Missionen teilzunehmen.

Europäischer Beitrag zur Konfliktprävention, Friedenssicherung und Schutz vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Eine an den Menschenrechten orientierte Außenpolitik, die dem Schutzprinzip des Völkerrechts verpflichtet ist, bedeutet auch, zu handeln, wenn Menschenrechte massiv verletzt werden. Wir setzen uns daher für den Ausbau der europäischen Polizei- und Rechts staatsmissionen ein sowie auch für Ausbildungs- und Unterstützungsmissionen zur Vorsorge oder zur Stabilisierung von Friedensprozessen. Wir stehen zu einer Kultur der militärischen Zurückhaltung und für das Primat des Zivilen. Die Anwendung militärischer Gewalt ist immer ein Übel. Es gibt jedoch Situationen, in denen militärische Gewalt unter eng begrenzten Bedingungen als äußerstes Mittel im Sinne der Schutzverantwortung der UN notwendig ist, weil nationale Regierungen nicht in der Lage oder willens sind, Menschen vor schweren Menschenrechtsverbrechen zu schützen. Dabei steht an erster Stelle immer die Prävention, also das Verhindern gewaltsamer Entwicklungen. Wir machen uns die Entscheidung über Militäreinsätze niemals leicht, sondern prüfen mögliche Mandate kritisch und sorgfältig. Für uns gelten die UN-Charta und das Völkerrecht. Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur auf Grundlage der UN-Charta und mit einem Mandat der Vereinten Nationen nach Kapitel VI oder VII der UN-Charta zustimmen. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockadehaltung einer oder mehrerer Vetomächte das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen wie das Handeln ohne ein Mandat. Wenn der Sicherheitsrat anhaltend blockiert ist, muss die Generalversammlung an seiner Stelle friedenserzwingende Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit mandatieren, soweit sie das für notwendig befindet. Einsätze müssen grundgesetzkonform sein und im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit erfolgen. Ohne eine umfassende zivile Gesamtstrategie und eine Einbettung in klare Konzepte für die Zukunft des betroffenen Staates dürfen militärische Interventionen nicht erfolgen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • mehr Finanzmittel und Personal für europäische Polizei- und Rechtsstaatsmissionen
  • eine europäische Sicherheitsunion, die parlamentarisch kontrolliert wird
  • nachhaltige Friedenspolitik statt Waffenlieferungen an Diktatoren und in Kriegs- und Krisengebiete
  • eine Verdoppelung der Mittel für zivile Krisenprävention

4.4 GLOBALE GERECHTIGKEIT UND ENTWICKLUNG FÖRDERN

Für eine gerechte Globalisierung brauchen wir eine EU, die eine menschenrechtsbasierte und auf die nachhaltigen Entwicklungsziele ausgerichtete globale Strukturpolitik vorantreibt, aktiv wird und nicht in Nationalismen zurückfällt. Politikkohärenz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ist unser Ziel, damit beispielsweise Handelspolitik nicht Entwicklungszusammenarbeit torpediert. Die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, beschlossen im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen, müssen innerhalb der EU und global umgesetzt werden. Entwicklung gelingt nur dann, wenn wir soziale, ökologische und wirtschaftliche Kriterien zusammendenken. Ziele wie „Geschlechtergerechtigkeit“, „saubere Energie“, „gute Bildung“, „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ der Agenda 2030 müssen wir in der EU durch eine ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie verwirklichen. Die EU als eine der größten Geberinnen in der Entwicklungszusammenarbeit muss die Rolle von Frauen in Entwicklungsvorhaben und die Auswirkung von Entwicklungsmaßnahmen auf Frauen und ihre Gleichstellung ernst nehmen. Sie muss ihr selbst gesetztes Ziel, dass 85 Prozent der Entwicklungsprogramme auch zur Geschlechtergleichstellung beitragen, endlich erreichen und mehr Mittel für Projekte zur Frauenförderung bereitstellen. Wir müssen unsere Politik ändern, wenn Agrarsubventionen Märkte in armen Ländern zerstören, wenn europäische Rechtsräume zur Geldwäsche oder für die Steuervermeidung und Kapitalflucht missbraucht werden oder wenn unsere Handelspolitik Entwicklungschancen zerstört. Eine EU, die sich Nationalismus und antidemokratischen Kräften entgegenstellt und sich glaubhaft für nachhaltige Entwicklung engagiert, ist unser Ziel. Wichtig ist dabei, dass sie diese Ziele nach innen und nach außen kohärent verfolgt und Widersprüche auflöst. Eine kohärente nachhaltige Politik ist nicht nur die beste Antwort auf die Herausforderungen weltweiter Flucht- und Migrationsbewegungen, sondern dient auch dem Recht aller Menschen auf ein gutes Leben und eine sichere Zukunft. Wir müssen endlich die strukturellen Ursachen der Zerstörung von Lebensgrundlagen konsequent angehen und globale Ungleichheit reduzieren. Unser Lebensstil, unsere Art zu konsumieren, unser Wirtschaftssystem zerstören die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen im Süden unseres Planeten. Europäische Unternehmen exportieren Rüstungsgüter in Krisengebiete, überfischen die Weltmeere, und unsere Gesellschaften nehmen in Kauf, dass unsere Agrarexporte andernorts die Existenzgrundlage von Bäuer*innen wie auch der Kleinindustrie zerstören. Statt einer immer stärkeren Repression gegen Menschen auf der Flucht braucht es eine kohärente internationale Politik und strukturelle Reformen in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft, Energie, Fischerei, Außenpolitik und Klimaschutz, wie sie die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN vorgeben. Unser Ziel ist es auch, dass eine Wertschöpfung vor Ort passiert und eine weiterverarbeitende Industrie aufgebaut wird. Die Agenda 2030 definiert „wirtschaftliche Entwicklung“ nachhaltig. Es geht um verbesserte Lebensperspektiven und nötiges wirtschaftliches Wachstum nicht auf Kosten des sozialen Zusammenhalts oder ökologischer Nachhaltigkeit zu erreichen. Arme Länder sollen bei der Entwicklung ihrer Volkswirtschaften konkrete Unterstützung erhalten, damit dies nachhaltig und selbstbestimmt gelingt. Dies bedeutet auch, dass wir globale Verteilungsgerechtigkeit in einem System natürlich begrenzter Ressourcen neu denken. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich schon lange zu einer Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens verpflichtet – die immer noch nicht erreicht sind. Wir sprechen uns klar dagegen aus, dass Ausgaben für Flüchtlinge im Inland und innerhalb der Europäischen Union als Ausgaben für die Entwicklungsfinanzierung gerechnet werden können. Vielmehr brauchen wir einen verbindlichen Stufenplan, um das 0,7 Prozent-Ziel in der EU tatsächlich zu erreichen und zu halten. Die wirtschaftlich starken Länder der EU stehen hier besonders in der Pflicht und müssen gemeinsam vorangehen. Mittelfristig soll die Zusätzlichkeit der Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung gegenüber dem 0,7 Prozent Ziel sichergestellt werden. Die knappen Entwicklungsgelder sollen vor allem den bedürftigsten Ländern zukommen. Öffentlich-private Partnerschaften sollen dem Gemeinwohl und einer nachhaltigen Entwicklung und nicht den Renditeerwartungen der Anleger dienen. Sie dürfen nicht zu neuen Schuldenkrisen führen. Eine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge lehnen wir ab. Die zunehmende Aushöhlung der Entwicklungszusammenarbeit lehnen wir ab. Daher stellen wir uns gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission, das eigenständige Budget für die Entwicklungszusammenarbeit aufzulösen und einem allgemeinen Instrument für Außenpolitik unterzuordnen. Dabei sind Entwicklungsgelder nicht alles. Wir setzen uns dafür ein, dass die EU konsequent die Kapitalflucht und Steuervermeidung aus Entwicklungs- und Schwellenländern begrenzt. Dazu gehören Transparenzregister, das Austrocknen europäischer Steuersümpfe und die verpflichtende, länderbasierte Berichterstattung globaler Konzerne, die in der EU ihren Sitz haben. Der humanitäre Bedarf der Vereinten Nationen zur Vermeidung von Hungersnöten und schlimmsten Katastrophen wird von der Staatengemeinschaft immer wieder nicht erfüllt, allerhöchstens erst nach wiederholten Appellen und Sondergipfeln. Wir wollen eine Stärkung und ausreichende Finanzierung der europäischen und internationalen Organisationen in diesem Bereich; dazu zählt insbesondere auch eine finanziell bessere Ausstattung der europäischen Organisation für humanitäre Hilfe, ECHO. Auch die nationalen europäischen Hilfen sollen besser koordiniert sein. Außerdem wollen wir in der Nothilfe stärker auf genderspezifische Bedürfnisse achten. Dazu gehören besonders die Bereiche sexuelle und reproduktive Gesundheit, Müttergesundheit und die Unterstützung von Überlebenden sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • die Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung
  • die Bekämpfung von Kapitalflucht und Steuervermeidung aus Entwicklungs- und Schwellenländern
  • eine Stärkung und bessere finanzielle Ausstattung der europäischen Organisation für humanitäre Hilfe
  • eine faire, nachhaltige Entwicklungspolitik, die zu globaler Gerechtigkeit beiträgt

4.5 FAIREN UND OFFENEN WELTHANDEL VORANBRINGEN

Die globale Arbeitsteilung hat unzähligen Ländern mehr Wohlstand gebracht. Millionen Menschen in sich entwickelnden Ländern haben auch dadurch den Sprung aus extremer Armut geschafft. Der Austausch von Waren und Dienstleistungen fördert die Verbreitung von Innovationen und trägt zu friedlichen Beziehungen zwischen den Nationen bei. Doch gleichzeitig führt eine unregulierte Globalisierung viel zu oft zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Der aktuelle globale Wettbewerb setzt soziale und ökologische Standards in den Staaten unter Druck. Die Wohlstandsgewinne aus dem globalen Handel sind teilweise extrem ungleich verteilt. Der offene Welthandel soll fair, ökologisch und gerecht gestaltet sein und Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellen. In diesem Sinne setzen wir uns dafür ein, dass die Europäische Union eine führende Rolle bei der sozialökologischen Regulierung des Welthandels einnimmt.

Global und demokratisch

Die Welthandelsordnung steht unter Druck. Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) stecken in der Sackgasse. Immer mehr Staaten setzen darauf, nur mit einzelnen anderen Staaten Handelsabkommen abzuschließen. Die „America-first-Politik“ von Donald Trump oder Chinas aggressive Industriepolitik verstärken den Sog zu immer mehr bilateralen Abkommen. Wir sehen das skeptisch, denn dabei geraten die Interessen von Ländern, die keinen Platz am Verhandlungstisch haben, immer unter die Räder und die Verhandlungsposition ärmerer Länder wird geschwächt. In einer echten globalen Partnerschaft dürfen nicht nur die wirtschaftlich Stärksten entscheiden. Deswegen fordern wir die Wiederbelebung der Verhandlungen im Rahmen der WTO. Dazu sollte die EU einen Vorschlag vorlegen, der die WTO und das Welthandelssystem reformiert und neu belebt und langfristig unter das Dach der Vereinten Nationen stellt. Die Errichtung einer neuen globalen Welthandelsordnung wird Zeit brauchen. Daher können für den Übergang auch Abkommen zwischen einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen sinnvoll sein. An diese Abkommen legen wir aber harte Kriterien an. Sie dürfen nicht zulasten Dritter gehen. Sie müssen demokratisch und transparent zustande kommen. Das Europaparlament muss über das Mandat mitbestimmen, und mehr Verhandlungsdokumente sollen öffentlich sein. Die TTIP-Verhandlungen haben gezeigt, dass mehr Transparenz möglich ist. Auch müssen die Abkommen Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechte, Entwicklung und soziale Gerechtigkeit voranbringen. Getrieben von einer konservativ-neoliberalen Mehrheit, wurde in Europa eine Handelspolitik vorangebracht, die diesen Grundsätzen widerspricht oder sie sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Im Mittelpunkt stehen die Interessen von großen Konzernen, während Verstöße gegen Umweltschutz, Arbeitnehmer*innen- und Menschenrechte weiterhin nicht bestraft werden.

