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jngspitz-nordostwand direkt
michel piola , vernier
die ca. 600 m hohe nordostwand des kingspitz ( engelhörner , bo )
9. september 1988 , bei tagesanbruch
dring ... dring ...
wie mühsam ist das aufstehen noch vor dem morgengrauen ( es ist 4.45 uhr morgens ) , vor allem , wenn man im warmen bett zu hause liegt und nicht in einer hütte oder einem biwak !
die enge und unbequemlichkeit eines solchen <basislagers> fördert naturgemäss einen ziemlich schnellen wechsel in die senkrechte .
und das gleiche gilt für den durch das bevorstehende unternehmen ( anmarschweg oder klettertour ) ausgelösten wunsch nach bewegung .
ausserdem braucht man die unannehmlichkeiten nicht allein zu ertragen !
dagegen fehlt zu hause , wenn die ganze stadt noch schläft , erschöpft von der arbeit des tages oder einem stürmischen samstagabend , ein solcher anreiz vollkommen .
dring ... dring ...
diesmal muss ich reagieren ;
los , auf !
schnell ziehe ich mich an , esse eine schale getreideflocken mit gutem zitronensaft , nehme den am vorabend sorgfältig gepackten sack auf meinen noch vom schlaf steifen rücken und öffne die tür :
alles scheint in ordnung , einige blasse sterne schimmern durch den üblichen smog der stadt ;
es wird heute schön werden .
bus , bahnschalter , abfahrtsgleis :
( achtung , achtung !
einfahrt des intercity-zuges von genf/aeroport nach bern , abfahrt 6.02 uhr , wagen 2. klasse an der spitze , speisewagen in der mitte , ...> bequem in einem leeren wagen installiert , sinne ich darüber nach , wie diese beiden klettertage mit daniel anker , einem meiner getreuen gefährten des sommers , wohl sein werden .
mit daniel , der mir am telefon von seinem wunsch erzählt hat , am kingspitz , einem berühmten gipfel in der gruppe der engelhörner , eine neue route zu eröffnen .
da ich dieses massiv in den berner alpen noch nicht kenne , kann ich mir nur ausmalen , was es wohl mit dieser fast 600 meter hohen kalkwand auf sich hat , die in einer region liegt , in der es nur wenig wände von dieser art und ausdehnung gibt ( natürlich abgesehen von der 1650 meter hohen eigernordwand ) .
und wie wird die qualität des gesteins sein ?
die von m.lüthy , h.haidegger und h.steuri 1938 eröffnete klassische route der nordostwand geniesst einen besonderen ruf :
im führer ist von einem im ganzen guten fels die rede , dann wird aber präzisiert , dass es sich um eine dolomitenähnliche wand handelt und darum gewisse vorsichtsmassnahmen nötig sind , vor allem , wenn sich andere seilschaften in der route befinden .
zudem , und das wird unser hauptproblem sein , werden wir uns beeilen müssen , denn daniel wird morgen abend in bern zurückerwartet .
das rennen gegen die uhr hat begonnen !
schon bern .
ein heer von arbeitern ergiesst sich aus den wagen und verschwindet in der tiefe des bahnhofs .
in dieser menge , zwischen einer nach billigem parfum duftenden sekretärin und zwei sehr ( zu ? )
dynamischen kaderleuten , kann ich nicht anders , als mit meinem rucksack in der von der menge bestimmten richtung zu treiben und dabei zu hoffen , das gedränge möge ein wenig nachlassen und mir eine chance geben , zu entwischen und daniel zu treffen - aber wo eigentlich ?
mir bricht der schweiss aus :
wir haben versäumt , einen treffpunkt auszumachen !
was tun , damit wir uns in dieser menschenflut finden ?
zum glück wird der menschenstrom langsam etwas dünner , das vorankommen ein bisschen leichter , und ich habe gerade noch zeit , ein stück einer roten hose und einen trek-kingschuh zu entdecken , die um eine treppenecke verschwinden .
mit der überlegung , dass der durchschnittliche beschäftigte im dienstleistungssektor im allgemeinen nicht solche attribute hat , beginne ich eine wilde verfolgungsjagd , die mich bald in die nähe des fraglichen schuhs bringt , neben dem netterweise ein zweiter auftaucht , so dass sie ein paar bilden .
diese beiden setzen sich , wie es sich gehört , nach oben in zwei röhren fort , den beinen , dann ein körper , ein offenes und echtes lächeln , zwei arme , deren einer mir bereits herzlich die hand schüttelt :
es ist wirklich daniel !
wir steigen in seinen kleinen wagen , um den ausgangspunkt unserer unternehmung zu erreichen , den parkplatz oberhalb rosenlaui , kurz hinter meiringen .
zum kingspitz zuerst müssen wir das für unsere besteigung notwendige material auswählen , wobei einige wichtige entscheidungen nötig werden .
obgleich uns das biwakieren im freien viel freude macht ( wir tun es so oft wie möglich ) , entschliessen wir uns gleich zu beginn , in der hütte zu übernachten .
das erspart uns gewicht , weil wir nur eine nacht in den bergen zubringen werden .
anschliessend müssen wir uns entscheiden , welche taktik wir für die ausrüstung der route wählen wollen :
sollen wir die seillängen und standplätze vollkommen mit bohrhaken ausgerüstet lassen , wie man es im allgemeinen im klettergarten macht ?
oder sollen wir einen mittelweg einschlagen , der darin besteht , nur die standplätze ( zum abseilen ) und jene kompakten partien auszurüsten , bei denen eine sicherung mit klemmkeilen nicht möglich ist ?
wir entscheiden uns für diese zweite lösung , einerseits aus finanziellen gründen , dann aber auch , weil wir meinen , es sei heutzutage wichtig , kletterer zu grösserer verantwortung im gebirge zu veranlassen .
die tatsache , die klemmkeile selbst anbringen zu müssen , seine route sowenig wie möglich auszurüsten und manchmal rücksicht auf die direkte umgebung zu nehmen , begünstigt , wie uns scheint , einen reifeprozess beim kletterer .
diese sogenannte technik der ( minimalabsicherung ) ist die im allgemeinen im hochgebirge angewandte methode , vor allem in granitwänden , in denen die freiliegenden risse eine verhältnismässig einfache sicherung ermöglichen .
sie wird dagegen in kalkwänden selten benutzt , weil sich einerseits diese gesteinsart weniger gut eignet und andererseits der einfluss der klettergärten , wo die ganze ausrüstung an ort und stelle vorhanden ist , sich dort entscheidend bemerkbar macht .
mancher wird sich wundern , dass wir nach dem gesagten nicht weniger als 58 bohrhaken in der route beliessen .
aber man muss diese zahl im richtigen verhältnis sehen .
nach abzug der an den standplätzen angebrachten haken bleiben nur noch etwa dreissig sicherungspunkte für die seillängen , also im schnitt drei bohrhaken für jede .
den kletterer ( zur verantwortlichkeit veranlassen ) soll aber nicht heissen , ihn in ein lebensgefährliches unternehmen zu treiben oder zum rollstuhl zu verurteilen .
ganz besondere aufmerksamkeit muss in dieser hinsicht dem problem eines sturzes auf den boden und des möglichen anpralls gegen eine besonderheit im gelände ( z. b. gegen eine ver-schneidungswand oder von einem überhang auf eine geneigte platte ) gewidmet werden .
schliesslich ein letztes , ethisches problem :
die verwendung des batteriebetriebenen bohrers .
für uns gibt es keinen grund , sie in frage zu stellen .
der einzige und schwere verstoss gegen die sportliche herausforderung ist die eröffnung der routen von oben ( vor allem im gebirge ) , ein vorgehen , das die ausrüstung von routen erlaubt , deren schwierigkeitsgrade der autor nicht notwendigerweise beherrscht .
nachdem diese probleme gelöst sind , müssen wir nur noch unsere lasten so ordnen , dass sie dem aufnahmevermögen unserer rucksäcke entsprechen , und dann mit munterem schritt den herrlichen weg zur engelhornhütte in angriff nehmen .
es ist 11 uhr vormittags .
ende des ersten aktes über die kletterei selbst ist eigentlich wenig zu sagen , ausser dass wir am anfang des nachmittags die besteigung des sockels der klassischen route von 1938 bis zum beginn des ersten steilen aufschwungs ( etwa 100 meter über dem wandfuss ) in angriff nehmen .
nachdem wir dieser route noch einige seillängen gefolgt sind , um uns in dem plattenlabyrinth zu orientieren , kehren wir auf die höhe des sockels zurück , um uns links einer markanten braunen ader zuzuwenden , deren fels etwas stärker strukturiert wirkt als die benachbarten schwärzlichen platten .
nachdem wir zweieinhalb seillängen in diesem merkwürdigen felsband geklettert sind , können wir uns nach rechts wenden , um den anfang der zentralen zone grauer platten zu erreichen , eine grossartige kompakte rutschbahn , die eine anhaltende , schwierige und technisch anspruchsvolle kletterei verheisst .
gleich darauf bestätigt sich diese verheissung .
doch die auftretenden gleichgewichtsund adhäsionsprobleme können uns nicht daran hindern , gedanken und blicke über die grate und gipfel rings um uns schweifen zu lassen .
so bewundern wir mit vergnügen zwei seilschaften , die den westpfeiler der vorderspitze ersteigen .
es ist eine sehr schöne klassische route des oberen vierten schwierigkeitsgrades ;
die form des pfeilers hebt sich dank des spiels von licht und schatten , in dem der fels irisiert , verblüffend klar ab .
wir selbst bleiben an unserer kalten nordostwand im schatten .
darum halten wir , als wir beschliessen , unser material am fünften standplatz zu deponieren , unsere faserpelzjacken nicht für überflüssig .
danach kehren wir um , seilen uns ab in richtung hütte , wo wir kurz vor einbruch der nacht eintreffen .
die engelhornhütte besitzt noch den etwas altmodischen , aber so liebenswerten reiz einer echten berghütte , die von unmässigen vergrösserungen und modernisierung verschont geblieben ist .
der bau hat bescheidene ausmasse , die schlafräume sind merkwürdig ineinandergeschachtelt , und die küche bildet einen teil des aufenthaltsraumes , der dadurch eine gewisse gesellige note erhält .
die an der waldgrenze erbaute hütte weckt zusammen mit ihrer bukolischen umgebung im besucher ein schwer zu beschreibendes gefühl , eine art inneren frieden und heiterkeit , garanten für erholung und einen unvergleichlichen schlaf .
wir beeilen uns , das zu beweisen !
samstag , 10. september 1988 :
zweiter akt während wir am vorabend allein in der wand waren , gibt es heute mehr als zehn seilschaften , anwärter auf die klassische route .
das bestärkt uns in unserem entschluss , den heim zu tragen .
wir sind besonders froh über ihn , als ein zischendes geräusch herunterkommende steine ankündigt ;
aber die zum glück bemerkenswerte seltenheit herunterregnenden gerölls verdient es , die korrektheit und meisterschaft der uns benachbarten seilschaften zu betonen .
im plattenpanzer der kingspitz-nordostwand im augenblick , als wir unser materialdepot erreichen , kommen wir in den genuss der einzigen , allerdings nur kurzen sonnigen phase des tages .
wir nehmen die fortsetzung unserer route in angriff , an unserem achten stand kreuzen wir die klassische route von 1938 .
es sei noch bemerkt , dass wir an stand 5 und stand 7 zu unserer überraschung uns unbekannte alte reihen von haken und bohrhaken gekreuzt haben , zwei einstige routenführungen , die sich offensichtlich zu unserer linken fortsetzen .
der zweite teil unserer route , oberhalb von stand 8 , erfordert bald grössere vorsicht wegen der qualität des gesteins , dies um so mehr , als wir jetzt oberhalb der in der klassischen route kletternden seilschaften sind .
eine letzte verschneidung , eine letzte abdrängende stelle , und wir sind wieder in der nähe der klassischen route , am ende der schwierigkeiten und wenig unterhalb des gipfels .
dort erleben wir die überraschung - sie ist gegenseitig - , unsern freund kaspar ochsner zu treffen , den grossen spezialisten dieser region ( kaspar hat zahlreiche , sehr schöne routen gerade gegenüber , am simelistock , eröffnet ) .
unsere zeit geht zu ende , wir können den gipfel heute nicht mehr erreichen .
darum beginnen wir nach einer letzten , mit der klassischen route von 1938 zusammenfallenden seillänge - zur beruhigung meines gewissens - , uns abzuseilen .
wir erreichen das tal in rekordzeit .
vergebene mühe :
wenn daniel sein schönes bern erreicht , wird das nachtessen kalt sein und die tischgesellschaft etwas enttäuscht .
mir bleiben dann noch einige stunden bahn und bus , ehe ich wieder in das schöne weiche bett schlüpfen kann , das ich kaum vierzig stunden vorher verlassen habe .
blick au .
__ .
.... ..„pitz- nordostwand auf vorderspitze ( rechts ) und gross simelistock ( links ) technische angaben vgl. mb 3/89 , s. 116 nordostwand des kingspitz :
route <trumpf-könig> .
as-/ 550 m / passagen 6b zwingend / 6c in freikletterei .
sehr interessante kletterei , besonders in der mittleren zone , die ein gewisses engagement verlangt und den charakter einer grossen kalkwand bietet .
stellenweise erfordert der fels einige vorsicht .
material :
friends und klemmkeile / 45-m-seile / heim ratsam zugang :
bern-meiringen-willigen-rosen-laui , dann aufstieg zur engelhornhütte ( 1901 m ) in 1 std. 30 min. , von der hütte 40 min. bis an den wandfuss des kingspitz ( gipfel 2621 m ) eröffnung :
von unten belassenes material :
haken , 58 bohrhaken abstieg :
abseilen von stand 13 ( 45-m-seile ;
maillons rapides vorhanden ) oder vom gipfel über die westflanke erstbegehung :
daniel anker und michel piola , 9. und 10. september 1988 aus dem französischsprachigen teil .
übersetzt von roswitha beyer , bern .
inhalt 61 peter donatsch korsika - ein gebirge fällt ins meer 69 andreas und claudine mühle-bach-métrailler skitouren in kalifornien 80 daniel santschi am huascaran in der cordillera blanca 88 christian weiss bergtouren im altai , sowjetunion 96 johann jakob burckhardt eine alpenreise von rudolf wolf im jahre 1835 herausgeber redaktion schweizer alpenclub , zentralkomitee ;
helvetiaplatz 4 , 3005 bern , telefon 031/433611 , telefax 031/446063 .
publikationenchef cc gotthard 1989-1991 dr. hansjörg abt , telefon 01/2581261 , telefax 01/251 4424 .
umschlagbild :
etienne gross , thorackerstr. 3 , 3074 muri , telefon 031/525787 , telefax 031/521570 ( verantwortlich für den deutschsprachigen teil ) .
françois bonnet , eplatures-jaune 99 , 2304 la chauxdefonds , telefon 039/26 7364 ( verantwortlich für den französischen , italienischen und rätoromanischen teil ) .
graphische gestaltung gottschalk+ash int'l layout thomas petraschke g + a markus lehmann , stämpfli + cie ag anzeigenverwaltung künzler-bachmann ag , geltenwilenstrasse 8a , postfach 926 , 9001 st.gallen , telefon 071/235555 , telefax 071/236745 .
anzeigenleiter :
albert signer .
druck und expedition stämpfli + cie ag , postfach , 3001 bern , telefax 031/240435 , postscheck 30-169-8 .
erscheinungsweise monatsbulletin in der zweiten monatshälfte , quartalsheft in der zweiten hälfte des letzten quartalsmonats .
blick vom hochland auf die gipfel der cordillera blanca ( peru ) photo :
daniel santschi , solothurn 102 michel ziegenhagen ein berg der überraschungen 114 michel marthaler die penninischen decken in den walliser alpen preis abonnementspreise ( nichtmitglieder ) für monatsbulletin und quartalsheft zusammen ( separates abonnement nicht möglich ) :
schweiz , jährlich fr. 42.- , ausland , jährlich fr. 58.- .
quartalsheft einzeln für sac-mitglieder fr. 7.- , für nichtmitglieder fr. 10.- ;
monatsbulletin fr. 2.- .