Wir stehen für eine Handelspolitik, die die Globalisierung gerecht gestaltet, die in ihren Handelsabkommen verbindlich soziale und ökologische Standards und das Vorsorgeprinzip festschreibt, die kommunale Daseinsvorsorge ausreichend schützt, den Pariser Klimavertrag als wesentlichen Bestandteil verankert und die parlamentarische Mitentscheidung bei der sogenannten regulatorischen Kooperation garantiert. Es ist nicht hinnehmbar, dass es Sonderschiedsgerichte für Investoren gibt, während Klimaschutz, Menschenrechte oder das Vorsorgeprinzip nur schmückende Prosa bleiben. Wir lehnen einseitige Gerichte und Sonderklagerechte für private Investoren ab. Das sind unsere Maßstäbe für Handelsabkommen wie CETA, JEFTA und TTIP. Deshalb lehnen wir CETA in dieser Form weiterhin ab. Wir sind davon überzeugt, dass es möglich ist, das Abkommen im Sinne der oben genannten Kriterien zu verändern, solange es noch nicht endgültig in Kraft gesetzt ist. Die derzeit laufenden Vertragsanpassungen wollen wir nutzen. Wir sind zusammen mit einer breiten europäischen Zivilgesellschaft erfolgreich dagegen auf die Straße gegangen und haben dazu beigetragen, dass TTIP nicht gekommen ist und bei CETA und JEFTA einseitige Gerichte für private Investoren erst einmal verhindert werden konnten. Das macht deutlich, dass es sich lohnt, für faire, ökologische, gerechte und demokratische Handelsabkommen zu streiten, auch wenn wir noch nicht am Ziel sind. Denn leider halten die Kommission und die Mehrheit der Mitgliedstaaten unbeirrt an ihrer falschen Agenda fest. Wir GRÜNEN treten auf allen Ebenen dafür ein, dass diese Politik geändert wird. Wir GRÜNEN lehnen das Abkommen mit Japan (JEFTA) deshalb in dieser Form ab, zum Beispiel wegen der mangelnden Verankerung und Durchsetzung sozialer und ökologischer Standards, des Vorsorgeprinzips und des Pariser Klimaschutzabkommens im Vertragstext. Gerade mit Ländern wie Japan bestünde die Chance, es endlich besser zu machen. Auch beim Abkommen mit den südamerikanischen Staaten (Mercosur) fehlen verbindliche soziale und ökologische Standards. Die EU setzt auf die Liberalisierung bei Dienstleistungen, obwohl öffentliche Wasser- und Stromversorgung gerade in den Ländern des Mercosur ein wichtiges Mittel zur Armutsbekämpfung ist. Das Vorsorgeprinzip ist nicht verbindlich verankert. Stattdessen ist auf Bestreben Brasiliens der Schutz des Amazonas-Regenwaldes aus dem Vertragstext geflogen. Dabei ist der Amazonas aufgrund der durch das Abkommen weiter steigenden Rindfleischproduktion stark bedroht. Sie befeuert die Abholzung des Regenwaldes und erschwert die Agrarwende in Europa. Die EU sollte initiieren, dass die Mitgliedstaaten ihre bestehenden nationalen Investitionsschutzabkommen nachverhandeln, um die Investor-Staats-Schiedsgerichte zu beenden. Wir unterstützen die EU-Kommission bei ihrem Vorhaben, die existierenden innereuropäischen Investitionsabkommen zu beenden. Wir setzen uns stattdessen für einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem nicht nur Unternehmen klagen können, sondern auch Betroffene gegen die Verletzung menschenrechtlicher, sozialer und umweltrelevanter Verpflichtungen durch transnationale Unternehmen. Der Vorschlag der EU-Kommission für einen multilateralen Investitionsgerichtshof (MIC) erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Regulatorische Kooperation darf nicht Standards absenken, sondern muss diese verbessern. Das Vorsorgeprinzip, nach dem die Unbedenklichkeit von Produkten vor der Zulassung nachgewiesen werden muss, ist die tragende Säule des europäischen Schutzes von Umwelt und Verbraucher*innen. Die bestehende Verankerung des Vorsorgeprinzips im Primärrecht der EU reicht hierzu nicht aus. Deshalb wollen wir, dass es für alle Bereiche der EU-Handelsabkommen gilt. Auch Produkte, deren Verkauf in Europa verboten ist, wie bestimmte Giftstoffe und Waffen, sollten hier auch nicht produziert und dann exportiert werden dürfen. Wir wollen im Handel auch die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen stärken und damit der Konzentration von wirtschaftlicher Macht entgegenwirken. Sie profitieren von Zoll reduktion und einheitlichen technischen Standards.

Für faire Arbeits- und Produktionsbedingungen, Klimaschutz und Menschenrechte

Handel sollte soziale Gerechtigkeit, faire Produktions- und Arbeitsbedingungen und Menschenrechte unterstützen. Menschenrechte und die Arbeitnehmerschutzrechte der Internationalen Arbeitsorganisation, also die ILO-Kernarbeitsnormen, müssen im Handel fest verankert werden, und ihre Verletzung muss einklagbar sein. Bei Verstößen muss die EU Handelsvergünstigungen auch entziehen. Die EU-Kommission setzt in erster Linie auf freiwillige Selbstverpflichtungen. Die Erfahrung zeigt: Das reicht nicht. Unsere Kleidung wird meist unter gefährlichen Bedingungen für extrem niedrige Löhne produziert. Notwendig sind deshalb gesetzliche Sorgfaltspflichten, neue Haftungsregeln und bessere Klagemöglichkeiten innerhalb der EU – auch für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen, die von europäischen Unternehmen verursacht werden. Wir wollen Unternehmen gesetzlich zu mehr Verantwortung und Transparenz in Bezug auf ihre Lieferketten verpflichten sowie dazu, Menschen- und Arbeiter*innenrechte einzuhalten und fairer und ökologischer Beschaffung den Vorrang zu geben. Für Textileinfuhren nach Europa wollen wir gesetzliche Mindeststandards verankern. Innerhalb der WTO sollte die EU eine Initiative starten, die soziale und ökologische Regeln für die gesamte Lieferkette im Textilbereich verankert. Diese Regeln können dann nach und nach auf andere Sektoren ausgedehnt werden. Die Klimaziele von Paris müssen fester Bestandteil des Welthandels werden. Wir unterstützen den Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Klimaziele von Paris als wesentlichen Bestandteil in Handelsabkommen zu verankern und damit verbindlich umzusetzen. Wir müssen Handel und Klima in Einklang bringen. Eine Vorreiterrolle im Klimaschutz darf nicht zu Nachteilen im internationalen Wettbewerb führen. Im Gegenteil wollen wir erreichen, dass sich ein ambitionierter Klimaschutz auch ökonomisch rechnet. Dies kann zum Beispiel über eine zu entwickelnde Klimaabgabe auf schmutzige Importe erfolgen, die aber WTO- und entwicklungskonform ausgestaltet sein muss. Unfairen Wettbewerb durch Preis- oder Standarddumping wollen wir verhindern. Die letzte Reform der europäischen Anti-DumpingInstrumente war ein wichtiger Schritt. Es ist ein Erfolg grüner Politik im Europaparlament, dass Marktverzerrung nun auch bei Verstößen gegen internationale Arbeitnehmer- und Umweltstandards festgestellt werden kann. Wir wollen in kritischen Bereichen strategische Infrastruktur schützen. Handelsabkommen dürfen keine Treiber von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung werden. Wo sich Privatisierungen als Holzweg erwiesen haben, wollen wir diese rückgängig machen können. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss umfassend geschützt werden. Kommunen dürfen in ihrer Handlungsfreiheit nicht beschränkt werden.

Faire Rohstoffpolitik

Durch viele Produkte des Alltags sind wir mit der ganzen Welt verbunden: Die Produktion findet in Asien statt, die Rohstoffe kommen vom afrikanischen Kontinent und konsumiert wird bei uns. Wir wollen die Lieferketten besser kontrollieren. Deshalb wollen wir transparente Lieferketten mit sozialen und ökologischen Mindeststandards durch entsprechende Offenlegungs- und Sorgfaltspflichten erreichen. Was in der Europäischen Union konsumiert wird, darf nicht zu Krieg und Ausbeutung beitragen. Wir stehen für eine andere Rohstoffpolitik. Die Rohstoffe, die wir für unsere Handys oder Tablets benötigen, werden oft unter miserablen Bedingungen abgebaut und gehen mit Menschenrechtsverletzungen, Konflikten und Umweltzerstörungen einher. Ausbeutung darf aber nicht Grundlage der Digitalisierung und unseres Konsums sein. Wir treten ein für faire Rohstoffpartnerschaften, die die Bedürfnisse der Abbauländer berücksichtigen, für Einsparung des Rohstoffverbrauchs und eine nachhaltige Nutzung in Europa. Wir wollen verbindliche Standards bei Abbau, Weiterverarbeitung und Handel von Rohstoffen im Rahmen eines transparenten Verfahrens, das auch gegen Korruption und Steuervermeidung wirkt. Besonders Konfliktmineralien müssen besser kontrolliert werden. Europa trägt durch den Import von Soja, Palmöl und Holz in einem hohen Umfang zur weltweit fortschreitenden Entwaldung bei. Wir wollen, dass die Europäische Holzhandelsverordnung künftig für alle Holz- und Papierprodukte gilt und durch ein effektives Überwachungs- und Sanktionssystem scharf gestellt wird. Sie muss für alle Liefer- und Verarbeitungsschritte gelten. Außerdem engagieren wir uns für europaweit wirksame Regelungen, die den Handel mit Gütern ausschließen, wenn ihre Herstellung direkt oder indirekt mit Waldvernichtung, insbesondere der Vernichtung von tropischen und borealen Wäldern oder vergleichbaren Ökosystemen, einhergeht.

Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe

Die gegenwärtige Handelspolitik der EU gegenüber Entwicklungsländern ist einseitig von den wirtschaftlichen Interessen europäischer Unternehmen dominiert. Durch den Abbau von Zöllen werden Industrie, Handwerk und Landwirtschaft, die in Entwicklungsländern heimisch sind durch Billigimporte aus der EU bedroht. Die EU ist durch ihre starke Verhandlungsposition in der Lage, den Entwicklungsländern Bedingungen zu diktieren. Die derzeitigen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit Afrika verhindern den Aufbau einer eigenen Wirtschaft in diesen Ländern, statt ihn zu fördern. Wir wollen diese Abkommen stoppen und zu einer echten Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe übergehen. Die Entwicklungsländer müssen ihren Weg einer nachhaltigen Entwicklung selbst bestimmen können. Gleiche Rechte sind nur zwischen gleich starken Partnern gerecht. Bei der Partnerschaft auf Augenhöhe spielen für uns auch zivilgesellschaftliche Akteure eine wichtige Rolle. Wir wollen Entwicklungsländern ausreichend Raum für handelspolitische Schutzmaßnahmen lassen, damit sie ihre heimische Wirtschaft aufbauen und junge Industrien schützen können. Zolleinnahmen sind eine wichtige Einnahmequelle für Entwicklungsländer. Ohne sie werden die mageren Staatseinnahmen stark belastet und es fehlen Mittel für Investitionen in öffentliche Güter wie Bildung, Basisgesundheitsdienste und andere Aspekte der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die EU hingegen sollte ihre Zölle auf verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern abschaffen, um eine diversifizierte Industrie und Wertschöpfung vor Ort zu ermöglichen.