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auf ptt-formular 257.04 .
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diese muss nicht unbedingt mit derjenigen des sac übereinstimmen .
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beiträge jeder art und bildmaterial werden gerne entgegengenommen , doch wird jede haftung abgelehnt .
die redaktion entscheidet über die annahme , die ablehnung , den zeitpunkt und die art und weise der veröffentlichung .
beglaubigte auflage :
71 176 exemplare .
.eoa
lin berg der überraschungen
michel ziegenhagen , lausanne
erster angriff
das nadelhorn stand für meinen kollegen und freund andré berney und mich auf der liste jener gipfel , die wir uns für eine besteigung mit ski vorgenommen hatten , denn es schien uns unangebracht , einen gipfel im sommer in angriff zu nehmen , wenn das auch im frühjahr möglich wäre .
für uns beide war es die zweite alpinistische saison .
wir hatten uns diesem sport fast gleichzeitig und spät , lange nach dem dreissigsten lebensjahr , zugewandt , um die schlimmen psychosomati-schen folgen einer allzu sesshaften lebensweise erfolgreich zu bekämpfen .
unsere erfahrung war sehr gering , unsere ausrüstung rudimentär , unsere begeisterung dagegen ansteckend und unsere entschlossenheit ohne fehl .
wir wussten kaum , dass es einen alpenclub gab , und konnten uns nicht vorstellen , wozu er gut sein könnte .
hatten wir nicht im vergangenen sommer das finsteraarhorn bestiegen , und würden wir nicht in einigen monaten zum montblanc und zum matterhorn zurückkehren ?
glücklich sind die ahnungslosen !
es gibt gipfel , die sich beim ersten versuch ohne widerstand besteigen lassen , als hätten sie von vornherein ihr einverständnis erklärt .
andere dagegen zwingen durch immer neue hindernisse zu vielfachen versuchen , so dass man sich am ende von ihnen verabscheut fühlt ;
es scheint , als hause ein böser geist im berg .
es gibt noch eine dritte art , deren vertreter sich zunächst in einem freundlichen licht zeigen , dann aber einen üblen trick bereithalten , eine art coup de jarnac , einen heimtückischen streich , der die fähigkeiten des kletterers auf eine harte probe stellt .
ein solcher gipfel war für mich das nadelhorn .
doch wenn ich das gebirge schon personifiziert habe , wie es jeder , der sich oft an ihm misst , unweigerlich tut , will ich doch schleunigst erklären , dass die wichtigste ursache der schlimmen ereignisse , die berichtet werden , im menschlichen verhalten zu suchen ist .
die folgenden zeilen werden das deutlich zeigen .
in jenem frühjahr 1970 war also das nadelhorn unausweichlich zu unserm nächsten ( opfer ) auserkoren .
es liess uns allerdings rasch wissen , dass es unseren plänen nicht zustimmte .
kurz vor der tour musste ich aus einem zwingenden grund , der mir nicht im gedächtnis geblieben ist , absagen .
es hätte aber mehr gebraucht , um andré zu entmutigen , der mit seiner unermüdlichen unternehmungslust in einem andern kollegen einen gefährten fand .
die beiden begaben sich zur bordierhütte .
am nächsten tag ereignete sich während der tour ein äusserst seltener doppelter zwischenfall .
beim aufstieg versank der kollege , der auf dem riedgletscher voranging , plötzlich , mit den ski an den fussen , zur hälfte in einer spalte .
es gelang ihm , sich zu befreien .
den schrecken kann man sich vorstellen .
etwas höher , in der nähe des windjochs , musste die tour dann wegen überreichlicher neuschneemengen ein ende finden .
bei der abfahrt sind die beiden mutigen gesellen offenbar ihrer eigenen spur auf etwa zehn zentimeter genau gefolgt , denn andré stürzte in dasselbe loch und hing dort an seinen quer in der spalte verklemmten ski !
für einige zeit war das nadelhorn , das seine besucher so unliebenswürdig empfangen hatte , kein thema mehr .
tatsächlich war zwischen uns beiden nie mehr die rede davon .
drei jahre später , am zinalrothorn , fand andré sozusagen vor meinen augen bei einem unglücklichen pendelsturz von rund zehn metern , in einer passage ohne schwierigkeit , den tod .
wenn ich mir diese abschätzige bewertung der passage erlaube , dann , weil ich mehrfach aus geringerer höhe gestürzt bin ( von einem dieser stürze wird später noch die rede sein ) - ohne einen pendel ( in diesem fall freiwillig ) in gleicher grössenordnung zu erwähnen - , das ganze mit unbedeutenden schrammen .
glück ?
sicherlich .
wenn ich aber glaube , was livanos über den grossen riccardo cassin gesagt hat , so genügt es nicht , auf das glück zu warten , man muss es auch mit der nötigen entschiedenheit herbeirufen .
das wesentliche wäre also , das unglück zu vermeiden ?
aber welchen sinn haben solche worte , wenn ein freund den tod findet ?
nicht einmal den einer art leichenrede .
erinnern sich diejenigen , die uns damals geholfen haben , noch an den 12. august 1973 ?
äusserst tüchtige retter von der air-zermatt , bergführer und alpinisten , deren namen ich nicht kenne ( mit ausnahme von alain junod und denis berger , sektion diablerets , die den alarm auslösten ) , denn ich habe in dem durcheinander des geschehens nicht daran gedacht , sie danach zu fragen .
ein schändlicher streich die genfer haben ihre eigenen gewohnheiten , das sei ohne die geringste anspielung auf den etwas abgenutzten witz gesagt , mit dem die miteidgenossen die redeleistung und das ewig mäklige temperament der leute vom ende des genfersees mit dem umfang ihrer stimmorgane in verbindung bringen .
unter andern besonderheiten feiern die genfer le jeûne - den bettag - zehn tage vor den andern schweizern ( beachten aber deswegen mässigkeit und sittenstrenge auch nicht mehr ) , also an einem donnerstag .
das gibt ihnen jedesmal anfang september gelegenheit , die ( brücke zu schlagen ) und sich an vier aufeinanderfolgenden tagen ihrer freizeitbeschäftigung zu widmen .
traditionsgemäss setzt l'arole ( ein kleiner genfer club von bergsteigern ) ihren grossen jahresausflug auf diesen zeitpunkt fest ;
ebenso halten es andere genfer clubs .
auf diese weise brachte mich der genfer bettag des jahres 1971 unter tragikomischen umständen zum nadelhorn .
als zentrum unserer unternehmen war saas fee ausgewählt worden .
das ( basislager ) befand sich in einem sympathischen familiären hotel , das von einem jener supersaxo geführt wurde , die als bergführer oder als meisterhafte skifahrer den ruhm dieses namens begründet haben .
am freitag stiegen acht der muntersten zur mischabelhütte auf , was andere alpinisten und sogar einige führer veranlasste , ebenfalls aufzusteigen .
vielleicht durch den zu dieser jahreszeit ungewöhnlichen besucherstrom überrascht , machte sich auch der hüttenwart auf , marschierte in gutem tempo und überholte uns mühelos .
wir rechneten darum damit , das notwendige bier für unsern wachsenden durst zu erhalten .
wie gross war unser kummer , als wir feststellen mussten , dass uns das kostbare nass , das an den andern tischen in strömen floss , ohne erklärung oder sichtbaren grund verweigert wurde .
beim nachtessen spielte sich dasselbe mit dem wein ab , der hüttenwart behauptete sogar zu unrecht , wir hätten unsere bestellung nicht früh genug aufgegeben !
wir erhielten nur gerade das uns reglementarisch zustehende wasser .
am nächsten tag waren wir fünf , die auf das nadelhorn wollten .
eine zweierseilschaft kam schnell voran und erreichte die hütte , ohne weiter zu warten .
ich führte die folgende , unterstützt von paul delisle , dem getreuen gefährten unzählbarer unternehmungen im gebirge .
zwischen uns hatten wir ein neues mitglied .
der aufstieg verlief ereignislos , doch der gipfel schien uns nicht bequem genug , wir verlegten darum den picknickplatz zum windjoch , das sich als sehr freundlich erwies , weil es seinen namen an diesem tag nicht verdiente .
wir sind also unter den gipfelfelsen , steigen mit kleinen schritten über blankeisplatten ab .
beim aufstieg waren uns diese passagen einfach erschienen , doch wenn man sich dann dort mit dem blick ins leere wiederfindet , werden die folgen eines möglichen sturzes plötzlich sehr viel deutlicher .
veranlassen sie unsern neuling zu einigen überlegungen ?
er richtet unvermutet eine frage an mich :
( wenn ich falle , hältst du mich dann?> - <du kannst es immerhin versuchen ! )
eine eher scherzhafte antwort ;
ich bin weit davon entfernt , mir vorzustellen , dass sie ernstgenommen werden könnte .
einen augenblick später springt mein fragesteller , im glauben , er hätte ein zeichen von mir erhalten , mit einem satz über die gratkante .
während er in die südostwand stürzt , die hier bei einer neigung von 45 grad dreihundert meter hoch ist und im oberen teil gänzlich mit vereistem schnee bedeckt , verschwindet er aus meinem blickfeld .
sofort vollführe ich , zusammengekauert und nach hinten geneigt , mit der linken hand einen mächtigen schlag mit dem pickel , während ich mit der rechten das seil halte .
paul spürt den zug an seinem seilstück , dreht sich unverzüglich um und stemmt sich auf seinen pickel und die steigeisen , als wolle er sich in den entgegengesetzten hang stützen :
reiner reflex .
eine perfekte verankerung , nichts rührt sich , und unser ( experimentator ) zögert nicht , gut gesichert wieder aufzutauchen ;
er scheint mit seiner gefährlichen posse recht zufrieden .
wir hätten ihn mit vorwürfen überhäufen sollen , waren aber viel zu froh , dass alles so gut abgelaufen war , und haben darum kaum daran gedacht .
übrigens hatte ich bis dahin nur einfache abrutscher zu halten gehabt und war gar nicht böse , meine ansichten auf diese weise bestätigt zu sehen .
das picknick am das nadelhorn vom stecknadelhorn vom gipfel des nadelhorns .
rechts der dom .
im hintergrund rimpfischhorn und monte rosa windjoch wurde eins der fröhlichsten , verschönt durch eine auf meinem kleinen kocher bereitete bouillon , eine köstlichkeit , die uns der ( waffenstillstand ) der winde an diesem tag zugestand .
zurück in der ( höhle des bären> .
was können wir von diesem übellaunigen hüttenwart zur stillung unseres durstes anderes erbitten als wasser ?
<das gibt es nicht .
ich öffne die küche erst um 18.00 uhrb wir hätten jedoch gern geholfen .
er hat es so gewollt :
jetzt kommt es zum gewaltstreich !
fünf trockensprit-kocher stehen sofort in einer reihe auf dem tisch , um schnee zu schmelzen .
wütend fährt der hüttenwart dazwischen :
( löschen sie die sofort , das ist gefährlich ! )
- ( einverstanden , aber wir wollen wasser ! )
zögern .
wenn wir nur zwei wären , hätte er genug kraft , um uns hinauszuwerfen .
aber bei fünf entschlossenen burschen sollte man doch besser überlegen .
( gut , ich mache ihnen wasser ) .
die feuer werden gelöscht , die aschenreste der metatabletten ( trockensprit ) fliegen in gräulichen flocken davon .
während des blick vom gipfel des ulrichshorns auf nadelhorn , stecknadelhorn und höhberghorn abends lässt sich der zerberus zu dem geständnis hinreissen :
( wissen sie , ich mag die romands nicht leiden , nur die deutschen und die deutschschweizer . )
wirklich !
wir begannen fast so etwas zu ahnen !
in einem solchen fall fordert die heilige schrift , dass man verzeiht .
am nächsten morgen dann eine fröhliche abfahrt nach saas in gesellschaft eines bergführers , eines gesprächigen manns und patrons der ersten wirtschaft , auf die wir treffen .
er lässt uns unser elend vergessen , indem er uns soviel bier serviert , wie wir wollen .
danach rät man mir , wegen unseres missgeschicks der hüttenbesitzenden sektion ( dem akademischen alpenclub von zürich ) zu schreiben und mich zu beklagen .
ich habe nichts unternommen ;
es schien mir unpassend , die gebirgsatmosphäre durch kleinliche verwaltungsstreitigkeiten zu vergiften , die in der ebene gerade noch hingehen mögen .
bald gewannen die guten erinnerungen oberhand über die schlechteren ;
meine faulheit besorgte den rest .
die zukunft sollte mir recht geben .
die drohung der bergschründe :
eine sehr kritische situation nachdem ich das nadelhorn von der saaser seite bestiegen hatte , schien es mir angezeigt , dasselbe auch von der seite von ried aus zu tun .
die lektüre des guide des alpes valaisannes hatte mich begeistert .
es war darin von gewaltigen traversierungen der mischabelkette die rede , die innerhalb von 24 stunden durchgeführt wurden , und das schon vor mehr als einem halben jahrhundert .
ich plante - bescheidener - , als guten abschluss der saison 1977 den nadelgrat zu begehen .
mich trieb dazu noch ein weiteres anliegen :
es ging gewissermassen darum , nach andré berneys fehlschlag die herausforderung anzunehmen und der spur des so früh verstorbenen gefährten meiner anfänge wieder zu begegnen .
der plan interessierte jean-luc amstutz .
für einmal ging es nicht um kletterei , sondern um reinen alpinismus .
anfang oktober stiegen wir zur bordierhütte auf , bewunderten unterwegs ein kleines , sowohl in seiner form als auch durch seine vegetation bemerkenswertes moränental .
mir lag daran anzukommen .
die hütte sollte am nächsten abend geschlossen werden , und das winterbuch stand bereits den besuchern zur verfügung .
sobald wir angekommen waren , den band durchzublättern und andres schon sieben jahre alte eintragung zu finden , war sache eines augenblicks .
melancholische erinnerung an den verstorbenen freund , die vergangene zeit .
ich hatte noch die möglichkeit , die geschichte sehr viel weiter zurück zu verfolgen :
auf den in den dreissiger jahren gefüllten seiten standen die namenszüge berühmter bergführer , josef knubel und franz lochmatter .
am sonntagmorgen nahmen wir nach einem langen umweg über den riedgletscher den nordosthang des galenjochs in angriff .
als derjenige , der die tour vorgeschlagen hatte , führte ich die seilschaft , und jean-luc hatte , obgleich er seit ganz kurzer zeit berg führeraspirant war , diese ordnung stillschweigend akzeptiert .
er sollte sehr schnell über das ausmass meiner kompetenz belehrt werden , denn eine ordentliche schicht frischen schnees hatte den ganzen hang bedeckt , den bergschrund verschwinden lassen und über hunderte von metern , bis ins unendliche , alles nivelliert .
misstrauisch tappe ich auf dem steilen hang voran , prüfe die schneehöhe dabei mit dem pickel ;
der harte grund verschwindet immer mehr .
plötzlich ist alles um mich her weiss , als sei mein kopf in einen sack mehl oder ein federbett getaucht .
einen kurzen augenblick lang verstehe ich nichts ;
kein gefühl zu stürzen , so wie man es in einem lift spürt , der bei der fahrt nach unten beschleunigt oder bei der aufwärtsfahrt verlangsamt , wobei man meint , der magen steige einem bis in den hals .
ein stoss von hinten , dann einer von vorn , und jetzt ist alles schwarz :
kein zweifel , ich falle in den bergschrund .
der zweite stoss hat mich nach links und nach hinten geworfen ( es wird mir bei der <landung> bewusst ) , ich habe also alle musse zu sehen , wie das loch , durch das ich gefallen bin - es ist im augenblick das einzig helle - , sich in grösster geschwindigkeit entfernt und bereits vier oder fünf meter über mir ist .
wir waren mit straffem seil gegangen .
wenn ich so tief fallen konnte , dann , weil ich aus einem unverständlichen grund jean-luc nachgezogen hatte .
diese folgerung hätte mich vor entsetzen zu eis erstarren lassen sollen .
aber nein , sie lässt mich vollkommen gleichgültig , wie irgendetwas belangloses .
einen kameraden versinken zu sehen , hätte mir mein ganzes innere zusammengezogen .
aber nichts dergleichen :
ich habe das gefühl , meinen eigenen sturz mitzuerleben , ohne wirklich beteiligt zu sein , die verschiedensten eindrücke wahrzunehmen , die zu schnell aufeinanderfolgen , als dass ich sie zu einem zusammenhängenden ganzen verbinden könnte .
eine art persönlichkeitsspaltung , ein unbekümmertes gefühl , in der luft zu treiben , keine geste der gegenwehr .
fatalismus , die würfel sind gefallen , ich habe einen fehler gemacht , also muss ich dafür büssen .
doch das wäre eine zu weitgehende interpretation .
ich war ganz einfach eine sekunde lang wie erstarrt , und jetzt ist es zu spät , um noch irgend etwas zu versuchen .
als ich mich später an diesen sturz erinnerte , kam mir der gedanke , die vorstellung der trennung von körper und seele im augenblick des todes könnte in solchen augenblicken entstanden sein .
ein letzter stoss , heftiger als die vorhergehenden , setzt dem fall ein ende .
ein schmales , aus der talseitigen wand vorspringendes eisbankett beendet den sturz ;
wenn mich der zweite stoss nicht schräg unter den überhang geworfen hätte , fiele ich jetzt glatt daran vorbei .
der rucksack fängt einen teil des schlages ab , ein praktisch abgerissener tragriemen wird das später zeigen .
ohne den sack wäre ich nach meinem sturz auf den rücken vielleicht nicht mehr aufgestanden .
das am ende des falls zunehmend stärker gespannte seil hatte ebenso dazu beigetragen , den aufprall zu dämpfen .
ich brauche einige augenblicke , um wieder zu atem zu kommen und meine augen an die dunkelheit zu gewöhnen .
alles ist grau und unscharf .
mechanisch fahre ich mit einer hand über meine nase .
meine brille ?
sie ist sieben oder acht meter tiefer ( so viel bin auch ich gestürzt ) auf dem grund des bergschrundes verschwunden , in einem finstern und unergründlichen , zwischen eis und fels gähnenden trichter .
mir ist als einziges andenken an sie ein kratzer auf der nase geblieben .
auf das bankett gestützt , muss ich die ersatzbrille aus der rucksacktasche holen .
endlich sehe ich klar , aber die umgebung ist unheimlich :
grünliche , bestürzende eiswülste , bahnen von faulschnee , bergwärts schwärzlicher fels .
hinaus , und schnell !
wo ist mein pickel geblieben ?
er muss mir fortgerutscht sein .
unwahrscheinliches glück :
er ist anderthalb meter unter mir in einem loch hängengeblieben .
ich recke die arme , strecke die hände aus , nichts nützt , mir fehlen mehrere dezimeter .
ein schrei :
<seil geben ! )
trotz wildem rütteln bleibt das seil straff gespannt .
ich hatte vergessen , dass töne aus einer verdeckten spalte nicht hinausdringen .
aber könnte schliesslich der idiot da oben nicht mal kommen und nachsehen ?
ein verzweifelter entschluss :
von den riemen des anseilgurtes gehalten , kehre ich mich mit dem kopf nach unten .
im letzten moment greife ich das unentbehrliche werkzeug und kehre in eine vernünftigere position zurück .
yoga , von mir aus , aber bitte auf dem teppich !
jetzt die steigeisen , und aufgepasst , dass ich nichts fallen lasse , während ich sie anschnalle .
ganz ehrlich , ich wäre sehr traurig gewesen , hätte ich diesen pickel verloren , den mir pierre bovier , der letzte schmied von evolène , nach mass gemacht hatte .
der stiel war mir einmal gebrochen .
er wurde in chamonix durch die hilfe des papa moser ersetzt , des mitbegründers eines für die herstellung von bergsteigermaterial berühmten ( heute leider verschwundenen ) hauses , in dem er der spezialist ( der letzte ) für hölzerne pickelstiele geworden war .
was ich an diesem tag gerettet habe , ist weit mehr als ein einfacher pickel , es ist eine reliquie der handwerkskunst .
zu meiner linken zeigt eine unbestimmte , schräge und gekrümmte rampe , in die ich stufen und griffe schlagen muss , die ausstiegsmöglichkeit an .
der überhang tritt betonter hervor .
jean-luc wacht :
jedem schritt folgt das seil , stets straff gespannt .
nach einigen metern dringt es , schräg zur talseite hin , in den schnee ein und hat eine lästige neigung , mich gegen die wand zu drängen .
ein heftiger kampf , verklemmen und verstemmen ( die ebenfalls überhängende bergseitige lippe des bergschrundes ist näher gekommen ) , dann tauche ich , von der sonne geblendet , mit halbem körper auf , die arme auf den rand des loches gestützt .
mit einer letzten heftigen bewegung aus den hüften bin ich draussen !
etwa ein dutzend meter weiter unten hat sich jean-luc , in perfekter sicherungsposition und mit einem strahlenden lächeln auf den lippen , festgesetzt .
mir tönt eine seiner prächtigen bemerkungen entgegen :
<he , hör mal , ich habe das seil doch gut gehalten ! )
ja , und sogar ein bisschen sehr fest , aber es wäre reiner undank , wollte ich mich beklagen , denn seit meinem sturz ist höchstens eine halbe stunde vergangen .
wieder unterwegs , als sei nichts geschehen , wende ich mich zurück , um eine günstigere passage zu suchen , und fühle mich plötzlich von einer übermächtigen müdigkeit zu boden gedrückt , meine beine sind bleischwer .
jean-luc hat das bereits begriffen und übernimmt die seilführung für den rückweg .
<hör mal , wenn hier so viel schnee liegt , ist das oben noch schlimmer , wir werden schwierigkeiten haben ! )
das stimmt weiss gott , und da mich die affäre zudem sehr ermüdet hat , muss ich , wenn auch widerwillig , zugeben , dass die angelegenheit für heute erledigt ist .
obgleich der rückweg einfach war , schien er mir zeitweise etwas mühsam , ganz offensichtlich wäre ich nicht sehr viel weiter gekommen .
seilschaften in der nordwand der lenzspitze ( im aufstieg zum nadelhorn ) ein letzter blick :
das seil hat von dem an der unteren lippe des bergschrunds zusammengewehten und aufgehäuften schnee eine grosse ecke abgeschnitten , so dass ich doppelt so tief stürzte .
jean-luc , der den boden sich mehrere meter in seiner richtung spalten sah und das einbrechen einer grossen schneebrücke fürchtete , hatte sich jeden weiteren schritt versagen müssen , in der hoffnung , ich würde mein möglichstes tun .
ein wunsch , der zur allgemeinen erleichterung erhört wurde .
aber ich habe mich manchmal gefragt , was er wohl gemacht hätte , wenn er einen weniger aktiven klienten an seinem seil gehabt hätte .
in der hütte zeigte der hüttenwart keinerlei überraschung , als er von unserm missgeschick hörte , das wir übrigens nicht mit besonderem stolz erzählt haben .
ihm schien die sache einleuchtend ;
er , der vorsichtiger war als wir , hatte seine tour , bei der er einige personen zum balfrin geführt hatte , erfolgreich beendet .
am nachmittag tauchte von der mischabelhütte her ein einzelner deutscher mit einem schweren rucksack auf .
dieser bursche musste ohne seil die beiden bergschründe des windjochs und gott weiss wieviele spalten , die einem den schauder einjagen können , passiert haben .
verrückt oder ahnungslos ?
ganz bestimmt ist das gebirge eins der letzten gebiete der erde , wo ständig wunder geschehen , aber sich darauf zu verlassen , wäre der beweis einer sehr ungesunden naivität .
und ich habe die bergschründe für lächerliche risse gehalten !
ein mühelos revidiertes urteil .
auf den tag genau eine woche später wurde die bordierhütte durch einen brand ( war die gasbeleuchtung schuld ? )
vollständig zerstört .
mit ihr verbrannte das hüttenbuch voll der kostbaren erinnerungen .
freunde von einst , wer wird euch jetzt aus der ewigen nacht erstehen lassen ?
die hundertunderste der schönsten touren die abdachung der rieder seite hatte also zwei zu null gesiegt , uns im frühjahr und im sommer zu boden gezwungen .
verärgert hatte ich sie während einiger jahre aus meinen plänen gestrichen .
erst anfang august 1986 bin ich mit drei mitgliedern des sympathischen skiclubs von epalinges - alle erprobte alpinisten - dorthin zurückgekehrt .
diese massendemonstration schien mir für eine seit sechzehn jahren fällige vergeltung nicht übertrieben , und der nadelgrat musste aufgeben , hielt jedoch einige seiner besonderen possen für uns bereit .
um alle chancen auf unserer seite zu haben und abwechslung in das vergnügen zu bringen , hatten wir geplant , das galenjoch von rechts her , vom pfad zur bordierhütte aus , in angriff zu nehmen .
so wollten wir den weg über den riedgletscher vermeiden , dann den grat und die steilsten , in dieser jahreszeit vermutlich vereisten schneepartien hinaufsteigen .
ein verdriesslicher zwischenfall machte diesen schönen plan zunichte :
einer von uns vieren wurde zurückgehalten und würde die hütte erst sehr spät erreichen können .
es schien mir aber nicht klug , ihn die untere zunge des gletschers , eine nicht zu umgehende passage auf dem weg zur hütte , allein und bei nacht traversieren zu lassen .
also musste der schlachtplan umgestossen und der feind von hinten attackiert werden , das heisst , wir mussten das nadelhorn von der mischabelhütte aus traversieren und anschliessend über die route absteigen , die wir uns für den aufstieg vorgenommen hatten .
übrigens , verlangt nicht ein alter militärischer grundsatz , die höhen zu behaupten , um die oberhand zu behalten ?
drei stunden genügten uns , um von saas fee zur hütte aufzusteigen , die ich seit 1971 nicht mehr betreten hatte .
es folgte eine reihe angenehmer überraschungen .
hinter der alten war eine neue hütte gebaut worden ( ich hatte es vergessen ) , grösser und schöner .
die alte bot nun zusätzlichen schlafraum , wahrscheinlich war sie auch das winterlokal .
über dem eingang ein schutzdach , unter dem sich - zwar im freien , doch vor schlechtem wetter geschützt - bequem zehn seilschaften bereit machen oder ihre ausrüstung ablegen können ;
dann eine reichlich mit bänken ausgestattete halle , ebenso mit kästen , in denen schuhe und material in guter ordnung unter folgende doppelseite :
balfrin ( links ) und ulrichshorn vom nadelhorn aus gebracht werden können , ein wirksames mittel gegen materialverwechslungen , wie es am frühen morgen bei schlecht ausgeschlafenen seilschaften passieren kann .
auf einer seite der halle befinden sich waschräume , duschen und toiletten mit wasserspülung , ein luxus in dieser höhe ( 3300 m ) ;
bis jetzt hatte ich das nur in den brentadolomiten erlebt , wo die höchste hütte nicht viel über 2500 metern liegt .
als essraum dient ein regelrechtes panorama-restaurant , in dem eifriges , liebenswürdiges personal bedient .
ich muss hinzufügen , dass die hütte an jenem abend mehr als vollbesetzt war , wir wurden sogar zum schlafen ins alte gebäude geschickt .
das hatte den vorteil , dass wir dort weniger gestört wurden .
und nun zum hüttenwart :
es war wirklich derselbe wie 1971 , aber ich erkannte ihn nicht wieder .
ich schaute verstohlen durch den schalter , durch den bestellungen aufgegeben und das essen gereicht wird , und sah , wie er friedlich seine küchenmannschaft ( man könnte fast von einer brigade sprechen ) leitete .
als der ( grosskampf ) vorbei war , ging er vor die hütte , um luft zu schöpfen und mit einigen seiner gäste zu plaudern , wie es irgendein anderer wirt auch tun würde .
trotz des zustroms an besuchern wurde uns zum nachtessen ein richtiges menü serviert , und das zu einem für diese höhenlage sehr annehmbaren preis , dazu alle gewünschten getränke .
den brummenden bären , der uns einst so schlecht behandelt hatte , gab es nur noch ganz unscharf und blass in der erinnerung .
unser vierter mann stiess mitten in der nacht zu uns ;
er hatte von saas fee her nur zwei stunden gebraucht .
er verlor keine spur seiner guten laune , als sich herausstellte , dass der rest an trinkbarem , den ich für seinen durst beiseite gebracht hatte , in der kehle eines skrupellosen verschwunden war .
obgleich die nacht für ihn sehr kurz wurde , brachen wir doch mit dem hauptharst auf , um als erste auf dem gipfel des nadelhorns zu sein und uns einen ordentlichen imbiss zu leisten .