Fairer Handel auch in der Landwirtschaft

Europäische Agrarsubventionen zerstören kleinbäuerliche Strukturen im globalen Süden und schaffen so Abhängigkeiten, vernichten Existenzen und zementieren Armut. Das muss ein Ende haben. Wir brauchen einen Neustart des europäischen Agrarhandels, der nicht länger mit Dumpingpreisen Märkte im globalen Süden zerstört. Wenn Produkte in die EU importiert werden, müssen Mindeststandards, beispielsweise die Arbeitsnormen der ILO, gelten. Die Patentierung von Saatgut sowie Landgrabbing wollen wir bekämpfen. Die EU muss Investoren und staatliche Institutionen dazu drängen, die Leitlinien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN zu Landrechten, Fischgründen und Wäldern einzuhalten. Agrochemiekonzerne wie Bayer, der durch die Übernahme von Monsanto zum Marktbeherrscher geworden ist, kontrollieren bereits jetzt große Teile des weltweiten Saatgut-, Düngemittel- und Pestizidmarkts. Mit ihren Patenten werden Kleinbäuer*innen in teure Abhängigkeiten gezwungen und die Artenvielfalt wird zerstört. Wir wollen die Rechte der Kleinbäuer*innen in Entwicklungsländern auf freien Austausch und kostenlose Wiederaussaat von Saatgut sichern. Darüber hinaus wollen wir den Auf- und Ausbau lokaler Saatgutbanken fördern, damit traditionelles Wissen und die biologische Vielfalt erhalten und zugänglich bleiben. Sortenvielfalt ist ein wichtiger Baustein, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen und die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • die Verankerung des Pariser Klimaschutzabkommens und des Vorsorgeprinzips in allen Handelsverträgen der EU
  • WTO-konforme Klimaabgaben auf schmutzige Importe
  • die Abschaffung von Zöllen auf verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern

4.6 DROGENKRIEGE BEENDEN

Der globale Krieg gegen Drogen ist gescheitert. Er fördert organisierte Kriminalität, unterminiert die Gesundheit der Drogenkonsument*innen, verletzt Menschenrechte und trägt zur Destabilisierung von Staaten bei. Damit verhindert er die politische und wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder. Europa trägt als Konsumentenregion Verantwortung für die Auswirkungen der Nachfrage nach Drogen. Wir wollen deshalb, dass die Europäische Union sich auf der Ebene der Vereinten Nationen dafür einsetzt, dass der Drogenkrieg beendet wird. Nationale Schritte für eine Reform der Drogenpolitik wie in verschiedenen Ländern Lateinamerikas sollten unterstützt und nicht behindert werden. Die Europäische Union soll eine Reform der Drogenpolitik in den Mitgliedstaaten unterstützen, die zuallererst auf Prävention, Hilfe, Schadensminderung, Entkriminalisierung und Regulierung setzt – und nicht auf Verbote und Repression. Die kontrollierte Abgabe von Cannabis in einzelnen Mitgliedstaaten sowie Modellprojekte auf regionaler Ebene können dazu beitragen, die organisierte Kriminalität innerhalb der EU zu verringern.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • eine globale Reform der Drogenpolitik
  • eine an den gesundheitlichen Risiken orientierte Regulierung von Drogen

5 VORANBRINGEN, WAS UNS VORANBRINGT: INNOVATION, BILDUNG UND KULTUR

In atemberaubender Geschwindigkeit greift der wissenschaftliche und technische Fortschritt immer tiefer in unsere Leben ein. Die Digitalisierung prägt, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren, wie wir denken, wie wir lernen, wie wir reden. Sie wird immer noch stark von Männern dominiert. Sie stellt die Wirtschaft auf den Kopf und vieles infrage. Es öffnet sich ein Raum von ungeahnten Möglichkeiten und Herausforderungen: nicht nur, dass Roboter Rasen mähen und Post austragen, sondern auch, dass sie unsere Eltern und Großeltern im Heim pflegen. Dass ferngesteuerte Maschinen die Felder so passgenau düngen, dass keine Nährstoffüberschüsse mehr entstehen. Dass Roboter Kriege führen und über Leben und Tod bestimmen. Neue Konzerne dominieren die Märkte, und ihre handelbare Ware sind unsere persönlichen, intimsten Daten. Aus Forschungen werden neue Techniken. Es entsteht neue Arbeit, alte geht verloren und unsere Art zu arbeiten ändert sich. Vieles klingt verheißungsvoll, anderes scheint unheimlich, aber in jedem Fall gilt: Technischen Fortschritt kann man nicht aufhalten und auch nicht rückgängig machen. Es ist deshalb an der Politik, die Veränderungen entlang der europäischen Werte zu gestalten. Das bedeutet, Entwicklungen zu fördern, aber auch zu entscheiden, was man zulassen will und wie Anwendungen zu regulieren sind. Sinnvoll geht das nur auf europäischer Ebene. Wenn wir wissen wollen, nach welchen Kriterien Algorithmen bestimmen, wer wie viel für einen Flug bezahlen muss oder wer in die engere Auswahl für Jobs kommt, dann wird das kaum national möglich sein. Sonst können sich global agierende Konzerne den niedrigsten nationalen Standard aussuchen. Europa dagegen ist eine Macht. Wenn die EU will, kann sie die digitale Welt zivilisieren. Sie muss aus unserer Sicht geeignete Regeln für die Haftung von Maschinen und für die Transparenz und Überprüfbarkeit von Algorithmen schaffen, sie muss die Diskriminierung durch Suchmaschinen, Filter und Co. verbieten. Andererseits gilt es, die Chancen, die sich auftun, wirklich zu nutzen: Schlüsseltechnologien und Start-ups mit nachhaltigen Geschäftsmodellen fördern; ein neues Forschungsprogramm auflegen, damit Ideen und Zukunftstechnologien zum Nutzen der Gesellschaft entwickelt werden und der Technologietransfer in die Praxis beschleunigt wird; an neu zu gründenden europäischen Universitäten Wissen bündeln und so die Innovationskraft vervielfachen. Und für all das gilt: Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und genauso von Kunst muss garantiert sein. Kultur und Kreativität müssen sich frei entfalten können, was angesichts des Drucks, unter dem Kulturschaffende in Ländern wie Ungarn stehen, keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Bildung ist dabei der Schlüssel, damit wir für die rasanten Änderungen gewappnet sind. Das gilt für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene. Wir wollen ein Recht auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen EU-weit verankern. Schüler*innen, Auszubildende und Student*innen sollen Europa konkret erfahren können. Dafür etwa wollen wir das europäische Erasmus-Programm massiv ausbauen, damit Europa nicht nur für Akademiker erlebbar wird. So schaffen wir ein Europa als Raum der Kreativität und Innovation, ein Europa, das auf der Höhe der Zeit ist und die Entwicklungen steuert, statt ihnen hinterherzulaufen.

5.1 DIE DIGITALISIERUNG ZUM WOHL DER MENSCHEN STEUERN

Die Digitalisierung kann uns helfen, effizienter und ökologischer zu handeln, Informationen leichter zu verbreiten und mehr Transparenz herzustellen. Wir wollen den digitalen Wandel demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch gestalten. Wir wollen die Chancen ergreifen, um Arbeit zu erleichtern, um die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Arbeit zu verbessern genauso wie die medizinische Versorgung, Ressourcen zu sparen, Verkehrsunfälle zu vermeiden und Bildungschancen zu erhöhen sowie Innovationen zu fördern. Als GRÜNE haben wir in Europa mit der Datenschutzgrundverordnung, die wir maßgeblich mit auf den Weg gebracht haben, einen internationalen Standard gesetzt und schon viel erreicht. Bürger*innen müssen sich selbstbestimmt im digitalen Raum bewegen können und die volle Souveränität über ihre Daten behalten. Beim Datenschutz und bei der Daten- und der IT-Sicherheit kann Europa mit einheitlichen Sicherheitsnormen voranschreiten und somit Wettbewerbsvorteile durch eine an unseren Grundrechten orientierte Digitalpolitik erreichen. Gerade angesichts der zunehmenden Bedeutung des „Internets der Dinge“ sind höchste Sicherheitsstandards essenziell und sollten gesetzlich verankert werden. Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden, Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Insbesondere die Plattformökonomie mit ihren Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Wir wollen Ordnung in dieses System bringen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, damit unsere Wirtschaft krisenfester und dynamischer wird. Unser Ziel ist eine nachhaltige Digitalökonomie. Um sie zu erreichen, setzen wir auf eine echte Netzneutralität, freie und überprüfbare Software, offene Schnittstellen, Interoperabilität und eine vitale Entwickler*Innencommunity, deren Bemühungen für ein offenes und innovationsfreundliches Internet wir beispielsweise durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit unterstützen. Gegenüber marktmächtigen Plattformen und Anbietern brauchen wir ein Europa, das mit einer Stimme spricht, um für den Schutz von Verbraucher*innenrechten, fairen Wettbewerb und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen. Trivial- und Softwarepatente lehnen wir ab.

Mit Digitalisierung Ökonomie und Ökologie zusammenführen

Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Sie schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Mit Videokonferenzen lässt sich Teamarbeit weltweit vernetzen und damit der CO₂-Ausstoß durch Reisen reduzieren. Mit intelligenten Stromnetzen und intelligent vernetzten Transportsystemen können wir unseren Energieverbrauch reduzieren und die Energiewende beschleunigen, mit einer intelligenten Mobilitätsplanung und -steuerung bringen wir die Verkehrswende voran. Dafür wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann also zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Gleichzeitig frisst sie aber auch Ressourcen und Energie. So werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der digitale Energiebedarf 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, falls nicht umgesteuert wird. Deswegen wollen wir ein europäisches „Recht auf Reparatur“ schaffen, das Hersteller von Geräten verpflichtet, langfristig Ersatzteile anzubieten sowie Reparaturanleitungen zu veröffentlichen. Wir fordern, dass der Zeitraum, in dem Produkte mit zeitnahen Sicherheitsupdates versorgt werden, für Verbraucher*innen einheitlich und gut sichtbar gekennzeichnet ist und für eine typabhängige Mindestfrist garantiert werden muss. Gleichzeitig wollen wir Open-Hardware- und Open-Source-Software-Produkte besonders fördern, da diese auch nach Ende der Herstellerunterstützung noch weitergenutzt werden können. Wir wollen als Teil der europäischen Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Diese Strategie soll die Forschung und Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und die europäische Halbleiterindustrie – eine technologische Schlüsselbranche – in Richtung Nachhaltigkeit stärken. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige Rechenzentren ein. Gerade die europäische Verwaltung soll in Zukunft „Green-IT“-Systeme nutzen. Damit Fortschritte bei der Energie- und Ressourceneffizienz von digitalen Technologien eine größere Verbreitung finden, wollen wir vor allem Open-Hardware- und Open-Software-Lösungen unterstützen. Zahlreiche Projekte in diesen Bereichen haben gezeigt, wie der Energieverbrauch und damit auch die Kosten gesenkt werden können.

Digitalen Wandel in der Wirtschaft entschlossen vorantreiben

Europas Industrie steht mitten in einem bahnbrechenden Umbruch: Neue Technologien und Innovationen fassen Fuß, neue Märkte entstehen und neue Wettbewerber treten auf. In zahlreichen Zukunftstechnologien, wie der künstlichen Intelligenz oder autonomen Systemen, befinden wir uns in einer Aufholjagd gegenüber anderen Weltregionen. Nur gemeinsam, mutig und visionär kann Europa innovationsstärker werden. Wir wollen, dass die EU kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk bei der Digitalisierung mit unbürokratischen Beratungsangeboten oder Förderprogrammen unterstützt. Auch wollen wir, dass die jetzt schon an vielen Stellen etablierten und kommenden Möglichkeiten der digitalisierten Arbeitswelt für mehr Freiheit der Arbeitnehmer*innen genutzt werden. Die digitale Arbeitswelt birgt aber auch Fallen: Unfreiwillige Mehrarbeit, dauernde Verfügbarkeit, Arbeitsverdichtung und ständige digitale Leistungskontrolle werden einfacher. Es braucht daher einen guten Arbeitsschutz für Beschäftigte und Selbstständige – sowohl gesetzlich wie tariflich. Dienstleistungsplattformen müssen sich ihrer Verantwortung bei den Arbeitsbedingungen, der Mitbestimmung und der Entlohnung stellen. Um Menschen eine Perspektive zu bieten, deren Arbeitsplatz im Zuge der Digitalisierung wegfällt, wollen wir europäische Aus- und Weiterbildungsprogramme stärken. Dazu möchten wir das Recht auf Weiterbildung europäisch verankern. Fortbildungen allein schaffen allerdings keine neuen Arbeitsplätze. Durch Digitalisierung ersparte Arbeit darf nicht Gewinn für die einen und Existenzvernichtung für die anderen bedeuten: Durch Digitalisierung ermöglichte Profite und Zeitkontingente müssen gerecht an alle verteilt werden. Wir müssen daher neue Sozialabgaben- und Besteuerungsmodelle für Wertschöpfung durch Maschinen und Algorithmen entwickeln und Grundsicherung für Menschen von Lohnarbeit entkoppeln. Digitalisierung als Gemeinwohl wird so zur Chance für neue menschliche Entfaltungsräume. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen, um die Freiheit im Netz zu stärken und um eine angemessene Vergütung für Künstler*innen und Kulturschaffende sicherzustellen. Wir setzen uns für ein europäisches und zukunftsfestes Urheberrecht ein, das auf den technischen Wandel eingeht. Es muss bürgerrechtskonform sein, die Interessen von Verbraucher*innen, Verwerter*innen und Urheber*innen fair ausgleichen und die finanzielle Absicherung von Künstler*innen ermöglichen. Es gibt eine florierende kriminelle Industrie, die mit illegalen Kopien gigantische Umsätze generiert, ohne die Urheber*innen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Um gegen diese illegalen Strukturen vorzugehen, müssen die Täter strafrechtlich verfolgt und entsprechende Inhalte gelöscht werden. Mit Drittstaaten müssen Vereinbarungen zur Rechtsdurchsetzung geschlossen und Täter grundlegend vom Geldfluss abgeschnitten werden, indem wir Werbetreibende und Finanzdienstleister, die das illegale System stützen, mit in die Verantwortung nehmen.