( die nächsten stunden verliefen eindeutig weniger angenehm , es sei hier nur ganz allgemein darauf angespielt ! )
und nun der nadelgrat !
in unserer hast , die gipfelfelsen hinunterzusteigen , verpassen wir die kurze traverse , die auf die gratkante führt ;
ein erster falscher weg , weil ich einen augenblick nicht aufmerksam war .
wieder aufsteigen ?
das kommt nicht in frage , das hiesse , den irrtum öffentlich zuzugeben , und ausserdem scheint sich eine seilschaft in der richtigen passage auch nicht wohler zu fühlen .
zwei seillängen in einem ziemlich steilen eisstück - die erste eine horizontale traverse , um einige felsen zu umgehen - bringen uns auf den richtigen weg am fuss eines kleinen , vergnüglich zu überquerenden felszackens .
die steigeisen , die für die letzte gipfelstrecke des nadelhorns im rucksack verschwunden waren , werden jetzt wieder für einige zeit nötig , solange wir einem schönen grat mit gutem schnee folgen , das felsige stecknadelhorn traversieren und über einen kurzen grat , wo der weiche schnee auf seiner eisunterlage abzurutschen beginnt , zum höhberghorn aufsteigen .
wer hat wohl in dem stumpfen gipfel ■# * des stecknadelhorns eine stecknadel gesehen und dem berg diesen komischen namen gegeben ?
aber was soll ich mit meinem namen sagen , der in der romandie , in der ich doch schon immer gelebt habe , gegenstand nicht weniger scherze ist ?
höchstens , dass ich vielleicht von meinen sehr fernen ziegen-haften und namensgebenden vorfahren eine starke vorliebe für steiles , jäh abfallendes gelände mitbekommen habe .
das höhberghorn steht im ruf , gänzlich schneebedeckt zu sein , aber heute ragt ein schmaler felskamm grade knapp aus dem gipfeleis .
mit einer anzahl natürlicher sitzplätze liefert er den vorwand für ein picknick .
auf uns warten aber noch ernsthaftere aufgaben .
auf alle fälle legen wir die steigeisen wieder an , vielleicht eine überflüssige massnahme , denn kurz darauf müssen wir sie für den abstieg über einen felsigen , im guide des alpes valaisannes als sehr schöne treppe bezeichneten vorsprung wieder ablegen .
folgen wir der route nicht genau genug ?
das ist möglich , die treppe scheint uns eher aus geröll zu bestehen , und der einstieg beansprucht einige augenblicke unsere ganze aufmerksamkeit .
aufgrund der vorherigen erfahrung nehmen wir den grat , der darauf zum hohbergjoch abfällt , ohne steigeisen in angriff .
eine etwas heikle seillänge auf nicht verfestigtem schnee , immer noch über eis , veranlasst uns , reuig wieder die steigeisen hervorzuholen .
liebenswürdige scherzbolde versichern uns gleich darauf , dass sie zu gar nichts gut sein werden .
diese falschen prediger !
der aufstieg zum dürrenhorn scheint mir ein wenig langweilig , sicher eine wirkung der müdigkeit , denn ich beginne zurückzubleiben .
zum glück bewirkt der abstieg zum dürrenjoch ein wiedererwachen des interesses :
eine seillänge ist zu sichern , wobei man sich auf schlecht mit dem untergrund verbundenen platten möglichst leicht machen muss ;
nach der traversierung eines gratabschnittes muss guter fels gesucht werden ( es gibt welchen ! ) , dann schnallen wir für das stück bis zum pass wieder die steigeisen an .
vom pass senkt sich ein steiles verschneites couloir zum riedgletscher .
mir scheint , meine gefährten schauen begehrlich dorthin , rechnen sich eine abkürzung aus , werden jedoch alsbald durch kleine , von der wärme des nachmittags ausgelöste aussicht vom gipfel des nadelhorns :
stecknadelhorn , höhberghorn und dürrenhorn rutsche abgeschreckt :
das programm wird nicht gestutzt .
als wir den gipfel des chly dürrenhorn traversieren , finden wir auf dem grat selbst , bei einigen schönen , leider kurzen und nicht obligatorischen kletterpassagen , den besten fels des ganzen tages .
zwei der beteiligten nutzen die gelegenheit , um einen vorsprung zu gewinnen , den gipfel links zu umgehen und hinter einem kamm zu verschwinden .
grosse verblüffung , als wir dort ankommen :
die kollegen haben - ungeduldig abzusteigen und dank der ausschliesslichen lektüre der cent plus belles courses des alpes valaisannes schlecht informiert - den zum galenjoch führenden grat verpasst und sind einen riesigen geröllhang , dessen unteres ende nicht abzusehen ist , hinuntergestiegen .
alles rufen nützt nichts :
sie wollen nicht wieder aufsteigen und können den grat , von dem sie erschreckende , zerklüftete couloirs trennen , nicht mehr erreichen .
es bleibt nur , ihnen zu folgen .
heute sind die götter mit uns :
der ausweg ist nur um den preis einiger kletterschritte und eines wirklich gefährlichen sprungs in das lockere geröll zu finden , bei dem keiner von uns schaden nimmt .
wir treffen uns also nicht auf dem gipfel , sondern auf dem grund einer schlucht voller geröll , wo das galenjoch mit einer feindselig wirkenden wand höhnisch hundertfünfzig meter über uns aufragt .
es erhebt sich die frage , ob wir direkt das tal von st. niklaus erreichen wollen .
ich erinnere mich , dass nach dem guide des alpes valaisannes die route selbst im aufstieg nicht eindeutig ist .
die freunde wollen greifbarere beweise , die karte liefert sie ihnen reichlich .
während eines stärkenden imbisses an einem bach , wo wir die feldflaschen wieder auffüllen können , beschliessen wir :
es geht zum galenjoch :
eine halde mit verfestigtem geröll sollte , selbst wenn sie steil ist , keine schwierigkeiten bereiten , und das bestätigt sich schon bei den ersten schritten .
das vergnügen der tour neigt sich seinem ende entgegen , darum - und weil ich wieder zu atem kommen möchte , der mir durch die müdigkeit etwas knapp geworden ist - habe ich begonnen , ein wenig zu bummeln und die blümchen auf der moräne zu bewundern , die sich bemühen , diesen tristen ort etwas aufzuheitern .
.eoa
.in tag in uschenen
hanspeter sigrist , oberbalm
in den wänden von
uschenen
( weg der jugend )
ein klettergebiet macht geschichte in der anfangsphase , als sich in der schweiz die entwicklung zum freiklettern erst abzuzeichnen begann , wurden am felsband von üschenen , oberhalb von kandersteg , anstiege eröffnet , die zu den schwierigsten der schweiz zählten .
die routen bewegten sich zunächst im bereich des sechsten , dann des siebten und schliesslich des achten grades .
besonders aufsehen erregten die konsequent von unten eröffneten routen wie le toit , quo vadis , via del ladro corda und kolibri .
als man aber auch in üschenen begann , die ersten , meist kürzeren anstiege abseilend zu eröffnen , wurde es plötzlich etwas stiller um dieses klettergebiet .
während die einen diese neue praxis verärgerte , glaubten andere , die vorhandenen möglichkeiten seien bereits weitgehend ausgeschöpft .
und so konzentrierte sich das interesse auf gebiete , die noch weniger erschlossen waren .
erst 1988 rückten durch die eröffnung neuer routen die landschaftlich überaus reizvoll gelegenen felsen von üschenen wieder ins blickfeld .
in der zwischenzeit hatte man auch gelernt , die verschiedenen aspekte mit mehr objektivität und der nötigen toleranz zu betrachten , sind doch die unterschiede zwischen von unten und von oben eingerichteten klettereien nun jedem klar und vor und nachteile bekannt geworden .
beides ist möglich , beides hat seine berechtigung und nicht zuletzt auch seinen besonderen reiz .
es gibt anspruchsvolle anstiege wie zum beispiel die von unten eröffnete route kumulus von martin stettier , die eine gesunde moral und hohes können erfordern und damit auch über einen ganz eigenen erlebniswert verfügen .
dasselbe gilt für die von den rein klettertechnischen schwierigkeiten her gesehenen spitzenrouten und anziehungspunkte für leistungsstarke kletterer bscbüttigütti{\q ) und fusion ( 10- ) .
diese stellen jedoch andere anforderungen - nicht nur an den kletterer , welcher der besonderheit der route mit konsequenz und grösster konzentration begegnen muss , sondern auch an den sichernden , der viel zu einem schnellen gelingen eines solch anspruchsvollen unternehmens beitragen kann .
die beiden spitzenrouten wurden 1988 erstmals rotpunkt geklettert :
die fusion durch jürg von känel im oktober , und das langjährige projekt bschüttigüttigelang dem autor an einem neblig-kalten tag im sommer .
dies , nachdem die route neu eingerichtet und die linienführung im obersten teil noch bestimmt werden musste .
die durchsteigung derartiger routen bietet - besonders wenn sie , wie in diesem fall , nach nur sehr kurzer vorbereitungszeit bereits im ersten vorstiegsversuch gelingt sehr intensive klettererlebnisse und gehört deshalb zu den höhepunkten im leben eines kletterers .
jene augenblicke , in denen alle voraussetzungen gegeben sind , damit eine route im 10. schwierigkeitsgrad in sehr kurzer zeit gelingt , lassen sich kaum im voraus bestimmen oder planen .
zumindest mir scheint diese fähigkeit nicht gegeben zu sein - selbst wenn ich mich vorher lange und intensiv mit mir und meinem ziel auseinandergesetzt habe .
vielleicht kann man aber eine solche herausforderung auch nur bestehen , wenn ihr eine besondere situation vorausgegangen ist .
eine situation , die , von jedem erfolgsdruck befreit , hemmende blockierungen löst und so erst die notwendige ausgewogenheit der bewegungsabläufe ermöglicht .
manchmal spielen aber auch klimatische bedingungen eine grosse rolle , indem sie erlauben , die kraft voll auszuspielen - oder eben nicht .
kaum etwas vermag mich in einem schwierigen aufstieg mehr zu irritieren als das durch eine etwas zu hohe temperatur hervorgerufene unangenehme gefühl , fast unmerklich , aber ständig von jedem griff zu rutschen .
in solchen fällen konzentriere ich mich dann ganz von selbst auf dieses problem und werde damit vom klettern abgelenkt .
es kann aber auch vorkommen , dass ein <prestigegelade-nes> umfeld , so zum beispiel zufällig anwesende personen , derart motivierend wirkt , dass ein kletterer sich plötzlich mit anscheinend grösster sicherheit am fels bewegen kann .
allerdings zeigt sich dann meist einige zeit später , dass solche nicht zuletzt durch im weit ausladenden dach der route « fusion » ( 10- )
a
äussere faktoren zustande gekommenen leistungen mit enormem kraftaufwand verbunden sind .
um so wertvoller und erlebnisintensiver werden deshalb jene momente empfunden , in denen man sich den anforderungen gewachsen fühlt , selbst wenn die ziele sehr hoch gesteckt sind .
die persönliche situation , die ( atmosphäre ) , der tag , die person des sichernden all das und vielleicht noch mehr müssen ideal zusammenpassen , um ein durchgehend positives umfeld zu schaffen .
routenziele bei der fusion handelt es sich um eine kombination aus einer bestehenden route im 9. schwierigkeitsgrad und einer davon abzweigenden traverse über ein ausladendes dach .
der ort , wo die ( fusion ) stattfinden soll , ist gleichzeitig auch die schlüsselstelle der gesamten tour .
nach einer steilen , mit messerscharfen kleinen griffen bestückten passage und einem eindrücklich ausladenden dach folgt die stelle , an der sich alles entscheidet .
das vor und nachher ist verhältnismässig leicht in den griff zu bekommen , nicht aber die loslösung von der ursprünglichen linie , die gerade aufwärts weiterführen würde .
ich habe mir die route zusammen mit heinz gut ein erstes mal an einem wunderschönen herbstnachmittag im november angeschaut .
neben einem kurzen <vertrautwerden> mit der etwas speziellen linienführung und den originellen bewegungsabläufen vor und nach der schlüsselpassage reicht es gerade noch für je einen vorstiegsversuch .
an der schlüsselstelle sind wir aber bereits völlig ausgepumpt , chancenlos , den ( absprung ) von der geraden linie überhaupt zu wagen .
voller ehrfurcht beginnen wir auf der heimfahrt von der neuesten <jürg-von-känel-kreation> zu sprechen .
eine woche später droht sich die zeit des stabilen schönen herbstwetters ihrem ende zu nähern .
und damit scheint auch der traum von der fusion für dieses jahr ausgeträumt zu sein .
heinz weilt in südfrankreich , er hat dort ziele , die ihm eher machbar erscheinen .
und gabriele will nach italien .
sie mag den nebel hier nicht und befürchtet , um diese jahreszeit an den voralpinen felsen ohnehin nur zu frieren .
am heutigen warmen und windstillen tag sollte dies jedoch nicht der fall sein , weshalb ich mich entschliesse , nochmals die fusion zu versuchen und dann abends loszufahren .
so können wir den vielleicht letzten sonnigen herbsttag nützen , und gabriele hätte die möglichkeit , sich etwas von ihrer weiten nächtlichen anfahrt aus deutschland zu erholen .
die eigenen ziele zu nennen ist oft gar nicht so leicht .
geklettert wird nach wie vor zu zweit , und meist haben beide partner ihre routenziele und vorstellungen , die auf einen zufriedenstellenden nenner gebracht werden müssen .
deshalb scheint es mir manchmal recht schwierig , die eigenen interessen vor mir selbst und dem partner einzugestehen und gegebenenfalls sogar durchzusetzen , befürchte ich dabei doch , im falle eines misserfolges seine hilfe zu unrecht beansprucht zu haben .
andererseits sollten wir trotz derartiger bedenken vielleicht vermehrt daran glauben , dass solche unterstützung gerne geleistet wird und von herzen kommt , wenn der partner spürt , dass der richtige moment da ist , um dem andern zu helfen , sein ziel zu erreichen .
in der route « bschütti-gütti ) ( 10 ) , der schwierigsten route im klettergebiet von üschpnpn und es ist der richtige moment !
üschenen präsentiert sich von seiner allerschönsten seite .
die luft ist frisch , und am fusse der felsen kann man sich noch in die warme sonne legen .
die berge sind schon weit hinunter eingeschneit , und bis auf einen einzelnen kletterer , der am einrichten einer neuen route ist , sind wir hier oben allein .
ein 7. grad zum einklettern und einige kurze testzüge in den schwierigen passagen der route mit besonderer aufmerksamkeit auf den schlüsselzug dienen der einstimmung .
das linke handgelenk schmerzt bei der extrem aufgestellten fingerhaltung an dem runden griff .
die kleine , unscheinbare warze bohrt sich in die fingerkuppe des rechten zeigefingers .
hier muss ich mich mit aller kraft festhalten , nur dann ist der weite dynamische zug an den fingerschlitz möglich .
dieser erste vorstiegsversuch gelingt gar nicht schlecht .
beim einhängen der blauen fixen schlinge bin ich aber instabil und brauche deshalb viel kraft .
zudem liegt die hand unter dem seil .
das kostet zu viel zeit , um sie für das schwierige nachgreifen freizubekommen .
ein zweiter anlauf erfolgt nur wenig später , solange der richtige teil der bewegungsabläufe noch im gefühl ist .
gabriele hat mich für das schwierige einhängemanöver beruhigt und mir mut gemacht .
ihre anweisungen helfen mir in diesem moment sehr viel , und es geht auch gleich deutlich besser .
nur um wenige millimeter verfehle ich den griff .
pause .
wir wandern ein wenig umher und schauen uns den neuen kleinen klettergarten an .
dann auch das bschüttigütti .
immer wieder fasziniert mich diese linie durch die steil aufschiessende platte mit ihren nur winzigen einkerbungen .
ich fühle mich gut .
ausgewogen und ruhig .
vielleicht deshalb , weil es mir in diesem moment hier oben , inmitten einer wunderschönen landschaft , an nichts fehlt .
die pause ist um , und ich muss wieder etwas tun :
den nächsten versuch wagen .
wiederum bekunde ich mühe , die bewegung im entscheidenden moment genau zu erfühlen und zu kontrollieren .
vor dem dynamischen zug nehme ich noch zu viel schwung , was bei der kleinheit der griffe ohnehin ein unsinn ist .
selber fällt mir der kleine fehler aber kaum auf .
ich spüre nur , dass etwas noch nicht ganz stimmt .
gabriele gesteht mir noch einen versuch zu , nur noch diesen einen .
beim losklettern frage ich mich kurz , ob sie wohl ungeduldig ist oder ob andere überlegungen dahinterstecken .
bestimmt würde sie mich noch einen weiteren anlauf machen lassen , selbst wenn ich genau weiss , dass konzentration und kraft dazu nicht mehr ausreichen , dass die haut an der fingerspitze bald durchreisst und bei aller feilscherei um einen fünften versuch dieser mit sicherheit danebengehen würde .
im dach ist kein platz für derartige überlegungen .
die weiten züge erfordern volle aufmerksamkeit .
dann der überkreuzer an den winzigen griff , der nötige druck auf den fussen , der zwischengriff , und - mit etwas glück - erwische ich den schlitz mit einem teil der fingerspitzen .
ein kurzes nachfassen und ich habe ihn richtig in der hand .
die traverse hat begonnen und muss jetzt noch konzentriert zu ende geführt werden - bis an das vordere dachende .
einhängen des letzten hakens und ein entschlossener weiter zug an den ausstiegsgriff .
die letzten sonnenstrahlen und die freundliche sicherungshilfe von ernst müller - er ist alleine hier oben unterwegs - erlauben uns sogar noch , den quergang ein zweites mal zu klettern , dabei einige bilder zu machen und den schönen moment noch etwas auszukosten .
in bester laune packen wir unsere sachen zusammen und verabschieden uns von diesem einzigartigen ort .
die sonne ist hinter dem lohner verschwunden , und es wird schnell kalt .
die bewegung auf dem abstieg wärmt uns aber bald wieder auf .
.eoa
■rlebnis selbsanft-nordgrat
albert schmidt , engi ( gl )
der über der linth-schlucht thronende selbsanft ( vom tierfed aus )
über die nordostflanke zum luegboden
vom ersten mast der kll-seilbahn ( kraftwerke linth-limmeren ) steigen wir über den baumgartenalpweg hinab zum schwamm , bis eine wegspur den hang und eine waldlichtung quert , wo viele jahre ein einsiedlerpärchen gehaust hat .
von seinen besitzern aufgegeben , vergandet nun auch ihr wild-kräutergärtchen .
weiter durch den wald aufwärts gelangen wir zur bergkante .
hier öffnet eine verlockende tour im vorangehenden beitrag über das alte gipfelbuch war viel die rede vom nordgrat , ohne dass sich der leser bei den meist wortkargen eintragungen seiner begeher ein bild über ihn machen konnte .
deshalb soll hier noch das erlebnis einer besteigung über diesen geheimnisvollen grat geschildert werden .
prächtiges warmes spätsommerwetter , keine gewitter mehr und deshalb eine trockene route - einmal mehr lockt uns der berg in seine gewaltigen nordabstürze .
für das wochenende vom 28./29 .
september 1985 habe ich mich mit meinen seilkameraden johann stoffel und harry zweifel verabredet .
besonders harry , der im tierfed unter den selbsanftwänden aufgewachsen ist , freut sich , endlich einmal auf die hohe spitze zu kommen , auf der schon sein vater zur zeit des kraftwerkbaus gestanden hat .
blick vom vorder selbsanft ( hauser-horn)auf den tödi sich plötzlich der blick ins limmerentobel , aus dessen uneinsehbarer tiefe sich die gewaltigen kalkwände des muttsee und selbsanftmassivs aufbäumen .
der eindruck , den diese wild-bedrohliche gebirgswelt auf den menschen macht , ist wahrhaft erschütternd , und caspar hausers eingangs zitierte schilderung ( vgl. s. 31 ) hätte hier noch vermehrt gültigkeit .
manch einer , der mit den bergen nicht so vertraut ist , würde sich an dieser stelle wohl keinen schritt mehr weiter wagen .
auf der wegspur queren wir in die felsenschlucht .
damit dringen wir in ein verlies des gebirges ein .
innert kürze rücken die uns vorher noch in geräumigem halbrund umgebenden wandfluchten bis auf wenige meter distanz zusammen .
wir betreten eine andere welt , fern der unsrigen .
jetzt bei sommerende liegen , trotz der höhe von nur 1200 metern , immer noch vereiste lawinenreste in der kluft .
mühsam bahnen wir uns den weg durch das bachbett empor , überwinden dabei die zerbrochenen altschneepfropfen und zwängen uns an glattpolierten felsblöcken vorbei .
wie würde es hier tosen und brausen , wenn die limmerenwasser nicht weiter oben von der staumauer zurückgehalten würden !
bei sommerlicher wasserführung gäbe es hier keine durchkommen .
das geht auch aus der empfehlung in den alten clubführern hervor , diese tour nur während der trockenen herbstzeit zu wagen .
bei einer wasserfassung der kll beginnt oben in der rechten felswand der ( birchen-gang> , ein schmales , abschüssiges schrofen 41 und felsband , das steil zur untersten schulter der nordflanke hinaufzieht .
in kurzer zeit wächst unter uns die schwindelnde tiefe des limmerentobels .
wir gehen hier unangeseilt , darum verlangt jeder schritt konzentration und selbstsicherheit .
von diesem ersten exponierten absatz , dem birchli , geht es nun durch alpenerlen und über eine felsstufe direkt den berg hinan .
die route wird jetzt allein ihrer steilheit wegen unübersichtlich , und es braucht einiges gespür , den richtigen durchstieg zu finden .
in der bergseitigen hand den pickel , in der andern einen skistock als stütze , so erklimmt man am sichersten die mit anstehenden felsen , aber auch mit lockerem gestein durchsetzten grasflanken .
vom zweiten absatz , dem luegboden , queren wir über schrofen und geröll steil in die limmeren-flanke hinein , um bald einmal auf dem kräuterbewachsenen band vor dem biwakplatz zu stehen .
<balm> statt höhle wäre allerdings die treffendere bezeichnung für die beiden einbuchtungen am fusse der sich senkrecht auftürmenden felswand .
im biwak noch liegt goldenes licht auf den muttsee-gipfeln ;
die sonne geht , von unserem standort aus schon nicht mehr sichtbar , hinter dem berg unter .
rasch fällt die dämmerung ein und hüllt die limmerenschlucht in dunkle schatten .
wir suchen ein günstiges plätzchen in der balm , rollen unsere biwakmatte und den schlafsack aus .
dann setzen wir die kocher in betrieb , um unser abendessen zuzubereiten .
unter fröhlichem ( tischgespräch ) vergeht die essenszeit .
meinen kameraden erzähle ich , wie wir hier vor drei jahren unsere becher unter dem überhang hervor in den prasselnden und mit steinschlag durchsetzten gewitterregen halten mussten , weil wir vergessen hatten , vom limmerenbach wasser mitzunehmen !
eine halbe stunde nach einbruch der dunkelheit beginnt sich oben hinter den muttsee-wänden eine helligkeit am dunkelblauen nachthimmel auszudehnen , und um 20.30 uhr steigt der vollmond über dem kamm des kistenpasses auf .
er leuchtet direkt in unsere höhle , und mit zunehmender höhe fällt sein 42____________________________________ mildes licht in die tiefe der limmeren-schlucht , breitet einen transparenten schleier über die vorher harten , tiefschwarzen flächen und konturen der bergwände .
wenn wir auch eine vollmondnacht in den bergen schon oft erlebt haben :
an diesem einsamen biwakplatz in den selbsanftwänden wird diese unerwartete , zauberhaft schöne stimmung zum seltenen naturerlebnis .
wir zünden eine kerze an , die ihr warmes licht auf unser felsiges biwakdach wirft , dann krieche ich in die engste spalte des berges hinein , um auf dem bauche liegend die einmalige szenerie mit der kamera einzufangen .
wahrscheinlich kommen wir wieder einmal hierher , aber eine solche nacht werden wir wohl nie mehr erleben können .
allmählich nähert sich der mond der hohen horizontlinie des selbsanft , berührt sie und verschwindet .
in unserer balm wird es dunkel , und wir schlüpfen in die schlafsäcke .
die stille der nacht , nur unterlegt durch das leise rauschen der verbleibenden limmerenwas-ser , wiegt uns bald in den schlaf .
hier in der falte des riesigen berges fühlen wir uns ebenso geborgen wie zu hause .
um fünf uhr piepst eine uhr unerbittlich tagwache .
als erfahrene biwakfüchse beherrschen wir allerdings die technik , im schlafsack liegend heisses wasser zuzubereiten und so das morgenessen - einen becher bircher-müesli und kaffee-einzunehmen .
im schmalen ausschnitt , der zwischen höhlendach und dem muttseehorizont sichtbar ist , verblassen schnell die sterne .
um sechs uhr verlassen wir im ersten dämmerlicht unser romantisches nachtlager .
am nordgrat wirtraversieren zum luegboden und steigen über die abschüssigen gras und schro-fenflanken dem ersten grossen aufschwung des nordgrates entgegen .
auf den bändern der sandalpflanke entdecken wir einige gemsen bei der morgenäsung .
hier oben hätten sie auch während der jagdzeit wohl kaum etwas zu befürchten .
in einer gestuften rinne geht es in leichter kletterei hinauf zu einer schmalen scharte im nordgrat , wo uns die ersten strahlen des aufsteigenden tagesgestirns treffen - hundertfach erlebt und doch immer ein wundervoller augenblick .
wir seilen uns an und klettern direkt über die gratkante weiter .
auf den leisten und bändern liegt wohl viel schutt , aber die steilen vollmondnacht im biwak luegboden aufschwünge bestehen aus recht gutem jura-malmkalk .
eine zone aus stark verwittertem , braunem gestein erheischt anschliessend wieder vorsichtiges klettern .
wir gewinnen rasch an höhe und stehen bald unter dem markanten gelbbraunen gratturm , dem die früheren begeher des grates den phantasievollen namen ( goldenes horn> gegeben haben .
anstelle von goldadern sind es aber die letzten rasenpolster , die den festen fels in der ostflanke des turmes durchziehen .
der ebene platz oben auf der bergzinne lädt geradezu zu einer rast ein .
die firnflächen der claridengruppe und die gletscher des tödi leuchten blendend weiss in der morgensonne , während im schon weit unten liegenden tal immer noch dunkle schatten lagern .
in die stille hier oben dringt zu dieser frühen stunde nur das leise rauschen des sandbaches .
nach dem breiten schuttband hinter dem ( goldenen horn> zieht sich senkrecht und überhängend ein felsband um den ganzen bergstock .
die günstigste route führt auf dem höhenrücken des mittler selbsanft ( plattas alvas ) ;
im hintergrund der bifertenstock zu einer ecke empor , von der aus über einen quergang unter einem dach eine verwitterte flanke zu gewinnen ist .
heute folgen wir der route , um oben am fusse eines wilden grataufschwungs wieder die kante zu erreichen .
die hier ansetzende senkrechte bastion wird auf ihrer ostseite von einer kaminartigen verschneidung durchzogen .
als alte schlaumeier wissen wir , wie man eine solche stelle anpackt :
johnny , athletischer sportkletterer aus dem berühmten ( dorf mit drei buchstaben ) der kreuzworträtsel , wird mit lobesworten über seine kletterkunst losgeschickt !
er wird die seillänge doch ( mit singä und pfiiffä ) packen !
schadenfreudig grinsen wir uns an , als er sich wenig später im abdrängenden kamin , in das die sonne hineinbrennt , hocharbeitet , schwitzt , dann mit dem rucksack hängenbleibt , um schliesslich angesichts des festen , glattgescheuerten felsens nicht ganz gerechtfertigt - über den ( glarner alpenbruch ) zu lamentieren .
bald einmal sind wir an der reihe , uns mit dieser tückischen stelle auseinanderzusetzen .
ein anstieg über brüchiges gelände führt uns zum obersten , dunklen turm , der aus rau hem nummuliten-sandstein besteht .
voll freude klettern wir die halbe seillänge über die kante hinauf zur spitze des hauserhorns .
gipfelrast es ist erst zehn uhr an diesem herrlichen spätsommertag , und wir können uns eine ausgedehnte gipfelrast leisten .
neben dem klotz des mittler selbsanft thront im süden der tödi in seiner ganzen wucht über den matten und felsen des bifertenalpli und der röti .
auf der ostseite des selbsanftmassivs liegt-weit unter uns - der limmerensee mit seinem hellen graugrünen wasser , gesäumt von den schattigen , zerklüfteten bändern und stufen des kistenpasses .
drüben aus der schuttgrauen mulde zwischen nüschenstock und ruchi schaut das blaue auge des muttsees hervor , und rechts davon können wir noch die gleichnamige hütte entdecken .
talwärts gewandt , fasziniert uns der überwältigende tiefblick fast 2000 meter hinunter ins tierfed , in die abgründe der sandalp , des limmerentobels und der linthschlucht .
jetzt aber wendet sich unser auge wieder dem näherliegenden zu den seiten des alten gipfelbüchleins , das wir der blitzbeschädigten büchse entnehmen .
wir blättern ein wenig darin und tragen unsere besteigung ein , dankbar dafür , dass wir die reihe begeisterter alpinisten seit 1863 fortsetzen können .
die gipfelstunde vergeht im fluge , bis uns ein blick auf die uhr zum aufbruch zwingt .
auf den höhen des selbsanftmassivs wir klettern vom gipfelturm hinunter und wandern über die öde gratsenke zum mittler selbsanft , den wir nach dertraversierung eines geröllhangs durch ein firncouloir ersteigen .
oben auf dem plateau öffnet sich ein weiter horizont unter einem ebenso weitgespannten himmel .
aus dem engsten verlies des berges hinaufzusteigen , 1700 meter höher , in stunden voller anstrengung , in schwierigem gelände , um dann hier auf fast 3000 meter höhe diese helle , sonnendurchflutete hochgebirgswelt zu erfahren - dieses erlebnis wird nur ein bergsteiger nachvollziehen können .