Die aufwendige Verfolgung von Nutzer*innen war und ist unverhältnismäßig und nicht zielführend. Wir halten Uploadfilter für den falschen Ansatz und eine fehlerhafte Technologie. An ihrer Stelle müssen neue Vergütungsmodelle eingeführt werden, die eine einfache und legale Onlinenutzung von geschützten Werken ermöglichen, wie zum Beispiel eine Pauschalabgabe für Onlineplattformen, die Inhalte kuratieren. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger lehnen wir ab und es muss klargestellt werden, dass die Verwendung von Hyperlinks nicht unter das Urheberrecht fällt. Dies gefährdet die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit, die offene Architektur des Internets und ist in Deutschland bereits grandios gescheitert. Wir setzen uns für eine europäische Schranke für das „Recht auf Remix“ (transformatorische Nutzung) ein. So erhalten wir die Remixkultur im Internet, hören auf, Nutzer*innen zu kriminalisieren, und erleichtern Künstler*innen eine Vergütung für ihre Leistungen. Nutzer*innen digitaler Inhalte sollen bei Ausleihe und Weiterveräußerung nicht schlechter gestellt werden als bei analogen Gütern. Für die Digitalisierung des kulturellen Erbes sollen die Fördermittel erhöht und die Gemeinfreiheit erhalten werden. In einem vereinten Europa wollen wir einen offenen Zugang zu Angeboten und Inhalten einer vielfältigen Kultur sicherstellen und eine europäische Öffentlichkeit fördern. Zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Informationsflusses sprechen wir uns für eine weitere Reduzierung des Geoblockings im Internet zum Beispiel beim Zugang zu öffentlichen Fernsehsendern und Mediatheken aus. EU-Forschungsprogramme wollen wir stärken, um bahnbrechende digitale Technologien zu entwickeln. Gerade bei der Erforschung von künstlicher Intelligenz (KI) wollen wir gesamteuropäisch vorangehen. Deswegen setzen wir uns für ein europäisches Zentrum für künstliche Intelligenz ein. Europa soll Vorreiter im Datenschutz bleiben. Auf der Basis der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wollen wir deshalb innovative und datenschutzfreundliche Unternehmen als digitales Alleinstellungsmerkmal Europas fördern und „Privacy by Design“ und „Data Protection made in Europe“ zum Wettbewerbsvorteil machen. Dazu gehören Investitionen in technische Datenschutzforschung und Anonymisierungstechnologien, insbesondere im Zusammenhang mit „Big Data“ und Algorithmen. Die öffentliche Hand muss bei der IT-Sicherheit Vorreiter sein. Bei der Bereitstellung neuer E-Government-Angebote muss sie auf höchste Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards setzen und Projekte, die diese Ziele befördern, stärker unterstützen. Nicht nur im Datenschutz braucht es einen gesamteuropäischen Ordnungsrahmen, sondern auch für die von uns Verbraucher*innen genutzten Plattformen. Wie bereits bei SMS und Telefonie soll es möglich werden, zwischen den verschiedenen Plattformen und Messenger-Apps wie Threema und WhatsApp zu kommunizieren. Außerdem müssen Nutzer*innen, die die Plattform wechseln, künftig ihre Daten mitnehmen können. Auch digitale Unternehmen können und müssen im Sinne der Nutzer*innen reguliert werden. Damit Unternehmen und Verbraucher*innen von der Digitalisierung profitieren können, braucht Europa eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Ohne sie wird es keinen vollendeten europäischen digitalen Binnenmarkt geben. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-Mobilfunk gibt es Investitionslücken von Hunderten Milliarden Euro. Deswegen setzen wir uns für eine umfassende europäische Investitionsoffensive für den Glasfaserausbau und für eine Förderung offener und freier WLAN-Netze ein. Den Ausbau der digitalen Infrastruktur wollen wir an eine weitere rechtliche Stärkung der Netzneutralität koppeln, es darf kein „Zweiklasseninternet“ geben. Wir wollen, dass Investitionen aus Nicht-EU-Ländern durch eine Prüfung der Belange von Sicherheit und der öffentlichen Ordnung („investment screening“) kritisch überprüft und gegebenenfalls untersagt werden können.

Digitalisierung und Gleichheit: Schutz vor Diskriminierung

Große Fortschritte bei den digitalen Technologien und der Automatisierung stellen uns als europäische Gesellschaft vor grundlegend neue Fragestellungen. In China sehen wir zum Beispiel, wie digitale Technologien zur Massenüberwachung und Verhaltenskontrolle genutzt werden. Digitale Angebote gestalten unser gesellschaftliches Zusammenleben und haben einen starken Einfluss auf Rollenbilder und Chancengleichheit, sie sind nicht geschlechtsneutral. Wir brauchen daher mehr Frauen als Führungskräfte in Digitalunternehmen, Gründerinnen, Urheberinnen und Entwicklerinnen von digitalen Produkten und Angeboten. Mit speziellen Programmen und gendersensibler Bildung sollen Mädchen und Frauen ermutigt werden, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten.

Immer stärker beruhen diese Technologien auf Algorithmen und künstlicher Intelligenz, die zunehmend Entscheidungen für und über die Bürger*innen treffen. Wir GRÜNEN wollen jeglicher Diskriminierung durch algorithmische Entscheidungen vorbeugen und verhindern, dass bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch selbstlernende Systeme verstetigt werden. Besonders betroffen sind in diesem Zusammenhang ohnehin diskriminierungsgefährdete Gruppen wie Frauen, Minderheiten und ärmere Menschen. Zum Beispiel ändert sich personenspezifisch, wer beim Onlineeinkauf wie viel bezahlen muss und wer bei Straftaten zuerst verdächtigt wird. Es werden gruppenspezifische Werbungen angezeigt oder Kredite aufgrund von Wohnorten automatisiert verweigert. Wir wollen die ethischen Implikationen neuer Technologien stärker erforschen und politisch berücksichtigen. Wir wollen auf Europaebene rechtlich verankern, dass algorithmische Entscheidungssysteme generell überprüfbar, anfechtbar und entsprechend ihrer gesellschaftlichen Wirkung reguliert werden. Wir fordern spezialisierte Schiedsstellen und ein erweitertes Verbandsklagerecht, um den Schutz vor algorithmischer Diskriminierung zu gewährleisten. Gerade die europäischen Antidiskriminierungsstellen müssen diesbezüglich stärker ausgestattet werden. Alle Gremien zur Überprüfung von Algorithmen müssen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein. Es stellt sich aber auch die Frage, wer wie für eine Fehlentscheidung haftet, die durch einen Algorithmus getroffen wurde. Die Diskussion über einen ethischen Rahmen für Roboter und künstliche Intelligenz ist deshalb wahrscheinlich eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Wir begrüßen, dass es seit Kurzem eine europäische Expertenkommission gibt, die sich mit grundsätzlichen ethischen und rechtlichen Fragen bezüglich Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitaler Innovationen auseinandersetzt. Auch für andere autonome Systeme, ob im Bereich der Mobilität, der Arbeit oder beim Militär, muss eine europäische Digitalethik entwickelt werden. Wir fordern, dass diese Kommission konkrete Vorschläge für einen Rechtsrahmen entwickelt. Für uns als GRÜNE ist es jedoch noch wichtiger, dass die Diskussion um eine neue Digitalethik als gesamtgesellschaftliche Debatte geführt wird. Wir wollen, dass die Europäische Union bei dieser Frage innovativ vorangeht und nach dem Vorbild der irischen „Convention on the Constitution“ Bürger*innen der EU auswählt, die die Fragen einer neuen Digitalethik diskutieren und Vorschläge für eine neue Digitalethik für das Europäische Parlament machen. Damit kann eine gute gesamtgesellschaftliche Debatte begonnen werden.

Digitalisierung und Freiheit: soziale Medien sozial machen

Wir als GRÜNE wollen erreichen, dass digitale Technologien das alltägliche Leben aller Europäer*innen vereinfachen und den Menschen einen leichteren Zugang zu Informationen ermöglichen. Mit Facebook, Twitter und Co. ist ein digitaler öffentlicher Raum entstanden. Lange Zeit war damit ein Optimismus verbunden, dass der einzelne Mensch durch die sozialen Medien nicht mehr bloßer Informationsempfänger, sondern auch Sender und Multiplikator von Informationen werden kann und so mehr Freiheit und Aufklärung erreicht wird. In Diktaturen und Autokratien bieten in der Tat verschiedene internetbasierte Anwendungen Oppositionellen die Chance, sich zu vernetzen und Inhalte zu verbreiten, die in der kontrollierten Presse verschwiegen werden. Auf der anderen Seite müssen wir aber feststellen, dass die digitale Welt von Diktaturen und autoritären Regimes zur Festigung ihrer Herrschaft genutzt wird. Hass, Lügen und Unwahrheiten verbreiten sich so leicht wie nie. Auch die völkisch-nationalistische Rechte organisiert und koordiniert sich über Social Media und nutzt Onlineplattformen für ihre Hetze gegen Antifaschist*innen, demokratische Politiker*innen, Andersdenkende, Geflüchtete und Minderheiten. Besonders stark betroffen sind Frauen. Beleidigungen, Vergewaltigungs- und Todesdrohungen sind für im Netz aktive Frauen an der Tagesordnung. Dadurch werden viele Frauenstimmen zum Schweigen gebracht und aus der Debatte im digitalen öffentlichen Raum herausgedrängt. Doch ein von Männern dominiertes Internet gefährdet auch die in der analogen Gesellschaft erreichten Fortschritte von Frauen und somit die Demokratie. Die Verifikation und Filterung von Quellen und Informationen durch professionelle Journalist*innen entfällt, wenn Nutzer*innen alles einfach direkt in sozialen Medien verbreiten. Durch die Macht der Lügen und Unwahrheiten bröckelt der gesellschaftliche Zusammenhalt. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir den investigativen Journalismus genauso stärken wie die Medienbildung in Schule und Weiterbildung, damit sich Bürger*innen kritisch mit den Wirkungsweisen und Dynamiken sozialer Medien auseinandersetzen können.

Wir brauchen in Europa eine vielstimmige Öffentlichkeit, die einen lebendigen Eindruck von der gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt Europas vermittelt. Die Digitalisierung erlaubt Bürger*innen, mit eigener Stimme an solchen Debatten teilzuhaben. Eine partizipative Medienöffentlichkeit trägt zur gesellschaftlichen Selbstverständigung bei. Gleichzeitig können wir die Definition dessen, was auf den Plattformen erlaubt ist und was nicht, nicht allein den Betreiber*innen überlassen, sondern müssen dies politisch regeln. Zudem ist bis heute völlig unklar, nach welchen Kriterien Algorithmen bestimmte Inhalte wem und warum anzeigen. Das ist intransparent und verhindert einen selbstbestimmten Umgang mit dem Internet.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein Verbot von Diskriminierungen durch Algorithmen und eine Verpflichtung zu deren Transparenz
  • den europaweiten Ausbau digitaler Infrastruktur und ein freies und offenes Internet für alle
  • ein Ende der anlasslosen Massenüberwachung
  • Regeln für soziale Medien, damit wir Hass und Hetze wirksam entgegentreten können

5.2 EUROPÄISCHE FORSCHUNG FÖRDERN UND START-UPS STÄRKEN

Forschung und Entwicklung bilden die Basis, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen und unser Leben noch lebenswerter zu gestalten. Ein vertiefter, dynamischer und weltoffener Forschungsraum in Europa ist von zentraler Bedeutung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, weltweit führender Innovations- und Forschungsstandort zu werden. Bisher bleibt dieses Ziel unerreicht. Vielmehr konnten die USA ihre Führungsrolle behaupten und China konnte die EU bei der Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung überholen. Dies spiegelt sich in der Entwicklung neuer Technologien wider. Wir wollen Europa als Forschungs- und Entwicklungsregion unterstützen. Besonders im Bereich der Digitalisierung und Robotik, der Biotechnologie und Nanotechnologie finden derzeit rasante Entwicklungen statt, und die Europäische Union muss aufpassen, weltweit den Anschluss nicht zu verlieren. Forschung, die uns bei der Bewältigung des Klimawandels unterstützt, muss nachhaltig und langfristig unterstützt werden, nicht nur durch einzelne Forschungsprojekte, sondern auch durch den Aufbau von europäischen Innovationszentren und umfangreiche Grundfinanzierung. Neue Entwicklungen in der Batterietechnologie, im Recycling, in der Verwendung nachhaltiger Ressourcen, in der Wasseraufbereitung und in der Erzeugung erneuerbarer Energie müssen in Europa vorangetrieben werden. Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein zentraler Wert demokratischer Verfassungen. Ihre Grenzen liegen in der Menschenwürde, bei tierethischen Prinzipien und dort, wo hohe Umweltrisiken entstehen. Welche Erkenntnisse und Ergebnisse wir nutzen wollen, muss immer gesellschaftlich verhandelt werden. Die europäische Forschungslandschaft besteht heute noch zu sehr aus einem Flickenteppich nationaler Forschungsprogramme, ineffizienten Doppelungen und einer massiven Spaltung zwischen forschungsstarken und forschungsschwachen Mitgliedstaaten – und das in einer Zeit, in der angesichts der zahlreichen globalen Herausforderungen sowie des Drucks populistischer Kräfte auf die Wissenschaftsfreiheit mehr internationale und europäische Zusammenarbeit dringend notwendig ist. Einzeln für sich haben die Mitgliedstaaten nicht die finanzielle Durchschlags- und internationale Strahlkraft entwickelt, die es im globalen Wettlauf der Innovationen braucht. Dafür benötigt es einen ganzheitlichen Ansatz. Noch immer wird das selbst gesetzte Ziel, 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung zu investieren, verfehlt. Noch immer stehen nationale Interessen beim Kernfusionsprojekt ITER über dem Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Noch immer scheitern viele kleine und mittlere Unternehmen an einer Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen, weil die Hürden zu hoch, zu kompliziert, zu bürokratisch sind. Und noch immer bleiben viele gute Ideen aus der Spitzenforschung auf der Strecke oder werden in anderen Regionen zu Geld gemacht, weil sie nicht in den Markt überführt werden.

Ein neues Forschungsprogramm ab 2020

Der Zeitpunkt, um dies zu ändern, ist genau richtig. Das aktuelle europäische Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ läuft aus. Jetzt können wir ein schlagkräftiges Nachfolgeprogramm auf die Beine stellen, das die europäische Forschungslandschaft vernetzt, Schlüsseltechnologien fördert, den Nährboden für innovative, nachhaltige Start-ups schafft und die angewandte Forschung und Grundlagenforschung stärkt. Wichtig ist uns dabei der Beitrag der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu einem Europa der Innovation. Bei Förderprogrammen wie „Horizon Europe“ muss darauf geachtet werden, dass die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften verstärkt eingebunden und gefördert werden. Auch darf die Erforschung gesellschaftlicher Auswirkungen nicht erst nachrangig erfolgen, wenn technologische Fakten bereits geschaffen sind. Transformative Forschung geht für uns dabei Hand in Hand mit nachhaltiger und gerechter sozialer Innovation. Auch ist es uns wichtig, Forschungsergebnisse durch das gezielte Fördern von Open-Access-Publikationen allen frei zugänglich zu machen. Dazu wollen wir etwa Projekte wie cOAlition S, die öffentlich geförderte Publikationen frei zugänglich machen, auf europäischer Ebene vorantreiben. Forschungs- und Innovationsförderung soll auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Ressourcenknappheit sowie Krebs- und Demografieforschung bis hin zu Machtfragen, wie patriarchiale Strukturen, ausgerichtet werden. Das Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“ muss dafür sorgen, dass neue Ideen schneller marktreif werden und der Technolo gietransfer in die Praxis beschleunigt wird. Dabei soll frühzeitig die Nachhaltigkeit und Wirkung des Geschäftsmodells eingeschätzt und berücksichtigt werden. Für umweltverträgliche Zukunftstechnologien wollen wir die Markteinstiegsphase beschleunigen. Die Umwidmung ziviler Forschungsmittel für die Rüstungsforschung lehnen wir strikt ab. Wir wollen ein neues Kapitel europäischer Weltraumforschung aufschlagen: Als Wissenschaftspartei wollen wir die Grenzen menschlichen Wissens ausweiten und die fundamentalen Fragen der Physik, des Universums und unserer Existenz erforschen. Raumfahrt hilft uns, Erkenntnisse über unseren Planeten zu gewinnen (zum Beispiel Klimaforschung, Landwirtschaft, Katastrophenschutz, Wetterprognosen), und trägt zur friedlichen Kooperation vieler Nationen bei, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit Russland bei der internationalen Raumstation. Die globale Raumfahrtindustrie ist im Umbruch; für Europa geht es jetzt darum, souverän in der Weltraumforschung zu bestehen und damit europäische Innovationen zu befördern. Die EU-Staaten sollten dazu ihre finanziellen Anstrengungen intensivieren. Wir schlagen eine verstärkte Beteiligung der EU bei der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und eine noch engere Kooperation mit den nationalen Raumfahrtbehörden vor. Im Bereich Wirtschaftswissenschaften wird die Pluralität der geförderten Denkschulen und methodischen Ansätze erweitert. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die EU Forschungen zur Behandlung vernachlässigter Tropenkrankheiten sowie für bessere Medikamente gegen armutsbegünstigte Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Ebola fördert. Ebenso dürfen Forschungsgelder für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen nicht für Geo-Engineering-Projekte und -Forschung zweckentfremdet werden. Forschung wird aber nicht nur durch bessere materielle Ausstattung attraktiv, sondern auch durch ein attraktives Umfeld und soziale Faktoren, wie eine gute Kinderbetreuung. Wir wollen in allen EU-Mitgliedsländern faire statt prekäre Karrierewege für Wissenschaftler*innen schaffen, damit sie uns erhalten bleiben. Echte Wissenschaftsfreiheit setzt eine solide Grundfinanzierung voraus, sodass nicht nur für Unternehmen lukrative Forschungsgebiete bestehen, sondern auch Grundlagen- und kritische Forschung langfristig in der EU eine Heimat haben. Das muss durch die Förder politik gesichert werden.

Schutz für bedrohte Wissenschaftler*innen

Mit großer Sorge sehen wir, dass international zunehmend politischer Druck auf Wissenschaftler*innen ausgeübt wird. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein demokratisch verbrieftes Grundrecht. Wenn in der Türkei mehrere Tausend Wissenschaftler*innen aus politischen Gründen entlassen oder verhaftet werden, wenn in Ungarn Universitäten bedroht werden, dann ist das eine dramatische Abkehr von der Wissenschaftsfreiheit. Wir setzen uns dafür ein, dass Wissenschaftler*innen, die wegen ihrer Tätigkeit verfolgt werden und ihr Land verlassen müssen, in der EU Schutz finden und ihre Forschung frei fortführen können. Es ist daher unser Ziel, dass die EU einen europäischen „Fonds für verfolgte Wissenschaftler*innen“ einrichtet, aus dem Forschungsaufenthalte an Universitäten, Hochschulen und weiteren Forschungseinrichtungen für solche Gastwissenschaftler*innen finanziert werden können. In mehreren grün mitregierten Bundesländern haben wir mit einem solchen Fonds schon erste Erfolge erzielt. Zudem kommt dadurch auch neue, inspirierende wissenschaftliche Expertise in die EU. Dies stärkt den Wissenschaftsstandort, aber auch den Ruf und das Ansehen Europas als Kontinent des politisch gelebten Humanismus.

Rückenwind für Start-ups

Gerade den Pionieren – den Start-ups – wollen wir Rückenwind geben und dafür sorgen, dass sie mit frühzeitigen Finanzierungsprogrammen und Infrastruktur unterstützt werden. Insbesondere Frauen wollen wir bei der Gründung von Unternehmen und bei der Forschungsförderung unterstützen. Für die erfolgversprechendsten Start-ups fordern wir einen Europäischen Start-up-Pass. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen und nationalen Start-up-Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch sogenannte Inkubatoren, also Einrichtungen, die sie auf dem Weg in die Selbststständigkeit begleiten, zu erhalten. Sie sollen außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Start-ups bekommen. Um die europäische Start-up-Landschaft weiter zu fördern und zu stärken, wollen wir auch mit den Mitteln des Euro päischen Fonds für regionale Entwicklung dafür sorgen, dass in jedem EU-Mitgliedsland ein One-Stop-Shop für Start-ups mit niedrigschwelliger Beratung verfügbar ist. Diese niedrigschwelligen Beratungen wollen wir untereinander vernetzen, damit die europäische Start-up-Szene weiter zusammenwächst. Jungen Menschen wollen wir durch ein Förderprogramm für Start-ups dabei helfen, Jobs zu schaffen, wo kaum noch welche zu finden sind. Auch Erfolg versprechende nichteuropäische Start-ups wollen wir gewinnen. Dafür fordern wir ein Europäisches Start-up-Visum ähnlich dem französischen „Tech Ticket“. Neben dem Visum sollen ausländischen Start-ups auch Beratung und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein neues Forschungsprogramm, das angewandte und Grundlagenforschung gleichermaßen in den Blick nimmt
  • Wissenschaftsfreiheit und den Schutz von bedrohten Wissenschaftler*innen
  • eine Gründerförderung durch einen Start-up-Pass und durch Start-up-Visa

5.3 EIN VERSPRECHEN AN DIE NÄCHSTE GENERATION

Europas Zukunft ist die Jugend. Die Europäische Kommission hat eine Initiative gestartet, die Europas Jugend kostenloses Reisen verspricht, um so junge Europäer*innen von Europa zu begeistern (DiscoverEU). Für uns ist klar, dass dies nicht zulasten bestehender und erfolgreicher Projekte innerhalb des Jugendbudgets gehen darf. Wir setzen uns dafür ein, dass das Programm für alle jungen Menschen in Europa zugänglich wird und um wichtige interkulturelle Bildungskomponenten ergänzt wird. Nur im Rahmen der gesamten Jugendstrategie und durch zusätzliche Möglichkeiten wie temporäre Freiwilligendienste und die Pflege eines Netzwerkes unter den Jugendlichen kann ermöglicht werden, dass #discoverEU tatsächlich zur Bildung einer europäischen Identität beiträgt und nicht nur Tausende parallele individuelle Reisen beinhaltet. Jugendverbände und Jugendgruppen sind Grundlage für die Gestaltung von Freizeit und Bildung von Millionen Jugendlichen in Europa. In unserer Zivilgesellschaft muss sichergestellt werden, dass ehrenamtliches Engagement von Jugendlichen wertgeschätzt wird und Jugendarbeit nicht an bürokratischen Hürden scheitert. Wir sprechen uns daher für eine Stärkung und Vereinfachung der Projektförderung über Erasmus+ aus. Die Vielfalt der Sprachen innerhalb Europas ist eine unserer stärksten kulturellen Bereicherungen. Das Erlernen von neuen Sprachen öffnet neue Realitäten; und trotzdem ist dies für viele Kinder und Jugendliche derzeit abhängig von der jeweiligen Qualität der Schulbildung oder dem Einkommen der Erziehungsberechtigten, die Sprachaufenthalte oder Sprachunterricht finanzieren können. Gleichzeitig bietet das Internet Chancen für kostengünstige, effektive und breit gestreute Weiterbildung. Die Institutionen der Europäischen Union verwenden bereits jetzt viele Sprachen alltäglich, unterstützt durch eine Vielzahl von Dolmetscher*innen. Wir wollen eine offene digitale Plattform entwickeln, über die sich alle europäischen Bürger*innen andere europäische Sprachen einfach und effektiv aneignen können. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind derzeit im politischen Geschehen massiv unterrepräsentiert. Dabei haben politische Entscheidungen, die wir heute treffen, für genau sie die größte Auswirkung. Wir denken, dass Kinder und Jugendliche ein Mitspracherecht für das Europa und die Welt, in der sie leben möchten, haben sollen. Daher erschaffen wir ein Europäisches Jugendparlament, dessen Mitglieder durch ein Losverfahren bestimmt werden und in dem selbst Jugendliche sitzen, debattieren und abstimmen. Das Europäische Jugendparlament berät das Europäische Parlament und wird strukturell garantieren, dass die Stimme der jeweils nächsten Generation gehört wird.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • die zielgerichtete Implementierung des #discoverEU-Projekts
  • die Unterstützung von Jugendinitiativen und Jugendverbänden
  • die Entwicklung eines kostenlosen digitalen Sprachenzentrums
  • die Einrichtung eines Europäischen Jugendparlaments zur besseren Partizipation junger Menschen