über die weitgeschwungenen höhenrücken von plattas alvas gelangen wir im glanz der firnfelder südwärts .
unübersehbar breitet sich die ganze alpenwelt graubündens im osten und süden aus , wird nur über dem lim-merenfirn vom langgezogenen eisrücken des bifertenstocks verdeckt .
hier oben , auf dem gewölbten , rauhen rücken des mächtigen berges , wird die verlassenheit und die urtümlichkeit dieser region beinahe körperlich spürbar .
die scherben und platten des schneefreien gipfelkammes klirren leise unter unsern sohlen .
zuweilen bilden sie merkwürdige muster , deren struktur erst aus höherer warte erkennbar wäre .
ein langer abstieg nach der mittagsrast in einer sonnenwarmen firnmulde steigen wir zuerst über den griessfirn , dann über zerrissene helle platten , moränen , schutt und geröll zum ende des limmerenfirns hinunter .
von dort geht es dem gletscherbach entlang , bis er über eine überhängende felswand in die tiefe fällt .
unter uns im talkessel erstreckt sich der schnee-wasserhelle limmeren-stausee .
von den zwölf alpinen kilometern , die allein den rückweg vom hauserhorngipfel bis zum ( chalchtrittli ) ausmachen , haben wir hier erst die hälfte zurückgelegt .
die vor uns liegende wegstrecke wird also noch einen anstrengenden zweistündigen einsatz erfordern .
wir werden zunächst über die exponierte , drahtseilgesicherte wand zum seeende hinabsteigen müssen , um dann in der nachmittäglichen hitze dem pfad folgen zu können , der sich in ständigem auf und ab dem steil abfallenden ufer des limmerensees entlangzieht .
im och-senstäfeli wird uns schliesslich der schwarze , nasskalte kraftwerktunnel aufnehmen , der uns durch den berg zur seilbahn bringt .
hoffentlich schaffen wir es noch , die letzte , um halb fünf talwärts fahrende gondel zu erreichen !
die mit seil , pickel , berg und biwakausrüstung beladenen rucksäcke werden dabei schwer am rücken hängen , mit strapazierten knien und fussen , verschwitzt und durstig werden wir im tal ankommen .
trotz oder vielleicht gerade wegen dieser mühsal und anstrengung :
der weite weg durch die verlassenste region der glarner alpen hat uns um ein bergabenteuer mehr mit dem selbsanft verbunden ;
mit jenem berg , der mit den menschen erst seit 125 jahren - einem winzigen augenblick in seinem eigenen , sich über jahrmillionen erstreckenden dasein - ein bisschen vertraut geworden ist und der uns , seinen besuchern , durch sein abgeschiedenes felsenreich und seine urtümlichkeit ans herz gewachsen ist .
vivant amici montium !
.eoa
■rinnerungen piz buin und piz platta
romedi reinalter , s-chanf
piz platta im oberhalbstein
die skitouren der sac-sektion bernina auf den piz buin und den piz platta in den rhätischen alpen gehören schon lange der vergangenheit an .
dies erinnert mich an mein den damaligen teilnehmern gegebenes versprechen , die persönlichen eindrücke niederzuschreiben , ebenso aber auch an die gründe , warum es dann doch nicht dazu gekommen ist .
einmal in den hektischen alltagsbetrieb zurückgekehrt , musste bald diesem , bald jenem priorität gegeben werden , so dass vieles , das auf den ersten blick weniger von belang erschien , auf die lange bank geschoben wurde .
aber aufgeschoben ist nicht aufgeho- ben , denn ein solches versprechen wirkt weiter , macht sich bemerkbar , bleibt als ständiger leiser vorwurf bestehen .
soeben habe ich am fusse der crasta mora , auf einem südexponierten hang gepicknickt .
unten in der talebene , wo sich noch eine dünne , aber harte schneeschicht hat halten können , gleitet ein langläufer den schneefreien rändern des einstigen bachverlaufs des beverin ausweichend , leicht auf und absteigend dahin .
meine augen folgen ihm , bis er in der ferne verschwindet , und meine gedanken schweifen zurück .
zurück zu den skitouren der sektion bernina auf den piz buin und den piz platta .
wenn ich mich jetzt zu erinnern versuche , was damals vorgefallen ist , muss ich geste hen , dass mir viele kleine , lustige einzelgeschichten und anekdoten , die sich in der gruppe abgespielt haben , nicht mehr vollständig präsent sind .
bei einzelnen vorkommnissen haben sich die konturen zum teil verwischt , sie wirken verschwommen und leben erst dann wieder auf , wenn zu gegebener zeit , in anwesenheit der damaligen teilnehmer , die eindrücke rekonstruiert werden können .
davon ausgenommen sind natürlich jene erleb- nächste doppelseite :
im aufstieg über den ostgrat von der fuorcla buin zum piz buin grond nisse , denen eine starke subjektive komponente anhaftet .
wenn irgendwann , irgendwo das vergangene , das noch nicht vollständig verdaut ist , wie ein film im eiltempo sich abspult , gelange ich oft zu einer differenzierteren betrachtungsweise oder sogar zu einer anderen sicht der dinge .
jede tour setzt sich aus einer aneinanderreihung von vielen einzelnen details zusammen , die erst in ihrem gegenseitigen verhältnis wieder einen gesamteindruck vermitteln .
eigentlich nichts aussergewöhnliches , etwas , das sich im täglichen leben im gemsen , eine auf skitouren stets wieder anzutreffende wildart mer wieder abspielt .
eine tour kann aus grandiosen eindrücken bestehen , aber es kann auch sein , dass einzelheiten eine derart grosse bedeutung erhalten , dass sie alles andere überstrahlen ;
so zum beispiel die schmerzen , die eine blase beim laufen verursacht , der tanz mit hohen bergschuhen in einer kleinen , getäferten wirtsstube im abgelegenen maiensäss , die wolkenbilder , die am fuss des piz platta bei einem wirbelsturm entstanden , oder die laute der schneehühner , die frühmorgens beim wegmarsch von der buinhütte zu vernehmen waren .
für mich wäre es nun sinnlos , die ganze tour schriftlich nachzuvollziehen , vielleicht auch zu mühsam , die erinnerungsbruchstücke aneinanderzureihen .
immer wieder frage ich mich - fragt sich wohl jeder - , weshalb man in aller frühe aufsteht , bei klirrender kälte schlotternd am parkplatz bei der post in st. moritz bad auf die tourenkameraden wartet , einen langen , beschwerlichen aufstieg auf sich nimmt und schwierige passagen bei der abfahrt meistert .
draussen in der natur kann ich mehr abstand zum alltäglichen und vertieften zugang zu mir selber gewinnen .
es ist nicht so , dass ■<©•■ .
die beiden buin , piz buin grond und piz buin pitschen , im silvrettagebiet ( unterengadin ) flechtengesellschaft im sonnenlicht ich den schwierigkeiten entgehen möchte , im gegenteil .
die dabei gewonnene distanz bietet mir die möglichkeit , das , was mich beschäftigt , von einer anderen seite anzupacken oder nach neuen wegen zu suchen .
es kam schon vor , dass es mich in meiner periodisch auftretenden isoliertheit grosse innere überwindung kostete , an einer sektionstour teilzunehmen , von der ich dann aber frohen mutes und in meiner inneren welt bestärkt zurückkehrte .
dabei messen sich öfters gute lebensgefühle , die in schwierigen zeiten um so seltener werden , wieder erwecken .
trotzdem bieten die berge dem mit schwierigkeiten behafteten menschen keinen ausweg aus einem unerfüllten leben .
jeder von uns verfügt über einen lebensraum , der ihm mehr oder weniger vertraut ist .
dies ist sein alltag , in dem es gilt , sich durchzuschlagen .
man pflegt zu sagen , der mensch sei ein ( gewohnheitstier ) , doch stets wird die andere , neue welt , die <terra incognita ) , eine morgenstimmung im hintersten val tuoi grosse anziehungskraft ausüben .
denn damit dieses leben lebenswert sein kann und auch eine gewisse spannung enthält , damit der mut zum risiko nicht vergeht , braucht und sucht jeder für sich ihm noch ferne oder sogar noch unbekannte lebensbereiche .
wenn ich allein und mit offenen sinnen durch die landschaft schweife , spüre ich bisweilen , wie es zu einer subtilen berührung zwischen der natur und dem menschen kommt .
eine tour wird zum genuss , zum erlebnis , wenn äussere und innere natur in einklang stehen und sich verbinden können .
lässt man sich dann genügend zeit , mag es sogar gelingen , nicht nur äusseren geheimnissen auf die spur zu kommen , sondern auch einen weg zu seinem inneren wesen zu finden .
.eoa
iweimal rheinwaldhorn
peter donatsch , mastrils
erster akt
ein strahlender augustmorgen .
am nachmittag werden wir in die berge fahren .
aber noch bin ich im büro eingeschlossen , und so scheinen sich die morgenstunden endlos in die länge zu ziehen .
sonnenstrahlen zwängen sich durch die schmalen ritzen der heruntergekurbelten rolladen und malen balken gleissenden lichts auf den boden .
das fahle grün des bildschirms beginnt zu verschwimmen , die buchstaben tanzen vor den augen - innerlich habe ich den pc bereits abgeschaltet .
zeit , sich loszulösen .
george holt mich ab .
george ist hotelier und trägt die ganze woche piekfeine anzüge , alles perfekt assortiert .
ich sehe ihn vor mir , wie er diskret durch die hallen schreitet , sich in höflichster art seinen gästen widmet , in fünf sprachen sich fliessend mit ihnen unterhält , lob freundlich lächelnd entgegennimmt und bei tadel sofortige abhilfe verspricht .
doch noch fast lieber trägt george jeans und steigt auf berge .
bis ilanz sprechen wir noch von geschäft und arbeit , aber dann auf der fahrt durchs enge tal den valserrhein entlang nimmt uns die bergwelt endgültig gefangen .
zwei stunden später , schon eine unendlichkeit vom alltag entfernt , lassen wir den azurblauen wasserspiegel des zervreila-stausees hinter uns und betreten die urtümliche steinwelt des läntatals .
ich erzähle george die geschichte vom zervreila-blau und vom stausee lampertschalp .
als vorspeicher des zervreila-sees hätte - nach den vorstellungen einer kraftwerkgesellschaft - dessen mauer hier am taleingang errichtet werden sollen , worauf der wasserspiegel bis etwa 50 meter unter die läntahütte gestiegen wäre und der zervreila-see durch den verschlammten zufluss sein schönes blau verloren hätte .
eine sac-hütte mit seeanstoss !
die einwohner von vals haben jedoch im frühling 1989 das konzessionsgesuch für einen stausee lampertschalp abgelehnt , womit - hoffentlich - alles so bleiben wird , wie es ist .
der schmale steig führt im unberührten tal über moränenhügel auf und ab , schlängelt sich um mächtige felsblöcke , springt über bachläufe und versteckt sich abschnittweise fast ganz unter den blacktenstauden , so dass er stets nur auf wenige meter einsehbar bleibt und jede windung neue überraschungen bereit hält .
unsere gedanken konzentrieren sich auf den weg , was die zukunftsängste für einige momente verdrängt .
ähnlich unserem pfad , der sich in unzähligen windungen zwischen den hindernissen durchschlängelt , alphütte am eingang zum läntatal mäandriert auch der bach im kiesbett des talgrundes hin und her , untergräbt hier einen steinhügel und schafft dort eine kleine insel .
( jetzt musst du aber deinen fotoapparat zük-ken!> reisst mich die stimme meines kameraden aus den gedanken .
ich schaue nach vorn .
die wolken haben sich bis auf einen kleinen rest verzogen und den blick freigegeben auf ein makellos weisses , grazil in den himmel strebendes spitzchen , das uns zu unserem scheinbar so überflüssigen und sinnlosen tun motiviert :
das rheinwaldhorn .
in den späten morgenstunden des folgenden tages befinden wir uns bereits wieder auf dem rückmarsch .
zwischen wirr aufeinandergetürmten felstrümmern am gletschertor su chen wir uns den weg zum talausgang , wo ein heller sonnenfleck den bachlauf silbern schimmern lässt .
hier aber regnet es noch wie aus kübeln .
über georges wangen läuft ein helles rinnsal - ist es regenwasser oder der schweiss der anstrengung ?
wolken umhüllen das rheinwaldhorn und wälzen sich schwerfällig über den gletscher hinunter .
zyklopenhaftes chaos am fuss der eiszunge , blöcke , labil auf schmalen eisgrätchen balancierend , jederzeit absturzbereit .
bergauf und bergab klettern wir über steine und rutschen auf dem gletschereis aus , das sich unter einer feinen staubschicht versteckt hält .
längst schon sind wir völlig durchnässt .
losgetretene steine kollern übers eis und platschen spritzend ins milchigweisse gletscherwasser .
die zähne der steigeisen knirschen und quietschen bei jedem schritt auf dem groben steingrus .
das rheinwaldhorn scheint heute keine lust auf uns zu haben .
<ln den bergen ist der direkteste weg nicht immer der beste ) , doziere ich fachmännisch und plädiere dafür , nicht weiter über die gletscherzunge abzusteigen , sondern den umweg über die geröllflanke zu nehmen .
gesagt , getan .
doch dafür versperrt uns nun der vom regen stark angeschwollene bach den weiterweg .
den pfad haben wir längst aus den augen verloren .
george versucht sein glück an einer breiten stelle , wo einige blöcke im bachbett ein springen von insel zu insel erlauben sollten .
ich hingegen folge dem bach talauswärts , in der hoffnung , noch auf eine schmälere stelle zu treffen .
das erweist sich jedoch als irrtum , da neue zuflüsse das gewässer nur noch verbreitern .
somit gibt es nur eines :
hinüber - mit zwei schuhen voll wasser .
manchmal ist der direkteste weg auch der beste .
in den schuhen quatscht es .
jeder schritt drückt das nass aus den durchtränkten socken zwischen den aufgeweichten zehen nach oben .
wir <schwimmen> buchstäblich auf dem weglein abwärts , um der sonne entgegenzueilen , die im untersten teil der lampertschalp - welch ein hohn - den ganzen vormittag geschienen hat .
zweiter akt das bild vom weissen spitzchen , dem gipfel des rheinwaldhorns , hat sich tief in mein gedächtnis eingegraben .
immer wieder taucht es auf , ruft mich mit unwiderstehlicher macht , wird zum zwang .
in solchen momenten wird mir klar , dass wir bergsteiger süchtige sind , die einfach auf berge steigen müssen :
da gibt es nichts anderes .
basta .
bisweilen allerdings verfluche ich diesen zwang , denn bergsteigen kann doch auch ziemlich unbequem sein .
und ist der mensch im grunde nicht ein wesen , das eher ein angenehmes leben sucht ?
leise drängt sich dann etwa die frage auf , ob man sich's am samstagabend nicht besser im lehnstuhl bei bier und thomas gottschalk bequem machen sollte , als in einer kalten berghütte unter einer mief igen wolldecke nach schlaf zu suchen .
mit leisem knacken bricht die schneedecke unter meinem schuh ein , und wieder stecke ich bis zum oberschenkel im grundlosen weiss .
die sichel des halbvollen mondes steht fahl und gelblich im zenit und wirft ihr diffuses licht dorthin , wo sie will .
die linke talseite schimmert hell , während die bergwand auf der rechten in undurchdringliches dunkel getaucht ist .
ich arbeite mich stöhnend aus dem schneeloch .
zwei , drei vorsichtige schritte - dann verliere ich erneut das gleichgewicht .
der rucksack reisst mich beinahe von den beinen und treibt mir dabei tränen in die augen .
ich schimpfe vor mich hin , manchmal laut , manchmal leise .
ich verwünsche den unerwartet tiefen schnee , das schwache mondlicht , den schweren rucksack .
aber im grund verwünsche ich mich selbst , ärgere mich , dass ich dem zwang , heute abend noch in die läntahütte aufzusteigen , nachgegeben habe , obwohl wir den ganzen tag in einem verrauchten zimmer an irgendwelchen sitzungen teilgenommen und weisswein getrunken haben .
im kopf hämmert es <du schaffst es nicht , du schaffst es nicht , du schaffst es nicht ) .
schwäche und das gefühl der eigenen unzulänglichkeit lähmen den körper .
stehenbleiben und den rucksack in den schnee werfen .
die augen zusammenkneifen und angestrengt in die nacht starren :
ist das nicht die hütte da vorn , dieser dunkle schatten ?
ich fasse neue kraft und tappe weiter , lasse mich von einer unsichtbaren macht in unsichtbare schneeverwehungen werfen , arbeite mich daraus wieder hervor und stapfe weiter .