5.4 BILDUNG EUROPÄISCH LEBEN

Wir wollen grenzüberschreitende Bildungsangebote. In einem anderen europäischen Land die Schule zu besuchen, zu studieren oder eine Ausbildung oder Praktika zu machen, dort zu leben und zu lernen, hat heute schon für Millionen Menschen die europäische Gemeinschaft konkret erfahrbar gemacht. Wenn der Austausch über nationale Grenzen hinweg zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Bildungsbiografie aller Unionsbürger*innen wird, ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der europäischen Gemeinschaft geschafft. Bisher reicht der Horizont von Bildungspolitik jedoch viel zu oft nur bis zur Landes- oder Staatsgrenze. Bildungserfahrungen im Ausland sind viel zu oft noch ein Privileg für Akademiker*innen und Menschen mit gutem Einkommen. In der Geschichte Europas war und ist Diskriminierung immer wieder auch mit dem Ausschluss von formaler Bildung verbunden. Ein Beispiel hierfür ist das Beschulungsverbot von Sinti und Roma unter den Nationalsozialisten, das sich heute noch negativ auswirkt. Wir wollen, dass Europa für solche Bevölkerungsgruppen die Tür zur Bildung aufstößt. Dafür wollen wir einen EU-Bildungsfonds einrichten für Menschen, die selbst oder deren Familien strukturell von forma ler Bildung ausgeschlossen waren oder sind. Daraus sollen Stipendien finanziert werden, um Schulausbildungen nachzuholen oder Berufsausbildungen zu finanzieren. In Zukunft müssen nicht nur Universitätsabschlüsse, sondern auch Berufsausbildungen sowie Fort- und Weiterbildungen innerhalb Europas in jedem Land der EU anerkannt werden. Wir wollen auf der europäischen Ebene in allen Bildungsbereichen die Vernetzung und gemeinsame Arbeit in Projekten der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ fördern. Dabei sind für uns insbesondere Großschutzgebiete wie Nationalparks wichtige Partner in der Umweltbildung. Deshalb werden wir uns auch für die Bereitstellung von Fördermitteln für bi- und multilaterale europäische Bildungsprojekte und Netzwerke für nachhaltige Entwicklung starkmachen. So erreichen wir, dass sich viele aktiv an der Gestaltung einer ökologisch verträglichen, wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Gesellschaft beteiligen und somit das Zusammenleben in Europa gestärkt wird. Wir wollen, dass in der gesamten Europäischen Union der freie Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung garantiert wird.

Jugendfreiwilligendienst in Europa garantieren

Wir stehen für ein Europa der engagierten Zivilgesellschaft. Wir wollen das große Engagement gerade von jungen Europäer*innen in der Gesellschaft für und mit anderen fördern und unterstützen. Alle jungen Menschen in Europa, die sich für die Gesellschaft in Form eines freiwilligen Dienstes für ein Jahr engagieren möchten, müssen dies auch können. Deswegen setzen wir uns für eine europaweite Garantie ein. Sowohl der europäische Dienst als auch die nationalen Dienste müssen so ausfinanziert sein, dass auch Jugendliche aus Elternhäusern mit geringem Einkommen diese Möglichkeit nutzen können. Dafür wollen wir 1 Million Plätze im europäischen Freiwilligendienst schaffen und über Erasmus+ hinaus zusätzliche europäische Mittel zur Finanzierung einsetzen.

Erasmus für alle

Das europäische Austauschprogramm Erasmus ist ein Markenzeichen und eine der großen Erfolgsgeschichten Europas. Es hat in den 30 Jahren seines Bestehens die Biografien vieler junger Europäer*innen geprägt. Der Freiheitsraum Europa wurde so für Millionen Menschen Teil ihres Lebensgefühls. Wir wollen, dass alle jungen Menschen in der EU unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und von der Schule, die sie besuchen, während ihrer Schulzeit, ihrer Ausbildung oder ihres Studium die Chance haben, an einem Austausch mit dem europäischen Ausland teilzunehmen. Dazu möchten wir das Erasmus-Programm massiv ausbauen, für Schüler*innen, Auszubildende und Studierende. Eine oder zwei Wochen als Schüler*in in ein anderes europäisches Land zu reisen, dort den Alltag in einer Familie zu erleben und die Schule zu besuchen – diese Erfahrungen so vielen jungen Europäer*innen wie möglich zu eröffnen, ist eine der besten Investitionen in den Zusammenhalt Europas. Wir wollen Lust und Neugierde auf Europa wecken, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und auch für die Länder Europas, deren Sprache nur selten in Deutschland auf dem Lehrplan steht. Dafür muss Erasmus+ beim Schulaustausch aber viel einfacher zugänglich gemacht werden. Heute können oft nur die Lehrkräfte an gut ausgestatteten Schulen den Aufwand betreiben, den die EU verlangt. Zu detaillierte Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Kriterium, dass an dem Austausch junge Menschen aus mehreren Ländern und nicht nur aus zwei Ländern teilnehmen müssen, stellen unnötige Hürden dar. Statt absurd überbürokratisierter Programme wie Move2Learn, Learn2Move, die auf nur ca. 5.000 Teilnehmer*innen EU-weit pro Jahr ausgelegt sind, wollen wir breit zugängliche, einfache und pauschalierte Antrags- und Förderverfahren für Schulen, sodass die Programme wirklich genutzt werden können. Wir wollen einen rechtlichen Rahmen für Schüleraustauschprogramme anbieten, damit der Aufwand für Lehrer*innen und Schulen so gering wie möglich ist. Nach wie vor erreichen die Angebote zu wenige Azubis und junge Arbeitnehmer*innen. Dabei sind Auslandspraktika in der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine hervorragende Möglichkeit, interkulturelle und zusätzliche fachliche Kompetenzen zu erwerben. Hier geht also noch mehr: Wir wollen das Informationsangebot verbessern, Antrags- und Anerkennungsverfahren einfacher gestalten und passgenaue Unterstützungsangebote einrichten. Das bisherige Ziel der EU, der Hälfte eines Jahrgangs von Studierenden einen Auslandsaufenthalt in einem anderen europäischen Land zu ermöglichen, wurde noch nicht erreicht. Um in die Welt zu gehen, braucht man eine soziale Absicherung. Daher wollen wir Risiken und Barrieren, die der Mobilität von Studierenden im Wege stehen, ausräumen und eine soziale Staffelung der Erasmus-Unterstützung verbindlich machen. Sie kann für weniger wohlhabende Studierende bis zu einem Vollstipendium reichen. Auch für Menschen mit Kind(ern) soll ein Auslandsaufenthalt durch entsprechende Unterstützung möglich sein.

Eine europäische Gesellschaft braucht Europäische Universitäten

Wir GRÜNEN unterstützen die Idee der Gründung Europäischer Universitäten. Hochschulen sind eine europäische Erfindung, sie prägen Geistesleben, Wissenschaft und Kultur unseres Kontinents seit Jahrhunderten. Aufgabe einer Europäischen Universität ist es, eine ganz Europa umfassende wissenschaftliche Bildung zu verankern und die Verknüpfung bislang national geprägter Wissenschaftsdisziplinen zu fördern. In Lehre und Forschung bündelt sie vorhandene Kräfte und Kompetenzen mit dem Anspruch, zu den besten Hochschulen der Welt zu gehören. Institutionelles Vorbild bzw. Kern für Europäische Universitäten können das Europäische Hochschulinstitut in Florenz, die Europa-Universität Viadrina, die Europa-Universität Flensburg oder bestehende Kooperationen, wie zum Beispiel der Hochschulverbund Eucor – The European Campus – sein. Dort arbeiten fünf Universitäten am Oberrhein bereits seit Jahrzehnten zusammen und kooperieren in vier strategisch bedeutenden Forschungsschwerpunkten. Wir wollen europäischen Austausch in jedem Lebensabschnitt fördern. Dafür streben wir ein EU-Austauschprogramm an, in dem Berufstätige ihren erlernten Beruf für eine Weile in einem anderen Mitgliedsstaat ausüben können.

Eine europäische Zentrale für politische Bildung

Wir GRÜNEN fordern den Aufbau einer europäischen Zentrale für politische Bildung und unterstützen Vorhaben, die den institutionalisierten Aufbau einer unabhängigen und wissenschaftsorientierten Institution auf europäischer Ebene zum Ziel haben. Diese Zentrale soll unter dem Eindruck des Beutelsbacher Konsenses von 1976 stehen und Kontroversität, das Überwältigungsverbot und eine Schüler*innenorientierung (Studierendenorientierung) berücksichtigen. Wir erhoffen uns von einer solchen Zentrale europaweit neue Impulse für die politische Bildung und ein verbessertes Angebot für Schulen und Universitäten. Forschung und Aufklärung im Bereich der politischen Bildung werden in Zeiten von Fake News und stärker werdenden rechtspopulistischen Strömungen ein immer wichtigerer Bestandteil für die Gesellschaft werden. Um auf diese Tendenzen angemessen reagieren zu können, ist eine Vernetzung der Akteur*innen immens wichtig. Eine Zentrale für politische Bildung kann genau hier ansetzen und Europa politisch weiterbilden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den Ausbau des europäischen Freiwilligendienstes
  • ein Erasmus-Programm für alle
  • Europäische Universitäten
  • sozialökologische Bildungsprogramme

5.5 EUROPAS KULTURELLE VIELFALT FÖRDERN

Die europäische Idee lebt durch die Inspiration kultureller Vielfalt, durch das seit nunmehr 70 Jahren weitestgehend friedliche Miteinander der Europäer*innen und durch die Verständigung auf Freiheit und Recht als fundamentale Grundwerte. Nur wenn es gelingt, Europa auch als einen transnationalen Kulturkosmos in gegenseitiger Wertschätzung seiner verschiedenen kulturellen Identitäten zu begreifen, kann es seine ökonomische und ökologische Bedeutung in der Welt nachhaltig weiterentwickeln. Kultur und Kunst sind besonders dazu geeignet, für die europäische Öffentlichkeit identitätsstiftende Bindungskräfte zu entfalten und die Institutionen und Regeln eines nachnationalen Europa mit Leben zu erfüllen. Grüne Kulturpolitik beruht auf dem Grundverständnis, dass Kultur elementarer Bestandteil menschlichen (Zusammen-)Lebens ist.