mein schimpfen verhallt ungehört :
pius hat mindestens eine viertelstunde vorsprung .
bloss seine spur , manchmal nur oberflächlich zu sehen , meist aber deutlich ausgeprägt , weist mir den weg .
erneut bleibe ich stehen und starre ins dunkel .
die vermeintliche hütte entpuppt sich als felsblock und der holzstoss als ein haufen von zaunpfosten , die der hirt im herbst hier aufgeschichtet hat .
das mondlicht verleiht der landschaft um die lampertschalp ein ganz eigenes trügerisches , überirdisches relief .
ich stolpere vorwärts und denke zurück .
kam nicht gleich nach diesem felsblock die hütte , als wir im letzten sommer hier waren ?
der gedanke gibt mir wieder kraft für die nächsten hundert meter .
von der hütte immer noch keine spur .
auch pius sehe ich nicht mehr , die einsamkeit ist total .
mir ist , als ob ich mich im kreise drehen würde , nach jedem felsblock kommt wieder eine ebene , auf jede ebene folgt ein neuer felsblock .
nur der zeiger der armbanduhr deutet den fortschritt an , doch das nützt mir nichts .
ich muss die hütte erreichen .
der mond sinkt herab , dem gefrässigen maul eines grossen haifisches gleich steigt der schwarze schatten nun auch an der linken talseite hoch .
ich werfe den rucksack ab , die beine bleischwer , die seele mutlos .
der wind singt seine melodie , während er über diese verfluchten , nicht enden wollenden schneefelder mit ihren tückischen löchern und verwehungen hinwegstreicht .
ich denke an den gleitschirm im rucksack .
den schirm aufziehen , ein leichtes rauschen und abheben , keine schweren güferhorn und rheinwaldhorn , die beiden beherrschenden gipfel der adulagruppe beine mehr , kein böser rucksack , keine unsichtbaren schneefallen , die mich in die tiefe reissen wollen .
auf einmal kriecht es feucht und kalt den rücken hinauf .
beinahe wäre ickeingeschla-fen !
weiter , weiter , hämmert es jetzt in meinem kopf , und die kälte unter dem nassge-schwitzten hemd treibt mich voran .
wieder einen hang hinauf und um einen felsblock herum .
jeder schritt ist mittlerweile zur qual geworden .
plötzlich - ich erlebe den moment wie eine offenbarung :
weit vorn , und nur noch ganz schwach vom untergehenden mond beleuch- tet , da glänzt und gleisst das spitzchen - das ziel .
( nur noch ein paar schritte ) , ruft es mir zu , und neue kraft strömt in meine beine .
es ist die kraft , die zahllose male das weisse spitzchen in meinen gedanken gemalt hat , und es ist jene kraft , die uns immer wieder in die berge treibt .
es ist eine kraft , die ehrlich ist , die nichts vorspiegelt .
somit ist auch der abendliche alptraum in dem moment schon vergessen , als wir am nächsten morgen , zwar immer noch übertük-kisch verblasene schneefelder , aber mit dem weissen spitzchen vor augen gegen den län-tagletscher aufsteigen .
markus , der gewichtigste unserer kleinen gruppe , bahnt uns einen pfad .
wo er nicht mehr einbricht , wird der schnee auch uns tragen .
auf dem gletscher führt abwechslungsweise jeder eine kurze strecke .
die tiefe , hinter uns zurückbleibende spur ist unser gemeinschaftsweg , an dem wir alle unsern anteil haben .
später finden wir eine apere rippe , über die wir wie auf einer treppe höhersteigen können .
auch der gipfelgrat ist schneefrei und hart gefroren .
ich denke zurück an unser letztes rheinwaldhorn-erlebnis und geniesse jeden moment doppelt .
wie von meisterhand geschaffen , ebenmässig , nur den wichtigsten graphischen linien verpflichtet , steht der gipfel vor uns , tor zu einer weiteren dimension , unsichtbare kraft , ziel .
keiner spürt mehr die müden beine und das gewicht des rucksacks .
es ist beinahe windstill .
wir sind allein mit uns und dem leise ausblick vom rheinwaldhorn .
ein feiner dunstschleier entrückt die ferne gipfelflur in schier unendliche weiten .
knirschenden geräusch des hartgefrorenen schnees unter unsern schuhen und dem laut des eigenen atems .
unter dem höchsten punkt legen wir unsere gleitschirme aus .
farbige tupfer im ebenmässigen weiss der gipfelpyramide .
klein wie käfer , die sich in dieser wüste von ewigem schnee , eis und fels verirrt haben .
unerreichbar in das unendliche blau des himmels aufstrebend , erscheint das rheinwaldhorn vom tal aus .
für uns aber ist es nur ein schritt auf dem weg zu jenem ziel , zu dem wir während unseres ganzen lebens unterwegs sind .
nun noch die leinen entwirren , ins gurtzeug schlüpfen und das fähnchen in den wind strecken .
aus den kurzbeinigen erdgebundenen werden farbige vögel .
gleitschirmstart vom rheinwaldhorn richtung westen .
hinter dem tiefen einschnitt des bleniotales erheben sich die ketten der tessiner berge .
photo markus stähet '
.eoa
wv
ss wändli
- weg der erinnerungen
willy auf der maur , seewen ( sz )
der gr .
mythen von süden , links die konkave westwand , die mythenmatt und der gipfelaufbau
141
harmonie
harmonie ist das a und 0 der ganzen bergsteigerei !
wo sie fehlt , erstarren gesichter zu masken , verkommen gespräche zu gerede , bleiben seilstränge in den ästen hängen ( weil der eine kletterer rechts , der andere links der legföhre aufsteigt ) .
harmonie braucht meist wenig worte , ist diskret , leise , so leise , wie es unsere schritte heute sein möchten , im bergwald und in den ersten , gestuften felsen über den baumwipfeln .
aber , o weh :
knackende zweige , knirschender splitt und fallende steine künden den äsenden gemsen am heutigen , frischen morgen das nahen der menschen .
die einstiegsplatte schweigen könnte auch eine art egoismus sein , vermute ich , und da ich bei meinen beiden weggefährten - neulingen im umgang mit bestandenen bergsteigern - nicht den eindruck von selbstsucht oder eigenbrötelei erwecken möchte , fühle ich mich am eigentlichen einstieg zum wyss wändli , der leichtesten der westwandrouten am grossen mythen , bemüssigt , akzente in die tote stille zu setzen .
<seht euch von , beginne ich mit prophetischer gebärde , <wir stehen hier vor der schwierigsten stelle der kletterei , der einstiegsplatte , die schon manchen mythenkletterer in angst und schrecken versetzt hat . )
visionen tauchen in mir auf :
verkniffene gesichter , gestalten , die auf den knien über die geschliffene , helle fläche hinaufkriechen , die zwei grossen obdörfler , die wie rosenkranzperlen am ende meines seils hängen , nachdem der eine ins rutschen gekommen und den andern aus dem stand gerissen hat .
<lch will euch aber sagen , wie sie problemlos zu meistern ist> , füge ich gnädig lächelnd hinzu .
die gesichtszüge von susi und ruedi entspannen sich .
hurtig klinkt ruedi den schraubkarabiner in die lasche des standhakens , dieweil seine angetraute mit abgedrehter hand das partieseil in den blanken metallkreis legt .
<also aufgepasst ) , fahre ich fort , ( unbedingt den rechten schuh , ich wiederhole , den rechten schuh , in diese spalte hineinklemmen , den linken an die platte pressen , den allerwertesten möglichst weit in die luft hinaus und aufwärtstrippeln ... ein kinderspiel ! )
holzegg und mythen , im hintergrund die urner alpen ( flugaufnahme ) ich mache es gleich vor , an diesem etwas nebligen tag , so wie man es mir vorgemacht hat , vor vielen jahren .
<es ist schon beglückend , mit einer bestimmten kletterstelle , mit einem berg auf du und du zu stehen ) , denke ich mir dabei , und wie ich zehn meter höher in einer nische meine seilgefährten nachsichere , wandert mein blick zu einem rundgeschliffenen loch im randbereich des plattenschildes hinüber , von dem ich weiss , dass es einer leider noch nicht blühenden feuerlilie gastrecht gewährt .
hätte die goldrose , wie die blume bei uns genannt wird , ihren formvollendeten kelch im winde gewiegt , mein mund wäre ein weiteres mal übergelaufen , wie er es auch schon in der ersten halben stunde unseres aufstiegs , im mythenbann , getan hatte , als wir an einem zweimal mannshohen grünlichgrauen felsblock vorbeiwanderten .
es war der <altar-stein> , ein block , der dem spaziergänger die überhängende seite zeigt , über seinen buckel bis unter den oberrand hinauf aber leicht zu besteigen ist .
mein lieber bergfreund franz hatte hier in seinen bubenjahren jeweils gottesdienst gehalten .
die vision war zu erheiternd , zu erhebend auch , als dass ich sie meinen feinfühligen seilgefährten hätte vorenthalten können .
so hatte ich denn versucht , den blonden , ernsten buben vor ihr geistiges auge zu zaubern , wie er , die kante des blocks nur gerade mit kopf und brust überragend , inmitten eines meeres silbern aufblitzender blätter mit ausgebreiteten armen sein <gloria in excelsis deo> in den wald hineinsang , begleitet vom hellen gezwitscher der vögel und dem ernsten gemurmel bärtiger tannen .
am fuss des <altarsteins> malte ich noch das kreuz hin :
die aufgerichtete , seitlich eingeknickte deichsel des leiterwägeiis , das möglicherweise bereits mit dürren asten beladen , vielleicht aber auch noch leer war .
denn zu jener zeit , in den kriegsjahren , so hat mir mein freund schon oft versichert , sei es meist recht schwierig gewesen , im wald fallholz zu fin den , so dass er sich mit beträchtlichem risiko sogar an legföhren und krüppeltannchen herangemacht habe , die , an felssätze und nossen geklammert , klagend ihre toten arme von sich gestreckt hätten .
auf der rampe inzwischen sind meine gefährten unbeschadet bei mir angekommen , und so kann ich die zweite seillänge in angriff nehmen .
es ist dies eine steile , eher griffarme rampe .
in jedem bergbuch würden die akteure in einer kletterstelle von derart geringer schwierigkeit wie götter über die szene stolzieren .
ich aber muss zu meiner schande gestehen , dass mich in diesen fünf , sechs metern schon öfters eine leichte unruhe überfallen hat .
gibt es nicht tage , an denen man als bergsteiger von einem grenzenlosen misstrauen erfüllt ist , an denen man keinem griff mehr traut und dauernd den boden unter den fussen zu verlieren glaubt ?
heute geht es recht gut .
ich erreiche den standplatz auf dem genecand-gesims .
mächtig wölbt sich die wand über mir auf :
hier ist kein durchkommen mehr für genusskletterer !
unser heil liegt drüben , hinter einer abschüssigen , grasdurchsetzten rippe , in einem system von rinnen und bändern .
das genecand-gesims fragen sie niemanden , wo dieses zu finden sei .
den dingen einen namen zu geben , ohne dass es jemand ahnt , ist nämlich meine heimliche leidenschaft .
das gesims habe ich so getauft , weil wir hier in meinen alpinen lehrjahren jeweils die schuhe gewechselt haben :
die kletterfinken mit den hanfsohlen in den rucksack , die tricouni-bergschuhe heraus .
und weil mich meine erinnerungen an den unbequemen schuhwechsel mit stillem vergnügen zum genfer alpinisten félix genecand ( 1878-1957 ) hinzuführen pflegen .
genecand war nämlich der erfinder des tricouninagels !
die tricouninägel , zu gezackten randbeschlägen aneinandergereiht , haben seinerzeit den alltag in den bergen auf den kopf gestellt .
kaum ein bergbauer , kaum ein wildheuer , kaum ein holzer , kaum ein jäger , der nicht sein schuhwerk damit ausrüstete .
und dann die bergsteiger !
ihnen schenkte der tricouninägel neue horizonte , ein erstarktes selbstbewusstsein und viel lebensfreude .
es war aber auch beglückend , an einem frühen sonntagmorgen in schweren , tricounibeschla-genen schuhen mit festem schritt zwischen den häuserreihen dem berge zuzuwandern .
das klirren und geixen des griffigen beschlags auf abgeschliffenem kopfsteinpflaster war schönste musik , auch wenn sich darob verwunderte frühmessegänger um drehten , katzen um die hausecken huschten und vorhänge in bewegung gerieten ( wer weiss , aus welchem garn damals die träume der jungen mädchen - und stellvertretend ihrer mütter noch gewoben waren ! ) .
man fühlte sich bärenstark in diesem schuhwerk .
nicht ganz zu unrecht , denn die tricouninägel waren wie kleine , hungrige raubtiere :
im harten firn , im geröll , im rauhen granit , überall bissen sie herzhaft zu .
am gefrässigsten aber zeigten sie sich auf schlüpfrigen erdtritten und im steilen gras .
hier waren sie in ihrer gier kaum mehr zu bremsen , und deshalb war die zeitepoche der tricouninägel auch diejenige der grossen grasrouten .
<warum ich euch so erheitert entgegenblicke ? )
susi und ruedi schauen mich erwartungsvoll an .
<weil ich innerlich soeben das rad der zeit etwas zurückgedreht und in route 13 , am geissstock , unsern unvergesslichen altmeister kari habe stehen sehen .
eben befand er sich unter einem kleinen aufschwung , die starken beine ins erdreich gestemmt , den kopf unter ein grasbüschel gedrückt .
und wisst ihr , warum ?
weil sich ihm gemsen über den kopf hinwegsetzten und dabei einen hagel feuchter erdklumpen auf seinen alten filzhut prasseln liessen .
unvorstellbar , nicht wahr , dass einem heutigen spitzenkletterer ( auch kari war einer ! )
gemsen über den kopf hinwegspringen würden .
aber dies geschah halt eben in einer zeit , die ihr nicht mehr gekannt habt ... in der heroischen zeit des tricouninagels ! )
im banne des wyss wändli wir klettern flüssig weiter , schräg aufwärts , der wand entlang .
grashalme streichen uns ins gesicht , blumen und sträucher , fels und erde verströmen ihren diskreten duft .
seltsam , der weg über das wyss wändli am grossen mythen :
für die schuhe vielfach eine gras und erdroute , für die hände eine felskletterei .
an griffen fehlt es hier tatsächlich nicht :
schöne , scharfkantige leisten , henkelgriffe , schmale horizontale spalten , nocken ...
sie alle bieten den suchenden fingern zuverlässigen , sympathischen halt .
<salü , alter geselle ! )
lacht mein herz dem kleinen ahornbaum am fuss der rinne entgegen , die dem mittelteil der route das gepräge gibt .
( hohlwangig bist du geworden , pocken narbig dein hellgefleckter stamm , trocken und klapprig das in den rissen der wand verankerte wurzelwerk , schütter dein blätterdach .
einst haben wir mit starker hand an dir gerüttelt und eine ebenso feste antwort erhalten .
dann pflegten wir das seil um deinen stamm zu legen und vertrauensvoll den seilgefährten nachzusichern .
aber heute ?
heute liebe ich dich wie einst , das seil aber hänge ich wenig daneben in den bohrhaken ein , den ich vor jahren noch verflucht habe , weil er dir den rang ablaufen wollte . )
aus der enge der rinne , die uns in hoher wand die geborgenheit einer <guten stube ) vermittelt , wandert unser blick in die tiefe , auf ein meer spitzer tannenwipfel , auf grüne matten und einen ausschnitt des talbodens von schwyz , aus dem die geräusche des alltags zu uns heraufdringen .
und plötzlich gewahre ich menschen , die geschäftig zum fuss unserer wandflucht hinaufkrabbeln .
einer von ihnen muss wisel sein .
dies erinnert mich erneut an félix genecand , habe ich diesem welschen bergsteiger doch nicht nur als erfinder ein denkmal gesetzt ( warum sollte genecand nicht in der zentralschweiz eine bescheidene erinnerungsstätte haben , wenn es in genf doch auch eine <rue guillaume-tell> gibt ! ) , sondern auch als menschen .
in der jubiläumsausgabe der alpen ( 2/1963 ) zum 1oojäh-rigen bestehen des sac wird über genecand nämlich unter anderm berichtet , dass er als tüchtiger , unerschrockener gänger mehr als zwanzigmal den grépon - den prüfstein der damaligen elite - überschritten und dabei ungezählte anfänger in die mühen und freuden des kletterns eingeführt habe .
dies hat ihm damals den übernamen ( concierge du grépon ) eingetragen .
sympathisch , dieser genecand , so sympathisch wie wisel , den ich am einstieg heute einmal mehr einen neuling an sein seil knüpfen sehe und den ich wiederum nur insgeheim - <concierge des wyssen wändlis> nenne .
concierges gibt es übrigens viele in den bergen .
so kenne ich einen ( concierge des salbit-süd> , einen des chaiserstocks , einen des lauchernstöcklis , einen des wildspitzes und wäre deshalb keineswegs erstaunt , wenn sogar jeder berg in der schweiz seinen concierge hätte .
( seht ihr dort oben , links über der schlucht , die schlingen in der wand ?
dort ist der quergang der südlichen westwand , die ich einmal mit thedy gegangen bin .
ich stand an dieser ausgesetzten stelle eine furchtbare angst aus .
unbeeindruckt von meinem gejammer liess sich thedy oben , am standplatz , nur mit einem belustigten lachen vernehmen .
er glaubte an mich , mehr als ich selbst , und rief mir , über die weite und tiefe hinweg , dann doch noch einige anweisungen zu .
,du musst nur ...
' ja , ja :
du musst nur !
rasch gesagt , aber in diesen vertrackten quergängen , mit <drei generationen ) :
der oberste schuh verfügt über einen sog. berner-oberländer-führer-beschlag ( mit speziellen handgeschmiedeten , hohen nägeln , die einen scharfgriffigen kranz bilden ) .
der mittlere schuh ist mit tricouni ausgerü- stet .
der unterste schuh hat eine gummisohle .
( alle drei schuhe befinden sich im alpinen museum in bern . )
der gefahr eines unfreiwilligen pendlers vor augen , ist auch der seilzweite ein einsamer mann .
die belastung war rein psychologischer art , und darum werde ich diese route nie mehr klettern .
nie mehr !
franzi , das unvergessene skiidol unseres östlichen nachbarlandes , hat einmal nach einigen verpfuschten wintern einem radioreporter erklärt , er wisse nicht , ob er jemals wieder die ,absolute brutalität ' erlangen werde , die nötig sei , um ein abfahrtsrennen zu gewinnen .
genau sie ist es eben , meine lieben , die ,absolute brutalität ' , die mir leider für diese und andere routen fehlt ! )
lachen tut gut !
susi lacht , ruedi auch , ich lache , unsere ganze kleine welt lacht mit :
die ameisen , die geschäftig über die wandstufen eilen , ein herrlicher mauerläufer auf seinem senkrechten morgenspaziergang , die dohlen im aufwind .
geladene gäste haben gut lachen !
ein jauchzer , hoch über der schräg ansteigenden , zerfransten kante der mythenmatt , erinnert uns daran , dass heute alle zweibeiner , auch die gefiederten , zum festmahl und zur gedenkstunde eingeladen sind .
der ( verein der mythenfreunde ) ( gründung 1863 ) feiert heute auf dem gipfel des grossen mythens sein 125jähriges bestehen .
der ehren-trunk steht vielleicht schon bereit :
es heisst sich sputen !
am quergangband wir sind auf dem band angelangt , das uns an seinem südlichen ende den ausstieg auf die mythenmatt vermitteln wird .
ein landschaftlich herrlicher quergang erwartet uns .
die linke hand hakt sich hier an den kanten fester abgespaltener blöcke ein , während die beine flink ein viermal schuhbreites gesims entlang eilen .
wie möchte ich meinen begleitern doch den eindrucksvollen tiefblick gönnen !
aber ausgerechnet jetzt muss der nebel aus dem abgrund steigen .
<lhr müsst hier ausgiebig in die tiefe schauen ! )
hätte ich ihnen angeraten , wie ich es vor jahren seffi empfohlen habe .
aber seffi war ein dickkopf !
an meinem seil befand er sich , weil er vernommen hatte , dass auch schon vertreter des schönen geschlechts über das wyss wändli geklettert seien .
( was das weibervolk kann , kann ich auch ! )
hatte er darauf selbstsicher verkündet und sich bei mir auf die warteliste für die begehrte wandroute setzen lassen .
am tag des grossen ereignisses hatte er mir auf das gesims über den einstiegsseillängen , auf dem wir in früheren jahren jeweils die schuhe gewechselt haben .
deutlich beginnt sich das system von grasrinnen und bändern abzuzeichnen , dem die wyss-wändli-route am gr .
mythen folgt .
dem weg zum einstieg die namen der bäume und sträucher genannt , mit dem schuh pferdeäpfel aus dem weg geschoben , verirrte weinbergschnecken ins taufrische gras gesetzt .
ein naturfreund , aber kein freund von tiefblicken , denn mein ansinnen hatte er entrüstet vom tisch gewischt .
<hinunterschauen , nie !
ein alter wildheuer aus den muotathaler-bergen hat mir einmal gesagt , man solle nur nie in die tiefe schauen , dann könne einem nichts passieren ! )
an diesen ratschlag hat er sich an diesem nebelfreien , durchsichtigen herbsttag gehalten .
und in der tat :
es ist ihm an meinem seil an diesem tag auch wirklich nichts passiert , dem seffi !
das ausstiegswändli nebelschwaden hin oder her , die freude am ausstiegswändli können sie uns nicht verderben .
ein fest für den gleichgewichtssinn , den bewegungsdrang , den tastsinn ... diese seillänge !
hier und jetzt , über der legföhre , unter der ich durchgeschlüpft bin , mitten in der wandstufe mit den sauberen , waagrechten leisten müsste man mich fragen , warum ich klettere .
<weil ich die mutter erde liebe , sie streicheln und liebkosen will , aber nicht kriechen mag ! )
würde ich antworten .
nah und doch recht weit entfernt ist meine liebeser- die mythenwestwand aus der froschperspektive :
die wyss-wändli-route folgt dem auffälligen system von rinnen , bändern und felsköpfen , das die wand von links unten nach rechts oben durchzieht .
die einstiegsplatte , schwierigste stelle der wyss-wändli-route .
nicht zur besonderen freude der kletterer pflegt - nach längeren regenfällen - wasser aus den löchern und rissen der wand zu quellen .
klärung von derjenigen eines kameraden , der mich , vor jahrzehnten , genau an dieser stelle mit einem mädchen , meiner zukünftigen , auftauchen gesehen hatte .
verdutzt und etwas spöttisch hatte der besagte aufgelacht , mit der flachen hand über sich den senkrechten fels des wyss nollen getätschelt und uns übermütig zugerufen :
( dies hier ist halt meine braut ! )
der mann , von dem die rede ist , hiess franz , doch war es nicht der franz vom ( altar-stein> und selbstverständlich auch nicht der franzi aus dem land des kaiserschmarrens , sondern der franz , dem in den kommenden jahrzehnten dutzende von erstbegehungen gelingen sollten und der sich - zu seiner ehrenrettung sei es verraten - später auch noch eine fleischliche braut angelacht hat .
mit ihm hatte ich einige jahre zuvor kiloweise technisches material in der bergwelt spazieren geführt , was uns am ufer des wägitalersees einmal sogar polizeilich bestätigt wurde .
zwei hüter des gesetzes mussten dort in uns , aufgrund des mitleiderregenden zustandes unserer hände , die klassischen blumenräuber gerochen haben .
jedenfalls wurden wir von ihnen höflich aufgefordert , die rucksäcke zu öffnen .
doch nachdem sie einige zeit darin gewühlt , der eine in franzens , der andere in meinem sack , hatten sie unter ihren dächli-mützen hervor einen vielsagenden blick ausgetauscht und dann ganz offensichtlich enttäuscht , für jedermann deutlich hörbar , zu protokoll gegeben :
( die haben ja nichts als eisen bei sich ! )
das eisen , unsere schweren haken und karabiner ( man wusste damals noch nichts von legiertem bergsteigermaterial ) , pflegte franz vorwiegend in die ritzen unserer felstürme peter und paul am kleinen mythen einzutreiben , während ich , getreu einer in paris bei einem bouquinisten am ufer der seine preisgünstig erstandenen anleitung , die seilstränge bediente .
kein mensch , nicht einmal unsere alpinen lehrmeister , hätten uns damals erklären können , wie das technische klettern geht .
so hing denn unser ganzes kletterglück von der dünnen broschüre aus der grossstadt ab , deren titel la technique de la varappe artificielle oder ähnlich lautete .
er hätte ebensogut ( die technik des mehlsack-hissens> heissen können , denn die ( methode ) verurteilte den seilführer zu einer haltung , die statisch nur geringfügig von derjenigen eben eines mehlsackes abwich .
sie verlangte , dass der vordermann abwechslungsweise den einen , dann den andern strang des doppelseils in die hakenreihe einführte , und weil auf den primitiven zeichnungen weder eine stehschlinge noch eine trittleiter zu entdecken war , musste es offensichtlich aufgabe des seilzweiten sein , den kameraden hochzuhis-sen und das seil so lange strammzuhalten , bis der nächste haken geschlagen war .
von allen nachteilen abgesehen , verschaffte mir diese ( technik ) in kurzer zeit ganz hübsche oberarmmuskeln , während sich franz , der um die weichteile angeseilt war , zunehmend über bauchschmerzen beklagen musste .
mythenmatt ( hier muss es pfefferminz geben ) , stellt susi bei den karrenfeldern am rand der mythenmatt fest .
beim namen seidelbast hätte ich aufgemerkt .
seidelbast ist für mich gleichbedeutend mit bergfrühling , wiedererwachen der alten kletterleidenschaft , aufbruch .
ich weiss die staude mit den starkduftenden blüten in geschützten , trockenen felswinkeln , allüberall in den südgewandten flanken der mythen , an stellen , welche die sonne schon im april auszubrennen pflegt , wenn die bergsteiger noch von felsinsel zu felsinsel hüpfen , um dem dahinfaulenden schnee auszuweichen .
zu seidelbast unterhalte ich eine fast mystische beziehung , aber zu pfefferminz ... !
nun , dass es so weit von den teestuben entfernt nach pfefferminz duftet , scheint mir trotzdem recht erstaunlich , so bemerkenswert wie die tatsache , dass in frühern jahrzehnten schafe an diesem kraut gerochen haben .
die mythenmatt-jene auffällige , schiefe grasfläche unter dem rötlichen gipfelkopf-wurde früher tatsächlich nicht nur von gemsen beweidet .
darüber zu rätseln , auf welchem weg die schafe hier hinaufgelangten , ist erlaubt .
jedenfalls muss schafhirt kälin , wie seine eventuellen vorgänger , gute schuhe getragen haben , wahrscheinlich solche mittricounibe-schlag .
wie es auch sei , es geht auch mit gummischuhen , heutzutage , allen unkenrufen der nachkriegszeit zum trotz .
( eure gummisohlen mögen ja recht und gut sein , aber wenn euch einmal auf der mythenmatt ein regenschauer überrascht , dann möchte ich euch sehen ... nasses gras und gummi , das wirkt doch wie schmierseife .
dann werdet ihr wie eingesalbte ölgötzen in die tiefe fahren ! )
der dies weissagte , hatte zwei listige , von lachfalten eingerahmte äuglein und einen kopf , der oben in einen spitzhut und unten in einen spitzbart auslief .
es war köbel , der bildhauer und phantasiereiche unterhalter , und er war nur einer von den vielen skeptikern .
köbel sah sich später ins unrecht versetzt , den tricouninägeln ist er aber meines wissens trotzdem sein ganzes leben lang treu geblieben .
ist dies nicht ein grund , sein andenken noch besonders in ehren zu halten !
jeder mensch trägt eine galerie in sich , die er nach eigenem wunsch mit bildern bestük-ken kann .
alpinisten pflegen darin bergbilder aufzuhängen , und da der eintritt in diesen raum an keinerlei formalitäten gebunden ist , lassen sich diese aufbauenden gemälde im alltag bei jeder beliebigen gelegenheit betrachten .
eine örtlichkeit , wo sich solche bilder sammeln lassen , ist das rot grätli am gipfelkopf des grossen mythen .
die bilder sind hier dreidimensional , gehen in die höhe , in einen himmel , an dem die rote schweizerfahne flattert , in die weite , zum zürichseebecken , zum alpstein , in die urner und unterwaldner alpen , in die tiefe , auf die dunkeln wälder und blühenden weiden des alptals , auf den bunt gefleckten , mit seen geschmückten talkessel von schwyz .
zuoberst schliesst sich der kreis das rot grätli trägt uns in schiefrigem fels und auf weichen rasenpolstern in kürze auf die felsige , karge gipfelfläche .
keinen augenblick zu früh und keinen zu spät , denn eben beginnt vor der kulisse des mythenhauses die weissweinflasche ihre runden zu drehen .
auch uns drückt man , wie erwartet , ein funkelndes glas in die hand .
erhebend , später , der augenblick , in dem der präsident sein manuskript hervorkramt und seinen mund öffnet .
doch genau in dieser sekunde werden bild und ton von einem dichten nebelschwaden verschluckt .
ein , zwei minuten nur - die zeit für einige schlückchen - , dann ist der spuk vorbei , und ich sehe mich zu meinem grossen erstaunen ( wirklichkeit oder halluzination ? )
von einer runde netter kerle in goldbetressten uniformen umringt .
es sind all die concierges , denen ich im aufstieg nachgesonnen .
doch gibt es da , höchst verwunderlich , noch eine gruppe schnauzbärtiger , würdiger herren zu bestaunen , mit breitrandigen hüten , geschlossenen kragen , gilets , uhrenketten und hohen haselstöcken , mit eigenem mundschenk , malerisch zum fototermin angeordnet .
es sind die gründer des vereins , die männer , die mit ihrer begeisterung und ihrem geldbeutel den berg für den wanderer erschlossen haben , die concierges des mythenwegs , die ich bis heute nur aus der jubiläumsschrift gekannt habe .
sie alle heben prostend ihr glas , zwinkern und lachen mir freundlich zu .
ich hab's ja immer gesagt :
harmonie ist das a und 0 der ganzen bergsteigerei !
es muss nicht immer bilderbuchwetter sein :
aufbruch vom einstiegssattel der wyss-wändli-route am gr .
mythen .