Wir wollen europaweit die Investitionen in Kultur und Kunst ausweiten und den Kulturaustausch zwischen Europa und der Welt fördern. Europa hat in seiner wechselhaften und oft dramatischen Geschichte ein kulturelles Verständnis ausgeprägt, das weit über seine Grenzen hinaus eine hohe Anziehungskraft entfaltet. Die Dichte der Theaterlandschaft, seine vielfältige Musik, bildende Kunst und Literatur, seine Museen, Bibliotheken und Architektur formen in ihrem historischen Bewusstsein und in immer wieder neuen Gestaltungen kulturelle Bezugspunkte in unseren Städten und Gemeinden. Wir wollen eine europäische Kulturpolitik, die die vielen regionalen kulturellen Ausprägungen der 500 Millionen Bewohner*innen Europas lebendig hält. Gleichzeitig wollen wir die Idee einer gemeinsamen Kultur durch die Reflexion der europäischen Aufklärung, die Erinnerung und Aufarbeitung der Geschichte sowie die wechselseitige Neugier auf kulturelle Werte der Nachbarn durch eine Förderung grenzüberschreitender Kulturprojekte auch mit anderen Regionen dieser Welt fördern. Dazu gehört auch das Gedenken an die gemeinsamen Kolonialgeschichte Europas und deren systematische Aufarbeitung. Eine lebendige Kulturpolitik, die Vielfalt und Innovation zulässt und fördert, ist eine wichtige Grundlage zur Weiterentwicklung der Demokratie in Europa. Der Kulturreichtum Europas macht unsere Gesellschaften nicht immun gegen Populisten und den neuen Nationalismus von rechts und links. Allzu oft werden Kulturgüter und Bräuche von demokratiefeindlichen Gruppen für ihre Zwecke missbraucht. Aber Kultur ist auch das Banner, unter dem sich die Kräfte der Freiheit vereinen. Oftmals gehen gerade Kulturschaffende für ein vereintes Europa, gegen rechte Gewalt und für die Rechte von Minderheiten und Geflüchteten auf die Straße. Wir wollen, dass Europa die Kraft der Kultur als zentrales Instrument der Demokratieförderung viel stärker in den Blick nimmt. Wir unterstützen eine selbstbestimmte und unabhängige Kulturszene. Dabei gilt es, möglichst viele Menschen in Europa an kulturellen Diskursen zu beteiligen, das wechselseitige Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit den Werten der jeweils anderen zu befördern, die Diversität in Kultureinrichtungen und bei Projektförderungen zu erhöhen und Gendergerechtigkeit zu gewährleisten. Auch für bislang ausgeschlossene und sozial benachteiligte Menschen soll kulturelle Teilhabe selbstverständlich möglich sein. Es ist zudem Aufgabe der Politik, für die faire Bezahlung künstlerischer Leistungen zu sorgen. Die Vergabe von Fördermitteln muss transparent und gerecht erfolgen, gleichwohl sollte das Verfahren auch kleineren und diversen Projektträgern eine erfolgreiche Teilnahme ermöglichen. Aufgrund der innerhalb Europas unterschiedlich guten Ausbau der Fördersysteme müssen die Anforderungen an die Kofinanzierung nach Ländern verbessert werden. Wir wollen Künstler*innen und Kreative in die Lage versetzen, dass ihre Werke angemessen vergütet werden. Wir setzen uns daher dafür ein, die Vergütungslücke zwischen Urheber*innen, ihren Labels und Verlagen sowie zu Onlineplattformen („Value Gap“) zu schließen. Dazu gehören auch ein modernes Urheber*innenvertragsrecht und eine adäquate Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für Kreative und Künstler*innen auf europäischer und nationaler Ebene. Wir wollen den europäischen Film – vor allem regionale Produktionen – stärken und eine ökologisch und sozial nachhaltige Filmproduktion befördern, geschlechtergerechte Zugänge zu Fördermitteln ermöglichen, künstlerische Qualität befördern und den Vertrieb europäischer Filme und die Entwicklung qualitativ hochwertiger Computerspiele stärker unterstützen. Der deutsch-französische Fernsehkanal ARTE ist ein Beispiel für mediale Zusammenarbeit, die länderübergreifendes Verständnis und damit europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Wir wollen einen europäischen Fernsehsender, der mit Produktionen in den verschiedenen Sprachen und aus den Mitgliedstaaten, mit europäischen Nachrichten aus Politik, Kultur und Wirtschaft bis hin zu einem Vollprogramm mit Sport und Unterhaltung das gegenseitige Verständnis stärkt und deutlich macht, dass Europa ein Kontinent der Einheit in Vielfalt ist.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • europaweite Investitionen in Kultur und Kunst
  • die Förderung des europäischen Kulturaustauschs
  • die Förderung des europäischen Films
  • die Förderung der europäischen Computerspielentwicklung

6 ERMÖGLICHEN, WAS VOR ORT AM BESTEN GELINGT: EUROPA DER REGIONEN UND KOMMUNEN

Die Stärke und Attraktivität der EU liegt in ihrer Vielfalt. Diese Vielfalt wird durch die europäische Gründungsidee geschützt. Die EU will keine übergeordnete Zentralmacht sein, sondern Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen zu einem friedlichen und fruchtbaren Miteinander befähigen. Sie sollen ihre jeweils eigenen demokratischen Entscheidungsspielräume behalten. Wir wollen, dass auch in Zukunft die politischen Entscheidungen dort verwirklicht werden, wo sie am besten gelingen: in den Dörfern und Städten. Die Kommunen sind das Fundament der Europäischen Union. Hier organisieren die Bürger*innen ihr Zusammenleben im Alltag, hier wirkt europäische Politik unmittelbar, hier kann der Grundstein für mehr Europa gelegt werden. Hier findet Europa jeden Tag statt. Es ist deshalb richtig, dass so viele Entscheidungen wie möglich auf kommunaler Ebene getroffen werden. Das Subsidiaritätsprinzip – also Entscheidungen möglichst bürgernah zu treffen – ist die Grundlage für ein erfolgreiches Europa. Das bedeutet aber auch, dass Europa da unterstützend wirken soll, wo Kommunen an ihre Grenzen stoßen. Nicht alles in Europa muss gleich gemacht werden. Und nicht jeder Lebensbereich soll reguliert werden. Der europäische Binnenmarkt ist eine wichtige Errungenschaft, aber die Umsetzung seiner Wettbewerbsregeln darf nicht dazu führen, dass Kommunen zum Beispiel zur Privatisierung der öffentlichen Güter gezwungen werden. Ein Ausverkauf öffentlicher Aufgaben in der Daseinsvorsorge ist mit grünen Überzeugungen nicht vereinbar. Die Selbstbestimmung der Regionen und Kommunen muss auch in Zukunft fester Bestandteil eines geeinten Europas sein. Wenn EU und Kommune Hand in Hand arbeiten, kann wirklich etwas für die Bürger*innen verbessert werden. Beispielsweise kümmert die EU sich darum, dass grenzüberschreitender Verkehr funktioniert, und die Kommune gestaltet den örtlichen Busfahrplan. Diese Prozesse müssen ineinandergreifen und funktionieren, denn Europa lebt von der Verständigung und dem Austausch über Grenzen hinweg. So entsteht ein europäisches Gemeinschaftsgefühl. Bereits jetzt gibt es eine europäische Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Metropolregionen, die Brücken nicht nur zwischen Ländern und Kommunen entstehen lässt, sondern vor allem auch zwischen den Menschen. Der europäische Gedanke verankert sich in den Köpfen der Bürger*innen, wenn sie die Arbeit der EU in den Kommunen erleben, etwa wenn Straßen oder Gebäude mit Förderprogrammen der EU errichtet werden. Wir wollen den Kommunen einen einfachen, direkten Zugang zu den Fördermitteln geben.

6.1 DASEINSVORSORGE VOR PRIVATISIERUNG SCHÜTZEN

Eine funktionierende Grundversorgung, also die Bereitstellung von Gütern wie Trinkwasser, aber auch der Zugang zu kulturellen Einrichtungen und schnellem Internet wie auch die Verfügbarkeit von öffentlichen Dienstleistungen wie der Feuerwehr bilden die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wir wollen nicht, dass beispielsweise das gut funktionierende lokale Wassernetz ein Spekulationsobjekt wird und darunter die Wasserqualität leidet. Eine funktionierende Daseinsvorsorge sichert die Lebensqualität der Bürger*innen und trägt zum sozialen Zusammenhalt bei. Es macht einen Unterschied, ob sich Bürger*innen bei konkreten Problemen an ihre Gemeinde und an ihre gewählten Vertreter*innen wenden können oder in der Warteschleife einer anonymen Firmenzentrale hängen. Die Europäische Union hat eine doppelte Bedeutung für Kommunalpolitik. Sie darf die kommunale Daseinsvorsorge nicht behindern. Es wird aber oft übersehen, dass die EU die Kommunen auch vor Liberalisierungsdruck schützen kann. Das wollen wir stärken und ausbauen. Wo Kommunen und Regionen in eigener Verantwortung über Dienstleistungen der Daseinsvorsorge entscheiden, dürfen ihre Handlungsspielräume nicht eingeschränkt werden. Wir schützen die öffentliche Daseinsvorsorge vor Deregulierung und Privatisierung. Dies gilt auch bei Verhandlungen über EU-Handelsabkommen mit anderen Wirtschaftsräumen, wie CETA mit Kanada oder JEFTA mit Japan. Wir wollen eindeutige Schutzklauseln gegen neue, zusätzliche Risiken, die soziale Dienstleistungen, die Wasserversorgung oder den Bildungsbereich bedrohen können. Das größte Risiko geht von möglichen Investoren aus, die aufgrund von Gewinnerwartungen gegen soziale, gesundheits- oder umweltschützende Standards klagen. Es ist unser Ziel, dass die Europäische Union klare und umfassende Ausnahmen für die kommunale Daseinsvorsorge und für öffentliche und soziale Dienstleistungen schafft.

Sozialen Wohnungsbau unterstützen

Bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Städten Europas zu einem so knappen Gut geworden, dass Menschen aus innerstädtischen Quartieren verdrängt werden. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die EU muss deshalb dazu beitragen, dass Mieten nicht zum Armutsrisiko wird. Diesem Ziel läuft eine Einschränkung der EU-Kommission von 2011 zuwider, wonach die Förderung von Sozialwohnungen nur unter ganz bestimmten restriktiven Kriterien wettbewerbskonform und damit erlaubt ist. Es gibt in den Kommunen aber sehr unterschiedliche Probleme und Lösungsansätze, die nicht nach einem EU-weiten Schema zu bestimmen sind. Diese Einschränkung der EU-Kommission wollen wir aufheben. Europa soll sozialen Wohnungsbau ermöglichen. Er kann zudem aus den Struktur- und Investitionsfonds gefördert werden; die Europäische Investitionsbank unterstützt bereits mit zinsgünstigen Krediten. Diese Programme wollen wir ausbauen und den Zugang für die Kommunen einfacher gestalten.

Wasserversorgung schützen

Wir werden uns weiterhin jedem Versuch entgegenstellen, die öffentliche Wasserversorgung zum Investitionsobjekt für internationale Unternehmen zu machen, wie es zum Beispiel im Handelsabkommen mit Japan (JEFTA) vereinbart wurde. 2013 konnten wir an der Seite der Europäischen Bürgerinitiative Right2Water die Liberalisierungspläne der Europäischen Kommission zurückweisen und eine Ausnahmeregelung für Wasserdienstleistungen im europäischen Vergaberecht durchsetzen. Damit bleiben die Kommunen und Gemeinden zunächst für die öffentliche Daseinsvorsorge bei der Wasserversorgung verantwortlich. Im April 2019 wird die Ausnahmeregelung erneut von der Kommission überprüft. Wir werden uns dafür starkmachen, dass sie in ihrer jetzigen Form erhalten bleibt.

Energie in Bürgerhand

Bürger*innen, Kommunen und Regionen, aber auch regionale Unternehmen und das Handwerk sind entscheidende Akteure der Energiewende. Für eine erfolgreiche und bürgernahe europäische Energie- und Klimapolitik ist ihr Engagement unerlässlich. Wir wollen verhindern, dass die Chancen allein von Großunternehmen und wenigen finanzstarken Investoren genutzt werden – und den Menschen in den Dörfern und Städten dann ohne Beteiligung Großprojekte vor die Nase gesetzt werden. Eine Bürger*innen-Energiewende kann monopolistische und oligopolistische wirtschaftliche Machtstrukturen aufbrechen und Kooperativen, Genossenschaften sowie Kommunen und Regionen die Chance eröffnen, selbst über ihre Energieerzeugung zu bestimmen und davon zu profitieren. So könnten bis 2050 rund 264 Millionen Energiebürger*innen 45 Prozent des Strombedarfs der EU decken. Menschen in allen Ländern Europas sollen ihren privat erzeugten Strom ins Netz einspeisen und dafür eine auskömmliche Vergütung erhalten. Sobald die Netze in Europa grenzüberschreitend ausgebaut sind, soll es so auch möglich werden, dass zum Beispiel griechische Haushalte mit ihrer Solaranlage Strom nach Deutschland exportieren können.

Verantwortung für den ÖPNV bei den Kommunen

Die Verantwortung für die Organisation des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) soll bei Städten und Kommunen bleiben. Vorgaben für die Erstellung und Veröffentlichung von Nahverkehrsplänen helfen den Bürger*innen nicht, und genauso wenig ist es in ihrem Sinne, wenn die Auftragsvergabe an kommunale Betriebe erschwert wird. Europa sollte sich an dieser Stelle heraushalten. Verordnungsvorschläge der EU-Kommission zur Liberalisierung und Öffnung des Marktes für Verkehrsunternehmen aber zielen in eine andere Richtung. Sie nehmen Kommunen und Regionen dieses wichtige Steuerungselement. Kommunen und Regionen müssen, zum Beispiel als Betreiber öffentlicher Busbahnhöfe, entscheiden können, inwieweit privaten Busunternehmen der gleiche Zugang wie öffentlichen Verkehrsunternehmen gewährt wird. Die Rolle der EU muss sich darauf beschränken, Regeln für Transparenz und fairen Wettbewerb bei Großprojekten vorzugeben. Im Sinne einer nachhaltigen, umfassenden örtlichen und regionalen Mobilitätsstrategie, die die Mobilität von Bürger*innen und den Klimaschutz beachtet, ist eine starke Rolle von Kommunen und Regionen förderlich.

Sparkassen und andere kleine Banken stärken

Unsere mittelständische Wirtschaft braucht regional verwurzelte Banken, die die Versorgung ihrer Regionen mit Krediten und Finanzdienstleistungen im Auge haben. Wir GRÜNEN haben uns im Europaparlament erfolgreich für einfachere Regeln für kleinere, solide Banken eingesetzt. Wir wollen die europäische Finanzmarktgesetzgebung weiter vereinfachen. Wer über solides Eigenkapital und ein konservatives Geschäftsmodell verfügt, soll bei Meldepflichten und laufender Aufsicht entlastet werden. So stärken wir regionale Banken für die Zukunft. Das europäische Ausschreibungs- und Vergaberecht fördert Transparenz, es stärkt nicht nur den Binnenmarkt. Das Verfahren hat sich seit der letzten Reform erheblich verbessert und ermöglicht inzwischen auch die Festlegung von sozialen, ökologischen und ethischen Kriterien. Das ist ein GRÜNER Erfolg! Es stellt aller dings Kommunen und kleine, lokale Anbieter von Dienstleistungen häufig immer noch vor hohe administrative Herausforderungen und dient zu oft als Sündenbock. Wir wollen deshalb die Schwellenwerte im Vergaberecht erhöhen. Außerdem wollen wir die aktive Kommunikation der Regeln und ihrer Chancen durch die EU verbessern und auch kleinen, lokalen Anbietern bei Ausschreibungen mit Hinweisen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen unter die Arme greifen. Auch Schulungen in den Kommunalverwaltungen können die Steuerungsfähigkeit von Kommunen im Vergabeverfahren stärken.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • den Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge
  • europäische Unterstützung im sozialen Wohnungsbau
  • den Schutz unseres Trinkwassers vor Privatisierung
  • öffentlichen Nahverkehr in kommunaler Hand

6.2 GRENZÜBERSCHREITEND ZUSAMMENLEBEN

Das Herz der EU sind ihre Bürger*innen. Städtepartnerschaften zwischen zwei und mehr Ländern sorgen seit vielen Jahren dafür, dass sich Menschen näherkommen, über Landesgrenzen hinweg Freundschaften und gemeinsame Projekte entstehen und der europäische Gedanke mit Leben gefüllt wird. Wir wollen sie stärken, ihre Erneuerung wo nötig unterstützen und die europäischen Mittel entsprechend ausbauen. Programme und Fonds für Kleinprojekte, die die unmittelbare Begegnung europäischer Bürger*innen fördern, wie Erasmus+, Europa für Bürgerinnen und Bürger, Kreatives Europa und der Europäische Sozialfonds (ESF) eröffnen Menschen aus unterschiedlichen EU-Staaten die Chance zu gemeinsamen Aktivitäten und Projekten und helfen somit bei der Herausbildung eines europäischen Gemeinschaftsgefühls. Für grenzüberschreitende Zusammenarbeit sind die INTERREGProgramme der Europäischen Union wichtige Instrumente, da sie gemeinsame Herausforderungen von EU-Mitgliedstaaten und benachbarten Staaten angehen. Statt einer Kürzung der Mittel wollen wir die INTERREG-Programme erweitern und setzen uns dafür ein, dass weiterhin auch Regionen, die keine direkte Landgrenze zu Nachbarstaaten haben, förderfähig bleiben.

Europa kann und soll die Förderung von Klein- und Begegnungsprojekten mit niedrigschwelligem Ansatz verstärken. Wir unterstützen den Vorschlag zivilgesellschaftlicher Organisationen und des Europaparlaments, das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, aus dem sich lokale Austauschprojekte finanzieren lassen, auf ein Budget von 1 Euro pro Bürger*in aufzustocken und es damit mehr als zu verdoppeln. Grenzüberschreitende Metropolregionen (Euregios) und Kommunalverbünde (Eurodistrikte) leben diese europäische Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene vor. In der Euregio Maas-Rhein, die sich über die belgische, niederländische und deutsche Grenze hinweg erstreckt, lässt sich beispielsweise schon heute beobachten, dass Kooperation funktioniert. In vielen konkreten Alltagsfragen sind Euregios und Eurodistrikte Vorreiter für transnationale Lösungen. Dafür brauchen sie Flexibilität. Sie sollen beispielsweise in die Lage versetzt werden, die Trägerschaft von grenzüberschreitenden Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Gesundheitseinrichtungen zu übernehmen und grenzüberschreitenden öffentlichen Nahverkehr zu betreiben. Dieses Engagement darf nicht durch unnötige bürokratische Hürden blockiert werden. Bisher ist es so, dass Behörden für solche transnationalen Projekte eine parallele Zertifizierung durch die EU sowie die Mitgliedstaaten brauchen. Das wollen wir ändern. Zudem soll das Prinzip der „einzigen Prüfung“ (Single Audit Principle) angewandt und die Prüfung von Verwendungsnachweisen in die Hände professioneller Auditstellen vor Ort gelegt werden. Mit solchen zentralen Anlaufstellen und einer gebündelten Zertifizierung kann Europa den Verwaltungsaufwand für transnationale Projekte deutlich senken.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • mehr Möglichkeiten im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf regionaler und kommunaler Ebene
  • weniger Bürokratie bei grenzüberschreitenden Kitas und Gesundheitseinrichtungen

6.3 FÖRDERPOLITIK NEU AUSRICHTEN

Vielen Bürger*innen offenbart sich die EU durch Förderprogramme, etwa wenn sie in ihrem Dorf Schilder entdecken, auf denen der Hinweis steht, dass Gebäude und Projekte durch Mittel der EU finanziert wurden. Ein Drittel des EU-Haushalts, rund 53 Milliarden Euro allein für 2018, wird für Förderprogramme verwendet, die überwiegend in regionale oder lokale Projekte fließen. Diese Struktur- und Kohäsionsfonds sind ein Mittel der EU, um wirtschaftlich schwächere Re gionen, beispielsweise durch den Aufbau einer modernen Infrastruktur, zu unterstützen. Ziel dieser Umverteilung sind der Ausgleich regionaler Unterschiede und die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch zwischen ihnen. Die Förderpolitik muss die Vielfalt ländlicher Regionen in Europa abbilden und den Regionen bei der Mittelverwendung möglichst viel Entscheidungsfreiheit lassen. Die gezielte Stärkung ländlicher Räume ist auch ein wichtiger Beitrag, um den Siedlungsdruck auf die Ballungsräume abzumildern. Regionalfonds bieten den Regionen die Chance, ihre jeweiligen Herausforderungen zielgerichtet anzugehen. Eine zentrale Rolle kommt dabei der regionalen Daseinsvorsorge zu, die wir auch in diesem Aspekt besonders fördern wollen. Wir setzen uns für eine bessere Kombinierbarkeit und Vereinfachung der bestehenden Fördertöpfe auf europäischer, Bundes-, Länder- und regionaler Ebene ein. Wir treten für ein Europa ein, in dem schwächere Regionen besonders gefördert werden, in dem es lebendige ländliche Räume gibt, die von und mit der Landwirtschaft leben, und Naherholungs-, Industrie- oder Dienstleistungsregionen. Europa kann durch seine Förderpolitik dazu beitragen, dass Jugendliche ihren Heimatort nicht verlassen, ältere und andere hilfebedürftige Menschen in ihrem Umfeld die Hilfe bekommen, die sie benötigen, und Bäuer*innen im Einklang mit der Natur Landwirtschaft betreiben können. Dafür brauchen wir eine zielgerichtete Förderung, die sich am sozialen Zusammenhalt, an der Geschlechtergerechtigkeit, der öffentlichen Infrastruktur und ökologischen Zielsetzungen orientiert. Wir haben uns in der laufenden Förderperiode erfolgreich dafür eingesetzt, dass mehr Mittel für diese Schwerpunkte verwendet werden können.

Zugang zu Fördermitteln vereinfachen und entbürokratisieren

Europäische Fördermittel bieten für Kommunen wie auch für Nichtregierungsorganisationen eine Chance, zusätzliche, innovative Projekte zu entwickeln. Die Beantragung der Mittel ist jedoch oft zu kompliziert. Dadurch werden manche Antragsteller abgeschreckt und gute Projekte nicht verwirklicht. Für die kommende Haushaltsperiode ab 2020 braucht es daher ein Umsteuern. Der Verwaltungsaufwand der EU-Förderprogramme, insbesondere für Kleinprojekte, muss erheblich reduziert werden. Bei der Bewilligung und Prüfung von Förderprogrammen sollte überprüft werden, ob die wesentlichen Ziele des Programms erreicht werden.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • einen vereinfachten Zugang zu EU-Fördermitteln
  • EU-Förderprogramme, die Armut bekämpfen, Natur und Umwelt schützen und den sozialen Zusammenhalt stärken

6.4 STÄDTEN UND REGIONEN EINE STIMME GEBEN

Es ist längst offensichtlich, dass die Umsetzung europäischer Ziele – Umwelt- und Klimaschutz, nachhaltige Stadtentwicklung, Bildung, Armutsbekämpfung und Integration – nur mit aktiver Beteiligung der Kommunen und Regionen sowie zivilgesellschaftlichem Engagement gelingen kann. In vielen Förderprogrammen der EU werden Kommunen unmittelbar einbezogen; eine transnationale Kooperation auf kommunaler Ebene wird häufig ausdrücklich gefördert. Dies ist auch sinnvoll, da der Binnenmarkt und andere EU-Politikbereiche den Handlungsrahmen von Kommunen und Regionen setzen und bestimmen. Trotzdem wird die Frage, ob und wie Kommunen und Regionen oder auch gemeinnützige Organisationen in formelle europäische Entscheidungsprozesse einbezogen werden, oft als innerstaatliche Angelegenheit betrachtet. Dies entspricht aber schon lange nicht mehr ihrer gewachsenen Bedeutung als kulturelle Bezugsebene. Wir setzen uns dafür ein, dass ihre direkte politische Beteiligung gestärkt wird. Kommunen und Regionen müssen regelmäßig in Konsultationen, Anhörungen und Feedbacks in Gesetzgebungsverfahren sowie beim Design von Förderprogrammen, die sie betreffen, einbezogen werden. So können sie ihre Expertise eigenständig einbringen. Ein wichtiger Hebel besteht hier auch in der Stärkung der Rechte des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR), der Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter der EU. Es ist wichtig, dass auch weiterhin bei der Gestaltung und Vergabe von Förderprogrammen das Partnerschaftsprinzip zur Anwendung kommt. Durch die gesetzlich sichergestellte Einbindung von lokalen und regionalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen in der europäischen Förderpolitik kann garantiert werden, dass deren Know-how berücksichtigt wird.

Wer GRÜN wählt, stimmt für

  • ein gesichertes Mitspracherecht von Kommunen, Regionen und Nichtregierungsorganisationen bei europäischen Gesetzgebungsverfahren und Förderprogrammen